Mach doch mal Theater
Von der Freien Bühne Düsseldorf
Von der Leidenschaft fürs Theatermachen
Theater machen, das ist eine Leidenschaft, nicht einfach ein Beruf. Für den Regisseur und Schauspieler Lars Krückeberg und die Schauspielerin Claudia Dalchow ist das Theater ein inzwischen unverzichtbarer und sogar heilender Teil ihres Lebens geworden.
Ein freies Theaterprojekt ist eine ehrgeizige und fordernde Aufgabe und doch und gerade deswegen hat es Lars Krückeberg mit der Freien Bühne Düsseldorf gewagt. Manchmal sind es gerade die schwierigen Umstände, die letztlich zu Neuem, Inspirierendem und zum Umbruch führen.
Als sich das Düsseldorfer Schauspielhaus, so sagt Lars Krückeberg, unter der Leitung von Anna Badora als unzuverlässiger Partner für den Theatersalon, eine Kooperation zwischen dem Düsseldorfer Schauspielhaus und Studierenden der Heinrich-Heine-Universität, in Düsseldorf erwies, zwängte sich die Ensemblegründung geradezu auf. „Der eine Teil wandte sich dem FFT zu, der andere Teil mündete in die Freie Bühne Düsseldorf. Eng verknüpft war die Ensemblegründung für mich aber auch mit der Entscheidung, mich auf die Regiearbeit zu konzentrieren“, äußert Krückeberg. Und daran tut er gut. Er machte „sein“ Theater, weil er es muss und kann.
Der beschrittene Weg war ein beschwerlicher und dennoch lohnenswerter, wie durchweg alle Produktionen des Regisseurs bewiesen. Selbst wenn sie die Überwindung finanzieller Bürden und kräfteaufreibenden Einsatz verlangten, so führten sie unabdingbar zur Anerkennung beim Publikum und bei der Presse. Nun – eines sind sie dennoch nicht, seine ausgewählten Stücke – leichte Kost oder Massenware.
Das, was in den von Lars Krückeberg produzierten Stücken erscheint, hat seine Wurzeln in der eigenen Biographie und das produzierte Bild ist ihm ein dringliches und ureigenes Bedürfnis, an dem kein Zuschauer vorbeikommt, der sich darauf einlässt. Mit einer hervorragenden Auswahl von Schauspielern, die sich seiner Vehemenz zu stellen bereit sind, erscheint auf der Bühne eher eine Gefühls- und Gedanken- als eine Bilderwelt, wenn man auch jene, trotz der spartanischen Ausstattung seiner Stücke, nicht zu verneinen bereit ist.
Von wichtigen Menschen
Freien Theatermachern wie Lars Krückeberg wird es dennoch nicht leicht gemacht. Denn Idealismus wird schlecht bezahlt. „Es ist grundsätzlich extrem schwer, Menschen zu irgendeiner Arbeit zu motivieren, wenn eine angemessene Entlohnung nicht nur fraglich, sondern eher unwahrscheinlich ist. Ich weiß, dass ich die Gabe besitze, Schauspieler von meiner Arbeit zu begeistern. Meine Leidenschaft fasziniert, doch Leidenschaft füllt keinen Kühlschrank. So muss man halt mitunter auch Besetzungsentscheidungen treffen, deren vorrangige Rechtfertigung im Pragmatischen liegt. Selbstverständlich werden diese Entscheidungen sehenden Auges getroffen, sie erscheinen aber unumgänglich“, darf man den Theatermacher zitieren.
Gut, wenn einem dann in Schauspielern auch Menschen begegnen, die diesen fundamentalen und relevanten Idealismus vom Theatermachen teilen. „Claudia Dalchow und Patrick Dollas – Motoren und Seele von Nacht der Puppen – sind mir in einer extrem schwierigen Lebensphase begegnet“, so Lars Krückeberg, „Ich stellte zu diesem Zeitpunkt alles und vor allem die Theaterarbeit in Frage. Die beiden waren es, die mir den Glauben an mich selbst, an meine Stärken, meine Fähigkeiten zurück gaben. Man begegnet im Verlaufe seines Lebens unendlich vielen Menschen. Viele kommen und gehen und es bleibt nichts zurück. Doch es gibt auch Begegnungen mit Menschen, die tiefe Spuren hinterlassen. Bei den beiden ist das so. Man mag es Zufall oder Schicksal nennen.“
Durch unabdingbaren Glauben an seine Arbeit stütze man auch schwierige Projekte. Schon nach wenigen Probewochen an „Nacht der Puppen“ war Lars Krückeberg bewusst, dass an einem bemerkenswerten Projekt gearbeitet wurde, das – zumindest für die Freie Bühne Düsseldorf – Maßstäbe setzen würde.
