Der große Pan ist tot!
Düsseldorf zwischen Machiavelli, Pan, Joachim Erwin, Dirk Elbers und Thomas Geisel
– Ein aktualisierendes Vorwort.
Der Tod des Düsseldorfer Oberbürgermeisters Joachim Erwin (CDU), den ich in meinem Artikel für das Online-Magazin Einseitig.info vom 27. Oktober 2007 trotz seiner damals bereits bekannten Erkrankung nicht vorhersehen konnte, macht seinen Titel „Der große Pan ist tot!“, besonders in Verbindung mit dem damals geführten Untertitel „Düsseldorf zwischen Machiavelli, Pan und Joachim Erwin“ heute missverständlich. Er bedarf einer Erklärung, wenngleich im Zusammenhang des Textes deutlich werden dürfte, dass ich OB Erwin keinesfalls als einen Pan, vielmehr als dessen Gegenspieler verstand und verstehe. Um diesem Missverständnis vorzubeugen, habe ich den Untertitel nun durch die Namen der ihm folgenden Stadtoberhäupter ergänzt, wenngleich sie im Text zu kurz kommen. Ihnen seien noch zu verfassende Betrachtung ihrer Amtszeiten gegönnt.
Am 20. Mai 2008 starb Joachim Erwin nach schwerer Krankheit. Bei aller und in meinen Augen berechtigter Kritik an seiner Interpretation politischer Tätigkeit starb er viel zu früh. Zu früh für einen Menschen, für seine Angehörigen, Freunde, für alle, die sich mit ihm verbunden fühlten, keine Frage. Er starb aber auch zu früh, um eine seriöse Aufarbeitung der Ergebnisse seiner Bürgermeisterschaft in der erforderlichen Härte durchführen zu können. Die in Kapitel I zu lesende Geschichte seiner Karriere, ist aus der Sichtweise eines (nicht seines) Wählers verfasst, zutiefst subjektiv. Natürlich werden Erwins Parteifreunde ein ganz anderen Blickwinkel einnehmen. Beobachtet man zudem die Foren und Leserbeiträge der örtlichen Presse aus den letzten Jahren, hat sich eine gewisse Verklärung breitgemacht. Seine während der Amtszeit oft angeprangerte Gutsherrenart wurde durch Charisma ersetzt, was kaum argumentativ zu korrigieren ist und natürlich auch damit zu tun hat, dass sein Nachfolger, der inzwischen abgewählte Dirk Elbers (CDU) Erwins Politik eher ungeschickt, wenngleich ebenso auf bloße Zufriedenstellung von Investoren fortführte.
Mit der diesjährigen Abwahl Dirk Elbers‘ und der Wahl von Thomas Geisel (SPD) regen sich leise Hoffnungen, dass sich der im Rathaus vorherrschende Politik- und Führungsstil und das mutigere Beachten von Bürgerinteressen endlich ändern könnte. Eine Hoffnung, die ich im Kapitel IV des Textes bereits hatte, jedoch aufgrund der unsere Demokratie so belastenden Lethargie der Wählerschaft, längst begraben musste. Das am Ende angesprochene Bürgerbegehren, für das die Initiatoren tatsächlich genug Unterschriften sammeln konnte, fand statt, war jedoch aufgrund mangelnder Beteiligung nicht von Erfolg gekrönt.
Die erhoffte Wiedergeburt Pans musste also auf einen unbestimmten Zeitpunkt verschoben werden. Angesichts der traurigen und teilweise auch wütenden Reaktionen vieler Düsseldorfer, wenn sie an den nun unter üblichen Umständen wohl nicht mehr zu verhindernden Abriss des ehemaligen Derendorfer Güterbahnhofgebäudes denken, hat sich daran auch heute noch nichts geändert. Dieses firmierte lange Jahre unter dem Namen „Les Halles“, beherbergte ein beliebtes, innen einem verwunschenen Schloss gleichendes Restaurant, das sich abends in eine Diskothek verwandelte und draußen einen lauschigen Biergaten bot (und bis zum Jahresende bietet). Es stand einst unter Denkmalschutz und diente den Immobilienvermarktern als Lockvogel für solvente Wohnungssuchende. So entstanden um das „Les Halles“ herum neue Luxus-Wohnblöcke, allesamt mit ebenfalls französisch klingenden . Die Bewohner werden bald nicht mehr wissen, warum das so ist. Obwohl. Was noch nicht abgerissen ist, kann noch erhalten werden. Man muss den Investoren nur den Appetit verderben, dann kann jeder Vertrag rückgängig gemacht werden. Gesichtsverlust ist kein gültiges Kriterium.
