Des dekorierten Pudels Kern

Ein fragwürdiges Rabattangebot

SchönheitEs war Freitagnachmittag. Endlich Wochenende, das Wetter mies und man möchte nur noch in sein kuscheliges Heim. So ging es auch mir. Eben einen kleinen Umweg durch die Stadt und ein paar Besorgungen gemacht, Bier und Chips – nachher war Fußball angesagt – was die Vorfreude auf die Kuscheligkeit enorm steigerte. Da sah ich ein Schild im Fenster einer dieser Drogerien, in die ich mich höchstens kurz vor Weihnachten wage, wenn es wieder um ein paar Notgeschenke für weibliche Verwandte oder ein Rasierwasser für Opa geht.

20% Rabatt auf dekorative Kosmetik stand drauf. Ach, dachte ich, das könnte doch was sein, denn ich bin kein Egoist, der nur an seinen Ballsport denkt – und schon stand ich im Laden, um das Angebot zu prüfen, des Pudels Kern zu erforschen.

Eine junge Verkäuferin, zentimeterdick geschminkt und darunter außerordentlich hübsch zu vermuten, lächelte mich ohne zu bröckeln beinahe unschuldig an. In diesem Fachbereich des Einzelhandels spüre ich seltsamerweise immer so eine Art Mitleid im Lächeln der Verkäuferinnen. Trost bietet mir da stets die Einsicht, daß das Lächeln unter einer isolierenden Deckschicht schnell zur Verkrampfung neigt, was wiederum Mißdeutungen Tür und Tor öffnet. Muß ja nicht immer alles an mir liegen. Aber warum gab es hier keine Verkäufer? Die könnten mich doch viel verständnisvoller beraten. Zumindest, wenn sie sexuell eher heterogen interessiert sind. Egal. Das Mädel fragte nach meinem Wunsch und an ihrem maskiertem Antlitz vorbei erkannte ich ein Regal mit Produkten einer Firma, die mir jüngst in einer Zeitschrift in Form einer Anzeige begegnet war. Ach, sagte ich, die Firma gibt es wirklich?

Welche?, fragte sie erstaunt.

Na, die da drüben.

Ich wagte kaum den Namen auszusprechen und erklärte:
Ich hatte gedacht, das sei so ein Reklame-Fake wie im Greenpeace-Magazin oder in der Titanic. So als Verhohnepiepelung der Kosmetik-Modemarken. Ich dachte, mit so einem Namen, Bruno Banani – ich unterdrückte ein aufkommendes Lachen, weil mir nur Unverständnis entgegenlächelte – Bruno Banani, ein braune Bananen suggerierender Männername, damit könne man doch keine Produkte verkaufen, dachte ich immer, habe ich gedacht.

Doch, entgegnete die Verkäuferin, die Marke verkaufe sich ganz hervorragend und sie könne mir auch den allerneusten Duft vorführen, der würde auch gern von älteren …

Schon gut, unterbrach ich ihr der von vermuteten Jugend geschuldetes marketingtechnisches Ungeschick, dafür sei ich ja eigentlich auch gar nicht in ihr Etablissement gedrungen.

Mich interessiert das Sonderangebot an dekorativer Kosmetik, brachte ich das Gespräch auf eine sachlich-kaufmännische Ebene.

Für den Herrn oder für die Dame? fragte sie schnippisch.

Ach, entgegnete ich pragmatisch, es sollte schon beiden gefallen.

Es gibt da verschiedene Linien aller Hersteller, versuchte sie es etwas besserwisserisch, aber nicht unisex, immer für Women oder Men getrennt.

Mir lag auf der Zunge zu hinterfragen, ob sie tatsächlich meinte, was sie sagte. Woman oder Man – Frau oder Mann – oder Women oder Men, Frauen oder Männer? Wenn man bedenkt, daß die Übersetzung für Man auch Mensch beziehungsweise für Men auch Menschen lauten kann, sind wir wieder nicht weit von der Diskriminierung, Frauen oder Menschen? Nein, ich dachte nicht einmal daran, es auszusprechen. Vielmehr heißt mein tägliches Streben Harmonie. Daher ging ich den einzig möglichen Kompromiß ein.

Ja, wenn das so schwierig unter einen Hut zu bekommen ist, dann eben für Women.
Natürlich legte ich Wert auf die korrekte und meist vernachlässigte Aussprache und akzentuierte Wimmen.

In welche Richtung haben sie denn dabei gedacht? Für das Gesicht, das Dekolleté, die Hände, die Beine oder den ganzen Körper? wußte mich die Maskierte auszufragen.

Für das Badezimmerregal natürlich, korrigierte ich sie entschieden.

Sicher, aber in welche Richtung haben sie denn gedacht? Es gibt da vieles zwischen Permanent Make Up, Concealer, Camouflage oder Body Painting.

Body Painting? Hört sich interessant an, bemerkte ich süffisant. Kannte ich diese künstlerische Ausrichtung doch aus bunten Magazinen. Gut gebaute nackte Mädels wurden von lüsternen Männern, die sich als Künstler ausgaben, bemalt. Mir war weiters Nachfragen peinlich, wir kannten uns ja erst so kurz und zuviel Vertraulichkeit war mir ihres verhüllten Antlitzes wegen suspekt. Wir reden so viel über Kopftuchverbote, sollte nicht besser Vermummung durch übermäßige Schminkpackungen verboten werden?

