Fußballstadien ohne Identität
Namen sind mehr als Schall, Rauch und Marketing
Deutschlands Fußballfans sind verunsichert. Auswärtsfahrten werden zu abenteuerlichen Orientierungsspielen. War es einst allein die Ähnlichkeit von Städtenamen, die Busfahrer eine ganze Ladung singender Anhänger im westfälischen Ahlen aussteigen ließ, obgleich das Spiel im baden-württembergischen Aalen stattfand, so kann sich heute niemand mehr die Namen der Stadien merken. Muss er auch nicht, denn bis dahin hat sich der Name schon wieder geändert.
Wer wie ich einen gewichtigen Teil seiner Allgemeinbildung der Sportschau um den leider viel zu Köln-lastigen Ernst Huberty entnahm, wusste stets, in welcher Stadt der Übertragungswagen gerade stand, wenn sich der unsichtbare Sprecher aus dem Wald-, Weser- oder Rheinstadion, dem Böllenfalltor, dem Bieberer Berg, dem Tivoli, von der Alm und sogar aus dem Müngersdorfer Stadion meldete. Ein Zoostadion war von einem Wildparkstadion und dieses von einem Parkstadion locker zu unterscheiden und schnellstens zu verorten. Zugegeben, das Stadion Rote Erde in Dortmund war auch für mich mit dem Wechsel des BVB 09 in das Westfalenstadion Geschichte geworden, aber langt das nicht damit, sich das Westfalenstadion zu merken? Kann mir jemand auch nur einen Dortmunder Fan nennen, der sagt, er gehe am Samstag in diesen Park, der irgendwie nach Zahnpasta mit beigepackter Lebensversicherungspolice klingt?
Wo, wenn nicht in der Sportschau, hätte ich mit größerer Leichtigkeit lernen können, dass Nürnberg in Franken (Frankenstadion) liegt und durch Freiburg die Dreisam (Dreisamstadion) fließt? Wattenscheid war damals noch kein Stadtteil von Bochum und – zum Lernen gehört auch Staunen – ausgerechnet dort musste es in rußiger Ruhrpottumgebung eine vermutlich mit Erika bewachsene Heide geben (Lohrheidestadion).
Ruhrstadion: Bochum.
Wedaustadion: Meiderich – Verzeihung – Duisburg.
Das hätte damals jeder mittelmäßig begabte Siebtklässler wie aus der Pistole geschossen aufsagen können. Aber wer weiß schon, wo sich die Schauinsland-Reisen-Arena gerade aufhält? Erst raten, dann nachsehen.
Klassische Stadionnamen sind Kulturgüter, die es zu schützen gilt
Sicher würde die Umbenennung des Kolosseums in Rom in Fiat-Arena oder des Kölner Doms in Axa-Towers eine Menge Geld zur Erhaltung dieser Baudenkmäler bringen.
Was also hält uns von der Vermarktung ab? Die Tatsache, dass es historische Kulturgüter sind? Sicher bestreitet dies auch niemand in der ständig herbeizitierten Region, für die der 1. FC Kaiserslautern verantwortlich sein soll, wenn es um den Betzenberg geht. Dieser wird noch immer „Betze“ genannt, obgleich man dort gerne auch Fritz Walter ehrt und es wiederholt Bestrebungen zum Verkauf der Namensrechte gab. Durchhalten, liebe Pfälzer!
Fußballarenen werden gerne als Tempel bezeichnet und angesichts der dort allwöchentlich gefeierten Rituale ist das gar nicht so abwegig. Doch auch ohne religiöse Anwandlungen haben zahlreiche Fußballstadien wie andere wichtige Baudenkmäler einen Identifikationswert für eine Stadt. Nach innen wie auch nach außen. Das hat noch nicht einmal etwas mit der architektonischen oder gar künstlerischen Bedeutung der Bauwerke selbst zu tun. Flair ist so ein Modebegriff für etwas, das vorhanden sein muss, um als Stadion geliebt zu werden. Etwas, das nichts mit Sitzheizungen oder mit dem Reichen von Cocktails zu erlangen ist. Sogar das Gegenteil ist hilfreich. Einfachste Bierbuden, Wurst vom Grill sind schlagen elektronische Bezahlsysteme bei weitem. Der Besuch eines Stadions hat viel mit Romantik zu tun, ihr Marketingstrategen! Und im Gegensatz zum spießbürgerlichen Irrglauben muss ein Denkmal nicht schön sein, um bedeutend zu sein. Auch ein Fußballstadion nicht, wenngleich es durchaus ansehnliche Exemplare davon gibt und gab.