Mein nun folgender Artikel aus dem Jahr 2007 hat also seine Aktualität bewahrt:
Spukt in dem Stein der alte Glaubenswahn?
Und disputieren diese Marmorschemen?
Der Schreckensruf des wilden Waldgotts Pan
Wetteifernd wild mit Mosis Anathemen!
Oh, dieser Streit wird enden nimmermehr,
Stets wird die Wahrheit hadern mit dem Schönen,
Stets wird geschieden sein der Menschheit Heer
In zwei Partei’n: Barbaren und Hellenen.
[Heinrich Heine: Nachlese. Für die Mouche]
Kapitel I – Der stets Anwesende.
Als meine politische Wahrnehmung in den Siebzigern des vergangenen Jahrhunderts reifte, war sein Gesicht – es und er waren und sind nur knappe zehn Jahre älter als ich – bereits nahezu allgegenwärtig. Gefühltermaßen täglich fand ich im Lokalteil der Düsseldorfer Nachrichten meiner Eltern die wie überall lieblos geschossenen Fotos von Hundertjährigen, diamantenen Hochzeitspaaren, Menschen, die aufgrund irgendeiner besonderen kulturellen oder körperlichen Leistung den Dank der Stadt verdienten sowie Vertreter von Organisationen, die einen Schlüssel, einen Scheck oder einen warmen Händedruck überreicht bekamen. Im Mittelpunkt des Fotografeninteresses stand offensichtlich selten die zu beglückwünschende Person, sondern der hochrangige Vertreter der Stadt. Das war je nach gerade vorherrschender Wählergunst der Oberbürgermeister Josef Kürten für die CDU oder Klaus Bungert für die SPD. Öfters, wenn die Wertigkeit der anstehenden Gratulation in der städtischen Führungsebene etwas weniger hoch eingeschätzt wurde, schickte man gern den ständigen Nur-Bürgermeister und Vertreter der F.D.P. Bruno Recht zum Beweis seiner lokalpolitischen Präsenz ins Foto. Die gratulierenden Bürgermeister wechselten also, die meist etwas eingeschüchtert dreinblickenden Geehrten und die um sie herumstehenden Verwandten, Bekannten und Unbekannten ohnehin. Nur ein Gesicht, das Gesicht eines jungen Mannes, meist in die Kamera und nicht auf den Jubilar gerichtet und für einige Zeit namenlos, war auf jedem dieser Bilder deutlich zu erkennen. Ich weiß noch genau, wie mich diese Regelmäßigkeit, als sie mir endlich auffiel, stutzen ließ. Sah diese Person die Terminkalender der Repräsentanten der Landeshauptstadt ein? Handelte es sich um einen Angestellten der Stadt, einen Bürgermeister-Fahrer, einen Gehilfen, um denjenigen, der die Blümchen zu besorgen oder den Ablauf des Fototermins in der Rolle eines Regieassistenten vorzubereiten hatte? Auf jeden Fall war der Kerl einer, der voraussehen konnte, an welchem Ort und in welcher Sekunde der Fotograf den Auslöser seiner Kamera bedienen würde – und er war jemand, der dieses Können in voller Absicht als auch Regelmäßigkeit bewies und, wie zu erfahren war, eine Rolle in der Jungen Union Düsseldorfs spielte.
Als Woody Allen 1983 seinen Film Zelig herausbrachte, wurde ich an diese geheimnisvolle Person erinnert, denn auch sein Titelheld war einer, der es mit unvorstellbarem Geschick – diesmal nicht auf den Lokalteil begrenzt – auf die Presseaufnahmen großer weltpolitischer Ereignisse brachte. Woody Allen begründete die Fähigkeit des Leonard Zelig mit einer Neurose, die im weiten Feld zwischen historischer Persönlichkeitsstörung (dem ständigen Wunsch, im Mittelpunkt zu stehen) und Opportunismus (dem Streben nach Anpassung, um einen Vorteil, auch die Zuneigung anderer daraus zu ziehen) siedelte. Der Düsseldorfer, der reale Zelig, war im Gegensatz zur Filmversion nicht mit der Fähigkeit ausgestattet und auch nicht der Absicht, die Persönlichkeit der jeweilig abgelichteten Hauptperson zu adaptieren. Nein, ihm ging es, wie ich heute vermuten kann, eher um eine Spätwirkung, um die einst unvermeidliche Übernahme des Amtes an ihrer statt und nach eigenen Vorstellungen. Wenigstens als Zwischenziel. Ob nun die große Magie der Bilder, darin die Nähe zu den gewünschten Vorgängern, oder schlicht die Allgegenwärtigkeit und damit die Gewöhnung der den Lokalteil lesenden Wählerinnen und Wähler an das eigene Gesicht zielstrebig überlegt, gewollt oder sich mehr oder weniger zufällig intuitiv erfolgreich ereignet hat, bedarf noch einer fachlich korrekten Deutung.
