Ich habe Wolfgang Niedeckens mehrteilige Dokumentation „Bob Dylans Amerika“ auf Arte gesehen und mir daraufhin diesen Band aus der KiWi-Musikbibliothek und die Chronicles von Bob Dylan angetan. Auch den Reclam-Band mit Bob Dylan-Texten habe ich mir zugelegt und sie – begeistert – in Teilen in meinen Bildern verarbeitet. Im Plattenschrank meines Mannes steht Dylans Musik.
Ohne Dylan, so sagt Wolfgang Niedecken, sei er nie Musiker geworden. Es gibt zahlreiche Coverversionen von Dylan-Songs, die er veröffentlichte. Schließlich macht er sich als erklärter Verehrer seines Vorbilds auf Spurensuche, reist nach Amerika und besucht Weggefährten, Maler, Musiker, Bewohner einstiger Stationen des Komponisten, Sängers und Nobelpreisträgers für Literatur. Gitarre, Mundharmonika, Orgel und Klavier waren die Instrumente, die er beherrscht und die seine Musik, neben seiner eingängigen Stimme so unverwechselbar machen.
Die Personen, die Niedecken auf seiner Reise begegnen, sind nicht weniger schillernd und interessant, als Dylan selbst. Niedecken ist ihm mehrfach persönlich über die Füße gelaufen und zehrt noch heute davon.
Die Lektüre hat mir sehr viel Spaß gemacht, die Filme auch, das Malen zu den Texten noch mehr und die Musik ruft eine Zeit ins Gedächtnis, die von der Beat-Generation gezeichnet ist. Musik-, Weltgeschichte und Geschichten paaren sich mit den höchst individuellen Erzählungen und Texten dieser beiden Herren.
Die amerikanische Autorin Ursula K. Le Guin schrieb phantastische Literatur, politische Utopien und Essays. Sie starb 2018 in Oregon. Eines ihrer Werke „No Time to Spare“ habe ich nun gelesen. Mich reizte die Tatsache, dass Le Guin es mit 83 Jahren schrieb, es in den Auszügen, die ich las, geradlinig und direkt zur Sache ging.
Nun: Ich werde kein Fan ihrer Kunst. Einige Texte sind ganz gut, zeigen Lebenserfahrung und gute Beobachtungsgabe. Über andere habe ich mich geärgert oder sie nach dem Anlesen überblättert. Im ersten Teil des Buches spricht sie über das Altern. Ein Thema, das mich noch am meisten berührt hat und das sie klar und präzise zu umreißen versteht.
Den zweiten Teil widmet sie ihrer Katze. Man muss wohl KatzenliebhaberIn sein, um das zu mögen. Im dritten Teil soll es um Literatur gehen. Doch weit gefehlt und an Banalität nicht zu überbieten. Gleich im Anschluss fügt sie wieder ein Histörchen übers Kätzchen ein.
Im vierten Teil: Politik und Gesellschaft. Stellenweise sträuben sich mir die Haare, wenn es z.B. über die schnieken Uniformen von Soldaten geht. Ihr Text über Wut ist nett, aber durchsetzt von Gemeinplätzen. Und dann kommt wieder die Katze auf leisen Pfötchen…
Den vierten Teil des Buches habe ich nur noch überflogen. Thinking about what matters?
Die Möglichkeit, dass ich andere Bücher von ihr lese, besteht definitiv nicht.
Selbstfürsorge. Ein Thema, das mich seit meinem Klinikaufenthalt beschäftigt.
Ich könnte dieses Wort auch mit „Verantwortung für sein eigenes Wohlbefinden übernehmen“ übersetzen. Und weil das so ist, bedeutet der Ansatz von Svenja Gräfen, dass man ruhig ein wenig über den Tellerrand schauen darf. Denn sie behauptet, dass das Verändern negativer Glaubenssätze nicht aus dem System der Selbstausbeutung hinausführt, sondern einen schlicht nur neu konditioniert und wieder fit macht, um dann wieder daran zu kranken. Da ist durchaus etwas dran, denn manchmal ist man nicht selbst oder das eigene Denkmuster das Problem, sondern das System, in das man sich begibt. Klug also, wer das zu unterscheiden versteht und für sich die Situation ändern kann.
