Die Zeit und der Ort: Amerika Mitte der 50er bis in die Neuzeit. Zwei Schwestern, dunkle Hautfarbe, Zwillinge, gerade so vom Teint, dass sie vorgeben könnten, weiße Eltern zu haben, leiden unter den Auswirkungen der Rassentrennung, den Gewalttaten von Weißen. Sie beschließen der Kleinstadt zu entfliehen und in der Großstadt ihr Glück zu finden. Wo sie zunächst gemeinsam beginnen, trennen sich schließlich ihre Schicksale. Eine Schwester lebt als Weiße, verleugnet ihre Herkunft. Die zweite kehrt mit ihrer Tochter an ihren Geburtsort zurück. Dann kreuzen sich die Wege ihrer Kinder…
Brit Bennetts Buch „The Vanishing Half“ ist ein spannender Unterhaltungsroman, Filmstoff, aber letztendlich dann doch recht zahm und stereotyp.
Stewart O‘Nans Bücher behandeln meist durchschnittliche Menschen, die gegen ihr Schicksal ankämpfen müssen und oftmals scheitern. Sehr oft geht es dabei um Tod und Verlust, um Vergeblichkeit und den Umgang damit. Seine Charaktere sind stets sehr plastisch und dicht geschildert und man leidet im wahrsten Sinne des Wortes mit.
In „Das Glück der Anderen“ kümmert sich Jacob als Sheriff, Prediger und Totengräber um sein Dorf. Dann wird das Dorf von einer Diphterie-Welle heimgesucht. Immer mehr Bewohner sterben. Ist Jacob der Auslöser? Kann er sein Dorf retten, als es auch noch von Feuer eingeschlossen wird?
Man spürt die zunehmende Einsamkeit und möchte dem Protagonisten oftmals zurufen, er möge aufgeben, dass alles keinen Sinn mehr habe, er sich verrenne in seiner Überzeugung, alle retten zu können. Ein Bravour-Stück zu Verantwortung, Scheitern, Lebensentscheidungen und Vertrauen ist er, der Roman „Das Glück der anderen“ von Stewart O’Nan. Empfehlung.
Uwe Wittstock – Februar 33 – Der Winter der Literatur
|
von Maria Jürgensen (Marie van Bilk) ...
Wie schnell es ging, dass KünstlerInnen ausgeschlossen, diffamiert, verfolgt und verhaftet wurden…. wie viele ins Ausland fliehen mussten…. wie rigoros und gewalttätig die Faschisten alles ausradierten, was nur ein, zwei Wochen vorher noch existierte. In Theatern schrieben sie mit, in Kinos warfen sie Stinkbomben. Sie kannten keinerlei Skrupel und waren auf diese Haltung auch noch stolz. Es ist nicht das Schlimmste, was in der Zeit des Nationalsozialismus verbrochen wurde, aber es hatte Methode, war Gleichmacherei mit dem Ziel der absoluten Kontrolle, bis ins Denken und Fühlen hinein. Krawall und Aufwiegelei, sich die Schwäche von anderen zu Nutze machen, manipulieren und zuschlagen, auch mit den Fäusten. Es gab schon in diesen Tagen viele Opfer, deren Zahl am Ende unzählbar wurde.
Uwe Wittstock erzählt in Februar 33 vom Sterben einer Kultur unter der Herrschaft des Faschismus. Eine Chronik, die nüchtern und sachlich bleibt und dennoch den Schrecken und die Not einfängt.
Ich bin Malerin und habe Sprachen, nicht Kunst studiert. Der intellektuelle Background, die akademische und auch technische Ausbildung fehlen mir persönlich nicht. Vielleicht ist das einer der Gründe, warum das Malen dadurch weitgehend ein Schöpfen aus dem Unterbewussten ist, trotz aller Übung, trotz Wachsen der Fertigkeit, Beherrschen der Technik, trotz der Betrachtung fremder Kunstwerke, trotz aller darauf folgender Nachahmung. Ich beginne meist mit einer Bleistiftzeichnung und nehme anschließend den Pinsel in die Hand. Das Bild verändert sich, ich folge dem Zufall, dem Zerfließen der Farbe, der intuitiv entstehenden Form. Der Charakter eines Portraits verändert sich, bekommt ein Eigenleben, nimmt meine Bewegungen, mein Ego auf. Es ist – nahezu immer – ein sehr befreiender, im Idealfall ein beglückender Prozess, in dem sich jede Intellektualität auflöst, die gesamte Chemie meines Körpers anders funktioniert. Dass das helfen kann, heil zu bleiben, habe ich am eigenen Leib erfahren. Denn auch ich war in der „Irrenanstalt“. Und ich hatte Glück.
