Die Hose
Von der Krise im Einzelhandel
Ich gehöre zu jener klassischen Spezies Mann, für die der Einkauf von Textilien eher ein lästiges, wenn auch manchmal notwendiges, Vorhaben ist. Bei Tonträgern oder Gerätschaften der Unterhaltungselektronik könnte ich dem Einkauf viel eher den Rang eines Shoppingevents zusprechen. Eine Hose kaufe ich mir, wenn ich wirklich eine neue brauche. Und zu diesem Zweck gab es einst Warenhäuser, die recht zutreffend und erfolgreich mit „tausendfach, alles unter einem Dach“ um mich warben. Das ist Vergangenheit. Warum nur?
Kinder, kennt Ihr noch Warenhäuser?
Liebe Kinder. Ich bin alt und deshalb geschieht es immer öfter, daß Ihr mir die Welt erklären müßt. Ich bin immerhin so alt, daß ich auch Manager einer demnächst schließenden Karstadt-Filiale sein könnte, aber ich bin noch nicht so alt, daß ich nicht noch etwas zu zeugen in der Lage wäre, das auch Euer demnächst eine Lehrstelle suchendes Kind sein könnte.
Naja, weil ich so alt bin, habe ich eine Entwicklung verpaßt, die die Warenhäuser in das verwandelte, was Fußgängerzonen heute in gleicher Art bieten. Sie wurden, wahrscheinlich gesteuert von ebenso alten Menschen wie mich, die, aus Angst um ihr eigenes baldiges Ende, nur noch Jüngere in ihren Hallen antreffen wollten, denn auf diesen ruht bekanntlich unser aller Zukunft und nie endender Fortschritt.
Die Jugend, also Ihr oder irgendwann Eure Kinder, wenn Ihr einst selber älter sein solltet, gilt als markengeil und, kombiniert mit prächtig lockersitzendem Taschengeld, das wir Alten Euch zustecken, als tolle Zielgruppe. Nur für Euch mußten Eure Lieblingsmarken ins Kaufhaus gelockt werden. Und da es eine Marke nicht ertragen kann, neben einer anderen klein und schäbig zu wirken, wurden unzählige kleine und größere, aber immer noble, Boutiquen – man nannte es Shop-in-Stores – in die Warenhäuser hineingebaut. Das war das Konzept der Zukunft.
Alte Menschen wie ich waren von nun an überfordert. Sie wollten zum Beispiel eine Hose kaufen. Das Label war ihnen schnurzpiepegal, denn sie sollte nett aussehen, passen und nicht zu teuer sein. Nicht schwierig, werdet Ihr sagen, die Ihr es nicht anders kennt. Wir kennen es anders. Deshalb, liebe Kinder, ich muß es Euch erklären, gingen wir ganz ganz früher nämlich in die Hosenabteilung eines Warenhauses. Und wenn wir nicht so bieder wie unsere Eltern herumlaufen wollten, stand eine Jeansabteilung bereit, in der auch Leute wie Ihr, aber das waren wir ja damals, einkauften. Egal, ob bieder oder modern – in diesen sogenannten Fachabteilungen gab es dann Hosen beziehungsweise Jeans aller aktuellen und nicht ganz so angesagten Marken. Ja, Marken gab es auch damals schon.
Wenn man denn nun ein geeignetes Beinkleid erwählt hatte, die Chancen dafür standen gut, weil das Angebot ja so groß und labelübergreifend war, ging man zur Kasse und war einigermaßen zufrieden.
Selbst wenn jemand mit gewissen Body-Defiziten ausgestattet war, konnte er fündig werden, weil plötzlich zum Verkäufer, den der eigenständige Kunde vorher noch fortgeschickt und dann dankbar wiedergefunden hatte, ein Mensch mit einem seltsamen kleinen kreidegefüllten Ständer um einen herumtänzelte, damit die Hose durch einige preisgünstige Änderungen tragbar gemacht werden konnte. Das Kaufhaus hatte damals sogar eigene Schneider! Das wurde noch nicht „Service“ genannt, war aber es war das, was man heute immer vermißt, weil es so etwas in Deutschland nie gegeben hätte, weil Deutschland nämlich eine Servicewüste sei. Glaubt nicht allen Lügen, Kinder!
