Lühning

Eine Band zum Aufhorchen in Porträt und Interview

Die Jazz Rally in Düsseldorf hat sich längst zur Institution entwickelt. Zu Deutschlands größtem Jazz-Festival fanden sich auch im Jahr 2006 wieder über 250 000 Besucher an den unterschiedlichen Orten und Lokalitäten der Stadt ein, um so großartigen Musikern wie Jan Akkerman, der Victor Bailey Group, Silvia Droste, Rebekka Bakken und vielen anderen Gehör zu schenken.

ce04fbea51384f74ceff31935a92fdefGleich zweimal wagte sich die Sängerin Inga Lühning in diesem Jahr auf die Bretter der mit soviel Elan und großartiger Energie konzipierten Düsseldorfer Veranstaltung. Das frische, unverbrauchte Allroundtalent war mit der Indigo Jazz Lounge und mit ihrer eigenen herausragenden Band Lühning vertreten.

Schon seit einigen Jahren arbeitet sie mit dem Sebastian Gahler Trio zusammen. Das gemeinsame Projekt der Indigo Jazz Lounge zog schon im letzten Jahr die Besucher der Jazz Rally in die unterirdischen Gefilde des Stilwerks und ließ sie bleiben. Denn Inga Lühning hat Ausstrahlung und beherrscht, wie auch die mit ihr arbeitenden Musiker, ihr Handwerk. Acoustic Pop und Fine Jazz tituliert das Jazz-Rally-Programmheft die Mischung, die Inga Lühning und Sebastian Gahler für das Publikum gemixt haben. Bekannte Songs aus Pop und Rock bekommen hier ein neues Kleid.

Mit ihrer Band Lühning besticht die Sängerin sympathisch durch Präsenz und Können und zeigt sich gemeinsam mit exzellenten, außergewöhnlichen Musikern wie Christian Thomé, Mario Mammone und Helmuth Fass von der besten Seite. Vier Musiker vom Fach, die in ihrer Individualität und Expermentierfreude, die unübersehbar auch hier ihren Platz hat, eine wunderbare Einheit bilden.

Der Düsseldorfer Rathausplatz bewies, dass sie in Düsseldorf bereits ihre Fans gefunden haben, denn er war mehr als gut besucht und füllte sich zusehends, nachdem sie die ersten Stücke hinter sich gebracht hatten. Kein Wunder, kann man an diesem Hörgenuss auch kaum vorbei gehen. Ausgehend von zeitgenössischer Popmusik verarbeitet die Band Jazzelemente und Weltmusiken. Coverversionen werden so zu vollkommen neuen Stücken, die manchmal nur durch Textelemente oder einzelne Musikthemen wieder zu erkennen sind. Augenscheinlich oberflächliche Popsongs erhalten Tiefe und Brillanz. Als Inga Lühning mit „When the moon is in the seventh house…” ansetzte, errieten Musicalfans erst beim Refrain „The age of Aquarius“ aus Hair, woraus zitiert wurde. Aus Matt Biancos „More than I can bear“ machte die Band einen neuen, frischen Song mit deutschem Text: „Mehr als ich ertragen kann“. Eigene Titel mit ebenfalls häufig deutschen Texten erzählten kleine Geschichten, eingebettet in außergewöhnlich griffige, eigenwillige Kompositionen, die es locker mit den bisher bekannteren Coverversionen aufnehmen konnten.

Die erste CD der Band mit dem schlichten Titel „Lühning“ ist bei JazzHausMusik erschienen Die vier Musiker stellten sie bereits auf einer Tournee vor. Neben der gemeinsamen Arbeit sind die gut ausgebildeten Könner in den Schaffenspausen für „Lühning“ mit anderen Projekten beschäftigt. So reiste Inga Lühning mit der „Christoph Eidens Band“ durch China und mit dem Saxofonisten Felix Petry mehrere Male nach Äthiopien, wo sie zusammen mit einheimischen Musikern in Addis Abbeba Jazz und äthiopische Folklore verheirateten. Mit Unterstützung des Goethe-Instituts gaben sie mehrere Konzerte. Auf der CD [re:jazz], erschienen zum 10-jährigen Bestehen des Frankfurter Labels Infracom singt sie neben Lisa Bassenge und Joy Denalane.

Bei Infracom wurde das bekannteste deutsche drum ´n´ bass Projekt „Megashira“ veröffentlicht, bei dem Helmuth Fass als Bassist mitwirkt. Gemeinsam mit Mark de Clive-Lowe wurde in London die CD „at last“ aufgenommen und auf mehreren Tourneen live präsentiert.

Loop-Sampler sind unverzichtbar für das Duo Rudolph Thomé, bestehend aus der Sängerin Céline Rudolph und dem Drummer von Lühning, Christian Thomé. Stimme und Schlagzeug werden elektronisch als Basis für Komposition und Improvisation verarbeitet. Christian Thomé arbeitete schließlich an der Katja Rieman CD „Favourites“ mit und tourt aktuell mit deren Band.

Der Gitarrist Mario Mammone hat mit seinem Trio „lirico“ inzwischen die 4. CD eingespielt. „Lyrische Improvisation“ und „imaginäre Folklore“ bilden hier eine Einheit.

Gemeinsam mit der norwegischen Band „Jagga Jazzist“ trat Lühning auf dem jazzcologne Festival auf.

Die Band arbeitet kontinuierlich an neuen Songs. Der nächste Auftritt, auf den man wieder einmal mehr als gespannt sein darf, findet am 23. September 2006 auf dem Jazzfestival in Viersen statt.

Das Interview mit Inga Lühning:

Marie van Bilk: Lühning – eine Band, die sehr homogen und gewachsen wirkt. Wie sind sie als dennoch doch sehr eigenständige Musiker zusammen gekommen?

