Aber bitte ohne Zitrone!
Gut geschärftes Werkzeug verhindert unnötiges Leiden
Am Tage meines Todes erwachte ich mit leichten Kopfschmerzen. „Jetzt geht es wieder los“, sagte ich mir, denn ich kannte den Schmerz. Immer ging es morgens los und immer wurde das Pochen, Dröhnen, Hämmern über den Tag schlimmer. Am Abend war er dann meistens wieder verschwunden, der Schmerz. Den Ärzten vertraute ich schon lange nicht mehr. Einer wollte mir eine Brille verschreiben, der vorletzte verschrieb mir nur einen Haufen Schmerztabletten und der letzte meinte mich wie schon einige seiner Vorgänger zu einem „Fachmann“ schicken zu müssen. Dieser sollte sich um meine, wie er sagte, offensichtliche Hypochondrie kümmern. Ich ging natürlich nicht hin, wie ich mir auch keine Brille besorgte. Allesamt Dilettanten und Angsthasen! Niemand traute sich, mir die Wahrheit zu sagen. Dabei mussten sie es doch wissen.
In meinem Schädel wuchs ein Tumor. Zuerst langsam, dann schnell. Monat für Monat. Bis zum Tage meines Todes. Und der war an diesem Morgen angebrochen. Keine Frage.
Mein Frühstück bestand aus ein paar Tabletten und einer Tasse Kaffee. Dann ging ich, als sollte man sich am letzten Tag des Lebens kein besseres Programm gönnen, ins Büro. Dort angekommen, bemerkten die Kollegen meinen Zustand nicht. Noch nie hatten sie etwas bemerkt. Sie sollten sich noch wundern, wenn sie demnächst von meiner Todesursache erführen. Daher erwähnte ich immer, wenn sich die Gelegenheit bot, meine Kopfschmerzen, was diese höchstens mit einem „da geht wohl wieder ´ne Grippe um“ kommentierten. Ansonsten ließ ich den in seiner ständigen Beschäftigung gewohnt langweiligen Tag an mir und ihnen vorüberziehen. Immerhin hatte ich einen allgemein akzeptierten Grund geschaffen, den Feierabend sogar mit leichter Kernzeitverletzung einläuten zu dürfen.
Wieder zuhause. Ich hatte den ganzen Tag noch nichts gegessen und der Tumor pochte mit Macht gegen die Stirn. Mich im Spiegel betrachtend stellte ich fest, dass meine Augen etwas weiter hervortraten als gestern. Richtige Glubschaugen wuchsen mir, weil sich die Augenhöhlen ideal zur Ausdehnung von innen her eigneten. Sollte ich wider Erwarten erst morgen sterben, würden mir vorher die Augäpfel herausplatzen.
Gar nicht so nebenbei knurrte mir der Magen. Sollte ich zuguterletzt noch verhungern? Wer stirbt, wer sicher von seinem nahenden Tod weiß, der hat ein Anrecht auf eine üppige Henkersmahlzeit. Eine, die nicht alltäglich ist. So eine wollte ich mir gönnen. Die Tabletten, die ich trotz der aus reiner Heimtücke bald nachlassenden Schmerzen in einem kleinen Wasserglas zerstampfte und herunterwürgte, waren sicher keine Speise, die dem feierlichen Anlass entsprach.
Ich mochte – was für eine Formulierung? – „für mein Leben gern“ Fisch. Meine norddeutschen Wurzeln waren für ein paar Bedingungen beim Fischkonsum verantwortlich: ich aß ungern Süßwasserfisch, eigentlich nur Seefisch, diesen am liebsten völlig ohne Schnickschnack zubereitet, nicht übertrieben gesalzen, fern jeder Zitrone, nur in etwas Mehl gewendet und nicht zu lang, dennoch knusprig gebraten. So etwas hier im Rheinland zu bekommen, ist ein hoffnungsloses Unterfangen. Doch um mich ins Auto oder in einen Zug zu setzen und pünktlich vor meinem Ableben die Ostsee zu erreichen, fehlte es mir an verbliebener Lebenszeit.