Dann holten sich die Manager, die damals so alt wie ich heute waren, Berater. Und die schauten sich die Kosten an. Die sagten dann, daß die tapferen Schneiderleins in einem Kaufhaus nichts zu suchen hätten, weil sie unverschämterweise Geld für ihre Dienste kassierten. Da wollten die Manager keine Spielverderber sein und entließen diese Nichtsnutze, denn man wollte doch Geld für Gewinne und den Ausbau der Serviceleistungen finanzieren, von denen Ihr bestimmt schon ganz viele entdeckt habt. Oder?
Ja und dann ließen sie sich auch noch von den wahnsinnig flippigen, aber ungemein netten Vertretern der hervorpreschenden innovativen Markenanbieter bequatschen und gaben ihre einstige Einkaufskompetenz an eben diese innovativen Lieferanten ab. Alles, um den Fordernissen der modernen Welt auch morgen, das ist inzwischen heute, entsprechen zu können.
Die Häuser wurden für viel Geld von ambitionierten Innenarchitekten umgestaltet und jede der einzelnen Marken erhielt ihre Quadratmeter – der notwendigen Imageunterscheidung entsprechend in eigenem Look and Feel der jeweiligen Corporate Identity. Eben jenen Wiedererkennungswert hatten die Warenhäuser also damit nun ganz nebenbei auch noch an die Lieferanten abgegeben.
Nun stehen sie da, Karstadt und Kaufhof, und ihnen gehen die Käufer verloren und die Markenvertreter waren gar nicht so nett, wie sie immer vorgaben. Denen reichten die Shop-in-Stores nämlich bald nicht mehr. Sie enterten die Fußgängerzonen und machten reihenweise immer mehr eigene Läden auf, weil sie nicht wollten, daß jemand anders als sie selbst die fette Einzelhandelsspanne kassiert. Nicht, daß die Klamotten damit günstiger wurden, weil sie jetzt eine Handelsstufe weniger zu verdienen hatten. Nein, das wäre wirklich ziemlich dämlich. Das seht Ihr als aufgeklärte Konsumenten sicher ein.
Und mit den eigenen Läden ist es viel einfacher, die Einhaltung der „empfohlenen“ Zwangsrichtpreise durchzusetzen, beziehungsweise zu kontrollieren, denn manchmal gab es böse Einzelhändler, die auf etwas Spanne verzichteten und die Verkaufspreise unerlaubterweise und nur vor dem Gesetzgeber, der die Regeln des Marktes nicht akzeptiert, legitim reduzierten. Unverschämt, sowas!
Wettbewerb ist in den Augen der Markenanbieter grundsätzlich schädlich, weil Ihr kaufen und nicht die kostbarste Zeit Eures gerade begonnenen Lebens mit öden Preisvergleichen verpulvern sollt. So kostet Euer für ein paar Cent in Vietnam produziertes T-Shirt mit dem irren Label überall 29.90 €. Das ist gerecht, das ist Demokratie!
Natürlich entstehen auch in den Label-Stores Kosten. Miete und Gehälter. Miete viel, weil die Vermieter der Häuser in unseren Fußgängerzonen so wahnsinnig unverschämt sind. Aber dafür kann man ja am Personal sparen. Verkaufen dürfen eben nur junge, das ist für alte Männer wie mich natürlich sehr angenehm, außerordentlich ansehnliche Mädels, gerade von der Schule kommend, die gar nicht viel Geld zum Leben brauchen und ihre persönliche Bestätigung schon darin finden, ihre erste Berufserfahrung unter einem coolen Markenbanner zu sammeln.
