Das vergoldete Zeitalter – Synonym einer Epoche
Die beiden in Hartford (Connecticut) wohnenden und befreundeten Autoren Charles Dudley Warner und Mark Twain ließen sich 1873 von ihren Ehefrauen zur Ausarbeitung eines gemeinsamen Romans herausfordern. So entstand mit »The Gilded Age – A Tale of Today« in der Form des damals sehr beliebten Gesellschaftsromans eine Satire, die zum Synonym einer Epoche wurde und gerade in unseren Tagen der Finanzkrise wieder zur Aktualität gekommen ist. Man könnte den von den Autoren selbst gewählten Untertitel »Eine Geschichte von heute« gar für einen in der Jetztzeit hinzugefügten Werbespruch halten.
Korruption, Lobbyismus, aktive und passive Pressemanipulation, Spekulation mit nicht vorhandenen Werten, Glücksjägerei, Schachern um Beteiligungen, unendlicher Reichtum und ebensolche Armut sind keine Vokabeln, die allein unserem 21. Jahrhundert zugesprochen werden können. Im Gegenteil. Anhand des in diesem Werk vorliegenenden Beispiels an Kapitalismuskritik, können wir erkennen, an welchem ach so menschlichen Streben das »erfolgreichste aller Gesellschaftssysteme« immer wieder und unheilbar – besser: unbelehrbar – erkrankt. Das Streben nach Reichtum und das Nacheifern diesbezüglich irgendwie Erfolgreicher, ein fehlgelenkter Leistungsbegriff, der nicht mehr die Schaffung von Sachwerten oder auch die des gesellschaftlichen Fortschritts in den Vordergrund stellt, schafft immer wieder realitätsferne Hoffnungsblasen, die die immerwährende Gefahr des Platzens in sich bergen.
Dabei waren die beiden Autoren – allen vorweg Mark Twain – längst nicht als flammende Kapitalismuskritiker bekannt. Zumindest nicht zum Zeitpunkt ihrer Zusammenarbeit. So unterlag ausgerechnet Mark Twain selbst, dem das in »The Gilded Age« verfolgte Schicksal der Familie Hawkins wohl entfallen war, Jahre nach dessen Erscheinen dem Hang zur Spekulation. Er erlitt, als hätte er seinem Col. Eschol Sellers nacheifern wollen, 1894 mit einer sisyphoshaften Investition in eine unausgereifte Setzmaschine finanziellen Schiffbruch bis hin zum Bankrott. Aus diesem konnte er sich nur mittels weltweiter Vortragsreisen und aufgrund seiner enormen Popularität wieder erholen.
Der seit Juni 2010 verfügbare Band nimmt die von Moritz Busch ins Deutsche übersetzte und bereits im Jahr 1876 in der Reihe »Amerikanische Humoristen« bei Fr. Wilh. Grunow in Leipzig erschienene Fassung als Grundlage. Diese wurde von mir als Herausgeber sanft überarbeitet und an erforderlichen Stellen korrigiert.
Ich freue mich, dem Buchmarkt nach nunmehr 134 Jahren zahllos zerplatzter und vor all den in der Zukunft noch zerplatzenden Spekulationsblasen endlich wieder eine deutschsprachige Ausgabe von »The Gilded Age« anbieten zu können – und nicht zuletzt spekuliere ich natürlich in den Worten des Col. Sellers mit dieser Veröffentlichung auf »Ozeane und Ozeane von Geld«. – Ab sofort ist das Werk an dieser Stelle bei Amazon zu bestellen. Alternativ können Sie in Ihrem lokalen Buchhandel nach der ISBN fragen. Bitte achten Sie auf die Angabe genau dieser ISBN!
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Ein kleiner Nachtrag
Manchmal hinterfragt man während der Überarbeitung und Neuübersetzung eines Textes viel zu wenig konsequent die einem begegnenden Namen. Man nimmt sie hin. So überraschte mich meine Stammbäckerei jüngst mit einem Amaranth-Brot, das mich sofort an den von mir überarbeiteten Roman erinnerte. Ich schlug nach und fand heraus, daß wohl Bestandteile einer alten Kulturpflanze aus der Familie der Fuchsschwanzgewächse in diesem leckeren Brot zu finden sein sollten. Aber das war nicht die eigentliche Überraschung. Diese nenne ich den »Amaranth-Zufall«:
Es handelt sich ganz sicher um einen Zufall.
Wenn nicht, dann verfügten entweder die Herren Twain und Warner im Jahre 1873 über prophetische Gaben oder die Gründer eines auf Energiepreise spezialisierten Fonds wußten bereits bei der Namensgebung vom Ende ihres Unternehmens im Herbst des Jahres 2006 und liehen sich dazu einen idealen Namen aus dem Roman »Das vergoldete Zeitalter«.
Im Roman spielte »Amaranth« die Rolle eines für damalige Verhältnisse hochtechnisierten Raddampfers, dessen Maschinen aufgrund überzogener Eitelkeit seiner Betreiber während eines Wettrennens mit einem anderen Schiff überhitzten und explodierten. Eine Katastrophe mit 39 verletzten und 22 toten Passagieren und Besatzungsmitgliedern war die Folge.
Im realen Finanzleben der nahen Vergangenheit war »Amaranth Advisors LLC« ein Hedge-Fond, dessen Steuermann und Zocker Brian Hunter innerhalb weniger Tage fünf Milliarden Dollar seiner Kunden verbrannte.
Übrigens konnte den Verantwortlichen der Schiffskatastrophe (die Autoren befanden: wie üblich) keine Schuld nachgewiesen werden.
Zufälle gibt’s.
© Dirk Jürgensen – Veröffentlichungen des Textes, auch in Auszügen, nur mit ausdrücklicher Genehmigung des Autors.