Kapitel II – Der große Pan ist tot!
Der große Pan ist tot! Pan und das arkadische Personal. So heißt eine noch bis zum 9. Dezember 2007 zu besuchende Ausstellung im Düsseldorfer Schloss Benrath. Ob die heutige Landeshauptstadt Nordrhein-Westfalens jemals das sagenumwobene Arkadien darstellte, aus dem der zur Wollust neigende Gott der Hirten, des Waldes und der Natur einst vertrieben wurde, ist zumindest umstritten. Derzeit versucht ihn die Mehrheit des Stadtrates unter der strengen Führung des Oberbürgermeisters – und Duldung oder Ignoranz der eben erwähnten Ausstellung in ihrer adäquaten Umgebung zwischen Barock und Klassizismus – auch beileibe nicht zu reanimieren. Es werden in fehlverstandener Angst vor Provinzialität, wie in jeder Stadt ab mittlerer Größe, Arkaden gebaut. Welche, die, eine gewisse Klassik oder schlichte Amerika-Adaption vorgaukelnd, mit einem „c“ buchstabiert, nur eine orthographische Nähe zu ihrer Namenswurzel haben. Kein Arkadien und auch keine Rundbögen, die diesem unkontrollierbaren, diesem Gott des Genusses und der Ausschweifung gefallen könnte. Nicht einmal die. Pan ist nicht der Gott der Ordnungsliebe, der Raster und der Kontrolle und Absehbarkeit. Wer sein Leben nur nach ökonomischen Kriterien, nach strengen Regeln richtet und Emotionen anderer fürchtet, wird sich auch vor ihm fürchten. Und so ist aktuelle Stadtentwicklung in Düsseldorf „anti-panisch“.
Es werden Örtlichkeiten, die den leichten Geruch von kreativer Subkultur, also positiver (im Sinne eines vor vielen Jahren von Udo Lindenberg geprägten Begriffes der) Panik, bekämpft und mit klotzigen Profanbauten samt inzwischen gewöhnlich gläserner oder krampfhaft feiner, steinerner Optik zugestellt. Das, was urbaner Lebensqualität dient, das, was groß- oder gar weltstädtischem Flair entspricht, was der von Napoleon ins Spiel gebrachten Schmeichelei eines „Klein-Paris“ recht nahe kommt, zum Beispiel ein Trödelmarkt in einem alten, zentral gelegenen Güterbahnhof, wurde abgerissen. Und eine grüne Oase, eine in weiter Umgebung berühmte und inzwischen in Hamburg, Köln und sonstwo kopierte Strandbar auf einer Halbinsel im Rheinhafen, ein ungewohnt generationsübergreifend beliebtes Kontrastmittel inmitten hypermodern-kühler Medienhafenumgebung galt als unangemessen, als nicht geeignet und das Grundstück nicht zuletzt als verkaufenswert. Dort, wo Urbanität im Kleinen, im zugegeben manchmal schmuddeligen Hinterhof, im Gemütlichen, im Unverwechselbaren und von den Bürgern der Stadt Geprägtem blüht, ist noch Platz für einen Glaspalast. Spätestens nach dem Abriss. Unser Dorf soll schöner werden! Was heißt schon „schöner“?
Inmitten Düsseldorfs gibt es einen fast 28 Hektar großen Park, den Hofgarten. Dieser ist Deutschlands erster und ältester Volksgarten und prägt bis in die heutige Zeit den Ruf der Stadt als eine etwas grünere, etwas weniger als andere von Nachkriegsbausünden verschandelte Stadt. Sieht man Luftbilder der Stadt, oder, was viel wahrscheinlicher ist, steht man am Ende der Königsallee, geht man am Schauspielhaus vorbei, kommt man aus der lärmenden Altstadt oder steht auf dem Knotenpunkt Öffentlicher Verkehrsmittel, dem Jan-Wellem-Platz, könnte man den Eindruck gewinnen, Pan hätte in Düsseldorf doch noch eine kleine Chance gehabt. Denn welche Stadt in der Größe Düsseldorf leistet sich in ihrer geographischen, wie ökonomischen Mitte einen solchen Park?