Die Shop-in-Stores der Warenhäuser bleiben selbstverständlich bestehen, denn warum sollte in einem solchen Hause eine Konkurrenz zugelassen werden, zumal auch hier die Verkaufspreise und das Sortiment wunderbar kontrolliert werden können?
Doch auf welcher Strecke bleibt der Zweck der Warenhäuser, wenn das identische Angebot auch direkt im Marken-Store einhundert Meter entfernt ohne doppelte Rolltreppenfahrt gefunden werden kann? Was fällt den alten Männern, wie ich es einer bin, in ihren schmucken Chefetagen ein, wenn es dem Unternehmen dreckig geht?
Wie geht eigentlich so ein Grufti heutzutage eine Hose kaufen?
Er hat vielleicht in der Vergangenheit eine positive Kauferfahrung gemacht und ist mit dem Modell, das seit vielen Monaten seinen noch recht akzeptablen Popo ziert, zutiefst zufrieden. Deshalb geht er, es kann sogar eine dieser Marken sein, in den entsprechenden Markenshop, der damals sein Vertrauen fand. Nun sagt das hübsche Ding, das ihn lächelnd bis belächelnd bedient und damals noch gar nicht hier arbeitete, daß dieses Modell längst nicht mehr im Angebot sei, da die Kollektionen doch zweiwöchentlich wechselten.
Hm, etwas in der Kauflaune gebremst, verläßt der Greis den Laden und gibt sich clever, indem er den Shop-in-Store derselben Marke bei Kaufhof ansteuert.
Vielleicht haben die noch Restbestände?
Nein, haben die nicht.
Karstadt?
Ebenso.
Gut, dann könnte es doch so etwas Ähnliches sein.
Gibt es nicht mehr, weil die Mode sich gewandelt hat.
Komisch, alle laufen noch mit diesen Hosen rum. So unmodern können die gar nicht sein.
Aber die Kollektion ist längst aus.
OK. Dann fast etwas Ähnliches.
Ja, ist da, aber nicht in der Größe, kommt eventuell vielleicht oder auch nicht wieder rein. –
Danke, eigentlich tut es die alte Hose noch. Sie hat keine Löcher und vielleicht bietet die übernächste Saison wieder eine Chance.
Der entgangene Umsatz hält sich in diesem Fall für den gesamten Textileinzelhandel in homöopathischem Rahmen. Wenn er, also eigentlich ich, der Einzige ist, der so schnell die Lust am Einkauf verliert.
Ach so, eben sagte ich „später“. Denn mir war die glorreiche Idee, die die wahrscheinlich nicht nur alten, sondern senilen Manager bei Karstadt in ihr Sanierungskonzept neben die übliche Personaleinsparung geschrieben haben. Sie wollen nämlich als supergeniale Rettungsaktion das Shop-in-Store-System weiter ausbauen.
Jo, das isses! Da kann sich Karstadt mal so richtig von der Konkurrenz abheben.
Hoffentlich sind die Verkäuferinnen dann wenigstens hübsch, jung und in der Lage, mir die Welt zu erklären.
Ach so, eben sagte ich „später“. Denn mir war die glorreiche Idee, die die wahrscheinlich nicht nur alten, sondern senilen Manager bei Karstadt in ihr Sanierungskonzept neben die übliche Personaleinsparung geschrieben haben. Sie wollen nämlich als supergeniale Rettungsaktion das Shop-in-Store-System weiter ausbauen.
Jo, das isses! Da kann sich Karstadt mal so richtig von der Konkurrenz abheben.
Hoffentlich sind die Verkäuferinnen dann wenigstens hübsch, jung und in der Lage, mir die Welt zu erklären..
Ersterscheinungsdatum: 15.10.2004 – zuerst auf Einseitig.info
© Dirk Jürgensen – Veröffentlichungen des Texts, auch in Auszügen, nur mit ausdrücklicher Genehmigung des Autors.