Dennoch läuft sich ihr Buch irgendwann tot, insbesondere wenn es um Aktivismus und Feminismus geht. Eine Leseempfehlung gebe ich trotzdem.
Martins Familie in Stefanie vor Schultes Roman „Junge mit schwarzem Hahn“ kommt vor seinen Augen ums Leben und er in einer fernen Zeit, in einem unwirtlichen Umfeld gerade so über die Runden. Er besitzt nichts außer einem sprechenden Hahn, Freund, Vertrautem und Unterstützer, in dem seine Mitmenschen den Teufel zu erkennen glauben. Martin ist klug und das macht ihn in ihren Augen verdächtig. Reiter tauchen auf, die Kinder stehlen, ein Maler und ein Invalide, die sich des Jungen annehmen. Und schließlich macht sich Martin auf zur Fürstin, um das Schlafspiel zu gewinnen.
Die Geschichte erinnert an ein Märchen, samt rettendem Helden. Schade ist, dass Frauen in dieser Geschichte eigentlich nur als böse Frau, als Anhängsel von Mann oder als giftiges Tratschweib vorkommen. Nun sind Stereotype in Märchen nicht untypisch… Schade fand ich es dennoch.
Die Geschichte ist unterhaltsam und packend geschrieben. Ein Favorit wird das Buch allerdings nicht.
Stefanie H. Martin – Die Liebenden von Bloomsbury – Band 1, Virginia und die neue Zeit
|
von Maria Jürgensen (Marie van Bilk) ...
So entsteht ein Leseprojekt! Beim letzten stand Susan Sontag auf dem Plan. Diesmal sind es, Dank sei Stefanie Hohn (aka Stefanie H. Martin), Virginia Woolf, Vanessa Bell und Vita Sackville-West.
Stefanie Hohns erstes Buch der Trilogie um die drei Bloomsbury-Frauen heißt „Virginia und die neue Zeit“. Es ist großartig recherchiert, macht von der ersten Seite an Spaß und bringt auch jene auf die Spur dieser faszinierenden Schriftstellerin, die sich bisher nicht trauten.
Mich hat es richtig angefixt, alte Lektüre aus dem Regal zu klauben und mir ein paar neue Schätzchen zu besorgen. Und auf die zwei nächsten Bände, die Ende des Jahres und im Frühjahr des nächsten erscheinen freue ich mich jetzt schon.
Im ersten Band wird die Zeit ab dem Umzug der beiden Stephens-Schwestern nach Bloomsbury, die Entstehung des Bloomsbury-Kreises, Vanessa Stephens Heirat mit Clive Bell und Virginas erste Schaffensphase geschildert. Die für die Zeit eigenwillige, freigeistige und offene Lebensform, Virginias Klugheit und Belesenheit, ihre Ausdrucksstärke, aber auch das Los ihrer Krankheit, Vanessas Kunst, der besagte Künstler- und Philosophenkreis, den sie und ihr Bruder Thoby ins Leben rufen und diverse amouröse Verstrickungen sorgen für reichlich Spannung und Konfliktstoff.
Der Roman fängt auch die Atmosphäre der noch vom viktorianischen Zeitalter geprägten britischen Gesellschaft brillant ein, die einen starken Gegensatz zur Denkungsart der Frauen bildet. Stefanie Hohn findet den richtigen Ton dafür. Er erinnerte mich ein wenig an Jane Austen.
