Laid Back – Zur Erinnerung an den großen J. J. Cale
Dreißig Jahre unter dem Einfluss von „Cocaine“
(Mein Beitrag aus dem inzwischen leider eingestellten Online-Magazin Einseitig.info vom 1.8.2006)
Mit den Schätzen meiner Schallplattensammlung (die CDs reihen sich nur beschwerlich dort ein) geht es mir ähnlich wie mit alten, guten Freunden. Ich verliere sie aus den Augen. Manchmal für eine lange Reihe von Jahren. Und plötzlich tauchen sie wieder auf, sind präsenter als je zuvor. Tatsächlich – oder viel öfter in ihren mehr oder weniger zufälligen Spiegelbildern in der Gegenwart.
Ein solcher Schatz, ein solcher Freund – der zugegebenermaßen einseitigen Art – ist J.J. Cale und seine Spiegelbilder tragen die unterschiedlichsten Namen.
Als ich mir 1974 sechzehnjährig kurz nach dem Erscheinen Eric Claptons „Ocean Boulevard 461“ kaufte und seine Coverversion Bob Marleys „I Shot the Sheriff“ ein Hit auf jeder Kellerparty war, wusste ich noch nicht, an wessen Sound Clapton dieses Album ganz bewusst angelehnt hatte. Er begründete mit der Verbreitung des Songs zwar Marleys Ruhm in der Welt, doch er vertrat mit dem kompletten Album den Stil eines anderen. Dieser Stil sollte später den Namen „Laid Back“ erhalten. Die Zusammenhänge blieben mir damals verborgen. Ebenso erschien mir das „After Midnight“ seiner ersten Soloscheibe als echter Clapton. Aber wer liest schon das Kleingedruckte? Zudem gehörte Clapton immer in meine ganz persönliche Allstar-Band neben anderen Helden der frühen Siebziger.
Erst ein Schulkamerad brachte mich darauf, einmal in das Original eines gewissen J.J. Cale hineinzuhören. Man kam beim Besuch der einschlägigen Plattenläden seinerzeit zwar kaum an dem putzigen Cover mit dem Dachs vorbei, dennoch hatte ich zuvor immer an seinem ersten Album „Naturally“ von 1970 vorbeigeblättert. Es sollte ein Fehler gewesen sein, den ich mit leichter Verspätung für ungefähr zehn oder zwölf Mark behob.
Zuhause angekommen, fürchtete ich demnächst einen neuen Diamanten für meinen Plattenspieler besorgen zu müssen, denn zwischen all dem kräftigen, gitarrenkreischenden und orgeldröhnenden, experimentellen und bombastischen Rock der „Supergruppen“, den ich in dieser Zeit hörte, war der Klang von „Naturally“ als mutig minimalistisch zu bezeichnen. Wie in einer kleinen Schachtel produziert, flüsterte, erzählte eine weniger singende als sprechende Stimme kurze Geschichten zu einer aufreizend lässig gespielten Gitarre. Was war das für eine Musik? Country, befreit von seinem Kitsch, Blues, irgendwie unbeschwert, leichtes Anklingen von swingendem Jazz, ein kleines Bißchen Boogie, immer dezent, nie aufdringlich, eine bescheidene und dennoch nicht zum Hintergrundgedudel verkommene Mixtur? Genau das! Und die darauf folgenden und schnell hinzugekauften Alben „Really“ (1972), „Okie“ (1974) taten es ihm – wie auch die Mythen, die sich um den freiwillig unauffälligen Musiker rankten – gleich.
Es hieß damals, J.J. Cale führe nur mit dem Wohnmobil durch Amerika und nähme, wenn er denn mal wieder knapp bei Kasse sei, in irgendeinem Studio, mit irgendwelchen dort angetroffenen Musikern eine Platte auf. Und mit allen Abstrichen, die die Realität der Beurteilung von Mythen leider oder zum Glück immer wieder abverlangt, stimmte vom Anti-Star-Mythos, wie sich später herausstellen sollte, erstaunlich viel!