Genau wie mir erging es Simone Scharberts Hauptperson in „Rosa in Grau“. Nun unterscheidet sich die Diagnose ihrer Protagonistin stark von der meinen und die Zeit ihres Aufenthalts in Haar-Eglfing liegt in den 50er Jahren des vorigen Jahrhunderts, das exakt macht den Unterschied und der ist gewaltig. Als Basis für Simones Geschichte dienen historische Berichte von InsassInnen jener Heilanstalt, bringt die Sammlung Prinzhorn Steine fürs Fundament und das künstlerische Schaffen von Erkrankten mit. Die Ich-Erzählerin beschreibt, sie nehme die Welt wie durch eine Scheibe wahr. Während des Lesens habe ich ständig genau das empfunden. Zwar wird in der ersten Person geschildert, ich hatte aber durchweg den Eindruck, als befände sich ein zweigeteiltes Wesen vor mir, das zugleich von außen beschreibt und vor sein Ich tätig einen Riegel schiebt, ein Unverständnis, eine Spiegelwelt, zu der nicht jeder Zugang haben darf. Nur nicht zu tief abtauchen, erfroren sein, nach außen blicken, aber nicht gesehen werden oder auch – nicht sich selbst sehen wollen.
Die Ich-Erzählerin schreibt zwar über das, was sie und ihre MitpatientInnen tun und fühlen – skizziert Verzweiflung, Wahn, Leere – aber immer mit Abstand, mit einem Schritt hinter dem Fühlen. Da ist vom Weinen die Rede – einer „Wasserflut, einer eigenen Sprache“ – die alle sprechen und die nur an diesem Ort verstanden werde.
„Eugen fasziniert zugeschaut habe, wie dann meine Stirn die Wand berührt habe. Zu Beginn fast zärtlich. Als habe ich eintrauchen wollen. In dieses Weiß, in die Wand. Dass er mich, meinen Namen gerufen habe. Dann, als mein Wippen stärker wurde. Dass ich nicht reagiert hätte. Im gegenteil: Ich meine Stirn nun gegen die Wand geschlagen hätte. Immer wieder. Ohne langsamer zu werden. Mit Druck. Wut, offensichtlich. Dass er nicht gewusst habe, was zu tun sei. Und dann diese Schreibe. Hoch, dünn. Schwer zu fassen. Langgezogene Töne. Dass er an Pfauen gedacht habe. Pfauenschreie. Ich ihm Angst gemacht hätte. Mein Körper, meine Stsitmme, mein Wesen. Er ein paar Schritte auf mich zugegangen sei. Mich habe berühren wollen, abhalten. Vom weiteren Wippen. Die Haut auf der Stirn schon aufgeplatzt sei. Ich offenbar nicht bemerkt, es mir nichts ausgemacht habe. Dass ich vielleicht nichts mehr spürte. Meinen Körper, den Shcmerz. Dass er mir helfen, das Blut habe stillen wollen. Er die Hand ausgestreckt habe. Aber zurückgezuckt, schließlich gerannt sei. Den Gang entlang zu ihrem Zimmer. Ich höre ihr zu. Sie erzählt ohne Pause, aber ruhig. Ich kann mich an nichts erinnern. So viel ist also sicher. Meine Erinnerung ist ein schwarzes Geschöpf. Sie wohnt in mir. Sie ist still, erzählt nichts mehr. Seit längerem schon. Schweigt. Kein einziges Wort. Ich habe mich daran gewöhnt. An diese Schwärze. In mir. Und dass andere Menschen mehr darüber wissen, als ich selbst.“
Die – sicher nicht unbeabsichtigt – namenlose Mutter hat sich und ihren Kindern offenbar aufgrund ihrer schizophrenen Erkrankung Gewalt angetan. Man lässt sie einweisen. Eines ihrer Kinder – Rosa – erscheint ihr, ist ständig bei ihr und zugleich ein Spiegelbild ihres eigenen Selbst. Je länger sich der Klinikaufenthalt hinzieht, umso weniger werden die Halluzinationen, der Zugang zum Kindlichen. Für die Gesundung wird in der Klinik allerdings wenig getan, im Gegenteil – Gefangenschaft und fragwürdige medizinische Praktiken zeichnen ein Bild von Entmenschlichung und Vernachlässigung der Patientinnen. Einzig Schwester Käthe kümmert sich, zumindest zu Beginn und bevor sie nach einer langen Zeit die Anstalt verlässt. Sie erzählt von nationalsozialistischen Zeiten, in denen an Menschen Experimente vorgenommen wurden. Sie verschweigt nicht, dass aus dieser Zeit noch Vieles in heutigen Tagen steht und praktiziert wird.
