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Susan Sontag – If Consiousness is Harnessed to Flesh – Diaries 1964-1980, herausgegeben von David Rieff

von Maria Jürgensen (Marie van Bilk) ...

David Rieff hatte zwei große Taschen mit Tagebuchaufzeichnungen, die er sichtete und aus denen er exemplarisch für die zu veröffentlichenden Tagebücher seiner Mutter – Susan Sontag – auswählte. Nun stellt allein die Auswahl bereits einen Eingriff in die autobiographischen Stücke dar. Außerdem erhält der Leser in der Tat nur lose Puzzle-Teile, die er zu einem individuellen Wahrnehmungsbild verschmelzen lassen kann.

Susan Sontag – If Consiousness is Harnessed to Flesh

Manche Stellen des zweiten Bandes von Susan Sontags Tagebüchern sind schwer zu ertragen. Es sind meist solche, in denen sie über ihre Liebesbeziehungen spricht. Manchmal möchte man sie wecken, sie fragen, warum sie als eine sonst überaus analytische Frau in anderen Situationen so blind für das Offensichtliche ist. Nun. Jeder lebt sein Leben – with all its obstacles and difficulties.

Zwischendurch dachte ich: „Jetzt hast Du aber genug von Sontag!“, zumal sich aus der Lektüre parallel weitere ergaben: Hustvedt denkt ein Essay von Sontag weiter. Didion, Oates, Solnit oder Taubes fließen als (Re-)reads in meine Hände. Die Mutter von Fran Lebowitz taucht auf. Über L. habe ich gerade eine wunderbare Doku gesehen.

Kurz: Sontag-Lektüre (über und von) motiviert. Ihre Essays tun genau das, was Essays tun sollen. Sie sind inspirierend fürs eigene Hirn. Ich bin nicht mit allem einverstanden, manches langweilt, anderes interessiert mich nicht, aber die Essenz fesselt.

Habe noch nie so viel parallel gewollt beim Lesen. Das ist toll, erfüllend.

© Marie van Bilk/Maria Jürgensen – Veröffentlichungen, auch in Auszügen nur mit ausdrücklicher Genehmigung der Autorin.

Für alle hier besprochenen Bücher gilt: Unterstützt möglichst den lokalen Buchhandel!

Weitere Kurzrezensionen




Benjamin Moser – Sontag. Her Life.

von Maria Jürgensen (Marie van Bilk) ...

„Sontag“ von Ben Moser: 700 pralle Seiten mit Information zu Susan Sontag, einer Frau, über die man den Stab brechen kann. Denn leicht hat sie sich ihr Leben nicht gemacht, war im Umgang sowohl herzlich, als auch unerträglich brutal, glänzte durch Großzügigkeit und Einsatz genauso wie durch Skrupellosigkeit und Überheblichkeit. Schillernd bemitleidenswert.

Benjamin Moser – Sontag. Her Life.

Benjamin Moser fasst zum Ende des Buches ihre Verdienste zusammen. Sinngemäß: Sontags Leben und Werk zeigen, wie instabil selbst so große Worte wie Sozialismus, Kunst und Demokratie sein können. Sie zeigte wie empfindlich das amerikanische Selbstverständnis war. Sie war bei der Revolution in Kuba zugegen und als die Berliner Mauer fiel. Sie war in Hanoi, als Bomben fielen, in Israel im Yom Kippur Krieg. Sie war in der Hochzeit New Yorker Kultur in eben diesen Kreisen unterwegs, kannte die queere Szene ihrer Zeit, wenn sie sich mit einem Outing mindest so schwer tat, wie mit einem Bekenntnis zum Feminismus. Lediglich allerdings deswegen, weil sie um das Labelling in einer männlich konnotierten und straight orientierten Welt wusste. Sie war Zeugin großer Erfolge in Wissenschaft und Medizin, von den ersten Schritten ausgehend von Freuds Theorien bis hin zu einem neuen Verständnis der Gefährlichkeit von Drogen und Alkohol und revolutionären Ansätzen in der Psychologie. In einer geteilten Welt präsentierte sie ein gespaltenes, zutiefst mit sich ringendes, zweifelndes Selbst. Sie schuf große Texte und miserable. Sie versuchte, ihre empathische Unfähigkeit zu überwinden, was ihr zeitlebens nicht gelang und Großes zu leisten. Sie unterstützte die Bosnier in der Zeit des Krieges vor Ort und verhalf verfolgten Künstlern und Schriftstellern zu einem neuen Leben. Sie stellte sich gegen Interpretation und beschrieb die Metaphern unserer Zeit, um schließlich selbst zu einer zu werden.

Empfehlung!

© Marie van Bilk/Maria Jürgensen – Veröffentlichungen, auch in Auszügen nur mit ausdrücklicher Genehmigung der Autorin.

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