Sie möchten also Deutscher werden – Anlässlich der Wahl Volker Bouffiers zum Ministerpräsidenten Hessens
von Dirk Jürgensen ...
Nicht Max Mustermann, sondern Volker Bouffier wurde heute zum Ministerpräsidenten Hessens gewählt. Das ist für Letzteren also nochmal gut gegangen. Manche außerhalb Hessens mögen sich noch an ihn erinnern, denn er war einst Innenminister dieses Landes und machte mit der Einführung eines Einbürgerungstests Schlagzeilen, der mich 2006 zu einer kleinen Satire verleitete, an die ich mich und Sie anlässlich der heutigen Wahl gerne erinnere:
Sie möchten also Deutscher werden
So als Staatsbürger, da wär‘ die Rente gesichert.
Ort der Handlung ist ein Bürgerbüro in Bottrop im Jahre 2007.
Volker Bouffier, Hessischer Minister des Inneren und für Sport, freut sich, dass sich das Bundesland Nordrhein-Westfalen endlich zur Übernahme des von ihm initiierten Wissens- und Wertetests für Einbürgerungswillige entschlossen hat. Er möchte den Bürgern des Landes und seinen Beamten die Durchführbarkeit des Verfahrens nahebringen und hat sich dazu bereiterklärt, für einen Tag die Befragung der Neubürger in spe zu übernehmen. Aus Zeitgründen wird er sich auf eine Auswahl der einhundert Fragen beschränken. Er wird einige Passagen aus dem offiziellen 100 Fragen zitieren.
Die Tür der Amtsstube öffnet sich und ein älterer Herr, offensichtlich Rentner, tritt ein.
Bouffier: (schaut auf seinen Zettel mit den Namen der Angemeldeten) Guten Tag, Herr Koslowski. Nehmen Sie doch bitte Platz.
Koslowski: Tach auch, Herr Boffler.
Bouffier: Buh-fjeeh
Kowalski: Sach ich doch.
Bouffier: So, Sie möchten also Deutscher werden. (räuspert sich) Ausdrücklich versichere ich Ihnen, dass ich mich über Ihre Entscheidung freue. (B. nimmt eine förmliche Haltung an und streckt Koslowski kurz die Hand entgegen.)
Koslowski: Nee, ich wollt aigentlich …
Bouffier: Ehm, wie auch immer. (Zieht die Hand wieder zurück.) Die Bundesrepublik Deutschland und das Land Hessen – ääh Nordrhein-Westfalen – heißen jeden herzlich willkommen, der sich zu ihren Prinzipien und Werten bekennt. Um das sicherzustellen machen wir ihnen den Leitfaden …
Koslowski: Meinen Perso …
Bouffier: Später, Herr Koslowski. Sie haben sicher den vorliegenden „Leitfaden Wissen und Werte in Deutschland und Europa“ gelesen. Als Bewerber für die deutsche Staatsbürgerschaft leben Sie …
Koslowski: Ich leb schon immer in Bottrop. Main Oppa, der is sainerzait aus Kattowitz …
Bouffier: … ääh, bereits in Deutschland, und Sie …
Koslowski: … mit nix als sein Mottek. Konnte nichma Deutsch. Nur sein Mottek – un ab innen Pütt.
Bouffier: Ja, sicher eine schwere Zeit. Ääh, wo war ich? Ach so. Sie leben schon im schönen Bottrop und stellen sich vielleicht die Frage: Warum jetzt ein Test?
Koslowski: Ich denk da raicht son Aufkleber und dann isser wieder …
Bouffier: Fassen wir uns kurz. Wir wollen kein Nebeneinander, sondern ein Miteinander; dies soll geprägt sein von Staatsbürgern, die zwar unterschiedlicher Herkunft sein mögen, aber gemeinsam für die freiheitlich-demokratische Grundordnung einstehen und sie notfalls auch verteidigen. Wir erwarten deshalb, dass Sie sich mit den politischen, gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und kulturellen Grundlagen und Überzeugungen unseres Staates intensiv auseinandersetzen, sie erlernen, und sie eindeutig bejahen. Ich stelle Ihnen einige Fragen …
Koslowski: Wenn´ze mainz. Nur, mach hinne, ker. Ich muss noch nach Aldi.
Bouffier: Gut, fangen wir an. Nennen Sie drei deutsche Mittelgebirge!
Koslowski: Jau! Watt nehm wa da? Datt Sauerland, datt Siebengebirge und die Halde Haniel hier in Bottrop, 126 Meta hoch.
Bouffier: Naja, aller Anfang ist schwer. Die nächste Frage: Nennen Sie drei Gründe, warum Sie deutscher Staatsbürger werden wollen!