Kapitel III – Von der Anwesenheit zur Macht.
Der stets Anwesende, das ständig wiederkehrende Fotogesicht vergangener Tage hat sein Ziel erreicht und ist nach einer kurzen Nachrückerepisode im nordrhein-westfälischen Landtag seit 1999 Oberbürgermeister Düsseldorfs. Er und es sind Joachim Erwin. Erwin übernahm von seiner Vorgängerin Marie-Luise Smeets einen in seiner Konsolidierung weit fortgeschrittenen Haushalt und den in Plänen bereits fertigen Medienhafen, was er beides angesichts einer kaum wahrzunehmenden Opposition als eigene Erfolge darzustellen wusse. So, wie er sicher gerne hätte, dass die städtebauliche Errungenschaft namens Rheinufertunnel und -Promenade auf seinem Mist gewachsen wäre. Bei einigen Wählern ist dieser Wunsch bereits als Glaube angekommen.
Ab und an kamen fragwürdig in monarchistischer Weise durchgezogene Personalentscheidungen in die Presse, wie sein Handeln je nach politischer Couleur als rigoros und erfolgreich oder unverschämt und egozentrisch angesehen wird. Immer, so scheint es, ist Ergebenheit ein wichtiges Karrierekriterium, eine Kernkompetenz.
Erwin beschleunigte die seit dem 12. September 2007 nunmehr vorliegende Schuldenfreiheit seiner Stadt – mehr seiner als unserer, so lästern zunehmend viele Bürger – durch den Verkauf einigen Tafelsilbers, das beispielsweise aus der Mehrheitsbeteiligung an den Stadtwerken, aus nicht geringen Anteilen der RWE und einigem Grund und Boden bestand. Ob nun noch genügend Sicherheiten für schlechtere Zeiten vorhanden sind? Das fragen nicht nur die, die im Satz zuvor schon lästerten.
Der Abriss des Rheinstadions und der Neubau einer Arena neueren Modells als Heimstatt der leider längst nicht erstklassigen Fortuna, mitsamt der fehlgeschlagenen Bewerbungen für Olympia und Fußballweltmeisterschaft, der Bau einer riesigen Multifunktionshalle, für die die Anhänger der DEG aus unerfindlichen Gründen ihren Kult um den Brehmplatz vergessen sollten, die Errichtung eines klobigen Einkaufszentrums für die üblichen Handelsketten jeden Einkaufszentrums inmitten des eigentlich lebenswerten Stadtteiles Bilk, dort, wo das Quartier etwas Liebenswürdigkeit vertragen hätte, wurden Bürger- und Händlerproteste mit einem kleinen Schwimmbad erkauft. Der Investor – das Zauberwort in der Kommunalpolitik dieser Tage – hat sich längst zurückgezogen, ist nur noch Verwalter, hat an einen weiteren Investor verkauft. Wahrscheinlich ist es besser, dem Risiko auf diesem Wege zu entgehen. Schließlich warb man in Bilk damit, Kaufkraft aus dem nicht fernen Neuss über den Rhein nach Düsseldorf zu ziehen. Als nun der Bau in Düsseldorf begann, wurde bekannt, das ebendieser Investor nun im Zentrum von Neuss ein ebensolches Kettenarcadenzentrum baut, um die Kaufkraft Düsseldorfs über den Rhein und die Bürger an beiden Stränden über den Tisch zu ziehen.
(Düsseldorf Arcaden from Magnus Jürgensen on Vimeo.)
Und weh, die Bürger begehrten auf. Ein Bürgerbegehren gegen den Stadtwerkeverkauf wurde zeitlich ausgetrickst, das gegen die Planung der eben beschriebenen Mall als unzulässig erklärt. Ebenso und recht fadenscheinig wurde ein Bürgerbegehren gegen den Erweiterungsbau einer Versicherung hautnah am alten Golzheimer Friedhof vor einer Entscheidung über den Einspruch der Bürger abgeledert – in trauter Zweisamkeit des Oberbürgermeisters mit der Fraktionschefin Marie-Agnes Strack-Zimmermann aus der ewigen Züngleinpartei F.D.P. mittels eines Eilverkaufs.