Bewältigung von Gewalt
Das Stück „Nacht der Puppen“ ist wie seine Vorgängerstücke „Peter Kürten Superstar“, „Trainspotting“ und „Blut“ aus dem Repertoire der Freien Bühne Düsseldorf wieder eines, das sich mit Gewalt beschäftigt. Seine Faszination für Gewalt sei ein mehr oder minder autotherapeutischer Prozess, äußert Krückeberg. „Meine Kindheit vollzog sich in einem Spannungsfeld zwischen großer Liebe und Fürsorge meiner Mutter und massiven Gewaltausbrüchen meines Vaters. Er selbst war in seiner Jugend Opfer brutaler Übergriffe seiner alleinerziehenden Mutter ausgesetzt.“ Ohne Idee vom Aufsuchen anderer in solch brenzligen Situationen, ohne Mittel der Deeskalierung, ohne Hilfe von außen hatte der Vater keine Chance, aus diesem ewigen Kreislauf auszubrechen und gab in seiner Hilflosigkeit alle Aggressionen an den Sohn weiter. „Er vermittelte mir, was er selbst unter Schmerzen gelernt hatte. Ich werfe ihm heute nichts mehr vor. Ich habe mit diesem alten, schwachen Mann meinen Frieden gemacht“, sagt der Sohn. Doch wird er bis ans Ende seines Lebens an dem zu knabbern haben, was ihm diese Familiengeschichte eingebrockt hat. „Kunst hilft mir, meine Aggressionen in positive Energien umzuwandeln“, sagt Krückeberg – und ihnen letztendlich eine Metamorphose angedeihen zu lassen, aus der er Kraft schöpft und lernt.
Die „Nacht der Puppen“ musste es sein, sagt Lars Krückeberg, dem das Stück von Peter Ackermann, Kritiker des Magazins „theater pur“ ans Herz gelegt wurde. Bereits beim ersten Lesen war Lars Krückeberg klar, dieses Stück oder keines muss ich als nächstes auf der Bühne sehen. „Vor allem der hochenergetische Mutter-Sohn-Konflikt in seiner kompromisslosen Absolutheit fesselte mich vom ersten Augenblick an. Zudem fand ich etliche autobiographische Anknüpfungspunkte im Text vor. Ich denke, dass Kunstwerke stets am authentischsten sind, wenn sie auf autobiographischen Befunden fußen. Schließlich ist das „Spielen für“ nur der eine Teil der Bühnenhandlung. Der andere Teil ist das Bedürfnis, sich ausdrücken zu wollen.“
Das ist auch Arbeit
Das, was der Zuschauer letztlich auf der Bühne sehen soll, bedarf ausgeklügelter konzeptioneller Vorbereitung, einer immensen Portion Arbeit und Einfühlungsvermögen der Schauspieler und ungeheurer bildlicher Vorstellungsgabe, gepaart mit zumindest intuitiven Kenntnissen über Psychologie. „Ich bin ein Regisseur, der stets mit sehr präzisen Vorstellungen in ein Projekt hineingeht,“ sagt Krückeberg.