Als die Mutter schließlich entlassen wird, hat sie Schwierigkeiten, ihr Leben wieder aufzunehmen. Ein Aufenthalt in der „Irrenanstalt“ und der Makel der geschiedenen Frau sind Kainsmale, die isolieren. Sie schafft es nicht, muss wieder zurück in die Anstalt und das für sehr lange Zeit.
In all der Ödnis schimmern Lichter. Lichter, die ich kenne und von denen ich oben geschrieben habe: Ein Patient, der malt, eine Patientin, die aus ihren eigenen Haaren das Gesicht eines Mannes auf einen Fetzen Stoff stickt, eine, die aus kleinen Streifen auf dem Boden ihres Zimmers einen Sternenhimmel baut und schließlich die Mutter selbst, deren Zuflucht, Verbindung zu Ding oder Mensch und Kraftquelle Wörter sind.
„Wann immer ich kann, male ich Wörter. Mit dem Zeigefinger… auf alles, was mir unterkommt, male ich Wörter. Ich male auf Wände, auf Fenster, auf Tischplatten. Ich male auf Haut, auf Kleidung, auf Laken.“
Doch anders als bei mir gibt es in den 50er Jahren wenig Raum in solchen Einrichtungen dafür. Und so nagt die Zeit auch an unserer Hauptperson und nimmt ihr, was sie tröstet und hält. Denn zu all dem addiert sich, dass jemand, der mit psychischer Erkrankung umzugehen hat, das oft ein Leben lang tun muss – und in Anstalten wie diesen, in Zeiten wie diesen vergessen wird.
2017 erzählt der Sohn des kommissarischen Leiters der Anstalt, Peter Schmidt, in der Süddeutschen Zeitung von seinen Erlebnissen. Man habe noch lange nach Bekanntwerden der Verbrechen hinter diesen Mauern geschwiegen. Erst in den 80er- und 90er Jahren habe sich das verändert. Der Direktor Peter Brieger habe damals die Aufarbeitung vorangetrieben.
Im Haar-Eglfing wurden während des zweiten Weltkriegs Verbrechen begangen, die mancher KZ-Praktik in nichts nachstanden. Wie Brieger ermittelt, wurden bis zu 2000 PatientInnen, unter ihnen viele Kinder, umgebracht. Noch einmal 2100 PatientInnen wurden in Tötungsanstalten gebracht. Man habe direkt nach dem Krieg das Personal mit Waffengewalt zwingen müssen, den PatientInnen Essen zu geben. Das alte System, so sagt er, sei so verinnerlicht gewesen, dass nach dem Krieg brutal weitergemacht wurde wie zuvor, ohne überhaupt ein Unrechtsbewusstsein zu entwickeln. Schmidt selbst wurde abgesetzt, offenbar, weil alte Instanzen ihre Macht und ihre Methoden nicht aufgeben wollten. In der Zeit, in der das Buch spielt, sind also solche Praktiken durchaus noch Usus.