Eile war wirklich geboten, denn die böse, seltsamerweise aus CDU und F.D.P. bestehende Landesregierung schob nur wenige Stunden später einem solchen Gebaren den Riegel vor.
Der Stadtrat hatte den Kaufvertrag, es wird gemunkelt, es hätte sich um eine leicht veränderte Version gehandelt, nur noch durchzunicken. Immer mehr Informationen dringen an die Öffentlichkeit, die das seltsame Demokratieverständnis des Oberbürgermeisters nachzeichnen. Besonders die Mitglieder und Ratsmitglieder der F.D.P. sollten einmal in sich kehren und überlegen, was es wert ist, wenn die Zahl der Bürgerinnen und Bürger, die eine Protestunterschrift gegen den Verkauf städtischen Eigentums und gegen eine ihrer Meinung nach rücksichtslose Bauplanung abgeben, größer ist als die Ihrer Wählerstimmen bei der letzten Kommunalwahl!
Zahlreiche weitere Beispiele lokalen Politikgeschehens und gerade auch des erwinschen Demokratieverständnisses, gleich kommt nur noch eines, sind der Tagespresse, ihren Archiven und aktuellen Ausgaben zu entnehmen. Fast täglich kommt Neues hinzu.
Kapitel IV – Machiavelli und das Aufbegehren des arkadischen Personals.
Der große Pan ist tot! Das erwähnte ich bereits. Und Joachim Erwin scheint Machiavelli gelesen zu haben. Bis zu einem Punkte jedenfalls. Und was hat das miteinander zu tun? Wir werden sehen.
Joachim Erwin ist von seinem rechtmäßigen Handeln überzeugt. Moral ist sentimental, ist hinderlich. So ist er im machiavellischen Geiste dabei, seine Aufgabe zum Wohle des Gemeinwesens um jeden Preis zu erfüllen. Er fühlt sich, nein er ist stets von Menschen umgeben, die schlecht und unmoralisch sind, womöglich Personalentscheidungen, die er für richtig hält anzweifeln. So ist es für ihn absolut richtig und sollte jedem verständlich sein, dass, wenn der von ihm auserwählte Kandidat – sagen wir einmal – für den Posten des Umweltdezernenten in geheimer Abstimmung unterliegt (anders als in geheimer Abstimmung hätten sich nicht genügend Ratsmitglieder getraut), es für ihn ein Fehler im demokratischen System ist. Auch Niederlagen gehören dazu, wenn Gegner sie einzustecken haben. Nur dann. Er zweifelt eine ihm nicht passende Mehrheit an, gratuliert der Gewinnerin der Abstimmung, Helga Stulgies, zu allerletzt, erinnert sich noch während der Sitzung des Rates nicht an ihren Namen und erklärt der Rheinischen Post nur kurze Zeit darauf: „Wir müssen mal schauen, was wir mit der Dame anfangen können.“
Widerspruch, selten erlebt er ihn in eigenen Reihen, Widerspruch ist Unordnung – für ihn. Subkultur, in Düsseldorf ein ohnehin kümmerliches Pflänzlein, bedeutet Unordnung. Unordnung – auch könnte man „Chaos“ sagen, ist der Feind des Opportunisten, wie des Machtmenschen, des von sich Überzeugten. Sie könnte seinem System der Macht gefährlich werden, Panik auslösen. Pan, der Gott der Unordnung im Gewirr einer übergeordneten, niemals vollends durchschaubarer, natürlichen Ordnung. Machiavelli hilft dem Mächtigen, beim Überwinden seiner Panik in seinem „panischen“ Reich Arkadien, dieser ist nur mit Einschüchterung, mit Rücksichtslosigkeit zu begegnen. Da der „Fürst“, wenn er es sich auch wünschte, nicht geliebt und gefürchtet zugleich werden kann, zieht er es vor, dem Volke das Fürchten zu lehren. Er nimmt den Kampf gegen das Volk und dessen falsche Götter auf und hat die Wahl der Waffen.
Hier muss ich mich bremsen. Denn es fällt mir im Grunde verdammt schwer, den schlichten Oberbürgermeister einer deutschen Großstadt im Kampfe mit klassischen Göttern unter Zuhilfenahme eines Gelehrten aus der Zeit der Renaissance darzustellen. Zu hoch könnte ein solcher seinen von mir verliehenen Rang verstehen.