Unternehmen oder auch nur deren Marken bieten in aller Regel keinen Identifikationswert, der über die vermeintliche oder tatsächliche Wertigkeit des jeweils angebotenen Produkts . Früher war das anders, denn die Zeiten, da sich ein Arbeiter stolz Kruppianer oder Henkelaner nannte und entsprechend von ihren Arbeitgebern verstanden und lebenslang beschäftigt wurde, haben längst Kampf gegen den neoliberalen Individualismus verloren. Die zeitliche Begrenzung von Arena-Namensverträgen macht eine Verwurzeln in der Wahrnehmung der Öffentlichkeit zudem unmöglich.
Eine Ausnahme kann vielleicht die Allianz-Arena einmal werden, in der Bayern München und 1860 München ihre Heimspiele bestreiten. Dieses Stadion ist, was seine Lage und seine Nutzung als Nachfolger des Olympiastadions betrifft, absolut neu und unabhängig. Da es keine Tradition am Standort des Stadions gibt, kann es sein, dass sein Name, sollte die Namensträgerschaft einmal enden, im Volksmund als neue Tradition bestehen bleibt. Hier könnte eine Loslösung von der Bedeutung des Namens selbst entstehen. Allianz, wessen Allianz ward das nochmal? Aber abwarten, denn die Bespielung des Stadions durch zwei emotional und lokal – keinesfalls ligabedingt – rivalisierenden Vereinen fördert eine nicht zu unterschätzende Distanz zum Austragungsort der Spiele. Keinem gehört das Stadion in Gänze.
Als ähnlich ist noch das Beispiel des Bökelbergs in Mönchengladbach zu nennen, auf dessen Grund nun eine Siedlung mit Einfamilienhäusern zu finden ist. Es gibt ihn nicht mehr, den guten alten Bökelberg. Somit wäre die Übertragung des traditionsreichen Namens auf das neue Stadion weit außerhalb der Stadt ein Frevel gewesen. Man kann den Gladbachern in diesem Sinne nur gratulieren, dass sie es immerhin geschafft haben, nun das Stadion am Borussia-Park im Nordpark zu besitzen. Die Sperrigkeit dieser Namensschöpfung bekämpfen die Fans durch eine Kürzung in Borussia-Park erledigt, aber ich bin gespannt, was der Volksmund in zwanzig Jahren aus dem recht modernistisch anmutenden Anhänsel „Park“ gemacht haben wird. Ich tippe auf eine Loslösung vom Begriff der gepflegten Gartenanlage und glaube, dass der Prozess dorthin schon begonnen hat.
In diese Reihe der Neubauten auf neuem Grund gesellt sich natürlich auch die Arena auf Schalke. Bevor man sich an die Veltins-Arena, diesen Namen gibt es schon seit 2005, gewöhnt hat und bis ein neuer sein Unwesen treibt, bleibt wir einfach alle bei der Arena auf Schalke, oder?
Fremdeln mit dem Berliner Olympiastadion
Abgesehen davon, dass ich nie verstanden haben, warum der DFB die deutschen Pokalendspiele trotz unserer föderalen Ausrichtung seit 1985 immer in Berlin austrägt, habe ich ein Problem mit diesem Stadion. Es ist und bleibt ein Relikt der Nazi-Olympiade von 1936 und ich empfinde es als bedrückend, dass dort international bedeutende Großveranstaltungen ausgetragen werden, ohne wenigstens eine namentliche Distanz zum Faschismus zu zeigen. Nein, man darf ein solches Gebäude, das eigentlich ein Mahnmal ist, nicht einfach abreißen und damit die Geschichte unter den Teppich kehren. Aber einfach so weitermachen? So, als wären wir auf die Führer-Olympiade noch immer stolz?
In Stuttgart wurde die als Stuttgarter Kampfbahn erbaut und 1933 als Adolf-Hitler-Kampfbahn eröffnet. Nach dem Krieg wurde sie zum Century-Stadium der US-Armee. 1949 hatte die Kampfbahn dann ihre Nazi- und ihre militärische Vergangenheit abgeschüttelt und wurde endlich zum allseits bekannten Neckarstadion. Der Name hat noch heute seine Gültigkeit, was durch die Umbenennungen in Gottlieb-Daimler-Stadion (1993-2008) und Mercedes-Benz-Arena (2008-?) nicht wesentlich beeinträchtigt wird.
Über Sinn und Aussage, über die Belastung und über eine gegebenenfalls sinnvolle Umbenennung eines Stadions sollte stets diskutiert werden. Ein Beispiel dafür, wenn auch ein sehr hitziges, ist die Geschichte um die Namensgebung des Millerntor-Stadions in Hamburg, die unbedingt auf Wikipedia nachzulesen ist. Ich habe das Gefühl, dass es im Fall des Olympiastadions in Berlin noch keine ausreichende Diskussion gegeben hat.