Bei „Nacht der Puppen“ hatte der Regisseur mit Ensemblewechseln zu kämpfen. Der ehemalige Hauptdarsteller erkrankte ernsthaft und das Projekt drohte zu scheitern. Beim zweiten Anlauf zur Inszenierung des Stücks jedoch profitierte man von den bereits geleisteten Vorarbeiten. Dennoch ließen sich inszenatorische Lösungen nicht kompromisslos auf neue Schauspieler übertragen. „Will man den Schauspieler nicht „vergewaltigen“, so ist man als Regisseur gut beraten, vorhandenes Material anzupassen,“ weiß Krückeberg. Über seinen Inszenierungen stehe sein Wille zur Form. „Ich baue meine Inszenierungen immer von außen nach innen auf. Der Schauspieler muss zunächst die Rolle von außen gestalten, einem festgelegten Bewegungsablauf folgen, bevor er die Rolle emotional umsetzt, wie er es in der Regel gewohnt ist. Das ist nicht immer problemlos umsetzbar.“
Form schafft Inhalt
Claudia Dalchow kann das nur bestätigen. „Lars baut sehr präzise Bilder. Mitte ist bei ihm nicht – ungefähr Mitte – sondern haargenau. Da kann er auch schon mal laut werden, wenn ein Schauspieler auf einer falschen Position landet. Ich habe eine Menge Method-Training hinter mir, wo der Text oder die Gänge auf eine zuvor situativ etablierte Emotion „aufgesetzt“ werden, man also so authentisch und spontan wie möglich innerhalb der Gegebenheit agiert.
Lars arbeitet genau umgekehrt: Erst kommt das Bild, der Rahmen, in dem sich der Schauspieler bewegen muss. Er legt sogar Sprechlautstärke, Betonung und Atempausen vorher fest. Das war in den ersten Proben die reinste Quälerei für mich. Bis ich begriff, dass ich Lars als Choreographen verstehen konnte. Ich erinnerte mich an meine Ballettausbildung: Auch hier soll letztlich größtmöglicher Ausdruck innerhalb einer strengen Form erreicht werden. Nachdem der Knoten geplatzt war, war die Arbeit eine Wonne. Wenn man einmal mit Lars´ Formenvokabular vertraut ist, erscheint es einem eher als Stütze und sogar als Schutz für Szenen, die ansonsten durch ihre explosive Emotionalität aus dem Ruder laufen könnten. In dem Stück „Nacht der Puppen“ geht es an einigen Stellen wirklich recht wild und brutal zu, und oft genug kam mir der Gedanke, dass mir einige dieser Szenen wahrscheinlich rechts und links um die Ohren geflogen wären, wenn wir nicht in diesem formalen Korsett agiert hätten. So „hauen“ wir zwar die Zuschauer in die Sitze, aber bleiben – abgesehen von einigen vermeidbaren blauen Flecken – auf der Bühne in Sicherheit, ganz gleich, welche Gewitter da toben oder welche spontanen Ideen plötzlich wieder entstehen.“
Von Schauspieler zu Publikum
Das Publikum ist gespannt auf das Stück um Cavanosa und seine Frauen und umgekehrt sind Schauspieler und Regisseur neugierig, wie die Zuschauer auf ihr Werk reagieren. In manchen Augenblicken geht es auf der Bühne recht direkt zu und die Distanz ist schlichtweg nur durch die Geschichte vorhanden. Man kommt sich nah. „Vor allem die Auflösung der vierten Wand provoziert geradezu die Interaktion zwischen Bühne und Auditorium, sie ist das Auslöschen der Distanz. Letztlich wird sogar die Geschichte überwunden und der Zuschauer ganz unmittelbar mit der Energie des Geschehens konfrontiert… Das wird sinnlich greifbar, wenn mit zunehmender Spieldauer die Schminke durch den Schweiß vom Körper gespült wird“, beschreibt Lars Krückeberg. Realität und Phantasie vermischen sich, die Grenzen verschwimmen.
Und auch die Musik ist wesentlich im Stück. Manches wird ironisch und humoristisch gesetzt. „Ohne den umfangreichen Musikeinsatz wären meine Inszenierungen kaum denkbar. Musik erfüllt in der Tat die vielfältigsten Funktionen. Diese reichen vom Erschaffen einer Grundatmosphäre, über Kommentar- und Zitatcharakter, ironischer Brechung bis hin zur subtilen Aufforderung an das Publikum, den Geist der Inszenierung unabhängig vom Spiel weiterzudenken.“ Die Musik sei, so der Regisseur, aber auch ein wichtiger Teil des inszenatorischen Arbeitsprozesses. Vielfach sei sie bereits beim ersten Lesen eines Texts da und helfe das geschriebene Wort in bewegte Bilder umzusetzen.
