Sommerwerke

Künstlerinnen der GEDOK A46 gehen in die Schule

Lebens-Schule?

1377f6ede121452bb98ec9867b7dad45Der Geruch eines Schulraums, die Anordnung der Tische und Stühle, die Atmosphäre des Unterrichts – bei jeder und jedem werden Erinnerungen wach. Nostalgische, wehmütige, wütende, traurige oder ängstliche Gefühle. Schule und Lernen prägen und wer kennt ihn nicht, den Satz: „Man lernt nicht für die Schule, man lernt fürs Leben.“ und wer nicht das zweifelnde „So, so….“ im Anschluß?

15 Künstlerinnen machen sich mit ihren Lebenserfahrungen vom 16.9. – zum 18.9.2005 auf den Weg zurück dorthin. Inspiriert von einem Seminarraum, einer ehemaligen Turnhalle des Berufskollegs für Wirtschaft und Informatik in der Weingartstraße in Neuss, haben sie ihre Wahrnehmungen verarbeitet. Einige von ihnen spüren dem Satz ein wenig nach, stellen ihn in Frage oder unterstreichen ihn, lassen ihre Lebensschulen sehen oder schlicht den Erinnerungsort „Schule“ in inzwischen erwachsenen Gedanken entstehen. Die gewählten Ausdrucksformen sind dabei vielfältig und beschränken sich nicht nur auf eine Kunstrichtung.

Die Einladung zu „Sommerwerke“ vermittelt einen ersten Eindruck vom „Schulgefühl“, zeigt sie doch die Frauen in Reih und Glied und nach Größe geordnet an einer Wand stehend. Man fühlt sich an das berühmte Klassenfoto erinnert, auf dem man in späteren Jahren seiner Liebe sagen wird: „Schau mal, das war ich, die mit den Zöpfen“. Das Einladungsfoto zeigt allerdings keine lieben Kindergesichter, keine schüchternen oder frechen Schüleraugen, sie zeigt ausdrucksvolle Künstlerinnen und deren Füße – gestandene, erfahrene Frauen, zu Hause in der Schule des Lebens.

14 Frauen sind Mitglieder der Gemeinschaft der Künstlerinnen und Kunstförderer GEDOK A 46. Bei der Ausstellung Sommerwerke ist außerdem ein Gast mit dabei.

Wer oder was ist eigentlich GEDOK?

Sie war schuld: Ida Dehmel, Kunstmäzenin aus Leidenschaft. 1926 rief sie die „Gemeinschaft Deutscher und Österreichischer Künstlerinnenvereine aller Kunstgattungen“, kurz GEDOK in Hamburg ins Leben. Frauen hatten es damals schwer, wenn sie sich als Schriftstellerinnen, Musikerinnen oder bildende Künstlerinnen einen Namen machen wollten. Oft fehlte das Geld und der Kampf um Anerkennung war dort mindestens so hart, wie in anderen Bereichen der damals noch sehr von Frau an Heim und Herd beherrschten Ansichten. Frauen wurden nicht ernst genommen in ihren kreativen Äußerungen, galten eher als exotisch und Ausnahme, wenn sie derartige Ziele mit Nachdruck, Engagement und Herzblut verfolgten.

Ina Dehmel wusste um die Not ihrer Geschlechtsgenossinen und auch um deren Talent. Sie mobilisierte Kraft, Geld und Kontakte. Schließlich engagierten sich Persönlichkeiten wie Käthe Kollwitz, Ricarda Huch, Edith Mendelsohn Bartholdy, Charlotte Berend-Corinth und Ina Seidel für die Arbeit der GEDOK. Mit Erfolg.

Heute ist die GEDOK in der Lage, sich für Künstlerinnen aller Sparten stark zu machen. Begabte Frauen der Literatur, der Bildenden oder Angewandten Kunst, Frauen, die sich mit den neuen Medien beschäftigen, Musik machen, oder darstellende Künstlerinnen erhalten hier die Basis für Einstieg und Weiterkommen, Unterstützung in vielen Bereichen. Künstlerisches Arbeiten wird transparent gemacht – Ausstellungen organisiert, Konzerte, Performances, Symposien, Werkstattgespräche, Führungen ins Leben gerufen. Publikationen wie Kataloge, Anthologien, Videos, CDs etc. tun das ihre. Auch Aus- und Weiterbildungsangebote können wahrgenommen werden. Eine Gruppe von Kunstförderern stellt nicht nur die finanziellen Mittel zur Verfügung, sondern auch Herz und Hirn. Politisch unabhängig, ist die GEDOK dennoch bemüht, Einfluss auf die kulturpolitischen Vorgänge im Land zu nehmen.