Lange hat er sich geweigert, zu viel von seinem Privaten preiszugeben. Erst der 2005 erschienene, sehr empfehlenswerte, Dokumentarfilm von Jörg Bundschuh rückt ihm etwas näher auf die Pelle und begleitet ihn auf Konzerte vor 150 Leuten und vor Tausenden während des von Eric Clapton initiierten Crossroad-Festivals, bei dem Cale mit einer minutenlangen Einleitung zu „After Midnight“ ein riesiges Fragezeichen in Claptons Gesicht erzeugen konnte. Minutenlang spielte J.J. Cale die Einleitung zu dem von Eric Clapton unzählige Male gespielten Song, bis dieser ihn dann endlich erkannte.
Eric Clapton bedeutete eine wichtige Wegmarke in J.J. Cales Leben. Es muß ungefähr im Jahre 1976 gewesen sein, als Clapton die Single des Song „Cocaine“ zugespielt wurde. wie Cale selbst im eben erwähnten Dokumentarfilm erzählt. Dieser war von Cale ursprünglich in einer Art Cocktail-Bar-Version vorgesehen, was der damalige Produzent jedoch in dessen Einvernehmen verwarf. Bei J.J. Cale selbst erschien „Cocaine“, von den internationalen Hitparaden recht unbemerkt, auf der LP „Toubadour“ (1976), um sich später von Claptons „Slowhand“ (1977) aus, in einen Welthit zu verwandeln. J.J. Cale kam der Erfolg der auffallend ähnlichen, nur etwas rockigeren Coverversion recht. Die eingehenden Autorentantiemen erlaubten es ihm, auch weiterhin kein Star werden zu müssen.
Ebenso paßt Cales Anekdote ins Bild seiner kunstvollen Vermeidung des eigenen Ruhms, die er uns im eben erwähnten Film vorträgt: Der Song „Crazy Mama“ erreichte immerhin den 22. Platz der Charts. J.J. Cale wurde daraufhin eingeladen, ihn der „Dick Clark American Bandstand“ zu präsentieren. Das bedeutete üblicherweise das schnelle Erreichen der Top Ten. Cale war begeistert und wollte samt Band sofort anreisen. Ihm wurde daraufhin jedoch erklärt, er brauche nicht mehr zu tun, als während der Show nur die Lippen zum Playback zu bewegen. Er aber nannte das „unecht und krank“, Daraufhin machte man ihm deutlich, „einen wie ihn nicht brauchen“ zu können. In der Folgewoche stürzten die Verkaufszahlen der „Crazy Mama“ in den Keller. Sein Kommentar dazu: „Mir war das egal. – Playback ist ok. Ich weiß, wozu sie es tun. Aber wißt ihr, ich bin Musiker und kein Schauspieler.“
1978 erschien die LP einer englischen Band, von der Kritik gelobt, wie kaum eine andere. Die Band hieß „Dire Straits“ und ihr damals auffälligster Hit „Sultans of Swing“. Neben der Band im Allgemeinen lobten die Kritiker im Speziellen das innovative Gitarrenspiel eines gewissen Mark Knopfler. Da die Radiosendungen immer mehr mit schmalzigen und zur Unkenntlichkeit hochproduzierten Disko-Schlagern verstopft wurden, die den Rock in irgendwelche Nischen drängten, hielt ich diesen Erfolg für absolut erfreulich. Doch brachte er mich dazu, wieder die Scheiben des J.J. Cale hervorzukramen. Er bot die Vorlagen zu dem, was Knopfler in technisch brillanter Weise übernahm. Mir war Knopflers Stil sehr bald zu Perfekt, denn Perfektion kann nur so lange begeistern, bis man die Seele vermißt.