Schön auch ist die Gestaltung des Buches, bei der Bilder von KünstlerInnen aus psychiatrischen Einrichtungen als Illustrationen verwendet wurden. Mir gefallen Einband und Satz sowie das Format ebenfalls ausnehmend gut. Was an diesem Buch besonders hervorzuheben ist, ist Simone Scharberts unnachahmlich poetische Sprache, ihr Zeichnen von Wortlandschaften, auf denen ich als Leserin mit Wonne gesegelt bin. Leseempfehlung!
Das Schiff liegt immer im Hafen. Die Crew des Feuerschiffs Texel hat nicht allzu viel zu tun und schon gar keine Abwechslung durch lange Reisen und das Streben nach dem Anlaufen des nächsten Hafens. Stattdessen freut sich die Besatzung auf das großartige, abwechslungsreiche Essen des Schiffskochs. Sie staunt nicht schlecht, als der ein Böckchen mit an Bord bringt. Aus ihm soll ein Schmoreintopf werden. Darüber freut sich nicht jeder an Bord. Denn das Tier wächst dem ein oder anderen ans Herz. Und für Unruhe inmitten eines dichten Nebels sorgt es außerdem. Der Koch bekommt Malaria und es gibt einen Toten an Bord.
Die kurze, spritzige Erzählung von Matthijs Deen, „Der Schiffskoch“, macht Spaß. Lesen!
Ich habe Lydia Sandgrens „Gesammelte Werke“ gern gelesen, obwohl man die Geschichte um das verschwundene Multitalent und Genie Cecilia Berg, den Künstler Gustav Becker und den Möchtegernautor und Verleger Martin Berg mit seinen Kindern Rakel und Elis drastisch hätte kürzen können. Das Buch ist ein fast 900 Seiten dicker Schmöker mit Sogwirkung.
Zwei Kerle, die sich im Leben und im Scheitern üben, lieben dieselbe Frau. Der eine eher auf Abstand und im Geheimen, der andere heiratet sie. Doch die Überfliegerin, die mit dem kleinen Leben nicht zurechtkommt, ständig über soziale Hürden stolpert, hadert ebenfalls mit sich und flieht mit wenigen Worten des Abschieds. Bis ihre Tochter ihr durch die Lektüre eines Buches, das ein Vierter im Bunde schrieb, auf die Spur kommt.
Seine Frau ist gestorben und Antonio Bolivar lebt seitdem allein in einem kleinen Dorf am Amazonas. Als jemand Bücher aus der Stadt mit in die kleine Siedlung bringt, lernt Antonio lesen und freut sich auf immer neues Material, das per Boot bei ihm ankommt.
Dann geschieht etwas Schreckliches: Ein Engländer, der offenbar zu einer Gruppe leichtsinniger Abenteurer gehörte, treibt übel zugerichtet in einem Kanu an. Antonio weiß sofort, was geschehen ist. Ein Ozolot, in dessen Gebiet die Jäger offenbar eingedrungen sind und dessen Kleintiere sie getötet haben, hat sich gerächt. Antonio, der den Dschungel wie seine Westentasche kennt und in freundschaftlicher Beziehung zu den Indios steht, wird gezwungen, gemeinsam mit weiteren Kumpanen auf die Jagd zu gehen. Gewinnt die Natur oder gewinnt der Mensch? Denn darum geht es eigentlich in diesem Buch.
Was für ein tolles, starkes, berührendes und lehrreiches Buch!
Ich habe Linus‘ erstes Coming out als trans Mann damals hier auf Facebook verfolgen können. In seinem Buch schreibt er davon, „wie er der Mann wurde, der er schon immer war“. Auch auf seiner Website Ichbinslinus.de erzählt er über seine Erfahrungen und ist sowohl mit seinem Buch als auch seiner Website ein Rolemodel für alle Männer, denen es ähnlich ging und geht wie ihm.