22 regionale Gruppen der GEDOK gibt es inzwischen in Deutschland. Wer als Künstlerin Mitglied werden will, muss neben Talent entweder eine entsprechende Hochschulausbildung nachweisen oder seine autodidaktischen Fähigkeiten anhand von Arbeitsproben einer Fachjury unterbreiten. Die GEDOK A 46 in Neuss ist eine von diesen 22 Gruppen. Hier organisieren sich allein 35 Frauen aus unterschiedlichen Kunstdisziplinen. Wahres Talent wird belohnt. Die GEDOK vergibt eine Anzahl attraktiver Preise, die Künstlerinnen in das Licht der Öffentlichkeit bringen soll. So z.B. den Dr. Theobald-Simon- Preis, der einer Künstlerin verliehen wird, deren herausragendes Werk Anerkennung verschafft werden soll. Der Ida-Dehmel-Literaturpreis geht an deutschsprachige Autorinnen für ihre Gesamtwerk. Gefreut haben sich darüber schon so renommierte Damen wie Hilde Domin, Sarah Kirsch, Rose Ausländer, Brigitte Kronauer und Barbara Frischmuth. Weitere Preise zur Förderung von musikalischen Talenten, begabten Literatinnen und Designerinnen helfen Frauen im Kunstbetrieb Fuß zu fassen.

Drei von fünfzehn – gute Noten für die GEDOK A 46

Das alte Schulgebäude auf der Weingartenstraße hat viele Schüler und Schülerinnen gesehen. Dass ein Klassenzimmer einmal diese ungewöhnlichen Verwandlungen und Lektionen erfahren sollte, hat niemand erwartet oder geahnt.

Hanne Horn aus Düsseldorf fotografiert Menschen. Das allein reicht ihr jedoch nicht. Ihre Fotos finden sich auf Europaletten, Brettern, Stühlen, Tischen wieder, lassen Tapetenmuster, Zeichnungen, Strukturen, Zeitungsausschnitte durchschimmern. Man sieht Gegensätzliches, erkennt Wirrungen, Lebendigkeit, nimmt Verletzbarkeit wahr, und sieht Lebensspuren in den Gesichtern der Fotografierten. Die verwendeten Materialien, die ausgewählten Überschriften der verarbeiteten Zeitungen, Risse und Kanten an Brettern unterstreichen den Eindruck und die Aussage ihrer Arbeiten.

Ihr Schulraum beherbergt diese Menschen. Durch den Austausch von vorhandenem Stuhlmobiliar gegen das von ihr gefertigte und Ergänzung von im Dialog mit den so geschaffenen Schülern und Schülerinnen stehenden Gegenübern auf den Tischen verkündet sie, wovon und wann man wirklich lernt fürs Leben. Die Fotografie einer älteren Person, die in der Nähe platziert wird, verstärkt diesen Eindruck. Gelernt wird voneinander, im Austausch und vom Leben.

Bei der als Gast der GEDOK A46 teilnehmenden Barbara Herrmann heißt es mit zwinkerndem Auge „Setzen bitte“. Sie hat Stühle, Bänke und „innere Plätze“ gemalt und will sie den Stühlen und Bänken des Klassenzimmers gegenüber stellen.

Schule bestimmt einen wichtigen Teil der eigenen Entwicklung, abhängig davon, mit welchen Inhalten, welchen Kameraden, welchen Lehrern und Lehrerinnen man es zu tun hatte. War man beliebt, sportlich, strebsam? War man der Star oder die graue Maus? Der Platz, auf dem man gesessen hatte, unterstrich oft die gewählte oder aufgezwungene Rolle. Der Streber, der in der ersten Reihe saß, die laute Heldin in der letzten oder der Schüchterne, der ja nicht gesehen werden wollte und sich immer den Stuhl rechts außen suchte; die kreative, provokante Aufmüpfige in der Mitte. Klischees, die so oft eingehalten wurden und im späteren Leben wesentliche Teile der „inneren“ Plätze mitgestalteten.

