Wuschsch und Klönggg sind keine Kunstgriffe!
von Dirk Jürgensen ...
Eine offene Schelte an CSI und CIS
Liebe Produzenten von Krimiserien, liebe Kriminal-Redakteure der Fernsehsender,
mir gehen all Eure CSI/CIS-Originale und -Derivate gehörig auf die Nerven. Länger als nur wenige Minuten kann ich ihnen nicht beiwohnen. Diese ach so modernen amerikanischen Filme erzeugen genervte Langeweile. Doch ihre Machart sowie die unweigerliche Werbeunterbrechung, die der Erholung dienen soll, nein, der Bestätigung, dass ein Um- oder Ausschalten die beste Wahl ist, sollte eingehend betrachtet werden.
Sollten Ihr mich fragen, warum ich so ungehalten reagiere, liste ich gerne einige meiner Hauptärgernisse auf:
1. Meine in Würde gealterten Augen sind noch immer in der Lage, einen Kameraschwenk als solchen zu registrieren. Dessen akustische Untermalung mit einem „Wuschsch“, so, als würde die Bewegung des Aufnahmegeräts eine extreme Luftverwirbelung mit einem entsprechenden Geräusch erzeugen, ist nicht nur als überflüssig anzusehen, sondern lenkt mich mit der Frage über dessen Ursprung und Sinn vom vorgeführten Kriminalfall ab.
2. bin ich, sollte das Drehbuch tatsächlich einer einigermaßen sinnvoll konstruierten Geschichte folgen, nicht zu blöd, einen Szenenwechsel als solchen mitzubekommen. Dieser muss nicht durch ein den Schnitt begleitendes Geräusch erklärt werden. Ich meine jenes Geräusch, das mir seit einiger Zeit auch aus der Autowerbung (Audi oder BMW, Vorsprung durch Technik bei Freude am Fahren – ich weiß es nicht mehr und es ist mir egal) bekannt ist. Wem ist es nicht bekannt? Es klingt, als würde der Heizungsmonteur im Keller gegen die Rohre schlagen, um dem Hausmeister auf der Etage das Ende seiner Frühstückspause zu dokumentieren. Ein nachhallendes „Klönggg“ – schon wechselt der Blick vom Präsidium zum Tatort, oder es wird ein neues Datum eingeblendet. Geht das nicht auch ohne, oder will man die längst eingeschlafenen Zuschauer pünktlich vor der nächsten Werbung geweckt wissen?
3. verstehe ich überhaupt nicht, warum und auch wann die Serienkommissariate trotz international verbreiteter Haushaltsschwäche der Kommunen mit transparenten Flipcharts ausgerüstet wurden. Ich akzeptiere den eventuellen Einwand der Filmemacher, die Realität sei viel zu langweilig und trist und müsse aufgepeppt werden, doch es geht sicher mit etwas mehr Glaubwürdigkeit. Zugegeben, einen Vorteil haben die Dinger: Die Kamera kann von der Rückseite hindurchschauen und somit ungemein spannende Blickwinkel auf die attraktive, möglichst aus allen ethnologischen Gruppierungen des Handlungslandes bestehende Polizistencrew bieten. Einen anderen, der Arbeit dieser Ermittler dienenden und daher sinnvollen Grund, können Anschaffungen solcher sicher nicht billigen Tafeln nicht haben.
4. Ebenso halte ich es, da die hier kritisierten Sendungen nicht der Science Fiction zugeordnet werden können, für einen übertriebenen Modernismus und aufgrund ihrer fehlenden ergonomischen Vorzüge für bloße Effekthascherei, wenn die eben erwähnten gläsernen Flipcharts auch noch mit transparenten Touch-Screens ausgestattet werden, auf denen Fotos von Verdächtigen, Opfern und sonstigen Fundstücken unter fadenscheinigen Begründungen in Beziehung gesetzt und entsprechend verschoben werden.
5. nerven mich ständige Rückblenden und Erinnerungsfetzen oder schlimmstenfalls gar Visionen der Täter oder Ermittler. Diese werden ebenfalls mit dem unter Punkt 1 angeführten „Wuschsch“ und zusätzlich mit einer veränderten Bildauflösung oder Farbpalette dokumentiert. Was vielleicht in den Anfangsjahren des elektronischen Effekts noch als Kunstgriff galt, ist heute nur noch eine Notlösung und ein Beweis von Phantasielosigkeit. Ist der Regisseur also ratlos und weiß nicht, wie man eine Geschichte durch Handlung, durch Agieren der Schauspieler, durch geschickte Dialoge innerhalb einer viel zu kurzen Folge entwickeln, darstellen oder fortführen soll, „Wuschsch“ blendet man ein paar Bildfetzen ein. Ziemlich billig.