Doch macht das Spiel auch Spaß. Und ist ein Oberbürgermeister der Spitzenmanager einer Kommune, so ist er durchaus vergleichbar mit einem solchen in der sogenannten freien Wirtschaft. Auch das ist ein Feld der Machtbegierigen und Egozentriker, die die Institutionalisierung des und der Anderen, des Systems, den Regeln des Marktes und der Politik betreiben. Der Mensch, seine – von oberer Warte herabgesehen – niederen Bedürfnisse, die Grausamkeiten, die im Unternehmen und Staatsgefüge ihm gegenüber notwendig erscheinen, die kurz und heftig, weil bald vergessen, ausfallen sollen und das ewige Kämpfen gegen vermeintlich und tatsächlich übermächtige Gegner, die für ein Alpha-Menschchen nur noch Götter sein können, verlangen nach Verwendung klassischer Motive. Und Pan, seine Bocksbeine schob man in katholischeren Zeiten dem Teufel zu, gibt denen einen guten Widerpart, die sich der modernen Kaste des Managements zugehörig fühlen und als Sauberfrauen und -männer über Ökonomie, Ratio, Politik, Kultur mit etwas Extravaganz und einem bisschen Tradition bestimmen möchten, als unterläge alles einer gemeinsamen und daher einfachen Logik. Sollten sich Kritiker finden, oder gar Menschen mit einem ganz anderen Vorstellungen und Ideen bezüglich ihrer Stadt, werden gern als ewiggestrig, provinziell und die Tatsachen verkennend bezeichnet. Der Hang zu städtischer Überordnung, zu akkuraten Glasfassaden, in Tunneln versteckten Straßen und überdachten Einkaufsmeilen, deren Anblick nicht verwechselbar, kühl und unpersönlich genug sein kann, muß derart abgeschmettert eine Fatamorgana sein, die die Bürger nahezu aller Städte gleichzeitig wahrnehmen.
Doch zurück zu Machiavelli. Und hin zu dessen Warnung. Und hin zu einer Gefahr, die Joachim Erwin noch zu unterschätzen scheint. (Da ich davon ausgehe, dass dieser diesen Text nie lesen wird, kann ich sie nun ausplaudern.)
Ein großes Streben des Oberbürgermeisters betrifft das immer häufiger realisierte Verkaufen öffentlichen Eigentums. Man könnte meinen, die Stadt konsolidiere sich zu Tode. Bis nichts mehr da ist. Gebäude um Gebäude wie Freiraum wird verkauft. Dort, wo der Verkauf, der damit meist einhergehende Abriss, von den Bürgern geduldet werden soll, lässt man das Objekt zuvor verkommen. Bis man einhellig sagt, es handele sich doch nur um einen Schandfleck, der könne gut und gern verschwinden. So läuft es mit dem unter Denkmalschutz stehenden Tausendfüßler, einer im ersten Sinne schnöden Hochstraße zwar, doch auch ein seltenes Beispiel gelungener Betonbaukunst, dem man seit Jahren einen Anstrich verweigert, damit er unansehnlich und zum Störenfried für sauberkeitsliebende Bürger wird. Und so geht es dem Jan-Wellem-Platz, den ich bereits ein gutes Stück weiter oben erwähnen durfte, dessen Fläche schon lange ungepflegt bleibt: Beschädigte Gehwegplatten werden herausgenommen und die entstehenden Lücken lieblos mit Asphalt ausgegossen. Zum Schandfleck macht man ihn, könnte ihn ohne viel Aufwand ansprechend neu gestalten, verweigert ihm wie den Bürgern die kreativen Gedanken im Sinne seiner idealen Nutzung. Doch das hat seinen Grund.
Als Joachim Erwin aufgrund einer schweren Erkrankung (ich komme ganz zum Schluss kurz darauf zu sprechen) im Krankenhaus lag, meldete die hiesige Boulevardzeitung mit großen Lettern, der Investor – hier haben wir wieder dieses Zauberwort – sei dort. Der Fürst ist sogar im Krankenbett zum Wohle seiner Regentschaft tätig. Eine Bank, eine Privatbank mit überschaubarer Kundenschar, jedoch umso unüberschaubarer monetärer Ausstattung, würde den Jan-Wellem-Platz kaufen wollen. Und für das Geld könne (und müsse) man einige umliegende Straßen in Tunnel verbannen, hinterher (endlich!) auch den Tausendfüßer abreißen und überhaupt auch die Königsallee (ein rechtwinkliger Straßenzug) mit einem Bogen, dem sogenannten Köbogen oberirdisch mit dem Hofgarten verbinden. So jubelte die Presse – nicht nur die des Boulevards – allgemein.