Ein Besuch in der vermeintlichen AOL-Arena
In der vergangenen Saison spielte mein kurzfristig erstklassig. Erstklassig im Sinne von bis zur Winterpause gut und dann stetig immer schlechter, aber eben in der Ersten Spielklasse. Bis zum Abstieg eben. Logischerweise stand auch ein Auswärtsspiel beim Bundesliga-Dino HSV an. Das Hinspiel hatten wir zuhause gewonnen, aber das bleibt in diesem Zusammenhang leider unbedeutend. Wäre ich ein medizinisches Wunder, schlüge mein zweites Herz für den FC St.Pauli, aber ein Besuch in der Hansestadt ist immer eine Reise Wert und ein Gastspiel beim HSV klingt trotz dessen Dauerkrise irgendwie nobel in den Ohren eines kleinen Fortunen.
Also besorgte ich mir Karten, schnappte den liebsten Menschen der Welt und fuhr mit ihr gen Norden in Richtung Volksparkstadion, das aufgrund einer Zwangstaufe irgendwann AOL-Arena heißen musste. AOL, gibt es die Firma überhaupt noch? Lange keine Anmelde-CD in einer Zeitschrift gefunden. Egal, denn eigentlich ist es ja immer noch das Volksparkstadion. Das kennt jeder Geographieallergiker spätestens seit Uwe Seelers Zeiten.
Die letzten Kilometer wurden mit einer S-Bahn zurückgelegt. Darin, das passiert in Hamburg immer, kamen wir mit zwei ins Gespräch. Die meisten Einzelheiten möchte ich aufgrund fehlender Sachdienlichkeit weglassen und vielmehr auf ein Thema kommen, das wir mit den Jungens besprachen, da ich inzwischen mitbekommen hatte, dass es die AOL-Arena namentlich gar nicht mehr geben sollte.
Nein, meinte einer der eine Hamburger, das sei schon lange nicht mehr und es hätte noch ganz andere Namen gegeben.
Auch mal kurz Nordbank-Arena, warf der andere Hamburger kurz ein. Das Stadion hieße jetzt Imtech-Arena.
Imtech? Ich fragte, was das denn für eine Firma sein, da ich den Namen noch nie gehört hatte. Irgend so eine . Mehr wisse er aber auch nicht und man würde in Hamburg sowieso nur Volkspark sagen.
Richtig so.
In Düsseldorf, meinte einer der Beiden, wäre der Fall ja anders gelagert, denn die LTU-Arena wäre ja nicht auf dem Standort des Rheinstadions entstanden.
Da konnte und musste ich vehement korrigieren. Erstens wäre die LTU-Arena inzwischen eine ESPRIT-Arena, was aber auch nicht mehr lange Bestand habe, und zweitens würde die Arena fast genau auf dem Platz des Rheinstadions stehen.
Der ganze Quatsch nur wegen der Kohle, schlossen wir einhellig und waren uns einig, gleich beim Volksparkstadion anzukommen.
Sicherheitshalber möchte ich an dieser Stelle Wikipedia zitieren: „Bis Juni 2001 trug es den Namen Volksparkstadion, bis Juli 2007 AOL Arena und bis Juni 2010 HSH Nordbank Arena. Zur Fußball-Weltmeisterschaft 2006 hieß es FIFA WM-Stadion Hamburg, zu den Europapokalspielen lautet die offizielle Bezeichnung Hamburg Arena.“
Viel bekloppter geht es nicht mehr. Ich stelle mir die Frage, ob man angesichts dieser Wirrnis froh sein soll, dass der HSV mittelfristig keine Europapokalspiele bestreiten wird? Die Antwort darauf hat Lotto King Karl nun wirklich nicht verdient.
Armes Fürth
Die Spieler und Fans der Spielvereinigung Greuther Fürth sind nicht zu beneiden. Dabei meine ich noch nicht einmal den wenig erfreulichen Kurzaufenthalt in der Ersten Bundesliga, denn die Liebe eines Fans kennt keinen Qualitätsunterschied anhand zutiefst weltlicher Ligaeinteilungen. Viel schlimmer: Dem Ronhof, das ist die Spielstätte der Fürther, droht im Sommer des kommenden Jahres eine erneute Umbenennung. Und das, wo die dortigen Vermarkter des Stadionnamens als vollkommen schmerzfrei – oder, je nach Sichtweise, mit grenzenlosem Humor ausgestattet sind.
Vor einigen Jahren hieß der mit großer Tradition versehene Sporttempel Playmobil-Arena, was die deutsche Fußballwelt spätestens in der Nachbarstadt Nürnberg in herzhaftes Lachen versetze, denn der Name eines Stadions hat immer auch etwas mit dem inneren Auge eines Menschen zu tun. Und um die Playmobil-Arena mit einer passenden Assoziation zu versehen, brauchte es keine besondere Phantasieleistung, schon erkannte man deutlich ein farbenfrohes Plastikstadion, mit niedlichen Plastikmännchen in Mannschaftsfarben oder Schiedsrichtermontur auf dem Plastikrasen, Plastikzuschauer mit kleinen Fähnchen in ihren winzigen Zangenhändchen, einen Plastik-Wurstverkäufer, eine wie echt verstellbare Anzeigetafel und das original Playmobil-Polizeiset samt grüner Minna daneben und so weiter. (Dieses Bild war so unvermeidlich, dass ich für den vorherigen Satz um Entschuldigung bitte.)