Zum Glück – ich sollte es inzwischen besser wissen – fiel mir der Tip einer alten Bekannten ein. Sie kannte meinen Fischanspruch und hatte mir vor einigen Tagen versichert, im Norden der Stadt ein neues „witziges“ Lokal entdeckt zu haben, das genau diesem entspräche. Ich schätzte ihre Kompetenz in diesen Fragen zwar nicht besonders hoch ein, aber was blieb mir übrig? Also los zum nächsten Bus!
Während der Fahrt gingen mir die Erinnerungen an die Ferientage meiner Kindheit durch die wenigen noch nicht verdrängten Zellen meines Hirns. Erinnerungen daran, wie ich zusammen mit meinem Vater am Vormittag zum Bootssteg am Strand von Wackerballig radelte, wo ein alter Fischer auf seine Kunden wartete. Der Mann, knorrig, wortkarg, dem Klischee eines billigen Reiseführers entsprechend, füllte unseren mitgebrachten Eimer mit bei jeder Berührung noch zappelndem Butt. Ein genuscheltes „Moin!“ zur Begrüßung – „Twee Maak Föfftich“, wenn der Eimer zur Hälfte oder „Fief Maak“, wenn er zur Gänze gefüllt wurde und dann, zum Abschied mit den Münzen in der Hand, ein kaum hörbares „Jau!“. Handel funktionierte noch ohne große Worte.
Wieder zurück, nahm meine Großmutter die betäubt scheinende, doch noch lebende Fracht in Empfang. Mit der Anzahl der beigemischten Goldbutt – wer würde hier schon den korrekten Plural verwenden? – und der Dicke einiger Exemplare stieg die positive Beurteilung unseres Einkaufs.
Die Küche war bereits vorbereitet, der große Tisch mit Wachstuch bedeckt, denn nun wurde es blutig. Mit einer uralten, nur zu diesem Gebrauch hervorgeholten Schere trennte Oma die Köpfe mit ihren schrägen Augenpaaren vom Rumpf, der sich während des Schnitts ein letztes Mal krümmen und die Schwanzflosse in die Höhe recken durfte. Mit Daumen und Zeigefinger holte sie aus dem nun offenen Körper das heraus, was nicht mitgegessen werden sollte. Sie schmiss das schlabberige Zeug in eine alte Schüssel und hinterher die ebenfalls die mit der Schere abgetrennten Flossen. Ein langes, scharfes Messer kam hervor, Schuppen wurden damit gegen den Strich abgeschabt und als schmieriger Schleim mehrmals mit Wasser abgespült. Nur noch ein entschlossener Schnitt quer durch die Mitte und das, was eben noch ein lebendiger Fisch war, nannte sich Lebensmittel, das gar nicht viel später mit Salz eingerieben, in Mehl gewendet und gebraten pünktlich um zwölf auf unseren Tellern lag. Inzwischen machte sich die Katze des Nachbarn auf dem Misthaufen sitzend genüsslich über die Buttköpfe mit den noch immer klaren Augen her. Nichts verkam.
Weniger an den Misthaufen, mehr an den Teller meiner Kindertage denkend, füllte sich mein Mund mit Speichel und ich vergaß beinahe das Aussteigen.
Ich war in einem mir nicht gerade vertrauten Teil meiner Stadt gelandet, doch ich wusste, dass ich nur in die nächste dunkle Seitenstraße hinein musste, wo ich neben einer offenen Toreinfahrt das Schild des Restaurants fand.
„Isebill“ stand darauf… „Mine Fru, de Isebill, die will nich so as ik dat will“ – Na dann. Über einen kaum beleuchteten Pflastersteinplatz, hinein in ein Lokal in im ach so modernen Gewerbehofstil. Eigentlich fand ich es nett. Ich war der einzige Gast und konnte mir den besten Platz aussuchen. Ein großer junger Mann in Küchenschürze, geschätzte zwanzig Jahre alt, kam, begrüßte mich und drückte mir die Karte in die Hand. Ich bestellte ein Bier. Wer trinkt im Norden schon Wein zum Essen? Er verschwand, um mir Zeit zum Lesen und Überlegen zu gewähren.
