Ponte Courage – ein Boot geht vor Anker

Eine Begegnung zwischen Kulturen

Die Schiffsskulptur von Robert Beerscht bietet Künstlern eine Plattform für Aktionen. Theater, Musik, Literatur, Bildhauerei, Fotografie und Malerei finden einen außergewöhnlichen Platz zwischen Kloster und dörflicher Idylle. Am 14. August und 4. September treiben tanzende Lichtgeister aus Luna Medea, Urmel aus dem Eis, Steinmetze, Fotografen, Literaten, Musiker und Vorleser ihr freundlich schräges Unwesen an Deck und vermitteln Kunst als neue Sprache zwischen den Kulturen.

Bis Ende September liegt die Ponte Courage noch vor Anker am Kloster Langwaden. Inmitten von Kirche, Dorf und Wald wirkt es wie gestrandet und wartet darauf, für die noch verbleibende Zeit wieder von Piraten der Kunst geentert zu werden.

Das riesige Boot begann seine Reise in Bochum im Rahmen der Interkulturellen Wochen im September des letzten Jahres. Gemeinsam mit Jugendlichen und in Zusammenarbeit mit Winfried Paetzel und dem Verein IFAK, schweißte, hämmerte, lachte, weinte und fluchte der Künstler Robert Beerscht damals, bis Ponte Courage den Stapellauf und die Schiffstaufe feiern konnte. Es entstand eine Plastik mit einer Länge von 6,80 m, einer Breite von 2,95 m und einer Masthöhe von 9 m. Mit dem Wachsen des Schiffes wurde dem Projekt seine Seele eingehaucht: Ein Ort der Begegnung, der Verständigung, der Kreativität sollte es sein – ein Treffpunkt für Menschen, Leute, Kinder und Künstler aller Nationen. In der Entstehungsphase bereits sollte der multikulturelle Charakter seinen Niederschlag finden. Und er tat es. Die mitwirkenden Jugendlichen stammten aus allen Teilen Europas. Sie lernten nicht nur, mit Werkzeug, Pinsel und Farbe umzugehen, sie gingen vor allem miteinander um.

Aller versäumter Schlaf, alle Kraft und harte Arbeit, die das Projekt verlangte, wurde durch das Ergebnis belohnt. Ponte Courage wurde auf Rädern und an Schleppseilen durch Bochum gezogen, begleitet von spontan absichernder Polizei, einem Pulk von Kindern und sich anschließender Passanten. Begegnung pur – eine Demonstration des Miteinanders. Aktionskunst fand ihren Platz auf seinen Planken und begeisterte die Zuschauer und Beteiligten über mehrere Wochen.

Keine schlechte Heimat war der Dr.-Ruer-Platz in Bochum also, von der das Boot weiter in See stechen sollte, um andere Ufer zu erkunden. Die Mission war klar – der neue Ankerplatz bald gefunden. Pater Bruno vom Kloster Langwaden und Robert Jordan vom Kulturamt Grevenbroich sorgten sozusagen für das Ausstellen der notwendigen und wichtigen Hafenpapiere. Das transparente Stahlboot hat seitdem schon diverse Passagiere, Matrosen und Kapitäne an Bord genommen. Klassische Musik und Fotografie gehören zu den ersten Schwerpunkten bereitwillig spontaner Aktionen für das geneigte Publikum. Denn alle Künstler des Festivals arbeiten unentgeltlich aus Überzeugung und Spaß an der Sache.

Hanne Horn, Fotografin aus Düsseldorf, sorgte für Seetüchtigkeit des Bootes und verschaffte ihm neue Segel. Sie befestigte großformatige Fotos in den Seilen. Die Gesichter, die den Betrachter nun anschauen, gehören alten und jungen Menschen aus verschiedenen Generationen und unterschiedlichen Nationen. Hanne Horn nimmt mit Vorliebe sie vor die Linse und tritt mit ihnen in einen Dialog, wie es sonst Autor und Protagonist tun.