Wirklich sympathische Menschen sind in der Regel in der Lage über sich selbst lachen zu können. In Fürth dürfte es besonders viele von ihnen geben, die zudem gerne darauf hingewiesen haben, dass dieser putzige Name noch immer angenehmer als Sportplatz am Ronhofer Weg gegenüber dem Zentral-Friedhof sei. So lautete der Taufname aus dem Jahr 1910.
2010 war die Playmobil-Arena passé und Fürth konnte hoffen, in der Fußballwelt wieder weniger Schmunzeln zu provozieren. Denkste, denn besser wurde es nicht. Nach den Plastikmännchen kamen kleine Wichte aus dem Wald und nannten das Stadion Trolli-Arena. Natürlich waren es keine Wichte, sondern Manager mit schnöden marktwirtschaftlichen Interessen. Wem diese Marke Trolli kein Begriff ist, dem sei ein Blick in die Süßwarenregale des örtlichen Supermarkts empfohlen. Auf den Tüten mit den besonders bunten Haribo-Derivaten, eben jenen, von denen man glaubt, sie würden sich dem kindlichen Auge selbst bei einem Ausfall der Supermarktbeleuchtung noch als erstrebenswert zu erkennen geben, auf denen steht Trolli. In diesem Moment achten wir wieder auf unser inneres Auge bei der Verschmelzung von neonfarbigen Fruchtgummis und Kaubonbons, die problemlos als Sofakissen eines Barbie-Ambientes durchgingen, mit einem Fußballstadion. Guten Appetit!
Nun ist die SpVgg Greuther Fürth bekanntermaßen nicht mein Lieblingsverein, aber auf meiner geheimen Liste der Vereine, die es nicht geben sollte, findet sie garantiert auch keinen Platz. Daher wünsche ich dem Club ein gutes Händchen bei der anstehenden Sponsorenwahl, denn die stetig wechselnde und in diesem Fall sogar ins Lächerliche verfallende Arenenbenamung sollte endlich eingeschränkt werden.
Gibt es denn keinen fußballverliebten Millionär, der – sagen wir mal – Geld für einen Ronhof (von mir aus auch Ronhof featured by XYZ) springen lässt?
Zum Abschluss nenne ich eine Auswahl von Stadien, die ihren Namen unbedingt behalten oder schleunigst ihren alten Namen zurückbekommen sollten:
Alm – Bielefeld
Betzenberg – Kaiserslautern
Böllenfalltor – Darmstadt
Dreisamstadion – Freiburg
Frankenstadion – Nürnberg
Lohrheidestadion – Wattenscheid
Millerntorstadion – Hamburg-St.Pauli
Müngersdorfer Stadion – Köln
Neckarstadion – Stuttgart
Niedersachsenstadion – Hannover
Rheinstadion – Düsseldorf
Ronhof – Fürth
Ruhrstadion – Bochum
Stadion am Bieberer Berg – Offenbach
Stadion an der alten Försterei – Berlin-Köpenik
Stadion an der Bremer Brücke – Osnabrück
Stadion an der Lohmühle – Lübeck
Stadion der Freundschaft – Cottbus
Tivoli – Aachen
Volksparkstadion – Hamburg
Waldstadion – Frankfurt am Main
Wedaustadion – Duisburg
Weserstadion – Bremen
Westfalenstadion – Dortmund
Wildparkstadion – Karlsruhe
Zoostadion – Wuppertal
Sollte ich ein wichtiges Stadion übersehen haben – höchstwahrscheinlich habe ich das – dann melden Sie es mir doch bitte über das Kontaktformular.
In meinem Beitrag habe ich die wirtschaftlichen Notwendigkeiten, wenn sie denn als bestehend angenommen werden, total vernachlässigt. Warum auch nicht? Ich bin der Meinung, dass man nicht jeden Unfug mit ökonomischen Argumenten rechtfertigen kann. Weniger ist schließlich oft wesentlich mehr. Sollten sie mich als hoffnungslosen Romantiker beschimpfen oder auslachen wollen, behalten Sie es bitte für sich. Ich würde sonst nur davon ausgehen, dass Sie ganz einfach nichts verstanden haben.
© Dirk Jürgensen – Veröffentlichungen des Textes, auch in Auszügen, nur mit ausdrücklicher Genehmigung des Autors.