Dorade? Nein, ich wollte keinen zum Aussterben verdammten Modefisch. Thunfisch? Victoriabarsch? Pangasius? Lachs? Die schonmal gar nicht. Aber ganz unten, da war sie. Der Wirt nannte sie in bescheidener Originalität „Isebillplatte“. Naja, wenn er gut kocht, ist die Welt in Ordnung. Die Platte versprach in gebratener Form Hering, Dorsch und tatsächlich: Butt. Die Beilagen interessierten mich nicht. Hauptsache keine Soße. Auf eine Vorspeise verzichtete ich. Es war keine Zeit zu verlieren.
Der Junge kam mit meinem Bier. Ich nannte ihm meine Wahl und rief ihm noch ein „Aber bitte ohne Zitrone!“ hinterher, was er nickend bestätigte. Mein Leben schien wenigstens am Abend seines letzten Tages ein angenehmes Ende zu nehmen. Sogar das Alien hinter meiner Stirn gab in seiner Gewissheit seines sicheren Sieges Ruhe.
Werden die Zeiger ablaufende Uhren schneller? Meine wurden es. Ohne eine Wartezeit registriert zu haben, sah ich, wie sich die Küchenschwungtür öffnete und der Junge mit einem hoch belegten Teller hereinkam, der gut und gerne zwei weitere Gäste hätte satt bekommen können. Es war mir recht. Die Todsünde namens Völlerei stellte für mich keine Bedrohung mehr dar. „Isebill, wie ich sie will“, dichtete ich ohne Rücksicht auf Originalität, schob mein Glas zur Seite, um genügend Platz für sie zu schaffen und… und war entsetzt.
Das, was bei mir vor wenigen Wochen noch ein müdes Lächeln und eine ironische Bemerkung provoziert hätte, ließ den blutigen Klumpen in meinem Schädel jubilierend pulsieren. „Scheiße!“ rief ich, warf das in meiner Vorfreude bereits ergriffene Besteck mitten auf die Fischplatte, stand auf und ging schnurstracks dem Kellner hinterher, der auffallend schnell in der Küche verschwunden war.
„Ich hatte extra ohne Zitrone bestellt!“, rief ich in die Küche hinein und ortete den bulligen, wohl ein Meter neunzig messenden Koch, der inmitten seiner ultramodernen Edelstahlküche am Herd stand und in einem mindestens fünfzehn Liter fassenden Topf rührte. Für wen kochte er da, wenn außer mir keine Gäste da waren? Wo war der Junge? Ach da. Er räumte eine Spülmaschine aus. Töpfe, Pfannen und Messer, für die branchenfremde einen Waffenschein beantragen müssten. „Ich hatte ohne Zitrone bestellt!“ wiederholte ich meine Beschwerde, diesmal nicht ganz so laut. „Warum kann in dieser Gegend niemand richtig mit dem Fisch umgehen?“
Die erste Reaktion kam aus der Spülmaschinenecke. „Es ist meine Schuld, ich hab’ vergessen meinem Vater Bescheid zu sagen. Entschuldigung.“
Der Junge war also der Sohn des Chefs. Das kümmerte mich nicht und ich polterte weiter, während der Koch mir zwei Schritte entgegen ging und in für ihn und mich sicherem Abstand stehen blieb.
„Verdammt, kann denn keiner hier im Rheinland vernünftig mit einem Fisch umgehen? Wisst ihr denn überhaupt, wie Fisch schmeckt?“
Der Koch sagte nichts, aber sein Gesicht, besser seine Augen, versuchten zu reden. Zuerst konnte ich Überraschtheit, dann Aggression und fast im selben Moment eine schwere Melancholie in seinem Blick erkennen. Ich sollte sein Interesse besser auf mich lenken. „Sie wissen ja nicht, was das heute Abend für ein Essen ist. Sie wissen ja nicht, warum ich ausgerechnet heute einmal einen gebratenen Fisch haben möchte, der schmeckt. Ich sage ohne Zitrone und hinterher liegt auf jedem einzelnen Stück eine ganze Scheiß-Zitronenscheibe, die in den Fisch suppt. Kann man wegschmeißen!“
„Aber zum Fisch gehört Zitrone.“, unterbricht mich der Chef.