Du lieber Gott! was so ein Mann nicht alles, alles denken kann! gab sie stockend das Gretchen in meiner Phantasie. Tatsächlich führte sie Ihre Auflistung weiter:
Es gibt auch French Manicure, Nail Sticker und, und, und.

Ja, ich weiß nicht, erwischte sie mich auf dem falschen Fuß. Und während ich meiner doch recht defizitären Englischkenntnisse schämte, fiel mir auf, daß die Frau gar keine Augenbrauen hatte. Sollten das Nebenwirkung einer langfristigen Medikamenteneinnahme sein, oder handelt es sich um ein seltsames, im mitteleuropäischen Raum aus ethnologischer Sicht als exotisch zu bezeichnendes Schönheitsideal? Immerhin hatte sie diesen Behaarungsmangel mit einem dicken schwarzen Strich kaschiert, wie ihn einst Groucho Marx brühmt gemacht hatte. Manchmal frage ich mich, ob Frauen nicht eine Menge Geld und Mühe sparen könnten, wenn sie einmal erführen, was uns Männern wirklich gefällt. Oder finden Frauen das schön und haben ein kosmetisches Mittell gefunden, endlich den männlichen Idealvorstellungen zu entfliehen?

Es steht ihnen frei und all diesen Fragen zum Trotz blieb ich meinem unsentimentalen Stil treu und präzisierte meinen Einkaufswunsch:
Es sollte ein hübsches Fläschchen oder eine ansprechende Dose sein.

Ich weiß zu gut, daß solch erfahrnen Mann mein arm Gespräch nicht unterhalten kann, klang wieder das Gretchen allein in meinem Ohr. Dabei lehrte sie mich:
Wichtig ist doch, was drin ist.

Nö, erhob ich in jugendlich flottem Ton Widerspruch und ergänzte:
Es sollte etwas Dekoratives sein. Da ist der Inhalt zweitrangig. Mir geht es allein um die dekorative Verpackung, wenn ich es einmal so profan ausdrücken darf.
Was folgte, war eine Phase der dräuenden Einkehr, einer angespannten Stille.

Gerne hätte ich ihre natürliche Gesichtsfarbe erraten, die jenseits ihrer zittrigen Lippenkontur im emotional bedingten Schwanken zwischen fahler Blässe und putergleicher Röte alle Farbwerte vermuten ließ. Sensibel, wie ich nun einmal bin, hatte ich das Gefühl, mit meiner ungeschickten Äußerung, die durchaus ein gewisses Machismo-Gehabe vermuten lassen könnte, einen Keil in unsere junge Beziehung getrieben zu haben. Manchmal stehen die kleinsten Bemerkungen plötzlich und vollkommen unbeabsichtigt in einem diametralen Zusammenhang. Konnte ich erahnen, welche Sorgen dieses vermutlich jugendliche Geschöpf mit sich herumtrug und welche frischen Erfahrungen mit meinen Geschlechtsgenossen es zu verarbeiten hatte? Sollte ich wiederum meine Empathie offenlegen und ihr Hilfe anbieten?

Nein, jetzt ist Wochenende! rief ich mich zur Ordnung.

Wie bitte?

Oh, Entschuldigung, ich dachte nur laut.

Wenn Sie dekorative Flacons suchen, dann – ihre schlanke, wohlgebräunte Hand zeigte mit dem dafür vorgesehenen Finger, in dessen Nagel ein buntes Steinchen eingelassen war und dessen seltsam kantiges Ende eine ungesunde weiße Färbung aufwies – in die entgegengesetzte Ecke des Ladens – dann zeigt meine Kollegin – sie wolle mich also abschieben – dann zeigt meine Kollegin ihnen gerne welche.

Kriege ich denn da auch den annoncierten Rabatt?

Nein, leider nicht, der gilt nur für dekorative Kosmetik.

Die Salbe gibt den Hexen Mut, ein Lumpen ist zum Segel gut. Der flieget nie, der heut nicht flog, zitierte ich im Stillen und sagte hörbar:
Schönen Dank. Nichts für ungut. Während einer geschickten Körperdrehung fügte ich eine übliche Notlüge – da komme ich dann die Tage dann lieber nochmal rein – und ein ehrliches auf Wiedersehen hinzu und verließ das Ladenlokal.

Wieder auf dem Trottoir angelangt, schaute ich mich kopfschüttelnd um. 20% Rabatt auf dekorative Kosmetik stand da tatsächlich auf dem Plakat. Da erzähle mir noch einer was von einer Krise im Einzelhandel. Dabei ist es eigentlich gut, daß der Betreiber des Ladens dieses Angebot nicht ehrlich meinte. Sicher gibt es durchaus dekorative Kosmetika, doch nun habe ich mein Geld gespart und kein zusätzlicher Staubfänger bevölkert mein – unser – Badezimmerregal.


Ersterscheinungsdatum: 08.10.2011 – zuerst auf Einseitig.info, nun, geringfügig ergänzt, an dieser Stelle.

© Dirk Jürgensen – Veröffentlichungen des Texts, auch in Auszügen, nur mit ausdrücklicher Genehmigung des Autors.

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