Das Leben – ein Traum
Die Proben für das nächste Stück laufen schon. Wieder geht es um Gewalt. Jedoch wird sie im Stück „Das Leben – ein Traum“ von Calderon de la Barca aufgelöst. König Basilius von Polen hat einen Sohn namens Sigismund, den er gleich nach der Geburt in einen Felsenkerker sperren lässt. Niemand darf sich ihm nähern. Sigismund wird geweissagt, eines Tages zum grausamsten Herrscher seines Landes zu werden. Sein Vater will ihn vor diesem schrecklichen Schicksal schützen und schließt ihn lieber ein. Schließlich fragt sich der grübelnde Vater, ob er sich nicht geirrt hat und entscheidet, seinen Sohn auf die Probe zu stellen. Sigismund scheitert und endet erneut im Kerker. Er soll glauben, das ihm Widerfahrene sei ein Traum gewesen. Nach einem Aufstand befreit man ihn und die Prophezeiung wird zur Wahrheit und Sigismund grausam gegen Vater und Volk. Doch Sigismund hat gelernt und zeigt sich verzeihend und gnädig gegenüber dem Vater.
Auch hier, so erklärt Lars Krückeberg, verbergen sich autobiographische Züge. Sigismund wird seine Isolationshaft nie vergessen, doch mit einer neuen Definition des Verhältnisses leitet er den Prozess der Veränderung, den Gegenpol zur Gewalt, das Verzeihen ein.
„Es ist kein Zufall, dass Calderon dieses Stück in einem Land spielen lässt, dass er „Polen“ nennt. Aus der Perspektive des spanischen Signo de Oro war Polen so etwas wie eine Bananenrepublik, fernab der Zivilisation, ein Land, in dem es durchaus denkbar wäre, dass Könige Prinzen in einen Turm sperren und verrotten lassen, nur weil Sternengucker Unheil heraufziehen sehen.
Als ich mich 2001/2 im Zusammenhang mit Sergi Blebels „Das Blut“ auch mit dem Terrorismus in Deutschland, seiner Geschichte, seinen Folgen, Zielsetzungen usw. auseinandersetzte, stieß ich in einer Dokumentensammlung zum Prozess gegen Baader-Meinhof, Raspe und Ensslin auch auf einen Brief Ulrike Meinhofs, in welchem sie die Auswirkungen der Isolationsfolter beschrieb. Zwangsläufig fielen mir beim Lesen der entsprechenden Sigismund-Passagen ihre Worte wieder ein. Das war der Ausgangspunkt einer intensiven Auseinandersetzung mit der RAF, ihrem Umfeld, der APO usw. Und diese Auseinandersetzung führte mich gleichsam zurück in die Tage meiner Kindheit. Lebhaft konnte ich mich daran erinnern, anlässlich der Schleyer-Entführung in der Schule über dieses Thema diskutiert zu haben. Mein erstes bewusstes Fernseherlebnis war die Olympiade 1972. Immer deutlicher entdeckte ich im Calderon-Text Parallelen. Schließlich begann ich ein Stück über die letzte Nacht der Stammheim-Häftlinge zu schreiben bzw. aus dem Probenprozess des Calderon-Stücks zu abstrahieren. Dieser Text mit dem Arbeitstitel „Gudruns Nacht“ wird voraussichtlich mit Abschluss der dramatischen Konzeptionsphase weitgehend fixiert vor mir liegen.“
Bevor man sich jedoch weiteren Arbeiten der Freien Bühne Düsseldorf zuwenden darf, sei hingewiesen auf „Die Nacht der Puppen“, die im September in Bochum im „Theater der Gezeiten“ stattfinden wird. Ab Februar wird man das Stück in Essen sehen können. Weitere Aufführungsorte und Termine sind bereits im Gespräch.
Termine:
20.09.2007 … Theater der Gezeiten Bochum
22.09.2007 … Theater der Gezeiten Bochum
23.09.2007 … Theater der Gezeiten Bochum
09.02.2008 … Katakomben-Theater Essen
10.02.2008 … Katakomben-Theater Essen
Ersterscheinungsdatum: 19.09.2007 auf einseitig.info
© Marie van Bilk/Maria Jürgensen – Veröffentlichungen, auch in Auszügen nur mit ausdrücklicher Genehmigung der Autorin.
© Foto: Christian Dalchow