Etwas später stellte die Stadt eine Animation ins Netz, die kurz darauf wieder herausgenommen wurde, weil zahlreiche Bürger Protest einlegten. Zu sehen war nämlich ein riesiger, 28 Meter hoher Gebäudekomplex mit 40.000 Quadratmetern Geschossfläche, der den bisherigen Platz bis auf den letzten Zentimeter überdecken und so dicht an den denkmalgeschützten Park heranrücken sollte, dass von einer erheblichen Beeinträchtigung zu sprechen war. Sichtlinien in Richtung Park, in Richtung Dreischeiben- und Schauspielhaus waren nicht mehr vorhanden, der Tausendfüßler verschwunden. Neue zugige, windige Schluchten. Düsseldorf sollte offensichtlich ein neues, jedoch sehr verwechselbares Gesicht einer 08/15-Großstadt erhalten. Auch vom angekündigten Köbogen blieb nicht viel übrig, stellte man sich einmal auf die Königsallee, vor den Corneliusplatz an ihrem Ende, blickte dorthin, wo man derzeit noch einen recht weiten Blickwinkel zum Hofgarten hat und, stellte man sich sofort eine starke Einengung vor, dort, wo demnächst die Bank stehen sollte. Der Scheuklappenblick konnte auch nicht erweitert werden, indem man die kreuzende Straße in einem Tunnel verschwinden ließ.
Der Pöbel, der Mob – so werden es der Empfänger der kritischen Post empfinden – das arkadische Personal, dem Pan hörig, begann aufzubegehren. Es gründete sich ein von verschiedensten Organisationen getragenes „Forum-Köbogen“, Protestbriefe wurden an den Oberbürgermeister adressiert. Es folgte keine Reaktion. Stattdessen, man wollte die Nörgler ruhigstellen, veranstaltete die Stadt – nein, keinen Wettbewerb, denn dieser würde wieder zuviel Durcheinander, zuviel Chaos, Panik verursachen – eine kleine Befragungsaktion.
Dazu stellte man, finanziert durch die interessierte Bank, ein Zelt auf, in dem drei Fassadenvorschläge präsentiert und der Bewertung durch die Bürger auf eng umrissenen Fragebögen überlassen wurden. Überlassen ist verkehrt. Die Bögen durfte man nicht mitnehmen. Ich selbst habe es probiert. Man sagte mir, man könne die Fragen nach der Auswertung im Internet nachlesen … Und Platz für Kritik am Gesamtplan war nicht vorgesehen. Ich habe nachgefragt und nach dieser Aussage meine Teilnahme verweigert.
Jedoch fielen eine ganze Reihe Menschen auf diese Placebo-Mistsprache herein und wurden aufgrund ihrer Wahl des kleineren Übels als Befürworter gezählt. Das Ergebnis, welche Fassade nun das kleinste Übel bedeutete, ist schon allein aufgrund des Verfahrens unerheblich.
Bürger fühlen sich übergangen. Das Wort vom „Die machen ja doch, was sie wollen.“ Jene Platitüde der Politikverdrossenheit ist immer häufiger zu hören. Aber auch der Zorn. „Jetzt ist Schluss!“ „Jetzt muss dem Oberbürgermeister endlich einmal gezeigt werden, wer der Souverän ist!“ „Der Erwin glaubt er sei der Fürst von Düsseldorf.“ Solche und viel ungehobeltere Dinge müssen sich die Vertreter der Bürgerinitiative für das Bürgerbegehren „Der Jan-Wellem-Platz gehört uns allen!“ beim Sammeln ihrer Unterschriften anhören. Sie wollen den Verkauf des Platzes verhindern, um dann eine Planung des weiteren Umfeldes mit öffentlicher Beteiligung möglich zu machen. Meinungsvielfalt, ein – gerne internationaler – Ideenwettbewerb, Chaos, Panik – Kreativität und nicht zu aller erst der Ruf nach einem Investor. Das könnte ein Ansatz sein, der Düsseldorf noch liebenswerter machen kann.
Der große Pan ist zwar tot! Doch das arkadische Personal fängt mit seiner Arbeit an.
Der Zorn der Bürger nimmt mit jedem Bericht über das Vorgehen des Oberbürgermeisters in seinem Rathaus zu. Er sollte lieber doch noch einmal in seinem Machiavelli nachlesen, denn auch dieser warnt davor, den Rückhalt im Volke dadurch zu verlieren, dass es den Fürsten hasst. Und nicht zuletzt sollte er nicht das Eigentum seiner Untertanen berühren. – Diesen Fehler, den hat Erwin trotz all seiner List längst begangen.