Koslowski: Also Staatsbürger. So richtig mit allet?
Bouffier: Ähm, ja natürlich. Sowieso.
Koslowski: So als Staatsbürger, da wär` die Rente gesichert. Nix mehr mit Maloche. Eintrach ins Goldene Buch un so. Alles vom Staat gestellt und keine Steuern abdrücken. Datt wärs.
Bouffier: Eigenartige Sichtweise. Ich schreibe es mal auf. Kommen wir zum historischen Wissen. Welche Versammlung tagte im Jahr 1848 in der Frankfurter Paulskirche?
Koslowski: War datt die Gründung vom DFB? Die tagen doch immer in Frankfurt.
Bouffier: Schon, aber nein. Eher weniger. Gehen wir weiter weiter. Erläutern Sie den Begriff „Holocaust“!
Koslowski: Näh. Mit so modernes Zeugs kenn ich mich nich aus. Mit Computer un so müssen Se mein Sohn fragen.
Bouffier: (vollkommen entsetzt) Es geht um die Vernichtungsmaschinerie der Nazis!
Koslowski: Warum sagen Se datt denn nich? Ne, da will ich nix mit zu tun haben. Die Koslowskis waren immer sauber. Die Omma hat sogar nen Juden in ihr Kohlenkeller versteckt. Die Nazis, das wa’n Verbrecher. Aber (zögert ganz kurz) für Arbeit haben die gesorcht. Für Autobahnen. Da musste keiner auffer Straße rumlungern.
Bouffier: Genug! Genug davon. Können Sie mir denn sagen, was am 8. Mai 1945 geschah?
Koslowski: Da kam mein Vatta auße Gefangenschaft nach Hause. So ungefähr jedenfalls. Kann auch zwei/drei Jahre später gewesen sein. Ich war ja ers vier.
Bouffier: Gut, das ist ja auch schon lange her. (lächelt unsicher) Kommen wir zu den Grundrechten, denn die Bürgerinnen und Bürger sollen diese Verfassung, die sie tragenden Grundsätze und damit auch diesen Staat innerlich bejahen und sich ihnen verpflichtet fühlen. Also, von wem geht in der Bundesrepublik Deutschland alle Staatsgewalt aus? Welche Vorteile ergeben sich daraus für die Bürgerinnen und Bürger?
Koslowski: Vonner Polizei. Vorteile? Hörn se mal. Die sind doch nie da, wenn man se braucht. Neulich, da …
Bouffier: Ich glaube, die Frage war etwas anders gemeint. Versuchen wir es einmal mit dem Thema der Gleichheit: Einer Frau soll es nicht erlaubt sein, sich ohne Begleitung eines nahen männlichen Verwandten allein in der Öffentlichkeit aufzuhalten oder auf Reisen gehen zu dürfen: Wie ist Ihre Meinung dazu?
Koslowski: Sehnse? Das wollt ich Ihnen doch eben verklickern. Sonne Frau kann sich doch gar nich mehr allein auffe Straße wagen. Bei die ganzen Paselacken überall. Nix zu sehn vonne Polizei. Die Frau Dombrowski von nebenan, die ruft immer einen Ziwi wennse mal abends vor die Tür will. Un wenn der nich kann, fracht se mich. Nen männlichen Verwandten hat die ja nie gehabt. Nen Vatter vielleicht. Aber der is im Kriech gebliem …
Bouffier: (wird ungehalten) Halt, halt! Sie scheinen gar nicht zu reflektieren, um was es hier geht. Sie gefährden Ihre Einbürgerung. (versucht die Fassung zurück zu gewinnen) Wenigstens mit der Religions- und Meinungsfreiheit werden Sie mir doch etwas sagen können. – In Filmen, Theaterstücken und Büchern werden manchmal die religiösen Gefühle von Menschen der unterschiedlichen Glaubensrichtungen verletzt. Welche Mittel darf der Einzelne Ihrer Meinung nach anwenden, um sich gegen so etwas zu wehren, und welche nicht?
Koslowski: Dat is sonne Sache mitte Rellijon. Da hab ich mit den Ewald mal richtig Zores gekricht. Der is ja für Dortmund un ich für Schalke. Schon immer. Der Ewald is ja der Kassenwart von mein Taubenzüchterverein. Richtigen Erbsenzähler. Alles klärchen bis dahin. Muss man trennen. Aber wennz um Fußball geht, geht die Freundschaft koppheister. Da is Halligalli. Ers wenna eine auf die Zwölf kricht is Ruhe im Stall.