Linus ist studierter Germanist und Blogger und arbeitet seit 2017 als Buchhändler in einem Berliner Buchladen. Mit 31 Jahren entschloss er sich endlich als Mann zu leben und einen langen, steinigen Weg auf sich zu nehmen. Dass das nicht leicht ist, kann man sich zwar denken, einigermaßen verstehen kann man es aber erst, wenn man Linus zuhört. Neben Hürden, die bei Behörden, bei ÄrztInnen, am Arbeitsplatz und selbst bei der Post zu meistern sind, weil es dauert, bis der alte Name geändert, der Körper angepasst ist, gibt es Anfeindungen, Ausgrenzung und Unverständnis. Manches ist von grundauf böse, gehässig und menschenverachtend, anderes wird unbedacht, in Unkenntnis geäußert und verletzt deswegen nicht weniger. Denn wir leben in einer patriarchen, binär geprägten Gesellschaft, die ein strenges Denkmodell lebt, in der kaum Platz ist für jene, die sich nicht in die altbekannten Muster einordnen lassen. Hilfe ist für trans Menschen nur bedingt vorhanden, wenn sie gestalkt, verunglimpft und beschimpft, vielleicht sogar körperlich angegangen werden. Verletzungen geschehen nahezu täglich.
Neben den dunklen Seiten gibt es aber auch Licht. Und davon erzählt Linus‘ Buch ebenfalls. Welche Freude und zugleich Angst er empfand, als er sich zum ersten Mal seinen Namen auf einen Kaffeebecher schreiben ließ, welchen großartigen Menschen er begegnet, wie sich sein Körper verwandelt und endlich zu einem wird, in dem er sich wohlfühlt. Wir begleiten ihn in seinem Buch durch Hochs und Tiefs und müssen uns an mancher Stelle selbst an die Nase fassen. Dringende Leseempfehlung!
Keigo Higashino wurde 1958 in Osaka geboren und hat Elektrotechnik studiert, bevor er eine Tätigkeit als Ingenieur in einem großen japanischen Elektrokonzern begann. Seine Lust am Schreiben entstand durch die Lektüre von Kriminalromanen. Als er endlich 1985 den begehrten Edogawa-Rampo-Preis gewann, entschloss er sich zu einer Karriere als Schriftsteller und gab seinen Vollzeitjob auf. Richtig begkannt wurde er allerdings erst mit „Das Gesetz der Meisterdetektive“. Mit „Geheimnis“, ein Buch, das auch verfilmt wurde, kam der Durchbruch.
Drei Einbrecher müssen sich verstecken und finden Zuflucht in einem verlassenen Gemischtwarenladen. Wie seltsam aber, dass in seinem Briefkasten Post landet. Und da die drei sonst nichts zu tun haben, lesen sie und tun noch mehr. Was sie schließlich herausfinden ist, dass die Zeit innerhalb des Ladens offenbar einen anderen Takt hat, als überall sonst oder ist das nur eine Illusion? Im Zuge der Geschichte wird das Geheimnis entschlüsselt, werden Fäden gesponnen und das Märchen um Keigo Higashinos „Kleine Wunder um Mitternacht“ findet ein Ende.
Ein netter, kleiner, nicht sehr anspruchsvoller, aber unterhaltsamer Roman.
Ich habe bereits Daniel Schreibers Biographie über Sontag und sein Essay „Zuhause“ sehr geliebt. Auch dieses Buch von Daniel Schreiber mit dem Titel „Allein“ hat mir sehr gefallen.
Wie lebt man als queerer Mann allein in einer Gesellschaft, die auf das Ideal der heterosexuellen, konditionierten Zweisamkeit mit ein bis drei Kindern getrimmt ist und traditionell binäre soziale Modelle bevorzugt? Wie einsam ist man mitten in der Pandemie, einer Zeit in der Schwebe? Was macht uns aus? Muss Leben Sinn haben oder lebt es sich auch ganz gut ohne? Haben Stricken, Häkeln und Gärtnern therapeutischen Wert?