Etwas später, im Jahr 1979 erschien J.J. Cales LP „5“, 1981 „Shades“ und 1982 „Grasshopper“. Alle Scheiben bedeuten Kontinuität. Ich sage gerne und immer wieder, J.J. Cale ist einer der wenigen Musiker, denen ich verzeihe, immer das Gleiche zu machen, mich gewissermaßen „langweilen“. Selbstverständlich gehe ich mit dieser Aussage die Gefahr ein, mißverstanden zu werden und vor allem ungerecht zu klingen. Selbstverständlich meine ich jene angenehme Langeweile, die nur der Gelassene verspürt. Selbstverständlich hat jeder einzelne seiner Songs einen eigenen Charme. Überraschungen warten auf ihre Entdeckung, springen nicht sofort ins Ohr. Die unterschiedlichsten Stile werden verarbeitet, doch Cale bleibt immer Herr im Haus, regiert unbemerkt. Er ist einer, der bewußt die zweite Reihe wählt, der, wie Günter Netzer sagen würde, das Mannschaftsspiel kultiviert hat. Der Gesang erhält gemeinsam mit dem Gitarrenspiel „laid back“ seine relaxte Wirkung, indem er nicht wesentlich lauter als seine Begleiter, einen Deut hinter dem Takt bleibt – in zweiter Reihe also auch hier. Sogar seinen Vornamen John gab er zugunsten des Namensvetters von „Velvet Underground“ her. Dieser John Cale war eben etwas eher berühmt. Das „J.J“, wie ihn ein Veranstalter kurzerhand auf einem Plakat nannte, war wohl kein allzu großes Opfer. Sonst hätte er sicher den Auftritt abgesagt – aber ein Streit um den ersten Rang hätte außerdem wohl zuviel Aufsehen jenseits der Musik erregt. Die Zeit, jedes Lied, gibt ihm Recht. Ihm, der seinen Ehrgeiz immer zügeln konnte und kann, die Musik und das angenehme Leben stets vor den Erfolg stellt. Ein Glückskind, zumindest im Sinne der Musik und der erwünschen Karriere.
J.J. Cale brachte in immer lockerer werdender Folge neue Platten heraus, schrieb immer neue Lieder, die niemals länger als eine Single aus der Rock´n´Roll-Ära seiner musikalischen Anfänge dauern. Alle paar Jahre wurde ich von dem, was an Neuen unterschiedlichster Musiker erschien, an ihn erinnert. Ab und an wurde er gecovert, was seinem Ego nach eigener Aussage auf die Sprünge half, doch viel häufiger waren die indirekten Einflüsse zu vernehmen. Ob die Akzeptanz der Einflüsse den jeweiligen Künstlern immer vorliegt, vermag ich nicht zu beurteilen. Manchmal kann ein Bezug zufällig entstehen, vom Konsumenten, also mir, mit Hilfe seines Wunschdenkens, seiner Vorlieben und Abneigungen hineininterpretiert werden. Ein natürliches, etwas wunderliches Unterfangen, das der langjährige Tastenmann Cales im Film Jörg Bundschuhs so beschreibt: „Verglichen mit anderen großen Musikern hat Cale einen relativ einfachen Stil, aber wenn dieser Stil auf andere große Musiker trifft, dann beginnen sie wie John Cale zu spielen.“ Eric Clapten bestätigte dieses Streben, und er gab zu, es noch nicht hundertprozentig geschafft zu haben. Auch andere versuchen es immer wieder, natürlich auf höchst unterschiedlichste Art und Weise.
Zum Beispiel erschien um 1990 herum ein dänisches Popduo auf der Bildfläche, das mit einem Titel namens „Bakerman“ einen beachtlichen Erfolg errang. Das Video, gedreht von Lars von Trier, half dabei ohne Frage. Doch der Song fiel auch so im Umfeld der damaligen Technowelle auf. Trotz eines damals zu gerne untergelegten synthetischen Schlagzeuges brachte mich das Lied mit seinem lässigen Swing wieder zum guten J.J. Cale zurück. Die beiden Dänen haben zweifellos etwas von ihm gehört – warum sonst sollten sie sich den Bandnamen „Laid Back“ gegeben haben?
