Frühlingsgefühle

Guerilleros in städtischen Grünanlagen

Die Blumenzwiebel-Mafia

Rosen„Ich bin Guerilla-Kämpfer geworden“, sagt mein Mann und schaut aus dem Wohnzimmerfenster auf die Böschung der Düssel. „So, so“, antworte ich und erwarte nicht wirklich ein Geständnis über die unhaltbare politische Situation in Wer-weiß-wo-Buxtehude-Ost-Usbekistan-Entenhausen und ein Überläufertum vom überzeugten Wehrdienstverweigerer zum Waffenarsenalbesitzer. Vielleicht zu Unrecht? Nur für Sekunden gerate ich ins Grübeln. Er grinst und gesteht mir, die aussortierten Zwiebeln aus meinen letztjährigen Frühlingstöpfen unrechtmäßiger Weise, heimlich, in einer Nacht-und-Nebel-Aktion genau dort unten – und er zeigt auf das begrünte, von Narzissen und Krokussen nur so übersäte Ufer – gesetzt zu haben. Ich staune. Da scheint er ob der floralen Pracht nicht der Einzige gewesen zu sein! Guerilla-Gardening nenne man das, erläutert mir der Gute und wähnt sich in einer langjährigen Tradition von Stadtguerilleros, die sich offen gegen Bürgermeister, maulende Tante Gretchens, Ellbogen zeigend samt Kissen im Fenster vorne links und die öffentliche Ordnung auflehnen. Schließlich existiere immer noch viel zu wenig Grün in der Stadt und Düsseldorf habe gerade die Entente Florale gewonnen! Da müsse man doch was tun! Ich muss gestehen, ich bewundere seinen Eifer, sich für das gute Klima, wenn schon nicht im Rathaus, dann zumindest in der von Feinstaub gebeutelten Stadt und die Arterhaltung von Krokus und Konsorten einzusetzen. Unser Balkon reicht ihm nicht und schon gar nicht der Schrebergarten seiner Mama, insbesondere weil Nachbar Schmitz die Beete mit dem Schneidermaß seiner Frau auf den Millimeter genau abmisst und man eh nicht pflanzen darf, was man will.

Revolution baut Samenbomben

Mir fallen die Baumscheiben ein, die so schön die Parkbuchten in Seitenstraßen voneinander trennen. Was untenrum bisweilen eher verschämt nackig aussieht, rührt Gärtnerseelen wohl gelegentlich zu Tränen und veranlasst sie nächtens zu Primelchen und Akelei zu greifen, um die Unschuld zu verhüllen. Wenn nicht orange behoste Männlein die Flächen mit elektrischem Gerät in den Urzustand zurückversetzen, kann es im Frühjahr eifrig sprießen.

In Berlin wird dieses Phänomen vom BUND sogar prämiert. Das Projekt GrüntMIT! – die Baumscheibenbegrünungskampagne – wirbt Baumpaten, mit dem Ziel „Straßen bunter und schöner“ zu machen. Der BUND sorgt für eine Bepflanzung und Bearbeitung der Baumscheiben, die dem Baum nicht schaden kann. Dafür hat man sogar den eigens dafür konzipierten Flyer „Straßenbäume brauchen Freunde“ konzipiert. Auch in Düsseldorf wirbt das Gartenamt um Baumpaten. Allerdings nur zur „Privatisierung“ der Pflegekosten der von Hunden exzessiv genutzten Straßenbaumscheiben und somit ganz sicher kein Betätigungsfeld ehrlicher Guerillas.

Im letzten Sommer habe ich Blumenkästen am Geländer entlang des Fußwegs an der Düssel gesehen und mich über das eigenwillige, aber durchaus attraktive Design gewundert. Wohl auch keine Aktion des Gartenbauamtes der Stadt… und in der Tat hat Guerilla Gardening viel mehr Tradition als ich dachte und beachtliches Aufsässigen- und Militantenpotential.

Ich mache mich schlau: Heimlich säten und säen Naturfreunde oder grüne Aktivisten auf einsamen öffentlichen Grün- und Brachflächen und demonstrierten damit ihren Unmut über die Gestaltung von Grünflächen oder praktizierten zivilen Ungehorsam, lese ich. Statt Gewalt säen diese Guerilleros Blumen. Ihr Ziel sei die friedliche Verschönerung von, in ihren Augen, unansehnlichen Flecken im urbanen Raum. Dabei sind sie durchaus erfinderisch und nutzen sogenannte „Samenbomben“ oder „Samenbälle“ – präparierte Samenpäckchen, vermischt mit Kompost und Tonpulver – zur unbeobachteten Aussaat ihrer blühenden Pracht auf größeren Flächen. Die grünen Guerillas seien jedoch nicht ausschließlich auf Blumen beschränkt und unterstrichen ihre nicht selten politischen Ambitionen zum Beispiel durch die Aussaat von Nutzpflanzen im öffentlichen Raum, um sich gegen Globalisierung und Armut zu wenden oder für selbstbestimmtes, unreglementiertes Leben einzusetzen. Alle Macht dem Volk, power to the people, peace for everyone – friedliche Demonstration.