„Quatsch“, entgegnete ich. „Sagen Sie jetzt bloß nicht, sie hätten den Fisch auch noch vor dem Braten mit Zitronensaft beträufelt. Gut, dass ich ihn nicht probiert habe. Diese elende Unsitte!“
Der Junge, die Messer sortierend, mischte sich ein. „Lassen sie doch meinen Vater in Ruhe!“
„Lass das, Kleiner.“, hörte ich nun den Vater.
Ich dagegen wollte weiterpoltern, das war ich meinem versauten letzten Tag schuldig. „Wenn der Fisch vor dem Braten mit Zitrone behandelt wird, dann doch nur, weil er eigentlich zu alt für die Pfanne ist… wenn die Augen trübe und eingefallen sind… wenn die Kiemen matschig sind… nur damit der Geschmack unterdrückt wird. Weil er stinkt. Wissen sie wie frischer Fisch riecht? Er riecht nicht nach Fisch, er riecht nach Meerwasser.“
Der sogenannte Kleine schaute wutschnaubend, glücklicherweise stumm und von einer gewissen Körperlähmung befallen, zu mir herüber. Sein Vater holte umständlich einen Hocker unter einer Arbeitsplatte hervor und setzte sich, den Kopf schon vorher gesenkt, breitbeinig darauf. „Zitronensäure bindet das Eiweiß… macht es bekömmlich und…“ nuschelte er wenig überzeugend, wirkte angeschlagen und bot mir somit die Chance, auf die Gefühlskarte zu setzen:
„Ich werde bald sterben. Ich werde sehr bald an einem fetten, schmierigen Gehirntumor sterben. Ich wollte mir den Magen kurz vor Schluss mit richtig gutem Fisch vollstopfen. Dazu bin ich in ihren Laden gekommen… Nur dazu… Und dann sowas.“
Der Koch murmelte etwas Unverständliches.
„Sehen sie, was sie angerichtet haben, was sie mit meinem letzten Tag angerichtet haben? Ich habe mir einen angenehmen Tod gewünscht. Ist das zuviel? Ihr armseliger Zitronenfisch hat alles versaut.“ Das warf ich ihm vor, ohne von ihm eine Entschuldigung hören zu wollen. Aber er hatte mir auch gar nicht zugehört. Dafür stammelte noch immer etwas vor sich hin. Ich gab mir nun, warum auch immer, Mühe und verstand etwas wie „Das Drei-S-System… Drei S… Was bedeuten die drei S und was…?“
Meine finale gesundheitliche Lage verbot mir auf die seltsamen Anwandlungen eines unfähigen Kochs und die loyale Wut dessen Sohnes einzugehen. So machte ich auf dem Absatz kehrt, ließ die beiden in ihrer Küche allein, warf irgendeinen Geldschein fürs Bier auf den Tisch mit der längst erkalteten Fischplatte, durchquerte den Gastraum und stand nach wenigen Sekunden im dunklen Innenhof vor dem Restaurant.
Durchatmen. Überlegen. Oder lieber nicht. Wie verpfuscht musste mein Leben sein, wenn nicht einmal die Henkersmahlzeit gelang?
Ich fasste den Entschluss, eine x-beliebige Kneipe zu suchen, dort ein verdammtes Standardschnitzel, eine viel zu schlaffe Curry-Wurst oder eine erbärmliche Frikadelle zu verschlingen, mir ein Bier nach dem anderen in den Rachen zu schütten, die letzen Stunden meines verdammten Lebens vom Alkohol betäubt zu verbringen.
Ich überlegte, ob ich, aus der Toreinfahrt nach rechts oder links gehen sollte, überhörte, halb noch in Rage, die Schritte hinter mir, realisierte, wie mich ein wohl linker Arm von hinten in den Schwitzkasten nahm, mich nach hinten beugend, Stabilität raubend meine Flucht und feste zudrückend meinen Hilfeschrei verhinderte. An meine Nase drückte der Angreifer die blitzende – wieso eigentlich blitzend, es war doch dunkel? – die wie auch immer blitzende Klinge eines mindestens dreißig Zentimeter langen Fleischmessers.