In diesem Jahr 2006, manche, die die jeweilige Szene intensiver beobachten, werden sagen: viel zu spät, tauchte einer vor meinen Ohren auf, den ich, wenn schon aufgrund der nicht ganz so virtuos gespielten Gitarre nicht unbedingt als Klon, doch zumindest als geistigen Sohn Cales bezeichnen möchte. Bei seiner ersten CD von 2002 war er noch nicht ganz so weit, die zweite von 2004 ging entschieden in die Richtung und mit der dritten Veröffentlichung von 2005 mit dem Titel „In Between Dreems“ war er endgültig auf der Spur seines von mir arg vermuteten Vorbildes. Es geht hier um einen Surfer, der „irgendwie“ zur Musik gekommen ist, lässige, meist gut gelaunte Songs präsentiert und, Zufälle gibt es, die Initialen J.J. trägt. Jack Johnson heißt er. Ich möchte ihm keineswegs das Nacheifern vorwerfen. Mehrere Generationen liegen zwischen ihm und dem 1938 geborenen J.J. Cale. Aber sein aktueller Erfolg kann bedeuten, daß die von allzu schillernden Stars überfrachtete Welt, nach Menschen lechzt, die den Begriff des Erfolges auf eine eigene Art verstehen. Folgendermaßen preisen Universal Music schließlich das zweite Album ihres Schützlings an und man mag den Werbetextern verzeihen, daß sie nicht wissen, in welchen Zeitrahmen Legenden gehören:
„Athlet, Künstler, Musiker, Filmemacher, Surfer… Jack Johnson ist eine Legende. Er ist einer dieser Leute, die schon bei der ersten Begegnung authentisch sind und ein erstklassiges Beispiel eines bescheidenen Menschen mit guten Manieren abgeben. Sein aktuelles Album „On and On“ ist eine entspannte melodische Sammlung, die, wenn man Jacksons Surfvideos kennt, sofort wieder Lust auf Wellen und warmgetönte Sonnenuntergänge am Meer macht. Und nicht nur das: Mit seiner ehrlichen und bescheidenen Musik schafft er, was vielen seiner Kollegen vorenthalten bleibt. Jack Johnson lässt den Zuhörer teilhaben an der inneren Glückseligkeit eines Surfers, der mit sich im Reinen ist: „Das Wichtigste ist es, einfach happy zu sein, und zwar heute und hier.“ sagt Jack selbst.
Nehmen wir ein paar Übertreibungen heraus, könnte nicht nur J.J. Cale das verstehen. Ich wurde übrigens aufgrund des guten Johnsons nach einer längeren Pause wieder an ihn erinnert, besorgte mir die DVD zum mehrfach erwähnten Dokumentarfilm und kurz danach die bislang letzte CD „To Tulsa And Back“.
Es sind wieder einige Songs darauf versammelt, die es sich zu covern lohnen würde. Und Cale hätte nichts dagegen. Denn er meint: „Das ist das Höchste wonach man streben kann, als Songschreiber: wenn andere deine Songs aufnehmen. Egal ob gut oder schlecht. Und ich hatte eine Menge Leute, die das taten. Das hilft wirklich meinem Ego!” Letzteres sagt ein oft etwas grimmig dreinblickender Kauz, der sich jenseits seiner Musik nur ungern öffnen mag, mit der Andeutung eines verschmitzten Lächelns. Er hat die Arbeitsteilung verstanden.
The Old Man And Me (aus dem Album „Okie”)
The old man he catches the fish in the morning
He rides the river every day
I sit on the bank and I holler when he passes
Hey, old man, are they biting today
I wake up in the morning, thinking ‚bout my troubles
I go down to the water and they pass away
And when the old man comes a-floating down the river
Hey, old man, are they biting today
Now here we’ve got a thing that keeps on rolling
It ain’t heavy, don’t take it that way
The old man and me, we got a good thing going
He gets his fish and I sit all day
He gets his fish and I sit all day
Noch im Laufe des Jahres 2006 soll eine gemeinsame CD von J.J. Cale und Eric Clapton erscheinen. Vielleicht hilft sie „Slowhand“, der sich in den vergangenen Jahren immer schlechter und seichter werdend selbst coverte, seine musikalische Misere zu beenden oder auch nur der entspannten Spielweise seines Vorbildes ein kleines Stück näher zu kommen. Interessant wäre jedenfalls zu beobachten, wer hinterher den Fisch fängt und wer gelassen auf der Bank sitzend den Tag passieren läßt.
Unbedingt empfehlenswert und im Plattenladen Ihres Vertrauens und bei Amazon.de zu erwerben:
DVD – To Tulsa and back – On tour with J J. Cale
CD – The Road to Escondido – gemeinsam mit Eric Clapton (inzwischen erschienen)
Frühe Singles, u.a. vom „Johnny Cale Quintette“
Zum Vergleich: Jack Johnson und seine Musik
Nun ist der große J. J. Cale kurz vor Vollendung seines 75. Lebensjahres gestorben. Viel zu früh. Noch nie fehlte mir ein Mensch, dem ich niemals persönlich begegnet bin, so sehr.
© Dirk Jürgensen – Veröffentlichungen des Texts, auch in Auszügen, nur mit ausdrücklicher Genehmigung des Autors.