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Norderschauholmkrug

Der erste Abend

Der vorläufige 3. Teil der Norderschauholm-Chronik

 von Dirk Jürgensen ...

Sonnenuntergang © Jürgensen - DüsseldorfEin Krug ist so etwas wie ein gemeinsames Wohnzimmer des Dorfes. Den Dorfkrug eines unbekannten Ortes in Deutschland zu betreten ist nicht jedermanns Sache. Das Gefühl als Störenfried in einem fremden Wohnzimmer wahrgenommen zu werden, ist selten intensiver. Mir geht es jedenfalls auf Reisen immer so und vielleicht bleibe ich deshalb kurz stehen und blicke mich unsicher um. An einem von einer riesigen Stammtischglocke dominierten Tisch sitzen drei Männer und zwei Frauen, die ihre Gespräche wie befürchtet mitten im Wort abbrechen, wie auf ein Kommando zu mir blicken, mir dann aber reaktionsschnell ein kräftiges »Moin« zurufen und ohne Heimlichkeit ihrem alten Gesprächsthema zuwenden. Wenige Worte genügen mir, um zu verstehen, dass es sich um die geplante Erneuerung eines Bootsstegs dreht, nicht um mich.

Dass man mich eher höflich ignoriert, als auf mich zu starren, gibt mir den Mut, schnurstraks den hinter der Theke wartenden Wirt anzusteuern.

»Moin, mein Name ist Jürgensen. Ich denke, ich werde …«

»… erwartet, klar. Herzlich willkommen auf‘m Holm! Hast Du, wir duzen uns hier alle, ist das in Ordnung? Ich bin Jesper, der Wirt hier.«

»Kein Problem, Jesper. Ich bin Dirk.«

In diesem Moment erhebt sich einer der Stammtischler und verschwindet neben der Theke durch eine Schwingtür, angesichts seiner bekleckerten Schürze kann es sich nur um den Koch handeln.

»Hast Du uns gut gefunden? Ach was, ist ja logisch, sonst wärst Du ja noch nicht hier. Ist ja ganz schön versteckt, unsere Insel.«

»Alles wunderbar und ich bin auch immer wieder gerne hier in der Gegend.«

»Dann setz Dich mal da drüben hin.« Jesper Jessen zeigt auf einen gedeckten Tisch in der Ecke. »Das Essen kriegen wir schnell hin und zum Anfang ein Bier ist sicher auch nicht verkehrt, oder?«

»Auf keinen Fall. Die lange Fahrt macht schon Durst. Und fahren muss ich jetzt ja wohl nicht mehr.«

Ich begebe mich vom freundlichen Lächeln der Stammtischler begleitet auf meinen zugewiesenen Platz. Und schon bringt der Wirt höchstpersönlich das wohl heimlich vorgezapfte Bier.

»Kommen noch andere auswärtige Gäste?«, frage ich ihn.

»Normalerweise nicht. Wir wollen niemanden abweisen, aber wenn uns keiner findet, … Wir haben mit den Einladungen erstmal langsam angefangen. Ist für uns ja noch neu. Wir haben das Haus vom Schriftsteller fertig gemacht. Da kannste wohnen.«

»Ich fühle mich geehrt«, antworte ich aus Überraschung steif.

»Gleich kommt Hanne, der kann Dir was vertellen. Oder bist Du zu müde?«

»Nein, ich bin eher neugierig«, lüge ich ein bisschen.

Jesper kehrt zu seiner Theke zurück.

Die Schwingtür öffnet sich und die Kellnerin betritt erstmalig die Szenerie. Das muss Stine Möller sein, schlank, so einssiebzig groß, fünfundzwanzig, maximal dreißig Jahre alt und so natürlich blond und hübsch, dass sie gut einen dänischen Ferienhauskatalog zieren könnte. Sie tuschelt kurz mit ihrem Arbeitgeber, dreht sich um und kommt in dem Moment, als meine Gedanken daran, dass ich früher das Alter von Personen, besonders von Frauen, viel besser einschätzen konnte, den ersten Kreis vollziehen, strahlend und den Kreis mit einem kurzen Satz auflösend auf mich zu.