„Wie können“, hauchte es viel zu warm in mein rechtes Ohr, „wie können sie das meinem Vater antun?“
Pause.
„Das Drei-S-System.“
Ich wollte fragen, was das solle, bekam aber nur ein stimmloses „Mmmpf“ heraus.
„Säubern.“
Der Arm drückte fester und der Atem meines Angreifers schrie: „Säuern!“
Der Druck raubte mir den letzten Atem.
„Und Salzen!“
Dann fast moderat, doch den Druck nicht nachlassend: „Vor dreißig Jahren ist er durch die Kochprüfung gefallen. Weil er die drei S nicht erklären konnte. – Er hatte schon als Junge davon geträumt Koch zu sein. Dreißig Jahre musste er kämpfen, hat gespart, jetzt konnte er hier endlich mit meiner Hilfe seinen Traum erfüllen. Und dann kommen sie und behaupten, er hätte mit der Einhaltung dieser Regel ihren letzten Tag versaut? – Was hat er ihnen wirklich getan? Was steckt dahinter?“
Seltsam, niemals wollen die Leute wirklich eine Antwort auf ihre Fragen. Auch in diesem Falle ließ man mir nicht genügend Luft, näher auf die ganz sicher tragische Vaterundsohngeschichte eingehen zu können. Stattdessen verschwand das Messer aus meinem erheblich eingeschränkten Gesichtskreis, machte einen ausschweifenden Bogen, um mit erheblichem Schwung von unten kommend, meinen oberen Bauchraum zu durchbohren.
Der nun eintretende Schmerz war zu meiner Überraschung durchaus erträglich. Gut geschärftes Werkzeug verhindert unnötiges Leiden. In den Teilen einer Sekunde, in denen mir die Schere meiner Großmutter wieder in den Sinn kam, hatte der Junge mit seinem einen Stich gekonnt mein Herz angeschnitten. Dabei kratzte die Spitze seines Messers, meine Schätzung der dreißig Zentimeter Klingenlänge war also eher zurückhaltend ausgefallen, an einer hinteren linken Rippe.
Es kitzelte leicht und ich dürfte mit einem von der Nachwelt missverstandenen Lächeln auf den Lippen gestorben sein.
Ein Nachwort:
Dies war also die Geschichte meines Todestages und ich fürchte, die Gerichtsmediziner werden wie alle anderen Scharlatane meinen Tumor übersehen. Die zum Tode führende Wunde ist zu offensichtlich. Meine Ex-Kollegen werden wieder einmal die falschen Schlüsse ziehen und mein Fehlen schnell vergessen. Aber wenigstens ist der Kopfschmerz für immer abgeklungen. Der Tod stimmt milde.
Natürlich ist man gerne versucht, in Geschichten wie dieser nach einer Moral zu suchen. Vermutlich gibt es keine, wie ich auch bezweifle, dass eine solche Moral in unserer Situation noch Relevanz besäße. In unserer? Wem erzähle ich diese Geschichte überhaupt? Wenn ich Zuhörer oder Leser habe, können es nur Menschen sein, die ebenfalls tot und wie ich nicht in der Lage sind, aktiv, positiv oder auch negativ auf den Alltag der noch Lebenden einzuwirken. Das macht mich traurig.
Es macht mich zutiefst traurig, dass in unendlich vielen Fischlokalen dieser Welt Fisch nicht nach Fisch schmecken darf, sondern immer nur nach Zitrone. Es mussten wirklich schon unwichtigere Dinge als Mordmotiv herhalten.
Dieser in seiner Motivation sehr autobiographische „kulinarische Kurzkrimi“ entstand 2008 als Schreibübung mit dem vorgegebenen Anfangssatz „Am Tage meines Todes erwachte ich mit leichten Kopfschmerzen“ im Rahmen einer von Hans Hoff geleiteten Schreibwerkstatt des Düsseldorfer Kulturzentrums zakk.
© Dirk Jürgensen – Veröffentlichungen des Textws, auch in Auszügen, nur mit ausdrücklicher Genehmigung des Autors.