Birgit Brebeck-Paul ist Bildhauerin und fertigt Objekte und Installationen, die oft mit Motoren und Bewegung zu tun haben. Sie ist Mitglied des Vereins Kunst im Hafen in Düsseldorf. Gegründet wurde die Ateliergemeinschaft noch im Zollhof des Düsseldorfer Hafens. Als hier die Medienmeile entstand, zog man um in den Hafen Reisholz. Eine Kreativzone, die Birgit Brebeck-Paul für sich zu nutzen versteht.

Auch sie tauscht aus. Die modernen Tische des Klassenraums einer Schule für Wirtschaft und Informatik des Jahres 2005 werden durch rosa Nähmaschinen von 1956 ersetzt, die aus einer Hauptschule stammen. Jede Nähmaschine besitzt eine kleine Schublade mit einem ausklappbaren Nadelkissen. Die Schublade ist geöffnet.

Rosafarbene Träume von Mädchen der 50ger Jahre – das selbstgenähte Kleid für den Tanztee, der erste Schritt zur ordentlichen Hausfrau mit allen notwendigen Fähigkeiten, um Mann und Kind ein gemütliches Heim zu verschaffen. Geblümte Gardinen, Glück, Sittsamkeit und Ordnung nach den Wirren des 2. Weltkrieges. Biedermeier der Neuzeit. Dass solche Leben nur auf der Leinwand und in Träumen existierten, oftmals nicht vom Stolz der Hausfrau und dem Bewusstsein von großen Leistungen in einem kleinen Familienbetrieb gezeichnet war, versteht sich von selbst. Leben geht nicht so und der Krieg war gerade erst gewesen. Das Nadelkissen in der Schublade, die sich ab und zu auch schließen ließ, ist ein Symbol dafür. Versteckte Aggression, fehlende Anerkennung für hausfrauliche Mühen und ein harter Kampf von Frauen in einer Zeit, in der Gleichberechtigung noch ein Fremdwort war und in der sie sich trotzdem oft allein durchboxen mussten.

Die Nähtische stehen nun im Klassenzimmer von 2005. Sie stören das moderne Bild und sollen es stören, denn auch jetzt dürften in Schulen mit Fachrichtung Elektronik oder Informatik oftmals vornehmlich männliche Vertreter sitzen.

Eins ist sicher: Man darf von einer hohen Qualität aller Umsetzungen zum Thema ausgehen und sich auf eine spannende, bewegende Kunstaktion freuen.

Außer den drei genannten Künstlerinnen, die hier exemplarisch für ein äußerst breites Spektrum genannt wurden, sind mit außergewöhnlichen Arbeiten, Aktionen und Darstellungen dabei:

Lissy Busch-Holitschke, Inge Harms, Anne Blass, Margit Schopen-Richter, Gisela Rietta Fritschi, Elke Fricke, Bella Frauenlob, Gudrun Lintz, Katharina Brenner, Lydia Drontman, Inge Broska und Matre.

Sommerwerke findet statt im Berufskolleg Neuss, Weingartenstraße 59-61, Neuss. Ausstellungseröffnung ist am Freitag, den 16.9.2005 um 20 Uhr. Die Einführungsrede halten Ernst Bizer und Inge Harms. Besuchen kann man sie jeweils Samstag und Sonntag, den 17. und 18.9. von 14 bis 18 Uhr. Der Eintritt ist frei.

www.gedok.de
www.kunst-im-hafen.de
www.hanne-horn.de
www.hausmuseum.de
www.derstillstand.de/10/broska/
www.judithdielaemmer.de
www.bella.frauenlob.net
www.raum-fuer-kunst.de/rueckblick_brenner.html
www.y-69.de
www.matre.de
www.ngz-online.de/ngz/fruehling/2004kuenstler/kuenstler/kuenstler%5B26%5D.html

Ersterscheinungsdatum: 13.09.2005 auf einseitig.info

© Marie van Bilk/Maria Jürgensen – Veröffentlichungen, auch in Auszügen nur mit ausdrücklicher Genehmigung der Autorin.

© Foto Marie van Bilk/Maria Jürgensen

 

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