Inga Lühning: Getroffen haben wir uns zum ersten Mal vor ca. 7 Jahren in Arnhem(NL) beim Studiengang der „lichte muziek“. Wir alle haben uns damals sehr intensiv mit Jazz beschäftigt… das war vom Studienplan so vorgesehen… den Jazz mit Einflüssen aus der zeitgenössischen Popmusik zusammen zu bringen. Das wollten wir schon damals und in diesem Spannungsfeld bewegen wir uns zu einem Teil heute noch.

Marie van Bilk: Sie sind alle über die Band Lühning hinaus auch mit eigenen Projekten beschäftigt. Was liegt Ihnen bei diesen individuellen Entwicklungen besonders am Herzen?

Inga Lühning: Dass man sich überhaupt weiter entwickelt! Früher fand ich es bewundernswert, sich als Sängerin ganz im Sinne des Jazz sicher über schwierige Harmonien bewegen zu können. Mittlerweile finde ich es viel erstrebenswerter, schöne Songs zu schreiben. – nicht, dass ich das schon könnte… ich übe noch…!

Marie van Bilk: Jazzfestivals ziehen nicht nur eingefleischte Jazzfans an, sondern oftmals auch ein sehr gemischtes, vielseitig interessiertes Publikum. Da finden sich Eltern mit ihren Kindern, ältere und jüngere Menschen, Neugierige, die vielleicht sonst keine Karten für ein Konzert kaufen würden, da sie Ihre Musik noch nicht kennen. Wie wirkt das auf Sie?

Inga Lühning: Also so wie auf der Jazz Rally? Da war ich zugegebenermaßen am Anfang aus genau diesem Grund ganz schön nervös. Die gemütlichen Herren an der Bierbude, die so eher nach Dixielandjazz aussahen – was sollen die schon zum Beispiel mit unserem wirklich schrägen Gitarrensolo in „Aquarius“ anfangen können? Aber sie konnten! Und viele andere auch,… das war ein schöner Moment!

Marie van Bilk: Wie erleben Sie die Musikszene an sich? Viel unterwegs zu sein, hart zu arbeiten, ja auch körperlich erheblich gefordert zu werden?

Inga Lühning: Manchmal ist das schwer. Freiberuflich sein allgemein,… unentgeltlich proben und an dem Abend, an dem man die Miete für den ganzen nächsten Monat einspielt, dann nicht zufällig mit `ner Mandelentzündung im Bett liegen… vor kurzem erst gehabt (lacht). Auftritte wie der Jazz-Rally-Gig, – mit soviel begeistertem Publikum sind eine echte Belohnung… und dann weiß man auch wieder, warum man das macht!

Marie van Bilk:Gibt es am Rande solcher Festivals Situationen, die Sie an den Rand der Verzweiflung bringen oder aber auch gehörig zum Lachen anregen? Sprich Anekdoten, die es festzuhalten gilt?

Inga Lühning: Also, bisher eher an kleinen Spielstätten… ein Stück von uns beginnt und funktioniert fast nur mit Gesang und Drums. Wenn ausgerechnet dann der Milchaufschäumer an der Theke benutzt werden muss, ist das natürlich etwas ungünstig (lacht).

Marie van Bilk: Wann wird es die nächste CD von Lühning geben? Welche neuen Projekte gehen Sie für die nahe Zukunft an?

Inga Lühning: Wir basteln fleißig… mehr kann ich nicht verbindlich sagen, denke aber, es wird Anfang nächsten Jahres werden… unser nächster Einsatz ist auf jeden Fall auf dem Jazzfestival in Viersen am 23. September 2006!

Who´s who:
Inga Lühning lebte und studierte in den Niederlanden und den USA. 1998 kam sie nach Köln um dort ein festes Mitglied der Gruppe „Vocaleros“ zu werden. Mit ihnen geht sie regelmäßig auf Tour. Wer sich auf Jazztagen, ob nun in Leverkusen oder Aalen tummelt, der ist ihr zweifellos bereits begegnet.

Christian Thomé (d) spielte mit Michael Moore, Peter Kowald, Georg Ruby, Thomas Heberer, John Goldsby, Dieter Manderscheid und vielen anderen. Mit seinen Bands „tomatic 7“, „Thomé-to-do“ und „ditties to do“ war er Preisträger bei internationalen Wettbewerben und hat mit „tomatic 7“ hat er im Oktober 99 die CD „Hauptstrop“ veröffentlicht. Derzeit arbeitet er an einem Duo mit dem Namen „Rudolph Thomé“ mit der Sängerin Céline Rudolph.

Mario Mammone (g) tourt seit 1985 vorwiegend mit eigenen Bands wie dem akustischen Trio „lirico“ und seinem Sextett „jip“ oder dem „Trio Reale“. Er studierte bei Tony Scott, Jasper van´t Hof und Mike Storn und wirkte mit bei Produktionen und Auftritten u.a. mit Ron Williams, Rob v/d Broeck und Willie Thomas.

Helmuth Fass (b) beschäftigt sich vor allem mit zeitgenössischer elektronischer Popmusik. Studioarbeit für das „Precision-Kollektiv“ um DJ Kabuki und auf Tournee als Bassist des „Megashira“-Projekts, die als erster deutscher Drum ´n´ Bass Live Act international Beachtung fanden. Aktuell setzt sich Fass mit Deep House auseinander und ist als Studiobassist tätig.

CD:

Lühning (JazzHausMusik)

Ersterscheinungsdatum: 19.06.2006 auf einseitig.info

© Marie van Bilk/Maria Jürgensen – Veröffentlichungen, auch in Auszügen nur mit ausdrücklicher Genehmigung der Autorin.

© Foto: Marie van Bilk/Maria Jürgensen

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