Die Umgestaltungen sind jedoch nicht immer ganz legal. Hierzulande gilt es als Vandalismus, so gutgemeint die Absicht auch sein mag. Denn es geht noch eine Spur radikaler: Manchmal wird fremdes Land regelrecht besetzt oder mit Pflanzen bestückt, die die ursprüngliche Nutzung bewusst beeinträchtigen. Was meinen Mann idealistisch dazu veranlasst, in Naturfreundmanier zu handeln, bedeutet für andere weit mehr.

Die ersten Aktionen politischer Art haben ihre Wurzeln unter anderem in England. Was zum Teil gar sympathisch naiv und weltverbessernd beginnt, in jedem Fall voller Idealismus und Überzeugung, bleibt zum Bedauern der Initiatoren nicht immer friedlich. Eine der wohl bekanntesten gescheiterten Aktionen des Guerilla Gardening fand am 1. Mai 2000 in London statt:
Alles begann damit, dass man sich auf dem Parliament Square gegen 11 Uhr vormittags zum Guerilla Gardening verabredete. Es sollte eine riesige Party für den Frieden und die Freiheit werden und ein deutliches Zeichen gegen Globalisierung und Ausbeutung setzen. Man hatte dazu aufgerufen, sich den öffentlichen Raum zurückzuerobern, Anbauflächen für die Nahrung und öffentlichen Raum als Gemeinschaftsraum für alle zurückzugewinnen. „Reclaim the streets guerilla gardening“… Und die Menschen kamen. Man pflanzte, aß und feierte und dokumentierte sein Tun per Kamera und Fotoapparat. Die fleißigen Gärtner gruben gar ganze Rasenflächen um, und pflanzten Gemüse und Blumen. Das rief die Polizei auf den Plan. Alle Wege zum Parliament Square wurden abgeriegelt. Niemand durfte den Platz verlassen. Sogar Hubschrauber wurden eingesetzt. Der Einsatz der Polizei veranlasste die Protestierenden dazu, nach anderen Möglichkeiten zu suchen, das Geschehen zu verlassen. Einer Konfrontation mit den Ordnungshütern, die nicht gerade den Eindruck machten, als würden sie auf ein Eingreifen verzichten, wollten sich viele nicht aussetzen. Gewaltbereite Anarchisten mischten sich in die Gruppe, die Autos beschädigten, sogar ein Schnellrestaurants verwüsteten und sich ein Gefecht mit der Polizei lieferten. Sowohl die angegriffenen Polizisten als auch friedliche Protestierende versuchten die Situation so ruhig wie möglich anzugehen und die Randalierenden in Schach zu halten. Die Financial Times titelte nicht umsonst mit „A few bad seeds spoil the guerrillas‘ garden“. Und doch eskalierte die Situation und die Innenstadt Londons mußte weiträumig abgeriegelt werden. Die Nachrichten am nächsten Tag spiegelten alles andere als das ursprüngliche Ziel der Aktivisten wieder. Was zunächst friedlich begonnen hatte, galt nun als geplante Gewaltaktion von Globalisierungsgegnern und Linksradikalen.

Grüne Oasen in der Stadt

Meine kleine Recherche bringt mich auf die Seite der greenguerillas.org. Hier werden New York Gartenkommunen unterstützt. Freiwillige verwandeln verwahrloste, stadteigene Grundstücke in Gemeinschaftsgärten. Sie haben sich außerdem zum Ziel gesetzt, New Yorker Kinder mit der Natur vertraut zu machen. Die Mitglieder ziehen Gemüse und siedeln sich vor allem in Gegenden an, in denen es hohe Luftverschutzung und keine Parks gibt, also vor allem in ärmeren Gegenden. Selbst Ausbildung in Sachen Natur und Garten lassen sie nicht außen vor. Die einzelnen Gemeinschaftsgärten verständigen sich untereinander, unterstützen sich gegenseitig und tauschen sich aus.
Die Green Guerillas aus New York berufen sich auf Liz Christy. Sie, eine New Yorker Künstlerin von der Lower Eastside war es, die gemeinsam mit Freunden ein verlassenes Grundstück bearbeitete, um es in eine grüne Oase, inmitten der Stadt zu verwandeln. Der Garten von Liz Christy existiert noch und liegt in Manhattan. Dort soll es früher einen Bauernhof gegeben haben. Besucher sind zu den Öffnungszeiten willkommen, deren aktive Hilfe oder aber eine Spende zum Unterhalt der Grünfläche oder Anschaffung von geeignetem Gartengerät erst recht. Liz Christy hat sich, nachdem sie zunächst „wild gärtnerte“, um offizielle Nutzung des Geländes bemüht und hatte Erfolg. Für nur einen Dollar im Monat vermietete die Stadt die Fläche zur Anlage einer Grünfläche. Bäume, Blumen, Sträucher und Gemüsebeete wuchsen und gediehen in den folgenden Jahren. Für ihr Engagement wurde sie mehrfach ausgezeichnet und äußerte sich im Radio in einer eigenen Sendung über urbanes Gärtnern. Sie war die erste Direktorin des „Open Space Greening Programm“ des Council on the Environment in New York City. Was sie begann, fand eifrige Nachahmer. Die Green Guerilla Bewegung und unzählige Community gardens entstanden und existieren bis heute.