Ihre Bilder erzählen die Geschichte dieser Menschen. Sie erzählen sie jedem einzelnen Neugierigen neu. Auch hier funktioniert es, wie beim Lesen. So entsteht ein Kreislauf aus Verstehen wollen, Miß- und –verständnis- in jedem Fall eine außergewöhnliche Art der Kommunikation. Schwarz-Weiß-Portrait- und Aktfotografie, Arbeiten mit flüssiger Fotoemulsion auf Stoffen, Holz und Glas und mit Farbe und diversen Materialien bearbeitete Großfotos und Großdias nennt sie ihren Schwerpunkt. Die Fotografin bringt eine ganze Mannschaft mit auf die Ponte Courage, die den Besucher an Bord ziehen und zum Austausch ermutigen.

Eines der Porträts mit seinem aufmerksamen Blick auf den Betrachter zeigt den Bootsbauer Robert Beerscht. Als Steinmetz und Bildhauer arbeitet Beerscht im kleinen Dorf Münchrath und auf der Museumsinsel Hombroich bei Neuss. Die Form aus dem Stein herausholen, das gehört noch heute zu seinem Metier. Längst mag der Schüler von Anatol Herzfeldt sich aber nicht mehr auf nur dieses Material beschränken. Seine Sicht auf Mensch, Natur und Welt findet seinen Niederschlag inzwischen auch in Skulpturen und Bildern aus Metall, Holz, Farbe und Karton. Im Zentrum seines künstlerischen Schaffens steht der Mensch in seinem Gegensatz oder in seiner Einheit zur Natur. Einerseits soll Endlichkeit von Menschheit, das Bewusstsein eines pars pro toto, Mensch in Zeit, Mensch in Natur als vergängliches Element dargestellt werden. Andererseits soll auch die Möglichkeit von Ganzheitsempfinden und Lebenskreisläufen, das Forttragen von gemeinsamen Ursprüngen betont werden.

Ein wesentlicher Teil seiner künstlerischen Arbeit hat immer wieder auch mit Kindern zu tun. Ihnen kreative Fähigkeiten an die Hand zu geben, die Freude an Farben, Material und Gestaltung und den Umgang mit anderen bei dieser Arbeit zu entdecken, ist das Ziel. Dass jeder die Gabe zum kleinen Künstler hat, erfahren die Kinder am eigenen Leib und damit neben der Sprache eine ganz neue Form des Ausdrucks. So gehört die Ponte Courage am 13.-18. August ganz den „Pänz“. Mit von der Partie beim Bildhauern für Kinder ist neben Robert Beerscht sein Freund, Wegbegleiter während seiner Lehrjahre und Kollege mehrerer spannender Kunst-Arbeitszeiten in Düsseldorf, Jo Frömbgen. Gemeinsam zeigen sie, wie „das“ mit dem Hammer und dem Meißel geht und lüften mit den Kindern das große Geheimnis, wer sich diesmal im Stein versteckt hält. Für Frömbgen ist das die zweite Aktion mit der Ponte Courage. Am zweiten Augustwochenende macht er eine fotografische Lichtbildreise über Kontinente und trifft dabei Menschen verschiedener Kulturen.

Nur wenige Stunden später wird jemand anderes sein Versteck verlassen, aus einem alten Ei schlüpfen und unglaubliche Dinge tun. Ponte Courage hat das Urmel zu Gast. Das Kammerensemble Neuss adaptierte Urmel aus dem Eis von Max Kruse fürs Theater. Kinder ab 5 Jahren dürfen erleben, wie es auf der einsamen Südseeinsel Titiwu zugeht, Urmel für jede Menge Wirbel sorgt, die Menschensprache lernt und die Unvorsichtigkeit seines Professors dazu führt, dass der böse König Pumponell mit seinem Fangnetz das seltsame Tier in seine Gewalt bringen will. Auch hier ist Kommunikation und Anderssein das Thema. Es spielen Neslihan Somuncu, Mike Turner, Hatice Fesli u.a. Für die Inszenierung verantwortlich zeichnet Daniela Tillmann.

