Ein solcher Bau steht normalerweise 200 Jahre

Ein Rückblick auf den erfolglosen Kampf um den Düsseldorfer Tausendfüßler

 von Dirk Jürgensen ...

Die Debatte um den Abriss der von den Düsseldorfern liebevoll „Tausendfüßler“ genannten Hochstraße ist ein bedenkliches Kapitel der jüngeren Stadtgeschichte. Die Art und Weise, wie die Bürger vor vollendete Tatsachen gestellt und wie standhaft ihre Einwände und vielfach konstruktiven Gegenvorschläge ignoriert wurden, ist ein Musterbeispiel dafür, wie man die allgemein beklagte Politkverdrossenheit manifestiert. Parallelen zu „Stuttgart 21“ und Bilder von der Arroganz der Macht sind unverkennbar.

Der Düsseldorfer Tausendfüßler – Die Auseinandersetzung um den Erhalt der Hochstraße und um die Kö-Bogen-Planung

Der Düsseldorfer Tausendfüßler

Der Tausendfüßler war ein Baudenkmal, ein Teil eines Ensembles mit dem Dreischeibenhochhaus, dem Schauspielhaus und dem angrenzenden Hofgarten, das die an klassischen Altertümern arme Stadt in ihrem Kern als moderne und aufstrebende Stadt prägte und bekannt machte. Dieses Ensemble ist nicht mehr vollständig und aus den Wirren der noch auf Jahre dominierenden Großbaustelle treten nach und nach riesige Tunnelrampen ins Blickfeld, die stark daran zweifeln lassen, dass die Befürworter des Abrisses Recht behalten werden.

Est stimmt zeitweise traurig, mit seinem Protest und den anderen Vorstellungen von einer Aufwertung der Düsseldorfer Stadtmitte richtig gelegen zu haben. Ein Triumph sieht jedenfalls anders aus. Und um nicht all das selbst Erlebte aus der Amtszeit der Oberbürgermeister Joachim Erwin und Dirk Elbers (beide CDU) aufführen zu müssen, möchte ich all jenen Menschen ein Buch ans Herz legen, die wissen möchten, wie eine bürgerferne und bezüglich der Folgekosten unvernünftige städtische Baupolitik aussieht und wie sie leider von Erfolg [sic!] gekrönt sein kann.

Der Düsseldorfer Tausendfüßler – Die Auseinandersetzung um den Erhalt der Hochstraße und um die Kö-Bogen-Planung

Die Herausgeber Manfred Droste und Hagen Fischer haben in akribischer Kleinarbeit eine umfangreiche Dokumentation zusammengestellt, die all die Informationen von der Zeit der Planung und dem Bau des Tausendfüßlers, zu seiner Ästhetik, seiner bis in die letzten Tagen tadellosen Funktionalität über den fragwürdig abgelaufenen Verkauf des ihm anliegenden Jan-Wellem-Platzes und der sehr stückweisen Neuplanung seines innerstädtischen Umfelds bis zu seinem endgültigen Abriss aufführt.

Aus der Sitzung des Düsseldorfer Stadtrats am 5. Mai 1960, als der Bau der Hochstraße beschlossen wurde, eine kurze Passage zitieren, in der vom damaligen obersten Stadtplaner Friedrich Tamms die heute oft geäußerte Behauptung eindeutig widerlegt wird, der Tausendfüßler sei nur ein Provisorium gewesen:

Ratsherr Schulhoff (CDU): „Ich habe nur eine Frage, Herr Professor Tamms, die Sie nicht beantwortet haben. Sie wurden gefragt, wie lange die Hochstraße stehen wird. Darauf haben Sie gesagt: Die Hochstraße steht solange sie steht. Das ist nicht exakt. Sie müssen doch über die Lebensdauer etwas sagen können.“ (Starke Unruhe – Zwischengespräche)
Beigeordneter Professor Tamms: „Ein solcher Bau steht normalerweise 200 Jahre.“

Im Folgenden hält uns das Buch die ausführliche gutachterliche Stellungnahme zum Denkmalwert des Bauwerks von Axel Föhl (LVR-Amt für Denkmalpflege im Rheinland) aus dem Jahr 1991 bereit. Sie ist außerordentlich aufschlussreich und beinahe spannend zu lesen. Man möchte fast bedauern, dass sie in der Zeit der Abrissdiskussionen nicht als Mehrteiler in den Düsseldorfer Tageszeitungen erschien. Sie ist selbst für einen Laien beinahe spannend zu lesen und zeigt sehr detailliert, wie intensiv und ohne zu sparen an der grazilen Form des Tausendfüßlers geplant und wie sorgfältig die Bauausführung erfolgte. Nur ein Zitat daraus:

Für die Erhaltung der Hochstraße Jan-Wellem-Platz liegen künstlerische, wissenschaftliche und städtebauliche Gründe vor. Die Gestaltungsqualtät des Brückenbauwerks hebt sich mit der Leichtigkeit ihrer Formgebung (ihrer „Entmaterialisierung“, um den Begriff Tamms aufzugreifen) wie der Eleganz im Grundriss, Aufriss und Querschnitt, mit ihren „kontinuierlich geführten Kurven höherer Grade“, ihrer einfach und doppelt sinusförmig geschwungenen Untersicht und ihrer geringen Bauhöhe von dem Gros der gleichzeitig, aber auch später ausgeführten innerstädtischen Hochstraßen positiv ab.

Es ist wirklich eine Schande, dass man diese Sicht der Dinge niemandem mehr am Objekt vorführen kann.
Lore Lorentz sagte einmal:

Düsseldorf hat eine Stärke: Kein Dom überragt die Gegenwart.
Ihre Schwäche: Sie weiß nicht, daß es ihre Stärke ist.

Dieses schwierige und einen voreiligen Abriss fördernde Verhältnis Düsseldorfs zu seiner eben nur aus Bausünden bestehenden Moderne könnte man nicht besser beschreiben. Baudenkmäler benötigen Zeit, um allgemeine Wertschätzung erfahren zu können. Uns Düsseldorfern fehlt es wohl an der nötigen Geduld.
So wird die hier beschriebene Dokumentation die Fehler der Vergangenheit nicht mehr korrigieren können, aber vielleicht kann sie helfen, in Düsseldorf und anderswo demnächst weniger solcher Fehler zu begehen und vor einem Abriss zu überlegen, was eine attraktive, eine lebenswerte und individuelle Stadt zwischen den vielerorts zu beklagenden Normbauten ausmacht.


 

Der Düsseldorfer Tausendfüßler – Die Auseinandersetzung um den Erhalt der Hochstraße und um die Kö-Bogen-Planung
Manfred Droste und Hagen Fischer (Herausgeber)
erschienen beim Droste-Verlag in Düsseldorfer
ISBN 978-3-7700-6000-9
19,80 € (D)


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Zwei Netzfundstücke zum Thema:

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