Ähnliche Projekte gibt es auch in anderen Ländern. Der Garten Rosa Rose in Berlin ist einer dieser Gemeinschaftsgarten. Anwohner einer brachliegenden Fläche an der Kinzigstraße machten sich daran, 2000 m² zu einer Grünfläche zu verwandeln. Brach von Grün war die Fläche schon, jedoch nicht von Müll. Und so hieß es erst einmal, Kühlschränke, Fernseher und unangenehme Hinterlassenschaften von Vierbeinern zu entfernen. Seit 2004 kümmert sich jetzt eine große Anzahl der Nachbarn um die Pflege des Gartens und trifft sich dort zum Feiern und Klönen. Inzwischen pflanzt man, trotz widriger Bodenverhältnisse, eigenes Gemüse an und das nicht nur aus Freude, sondern aus Überzeugung. Selbstversorgen in Zeiten von Gemüsecontainerverschiffung und Fastfoodernährung ist angesagt. Auch hier will man die Fläche kaufen, um zu verhindern, dass das Kleinod inmitten der Stadt verschwindet.

Die Vancouver Guerilla Gardeners behaupten Gärtnern in fremden Gärten sei wie gutes Graffiti auf hässlichen Wänden. In der Tat gibt es Möglichkeiten, mit Samen eine Art Graffiti an Wände zu zaubern. Doch meint die sich hauptsächlich über das Internet organisierende Gruppe nicht ausschließlich diese Art, geordneten Wildwuchs in alle verwahrlosten Ecken trister Städte zu bringen.

In den Niederlanden heißt es „wapen jezelf met schep, gieter en planten en word en Guerilla gardener“ – Bewaffne dich mit Schaufel, Gießkanne und Pflanzen und werde Guerilla Gärtner. Echte Guerilleros also!
Am 22. April 2009 schlossen sich im Rahmen des Earth Day GroenLinks und Guerilla Gardeners zusammen. Und das ist einer ihrer Aufstände: zusammen, um im gesamten Land für begrünte Innenstädte Sorge zu tragen. In einer spontanen Aktion begrünte man so zum Beispiel karge Plätze in Eindhovens Innenstadt.
Das Motto des Earth Day lautete „Wir sind umweltfit! Wir wollen klug verbrauchen, unserer Umwelt zuliebe!“ Und für Earth Day Präsident Thomas E.W. Dannenmann heißt Klimaschutz nicht Verzicht, sondern Effizienz. Seine Aufforderung lautet: „Schafft Anreize für umweltverträgliches Leben im Großraum Stadt. Klug kaufen um die Erde zu schützen, ist das Motto. Gebt der Artenvielfalt von Tieren und Pflanzen neue Lebenschancen. Nutzt die Sonne in den Schluchten der Hochhäuser. Reißt die Versiegelungen der Innenstädte auf und gebt Naturräumen Vorrang in der Innenstadt.“ Das nehmen Guerilla Gärtner nur zu gerne wörtlich.

Und auch mein Mann steht auf meinem Balkon und wirft einen gierigen Blick auf meine Blumentöpfe… Und ich halte derzeit nach verwilderten, verlassenen Grundstücken in Düsseldorf Ausschau. Wie wär´s, Herr Oberbürgermeister, helfen Sie mir?
Die Entente Florale verpflichtet! Und dann gefällt den Juroren prompt auch jedes gerügte Graffiti! Bestimmt!

Ersterscheinungsdatum: 26.04.2009 auf einseitig.info

© Marie van Bilk/Maria Jürgensen – Veröffentlichungen, auch in Auszügen nur mit ausdrücklicher Genehmigung der Autorin.

 

 

image_print