Bücher von Paul Auster sind mir während meines Studiums der Anglistik in Köln intensiver begegnet. Ich glaube, „Stadt aus Glas“ war das erste Buch, das ich während meiner Buchhändlerinnenzeit von ihm las. Inzwischen ist das so lange her, dass es zweifelsohne Sinn ergäbe, mir die New York Trilogie nochmals vorzunehmen.
Das Buch, von dem ich Euch heute erzählen will, ist ebenfalls ein Re-Read. Wie bei vielen Büchern von Auster hat der Protagonist, David Zimmer (im Roman „Mond über Manhattan“ bereits Figur), Erschütterndes zu verarbeiten. Der Universitätsprofessor verliert seine Frau und seine Kinder bei einem Flugzeugabsturz. Er flüchtet sich in Alkohol, die Einsamkeit einer hässlichen Einsiedlerklause und schließlich ins Schreiben über den Stummfilmstar Hector Man. Die Veröffentlichung seines Buches veranlasst die Ehefrau des bislang als verschollen geglaubten Schauspielers Zimmer zu kontaktieren. Sie behauptet Hector Man sei noch am Leben, stehe aber an der Schwelle des Todes und der Autor möge sich beeilen, ihn zu besuchen. Der jedoch verweigert sich und übersetzt lieber die Autobiographie Francois-René de Chateaubriand, „Mémoires d’outre-tombe“, zu der es eine Reihe von Anspielungen in dem Buch gibt. Auch hier vermischen sich Ebenen der Illusion mit der Realität, die wiederum im Roman Austers zur Illusion werden. Eines Abends taucht eine fremde Frau vor seiner Haustür auf, um ihn davon zu überzeugen, seine Meinung noch zu ändern.
Wie Auster ist Zimmer Autor, im selben Jahr geboren. Im Buch wird der fiktive Film „Das Innenleben des Martin Frost“ beschrieben. Auster hat den Film Realität werden lassen, ein Drehbuch geschrieben und Regie geführt. In seinen Büchern tauchen Figuren oft nochmals auf.
Schon in der Stadt aus Glas wechselt der Protagonist seine Identitäten. In 4, 3, 2, 1 erleben wir vier verschiedene Möglichkeiten eines Lebens. Oft sind Austers Figuren Schriftsteller, die im Chaos vergeblich nach Orientierung suchen, weil ein Chaos das nächste gebiert und erneut nach Ordnung verlangt. Ordnung, das ist vornehmlich Sprache, das Sich-Wiederfinden im Erklären, Versprachlichen der Welt, jenseits aller Schicksalsschläge und Schmerzen.
Das Buch ist ein Meisterstück. Was ist wahr, was eine Lüge? Wo beginnt Illusion und wo die Wirklichkeit? Tod und Leben, Fiktion, Traum und Realität, Identität und Zuschreibung – in Austers Händen verwandelt sich das eine in das andere und umgekehrt. Alles ist im Fluss und ändert ständig seine Form. Gestalt gewinnt nur das, was sich beschreiben lässt.
Olivia Laing – The Lonely City, Adventures in the Art of Being Alone
|
von Maria Jürgensen (Marie van Bilk) ...
Zu diesem Buch mag ich gar nicht so viel sagen, denn ich denke, Ihr solltet es selbst für Euch entdecken.
Was heißt Einsamkeit? Was bedeutet es, nicht in Kontakt oder gerade in Kontakt mit anderen zu sein, mit anderen eine Verbindung aufzubauen und was bedeutet das eine und das andere für unser Leben? Hilft uns Technologie bei der Überwindung von Einsamkeit oder hält sie uns gefangen? Warum übt sie einen Reiz auf uns aus?
Als Olivia Laing nach New York zieht, erlebt sie inmitten einer stark belebten Stadt, was Einsamkeit bedeuten kann. Der Zustand fesselt sie und sie begibt sich auf die Suche, indem sie sich auf die Spuren von Künstlern begibt.