6. können Computer in Krimis ganz einfach zu viel. So, wie Fotos beim Heranzoomen immer schärfer und nicht immer verpixelter werden, recherchieren und kombinieren sie selbständig und ohne jede Datenschutzüberprüfung in allen Datenbanken überall, sodass die um sie herum versammelten Cops eigentlich arbeitslos sein müssten. Sicher, schon Sherlock Holmes ließ die Leser seiner Fälle aufgrund vollkommen unerwarteter Kombinationen mitsamt vorher nicht bekannter Einzelheiten über seine Intelligenz staunen, aber muss man das auch noch in einer heutigen Krimiserie dulden?
7. Wie die Computer zu intelligent sind, sind auch die Labore der Gerichtsmediziner viel zu sehr einem Raumschiff des 23. Jahrhunderts zuzuordnen. Wer die Gelegenheit erhält, ein real existierendes Polizeipräsidium oder Universitätsinstitut zu besuchen, kommt völlig entgegengesetzt ins Staunen.
8. sind Pathologen oder gerne auch Coroner stets verschrobene, schrullige Typen. Und wenn nicht, dann müssen sie diesem mühsam aufgebauten Klischee als außerordentlich attraktive Frau oder als Pippi Langstrumpf in Schwarz diametral entgegenstehen. Sie prüfen in höllischer Geschwindigkeit alles und viel mehr als man von ihnen erwarten kann.
9. scheint das Budget für ihre Arbeit grenzenlos und nicht durch die teuren Flipcharts der ermittelnden Kollegen beeinträchtigt.
10. besitzt jede oder jeder Einzelne von ihnen mindestens ausgereifte Kenntnisse in Gentechnik, Chemie, Physik, Statistik und Informatik, weiß alle internationalen Fälle aus der Vergangenheit auswendig, findet immer irgendwelche Nebensächlichkeiten, die niemand bisher untersuchte. Zudem werfen Pathologen eher verschleiernd denn erklärend mit Fachbegriffen um sich, deren Bedeutung ich gerne nachschlagen würde, doch macht das nächste „Wuschsch“ oder „Klönggg“ dem Ansinnen ein Ende und auch den Polizisten fehlt offenbar die Zeit dazu. Vermutlich nicht ohne Grund, denn hier verhalten sich moderne Krimis endlich einmal wie das wahre Leben, in dem manch Fremdwort nur ein flehender Schrei nach etwas Bewunderung ist. Und bewundern sollen wir sie doch, die Protagonisten. Ich gehe im Übrigen davon aus, dass die meisten im Film verwendeten fremdartigen Begriffe einer Überprüfung nicht standhalten könnten. Doch welchen Sinn hätten sie noch außer des Eindruckschindens? Meiner Vermutung nach soll der übertriebene Gebrauch von Fachtermini, vergleichbar mit der sinnfreien Verwendung stereotyper Bild- und Toneffekte, Mängel in der Geschichte ausbügeln. Kein Zuschauer wird nachfragen und wenn Nichterklärtes den nur rudimentär existierenden Handlungsstrang verkürzen hilft, bleibt mehr Zeit für die Werbung. „Wuschsch“ – nein, „Klönggg“.
Es mag sein, liebe Produzenten und TV-Krimi-Redakteure, dass die Mehrheit der Konsumenten meinen Unmut keinesfalls teilt oder gar der Meinung ist, Spannung sei einzig und allein mit Effekten zu erzielen. Sie würden mir mit diesem Argument den Erfolg Ihrer Sendungen erklären, wenn auch nicht rechtfertigen. Hitchcock unterschied einst Surprise (Überraschung – ein unerwartetes Ereignis) vom Suspense (Spannung – die Erwartung eines Ereignisses ohne sein Eintreffen), doch sogar die Wirkung der Überraschung geht im ach so modernen Effektgewitter unter. Dabei, da möge mir Hitchcock verzeihen, wäre selbst eine später nachvollziehbare Überraschung als positive Filmerfahrung zu bezeichnen.
Vielleicht aber schaut und hört einfach niemand mehr hin, vielleicht mag in einer Welt, in der so viel geschieht, niemand mehr mit seinen Gedanken einer Geschichte folgen? Das könnte Ihnen, liebe Verantwortliche, durchaus eine Sinnkrise bescheren, denn wozu machen Sie die Filme dann noch? Zur Unterbrechung der Dauerwerbung? Ich weise in diesem Fall mit klammheimlicher Freude jede Verantwortung von mir und betrachte die Sache als erledigt, … bis mir irgendwann einmal eine vertrauenswürdige Person erzählt, sie habe eine völlig neue Krimiserie origineller Machart entdeckt, die ich mir unbedingt einmal anschauen sollte. Bis dahin könnte das Warten vermutlich spannender als jeder Ihrer Krimis sein.
Am 31.10.2011 auf Einseitig.info fast genau so erschienen und noch immer aktuell.