Das Kammerensemble Neuss (KEN) im Kulturkeller ist ein kleines, selbstverwaltetes Theater. Gründer ist der türkische Schauspieler und Regisseur Serdar Somuncu. Seine Prämisse für das Programm: „Authentizität… – und frei nach Shakespeare „Die ganze Welt ist eine Bühne und wir sind alle nur Spieler“. Denn um gutes Theater zu machen, müssen wir nicht nur spielen, sondern sein.“ Die Spieler des Kammerensembles vertreten diesen Geist, stammen nicht aus einer der staatlichen Schauspielschulen. Lehrer, Studenten, Steinmetze, Finanzbeamte, Physiker und Friseure stehen hier auf der Bühne. Auch sie stellen ihr Engagement weitgehend unbezahlt in den Dienst der Kunst und des Publikums. Wie für alle, so ist auch für sie die Botschaft des Bootes Programm.

Am 4. September nimmt die Ponte Courage neue Passagiere an Bord. Mit Einbruch der Dunkelheit wird das Schiff von mythologischen Geistern heimgesucht. Beate Simon wird zu Medea. Die Tochter des Königs von Kolchis am schwarzen Meer floh aus ihrer Heimat in das reiche Korinth. In ein Land mit anderen Sitten und Werten, wo der Mond als Göttin verehrt wird, in eine Kultur, in der sie, die Fremde zum Opfer wird. Luna Medea heißt die inszenierte Projektion aus Licht, Schatten und Musik, bei der die Tänzerin Beate Simon, die daneben auch für die Projektion Sorge trägt, im Rahmen einer festen Struktur improvisiert. Das Lichtspiel wird von Murat Cakmaz auf der ägyptischen Flöte (Ney) und Guido Bleckmann am Kontrabass begleitet. Ziel ihrer Musik soll es sein, die Stimmung einer fernen Landschaft einzufangen.

Konzept und Inszenierung stammen von Winfried Paetzel, Mitinitiator der ersten Ponte Courage-Aktion in Bochum. Paetzel arbeitet als Dramaturg und Regisseur. Er inszeniert mit Vorliebe gemeinsam mit einer Gruppe von wechselnden Künstlern Räume. Räume in ehemaligen Industriehallen, Kirchenruinen, leerstehenden Geschäftslokalen oder eben an Bord der Ponte Courage. Dabei geht es nicht um experimentelles Theater an außergewöhnlichen Orten, sondern um die Formgebung des Raums und um das Klangspektrum seiner Schwingungen.

Im Vorprogramm zu Luna Medea wird Musik des Percussionisten Bodo Svoronek und Lesungen der Texte von Mechtilde Vahsen und Dirk Jürgensen geben. Bodo Svoronek orientiert sich vor allem an seinen Vorbildern Ian Paice, John Bonzo Bonham, Buddy Rich und Billy Cobham.

Mechthilde Vahsen, Germanistin und Politologin aus Düsseldorf, schreibt Kurzgeschichten, Lyrik, Glossen, Märchen und Erzählungen und arbeitet derzeit an ihrem ersten Roman. Für die Ponte Courage hat sie „Ikarus´ Schwester“ und „Der Ritt auf dem Wal“ geschrieben. Zwei Geschichten, die das Thema Kommunikation, Verstehen und Unverstandensein in bewusst naiver Weise aufgreifen und verarbeiten.

Dirk Jürgensen ist freier Autor und schreibt u.a. für das Internet-Magazin www.einseitig.info. Seine Geschichte erzählt von einer anderen Ponte Courage – einem Boot der Flucht vor Unterdrückung, das sein Ziel nicht erreicht.

 Ersterscheinungsdatum: 09.08.2004 auf einseitig.info

© Marie van Bilk/Maria Jürgensen – Veröffentlichungen, auch in Auszügen nur mit ausdrücklicher Genehmigung der Autorin.

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