Andy Warhol, David Wojnarowicz, Edward Hopper, Wittgenstein, Rimbaud, Henry Darger u.v.m. finden Beachtung, Aids, Social Media und Queerness sind Themen, denen sie sich widmet.
Ein berührendes, kluges, nachhaltiges Buch ist ihr Buch „The Lonely City, Adventures in the Art of Being Alone“, für das man sich Zeit nehmen muss.
Nina Kunz arbeitet seit 2017 als Kolumnistin und Journalistin für „Das Magazin des Tagesanzeigers“. Ihre Texte erscheinen auch in der NZZ und der ZEIT. 2018 und 2020 wurde sie zur besten Kolumnistin des Jahres gewählt.
Als solche, nämlich als Kolumnen, sollte man diese in diesem Bändchen, „Ich denk, ich denk zuviel“ höchst amüsante Stückchen zu Sinnkrisen, Selbstzweifeln und Sehnsüchten auch lesen. Dann lohnt die leichte, intelligente und erhellende Lektüre, geschrieben von einer Vertreterin der Generation meiner Kinder, die so manches anders sehen als wir.
Martina Borger und Maria Elisabeth Straub – Katzenzungen und Sommer mit Emma
|
von Maria Jürgensen (Marie van Bilk) ...
Borger und Straub heißt das Autorenpaar, das in „Katzenzungen“ keinen Stein auf dem anderen lässt: Drei Freundinnen verabreden sich zu einem gemeinsamen, mehrtägigen Ausflug nach Amsterdam. Die Ereignisse werden jeweils aus den Perspektiven und in den Worten der Protagonistinnen dargestellt und blättern nach und nach ihre gemeinsame Vergangenheit auf.
Der Ton der so unterschiedlichen Charaktere wird dabei hervorragend getroffen. Die Vergangenheit der Drei hält einiges an Geheimnissen bereit, die sich zuletzt in einem furiosen, zerstörerischen Inferno entladen.
Nach „Sommer mit Emma“ ist es das zweite Buch von Martina Borger und Maria Elisabeth Straub, das ich lese. Auch im Vorgänger werden Fehlschläge, Versäumnisse und Rachegelüste thematisiert, die letztendlich zum Untergang führen.
Nichts für zarte Gemüter, aber so packend, dass man in einem Zug durchliest.
Mareike Fallwickls Buch „Die Wut, die bleibt!“ sei jeder Frau empfohlen.
Die Geschichte beginnt mit einem Schock. Ein Ehemann fragt nach dem Salz und seine Frau steht vom Tisch, an dem ihre ganze Familie, zwei kleine Jungs, ein halbwüchsiges Mädchen und der Mann, sitzen, auf und springt vom Balkon in den Tod.
Doch nicht die Ursachenermittlung ist Thema des Buches – obwohl im Verlauf des Buchs die Intention der Ehefrau und Mutter sehr klar wird – sondern das, was die übriggebliebenen Frauen in dieser Geschichte anschließend tun. Was passiert, wenn eine Mutter fehlt, die Emotionen ihrer Kinder aufgefangen, begleitet und verarbeitet hat, für Kindeswohl, Haushalt und Gleichgewicht sorgte? Und wie ist das mit der Anerkennung für diese große Menge Arbeit, die Mütter und Hausfrauen, aber auch Frauen im Beruf mit und ohne Mann oder Kindern leisten? Wie vereinnahmend ist die Gesellschaft bei Aufgaben, die Frauen traditionell immer noch wahrnehmen? Wie tief unter der Haut sitzt die eigene Akzeptanz von (prekären) Umständen, in denen Frauen ganz selbstverständlich dienende, unterstützende, begleitende Aufgaben wahrnehmen? Warum wehren sich so wenige Frauen gegen Vereinnahmung, die sogar bis hin zum eigenen Körper reicht? Für wen und warum sind sie schlank, fit, immer da?