»Din Eten kümmt gliegs. – Dein Essen kommt gleich. Auch garantiert ohne Zitrone, keine Bange.« »Ich habe doch noch gar nichts bestellt.«

»Ist denn das Dorschfilet mit den Bratkartoffeln statt der Salzkartoffeln nicht richtig? Butt gibt das erst morgen.«

»Ja doch, das hätte ich mir bestimmt ausgesucht, aber ich habe doch noch nicht einmal in die Karte geguckt. Hätte ich nicht auch die Fischplatte, den gebratenen Aal oder ne Bratwurst nehmen können?«

»Nö.«

Sie platziert ohne weiteren Kommentar einen Teller und Besteck, normales, kein Fischbesteck, dreht sich schnippisch um und verschwindet von meinem Blick eines leider zu alten Kerls verfolgt durch die Schwingtür in der Küche.

Für einen kurzen Moment darf ich mich auf mein Bier konzentrieren. Das Glas leert sich verdammt schnell und dann geschieht etwas, das in diesem Landstrich nicht üblich ist, etwas, das im Rheinland aufgrund seiner Normalität gar nicht beachtet würde. Nachdem Jesper erkannt hat, dass ich das leere Glas absetze, präsentiert er mir schon ein frisch Gezapftes. Vor Erstaunen bekomme ich kaum ein »Danke.« heraus.

Da kommt Stine auch schon mit dem Essen. Das heißt, sie balanciert mit einer dampfenden Fischplatte und einer Schüssel Bratkartoffeln durch die Gaststube. Das Ensemble dürfte eher für den Stammtisch gegenüber als für mich alleine bestimmt sein. Doch es ist meines.

»Wenn zu wenig ist, musst Du das sagen. Dann kommt mehr.«

»Das wird sicher mehr als genug sein. Puh. Da könnten wir ja noch Leute einladen.«

»Abwarten. Appetit kommt beim Essen.«

Und der kommt.

Nach meinem Geschmack

Die Bratkartoffeln sind, wie es den Angelitern nicht oft genug bestätigt werden sollte, die besten der Welt. Einheimische, rohe Kartoffeln eine Gusseisenpfanne mit hoher Anfangstemperatur und etwas Zeit zum garen, knusprig und nicht so lieblos in eine indifferente Masse verbacken wie das, was uns in den meisten Restaurants und Gasthäusern als Röst- oder Bratkartoffeln verkauft wird. Auch in Norderschauholm weiß man, wie es gemacht wird.

Und dann der Fisch. Außen knusprig und innen weich und nicht zu trocken, frisch, nur kurz in Mehl gewendet, keine Panade, der milde, für den jeweiligen Fisch typische Geschmack nicht von der Säure einer Zitrone oder irgendwelchen dominanten Soßen verdrängt und nur mit etwas Salzkartoffeln und noch wenig Pfeffer gewürzt. Einfach, authentisch, ehrlich. International höchstens mit der Cucina povera Italiens zu vergleichen, nur viel eher zur Völlerei verführend.

Müsste ich morgen früh zurückfahren, die fast sechshundert Kilometer nach Norderschauholm hätten sich längst gelohnt.

Platte, Bratkartoffelschüssel und Teller sind leer. Ich rutsche auf meinem Stuhl nach vorn, strecke meine Beine unter dem Tisch aus und lehne meinen Rücken so weit es geht nach hinten, um meinem Bauch die größtmögliche Ausdehnung zu ermöglichen. Mit einem langen »Puuh« versuche ich meine wohlige Schwere zu verbalisieren. Schon steht Stine vor mir.

»Ein‘n Nachschlag? Is noch genug da.«

»Puh.«

Stine räumt ab.

»Oder ein Nachtisch?«

»Schaff ich nicht mehr.«

»Dann aber‘n Köm.«

Woanders hätte man mir einen Kaffee angeboten. Die Variante ist mir im Moment viel lieber und ohne meine Antwort abzuwarten, geht Stine zur Theke, wo Jesper, der meine Bestellung gar nicht abwarten wollte, die mit Eisblumen verzierte Flasche mit gelbem Bommi in der Hand hält und ein Schnapsglas bis oben hin auffüllt.

Ohne, dass auch nur ein Tropfen verschüttet wird, gelangt der Aquavit gemeinsam mit einem weiteren Bier auf meinen Tisch. Der Bommi hat die richtige Kälte. Sämig läuft er in einem Zug langsam durch meine Kehle, bis er sich irgendwo in meinem Magen aufzulösen scheint.

Kaum mehr als Tropfen sind im Schnapsglas geblieben, die ich umständlich versuche, auf meine Zunge gelangen zu lassen. Ich lasse ihnen etwas Zeit, bis der nächste Schluck Bier ihr leicht brennendes Aroma neutralisieren darf.


Weiter mit Teil 4

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© Dirk Jürgensen – Veröffentlichungen des Textes und der Bilder, auch in Auszügen, nur mit ausdrücklicher Genehmigung des Autors.