Bouffier: (will eigentlich aufgeben, hat aber noch ein paar Wissensgebiete abzufragen) Für die Abgeordneten in den Parlamenten gilt der „Grundsatz des freien Mandats“. Was heißt das?
Koslowski: Da muss ich ma raten. Hm. Die könn über ihre Penunsen frei bestimmen?
Bouffier: (versucht es mit Humor zu nehmen) Fast. Die Bundesrepublik Deutschland ist ein Rechtsstaat. Was bedeutet Rechtsstaat?
Koslowski: Datt die Regierung meistens vonner CDU is. Woll?
Bouffier: (erhöht die Schlagzahl) Wie heißt die politische Vereinigung der europäischen Staaten?
Koslowski: EWG, datt kenn ich. Hat den Kulenkampff immer Reklame für jemacht.
Bouffier: Nennen Sie drei deutsche Philosophen!
Koslowski: Kann ich mal telefoniern? Ich ruf den Ewald mal an. Der is nämlich nich nur im Taubenzüchterverein, er kennt sich auch damit aus. Der hat sammelt die Dinger schon seit er so´n Stöppken is. (zeigt einen ungefähr drei Zentimeter messenden Abstand zwischen Daumen und Zeigefinger)
Bouffier: Sammelt? Philosopische Literatur?
Koslowski: Ja, Bücher hatter auch. So Kataloge, wo drinsteht watt die wert sind, wenner se mal verticken sollte. Und Albümer.
Bouffier: Alben?
Koslowski: Sach ich doch. Sonst fliegen die Maaken doch nur inne Laube rum.
Bouffier: Briefmarken. Ach so. (hat die Frage vergessen und sucht mit dem Finger auf dem Papier krampfhaft die nächste – ein Lächeln streift sein Gesicht) Jetzt habe ich aber eine Frage, die sie bestimmt beantworten können.
Koslowski: Wieso, stimmt was nich?
Bouffier: Schon gut. Hier ist sie. In den deutschen Kinos startete 2004 der Film „Das Wunder von Bern“. Auf welches sportliche Ereignis nimmt der Film Bezug?
Koslowski: Jau, der Boss. Helmut Rahn. Der hat ja nich auf Schalke gespielt. Bei Rot-Weiß-Essen. Meister 1955. Aber datt Wunder von Bern war 1954 … Jau, da warn wir wieder wer. Also Deutschland. Als Macht. Hat ja auch lange gefehlt, so was … Gilt ja heute wieder, obwohl se ´58 direkt wieder abgekackt haben. Will sich aber keiner dran erinnern.
Bouffier: Das war ja wenigstens mal ein Treffer. (atmet durch) Dann möchte ich mit der folgenden Frage abschließen: Wie heißt die deutsche Nationalhymne und mit welchen Worten beginnt sie?
Koslowski: Äh, das Deutschlandlied?
Bouffier: Das Lied der Deutschen – aber gut … und mit welchen Worten beginnt sie?
Koslowski: (beginnt zu singen) Deutschland, Deutschland üüüüüber ahaless …
Bouffier: Nein, nein, nein – doch nicht die erste Strophe!
Koslowski: (überlegt kurz und beginnt mit kräftiger Stimme erneut zu singen) Deutsche Frauen, deutsche Treuheue, deuheutscher Wein …
Bouffier: Schluss! Ende! Nein! So werden Sie nie eingebürgert. Das ist ja unerträglich. Gerade mal die Frage nach der Fußball-Weltmeisterschaft von 1954 konnten Sie einigermaßen beantworten. (Will sich beruhigen.) Zur Einbürgerung sollten eigentlich mindestens 50 Prozent richtig sein. Wie kommen Sie nur dazu, Deutscher werden zu wollen?
Koslowski: Aber ich bin doch schon lange … und wollte doch nur meinen Perso verlängern. Ker, watt is datt bloß frickelich geworden. Mannomann. Schaiß Bürrokratie!
Bouffier: (lässt Koslowski einfach sitzen und verlässt angesichts dieser für ihn unerträglichen Parallelgesellschaft fluchtartig das ihm fremde Bundesland Nordrhein Westfalen)
Koslowski: (schüttelt auf dem Nachhauseweg ständig den Kopf und denkt) Buff-jeh – watt fürn komischen Namen. Aus welche Wallachei is der bloß wech?
Noch im Laufe des gleichen Jahres 2007 sollen die einhundert Fragen des Hessischen Kataloges um fünf weitere Fragen erweitert werden, die speziell an Übersiedlungswillige aus Nordrhein Westfalen gerichtet werden sollen.
© Dirk Jürgensen – Veröffentlichungen des Textes und der Bilder, auch in Auszügen, nur mit ausdrücklicher Genehmigung des Autors.