Da ist Sarah, erfolgreiche Autorin, die mit ihrem Freund in ihrem Haus lebt, das er ganz selbstverständlich okkupiert und von jetzt auf gleich für ein ganzes Jahr die Rolle der Toten einnimmt, sogar während der Woche ins Haus der Freundin einzieht. Johannes, der Ehemann, sorgt für das Finanzielle, ist aber ansonsten abwesend und hält es für selbstverständlich, dass eine Frau ihn inmitten des Chaos unterstützt. Er ignoriert alle anderen Bedürfnisse, bleibt in seiner angestammten Rolle genauso gefangen wie sie es ist. Meist, weil er es nicht anders kennt. Er marginalisiert, lächelt weg, hört nicht zu, entzieht sich, übt verbal Gewalt aus oder agiert als viertes Kind der Familie.
Und da ist Lola, Stieftochter von Johannes, die gemeinsam mit ihrer Freundin von Jungs verprügelt wird und sich für einen Selbstverteidigungskurs anmeldet. Eine junge Frau, die sich aufzulehnt, Sarahs Emanzipationsselbstverständnis in Frage stellt, sich Raum nimmt und ihn verteidigt, die nicht zurückweicht und sogar zurückschlägt, die die Verhältnisse umkehrt, die klar macht, wie sehr wir Frauen in den alten Mustern festsitzen und es nicht einmal bemerken.
Jede von uns kennt das Gefühl, zu leisten und keine Anerkennung zu erfahren, weil die Gemeinschaft diese Leistung für selbstverständlich hält. Der Chef fragt nicht den Kollegen, ob der Kaffee gekocht werden kann, sondern die Kollegin. Das Lob für den Erfolg erhält der Kollege, selbst wenn die Kollegin die Verursacherin ist. Wer als Frau dick ist und gerne isst, bekommt das Label fett und faul und das auch überall gesagt. Selbstoptimierung ist ein Muss, Demut eine selbstverständliche Haltung und Zweifel an sich selbst sowieso.
Fallwickl markiert die Übergriffigkeit der Gesellschaft. Auch wenn mir der Schluss etwas zu romantisierend daher kommt, vielleicht weil mir die hochgestreckte geballte Faust so sehr im Kopf war, während ich las, das Kämpferische, die Deutlichkeit so gut gefiel, es ist ein wichtiges, richtiges, großartiges Buch.
Leslie Jamison – Es muss schreien, es muss brennen
|
von Maria Jürgensen (Marie van Bilk) ...
Der Waschzettel nennt Leslie Jamison „eine der originellsten Denkerinnen ihrer Generation.“ Ich halte das für etwas übertrieben, mochte ihr Buch: „Es muss schreien, es muss brennen“ aber trotzdem oder gerade deswegen.
In 13 Essays, die sie unter den Überschriften „Sehnen“, „Schauen“ und „Bleiben“ subsumiert, beschäftigt sie sich mit einem Walfisch, der zur Metapher von Menschen mit unterschiedlicher Leidensgeschichte wird, Geschichtenerzählen, Zwischenstopps und dem Internethype um Second Life. Sie wirft einen Blick auf James Agee, die Liebe und das Bleiben, besucht das Museum der gebrochenen Herzen und schlägt Purzelbäume bei der Geburt ihrer Tochter.
Manchmal ist es ein Abschnitt, manchmal ein Satz, der mich packt und festhält. Dann wieder stolpere ich über einen Gemeinplatz oder eine allzu sehr gewollte Pointe. Jamison wird mit Susan Sontag verglichen. Sie ist aber nicht und schreibt nicht wie Sontag, sondern wie Jamison. Ihr eigener Stil ist greifbar, wenn auch Bezüge vermuten lassen, dass sie Sontags Essays gut kennt.