Kapitel IV – Wozu das alles?
Joachim Erwin ist ein schwerkranker Mann. Der Umgang mit seiner Krebserkrankung ist ebenso bewundernswert wie beängstigend. Bewundernswert, weil sein gezeichneter Körper eine ungeheure Kraft zur weiteren Ausübung seines Amtes entwickelt und aus eben diesem Grunde auch beängstigend. Gibt es nicht wichtigere Dinge als eine berufliche Position, als ein Amt? Ich fürchte, er hängt an seiner insgesamt kleinen, aber für Düsseldorf großen Macht. Ich habe ihn bei keiner Kommunalwahl gewählt und werde ihn auch zukünftig nicht wählen. Jedoch verursachen bereits von verschiedenen Menschen gehörte Vermutungen, wie „Die Macht hält diesen Mann am Leben“, mir ein mulmiges Gefühl. Ich hoffe, dass solche Aussagen auf individuelle Fehleinschätzungen beruhen und ich hoffe, dass ihm noch viele schöne Jahre im Kreise seiner Familie bleiben. Sein Gesicht darf dann meinetwegen wie damals immer wieder im Lokalteil auftauchen. Als erfolgreicher Seniorensportler, als Jubilar, als Hundertjähriger – aber nicht als Oberbürgermeister.
Hoffentlich ist bis dahin noch etwas vom städtischen, öffentlichen und gemeinen Eigentum und von der unverwechselbaren Ansicht Düsseldorfs vorhanden. Damit sich das Regieren für die Nachfolgerin oder den Nachfolger lohnt. Und Investoren, mein Hoffen kennt kaum noch Grenzen, werden dann geladen, wenn sie der Stadt und den Bürgerinnen und Bürgern dienlich sind, nicht umgekehrt.
Der große Pan ist tot! Leider.
Jetzt, da ich diese Zeilen fertigstelle, liegt Joachim Erwin zum Auskurieren einer Lungenentzündung im Krankenhaus – und es gibt winzige Anzeichen, dass die Ratsmitglieder (sogar auch die der CDU) während seiner Abwesenheit etwas Mut schöpfen. Sie verweigern dem Oberbürgermeister zum Beispiel eine Mehrheit zum Verkauf der im öffentlichen Eigentum befindlichen Rheinbahn und, was eher als überholender Übereifer zu werten ist, sie stimmen im Verkehrsausschuss mehrheitlich für einen verlängerten Tunnelbau im Rahmen des Köbogen-Projektes, den selbst Erwin für viel zu teuer hält. Doch nicht zu früh gefreut! Jener wird sich trotz des teuren Tunnels darüber freuen, dass damit auch das Baudenkmal „Tausendfüßler“ fallen soll. Das ist ihm längst ein Dorn im Auge, obwohl es neben seiner ästhetischen Qualität eine zuverlässig funktionierende Straßenverkehrslösung darstellt. Und die größte Freude wird die sein, dass SEINE Ratsmehrheit (CDU und F.D.P.) mit diesem Abstimmungsergebnis die Argumente SEINER engagierten Bürger und deren munteres Sammeln von Unterschriften für ihr Bürgerbegehren gegen die offensive Verkaufspolitik und ihrem Mitsprachewunsch bei derart bedeutender Planung beflissentlich ignoriert. Zeit als Machtspiel. Eile vor Recht. Ratsmehrheit vor Einsicht.
Noch konnte die Panik nicht bis ins Rathaus vordringen.
Es war eben in der Allee des Hofgartens zu Düsseldorf. Als ich mich durch das gaffende Volk drängte, dachte ich an die Taten und Schlachten, die mir Monsieur Le Grand vorgetrommelt hatte, mein Herz schlug den Generalmarsch – und dennoch dachte ich zu gleicher Zeit an die Polizeiverordnung, daß man bei fünf Taler Strafe nicht mitten durch die Allee reiten dürfe. Und der Kaiser mit seinem Gefolge ritt mitten durch die Allee, die schauernden Bäume beugten sich vorwärts, wo er vorbeikam, die Sonnenstrahlen zitterten furchtsam neugierig durch das grüne Laub, und am blauen Himmel oben schwamm sichtbar ein goldner Stern.
[Heinrich Heine: Reisebilder. Zweiter Teil]