Es gibt bessere EssayistInnen als Jamison, aber es gibt auch bessere und zeitgemäßere als Sontag. Was Jamison Sontag voraus hat, ist Empathie, den Blick für Schönheit im Hässlichen und das Entdecken des Wertes der kleinen, vermeintlich unbedeutenden Dinge, das Streben nach Verständnis und Erfüllung im eigenen, gegenwärtigen Dasein und die Fähigkeit zum Augenzwinkern. Wo man bei Sontag das unterschwellige Geltungsbedürfnis mitliest, tritt Jamison anteilnehmend hinter ihren ProtagonistInnen zurück, selbst dann, wenn es selbstbewusste Selbstbezüge gibt.
Jamison hat ein Händchen für Boulevard mit Stil.
Auch wenn es beim Lesen gelegentlich Hürden gab, so ist mein Resümee ein überzeugtes: „Daumen hoch“.
Als mein Mann und ich uns kennenlernten, scherzte er, Frauen liebten Leonard Cohen. Wenn man eine Frau für sich gewinnen wolle, so müsse man seine Musik auflegen und sie schmölze dahin. Nun, ich muss gestehen, auch ich besitze eine seiner Platten, habe mir allerdings nie eine weitere zugelegt.
Leonard Cohen war ein kanadischer Musiker, Dichter und Maler. Der Roman „Beautiful Losers“ erreichte 1966 sogar die Bestsellerlisten, bevor 1967 sein erstes Album erschien.
Die beiden Figuren Lukas und Harry geht es indes ganz anders. Als Zwei-Mann-Band touren sie mit Covern von den Kinks und Beatles durch die Lande, bis Lukas im Radio „Suzanne“ hört. Leider gibt es damals noch kein Internet und so scheint es ihm schier unmöglich zu sein, herauszufinden, wer der Interpret dieses Songs ist. Als er schließlich Gitte und Julia begegnet, erreicht er mit deren Hilfe schließlich sein Ziel. Zehn Jahre später reist Lukas mit Cohes Gedichten im Gepäck auf eine griechische Insel und begegnet dort einer weiteren Frau. Ist sie das, was er sucht? Und was hat Leonard Cohen damit zu tun?
Schönes Bändchen, tolle Geschichte. Unbedingte Leseempfehlung.
Nahe früheren katholischen Schulen oder besser sogenannten Umerziehungsheimen in Kanada sind mehr als 1000 indigene Kinder begraben. Die unmarkierten Gräber erinnern an die Zeit, in denen Kinder ihren Familien in den Reservaten entrissen und zur Missionierung in die Heime eingewiesen wurden. Die Gräueltaten an diesen Kindern, zu denen nicht nur die Verleugnung von Kultur und Sprache dieser Völker, sondern auch Missbrauch gehören, reichen bis in die 90er Jahre des letzten Jahrhunderts. Bis heute leiden die nun Erwachsenen unter den Folgen.
Was dort in Kanada geschah, passierte auch in Teilen der USA. Davon erzählt Katja Kettus Buch „Die Unbezwingbare“.
Lempi, die Tochter eines finnisch-indigenen Paares erkundet das Verschwinden ihrer indianischen Mutter und stößt dabei auf die eigenen, verborgenen Wurzeln und auf einen Rachefeldzug, der ihren Zugang zur eigenen Vergangenheit verändert.
Das Buch hat es mir zu Beginn nicht leicht gemacht. Die sehr blumige, stellenweise fremdartig ungelenk wirkende Sprache brauchte Zeit, um mich zu erreichen. Die Geschichte gewinnt erst zum Ende hin an Drive. Dennoch hat das Buch mir gut gefallen, denn die Geschichte basiert auf Begebenheiten, die mir unbekannt waren und mich tief betroffen machen.
Katherine May schreibt in „Überwintern“ über einer Reihe von Krisen, die sie in einer Phase ihres Lebens heimsuchten. Sie begegnet ihnen mit Flucht, Erklärungsversuchen und schließlich Akzeptanz. Sie reist nach Stonehenge, begegnet dort Menschen mit Druidenglauben, gibt sich der heilenden Wirkung von Flora und Fauna hin, konsultiert Ärzte und Psychologen.
Ich stehe Religionen, Esoterik, Spiritualität und Geisterglauben eher bis sehr skeptisch gegenüber. Mit Krisen jedoch kenne ich mich aus und auch mit dem Kampf ums Überleben in persönlichen Wintern. Wie May bin ich davon überzeugt, dass es Lebenszyklen gibt. In dunklen Tagen finde ich den Weg in die Natur und versuche, wieder ins Handeln zu kommen, wenn alles steht. Ich male, schreibe, ziehe mich zurück. Und ich weiß, am Ende einer Krise steht immer Akzeptanz: Es ist wie es ist. Und auch, wenn unser Handeln durchaus Konsequenzen hat, ich mir meiner Verantwortungen bewusst bin, so weiß ich auch, dass einem das Leben einfach passiert. Dass man auf Teile keinen Einfluss hat und sich ergeben muss, trotz aller Ängste und Schmerzen.
Mit Mays Buch, mit all dem „wir müssen“, „man sollte“ und um jeden Preis „weiter“ konnte ich daher nur sehr wenig anfangen. Auch, wenn es Stellen der Übereinkunft gab.
Jean-Paul Dubois – Jeder von uns bewohnt die Welt auf seine Weise
|
von Maria Jürgensen (Marie van Bilk) ...
Paul Hansen ist Pfarrerssohn. Während sein aus Skagen stammender Vater seinen Glauben verliert und beim Spiel das Geld seiner Kirche verzockt, führt seine Mutter skandalträchtige Filme im eigenen Kino auf und probt die Revolution. Paul selbst reflektiert sein Leben von seiner Gefängniszelle aus. Er teilt sie sich mit Patrick Horton, einem Taschentücher über Klobrillen ausbreitenden Harley Davidson-Liebhaber, Sensibelchen und Mörder. Ab und zu bekommt Paul die stummen Geister seiner Frau und seines Hundes zu Gesicht.
Die Geschichte mäandert zwischen dem fortschreitenden Jetzt und der Vergangenheit hin und her, bis der/die LeserIn, fast schon am Ende des Buchs angelangt, den Grund für Pauls Knastaufenthalt erfährt und Zeuge einer Genugtuung wird.
Ein witziges Buch ist Jean-Paul Dubois „Jeder von uns bewohnt die Welt auf seine Weise“. Der Autor hat eine schöne Schreibe, die zum Ende hin etwas sehr pathetisch und schwächer ist, als zu Beginn. Für den Prix Goncourt hat es jedenfalls gereicht. Und mich hat es angenehm unterhalten.
Isobel Markus – Stadt der ausgefallenen Leuchtbuchstaben
|
von Maria Jürgensen (Marie van Bilk) ...
Isobel Markus lebt in Berlin und studierte dort Anglistik und Bibliothekswissenschaften. Sie ist als freie Autorin unterwegs und wirkte bei diversen Kunst- und Fotografie-Projekten mit. Außerdem ist sie Veranstalterin der Berliner Salonage, die, wie sie selbst auf ihrer Website schreibt „die Tradition der historischen Berliner Salons mit gegenwärtiger Kunst“ verbindet. „Sie bietet bekannten und noch ganz unbekannten KünstlerInnen verschiedener Richtungen eine thematische Bühne, auf der sie Neues ihrer Arbeit vorstellen und mit dem Publikum in Austausch treten.“
Auf Facebook berichtet sie in kleinen, amüsanten Skizzen vom Alltag in der großen Stadt. Fortgesetzt wird diese Form in ihrem Buch „Stadt der ausgefallenen Leuchtbuchstaben“. Ihre Miniaturen sind Streiflichter des Lebens, mal humorig, mal anrührend im Ton, dann wieder traurig, nachdenklich, laut oder leise.