Viele Menschen leben allein, freiwillig oder gezwungener Maßen. Was manchmal Freiheit und Selbstbestimmtheit sein kann, löst zu anderer Zeit einen unstillbar erscheinenden emotionalen Hunger aus, verursacht seelischen Schmerz. Alleinsein ist schambesetzt. Menschen, die alleine leben, fühlen sich oft, als scheiterten sie, weil sie die Gesellschaftsideale nicht erfüllen können oder wollen. Alleinsein wird als Indiz für die eigene Unbedeutsamkeit und fehlende Attraktivität wahrgenommen. Und doch: Alleinleben ist eine Lebensform unter vielen möglichen Optionen. Sich völlig abzuschotten jedoch, macht krank. Menschen sind soziale Wesen, spiegeln und erfahren sich in Anderen, was nicht gegen das Alleinleben spricht. Freundschaften spielen eine wesentliche Rolle bei der Ausrichtung, nicht nur des Lebens als Single. Sie können je nach Konstrukt zu unverbindlich und fragil sein, um Halt und soziale Orientierung zu geben oder sinnstiftend, tröstend und gemeinschaftsbildend wirken.
Schreiber bemüht eigene Erfahrungen und Lektüren, zitiert PhilosophInnen und SoziologInnen, um all die Fragen rund um das Alleinsein, die Einsamkeit, die Liebe, Familie und Freundschaft zu beleuchten. Er laviert sicher, sehr persönlich und offen durch die Minenfelder der Emotionen, Theorien und Erlebnisse, beschreibt Sehnsüchte und Enttäuschungen. Wir haben Teil auch an der Hoffnung, an der Entwicklung hin zu selbstwirksamen Methoden und Erkenntnissen, die uns zeigen, wie ein Leben, mit all seinen Unwägbarkeiten allein oder zu mehreren geführt werden kann und darf.
Ein Junge wächst gemeinsam mit seiner ledigen Mutter bei einer Frau auf, die sich wenig um das Getratsche der Nachbarn schert. Die hätten die Gefallene samt Balg verjagt.
Als Erwachsener liefert er Kohlen an ein Kloster, hinter dessen Wänden junge, schwangere Mädchen Schwerstarbeit verrichten und von den Nonnen gequält werden.
Die Story hätte mehr Tiefe verdient und so eher in einen Band mit Erzählungen gepasst.In der Kürze wirkt sie allerdings banal, bei aller Brisanz des Themas. Denn diese Methoden waren in Klöstern in der Tat üblich, ohne dass die irische Regierung einschritt.
Just in den Tagen, in denen mein Körper mir sagt, widme Dich mir, tue mir Gutes, denn die Zeiten werden härter, unbarmherzig… die Menschen auch, kam mir Wibke Ladwigs Buch „Heimbürokantine“ ins Haus geflattert.
Es erinnerte mich daran, dass Kreativität und Leben auch in der Küche zuhause sind. Dass genau dort, daheim, eine Zuflucht ist, die warm und heilend sein kann, wenn man sich einlässt, die Uhren auf slow stellt.
Wibke erzählt von Erinnerungen an den Geschmack und die innere Landschaft der Kindheit, dem Hauswirtschaftsunterricht von Schwester Veronika, positiven Veränderungen in der sonst so bedrohlichen Zeit der Pandemie, regelmäßigen Mahlzeiten, Linsen und Stachelbeeren, nach Bärlauch duftenden Wäldern, la France, Nachbarn, Markttagen bunt gemischtem Porzellan… und vor allem von Genuss.
Liebe Wibke – ich LIEBE dieses Buch…!
Lieber Hädecke Verlag, liebe Graffs, alle zusammen… superschön gestaltet! Das macht Spaß! Großartig!
Ich habe Wolfgang Niedeckens mehrteilige Dokumentation „Bob Dylans Amerika“ auf Arte gesehen und mir daraufhin diesen Band aus der KiWi-Musikbibliothek und die Chronicles von Bob Dylan angetan. Auch den Reclam-Band mit Bob Dylan-Texten habe ich mir zugelegt und sie – begeistert – in Teilen in meinen Bildern verarbeitet. Im Plattenschrank meines Mannes steht Dylans Musik.
Ohne Dylan, so sagt Wolfgang Niedecken, sei er nie Musiker geworden. Es gibt zahlreiche Coverversionen von Dylan-Songs, die er veröffentlichte. Schließlich macht er sich als erklärter Verehrer seines Vorbilds auf Spurensuche, reist nach Amerika und besucht Weggefährten, Maler, Musiker, Bewohner einstiger Stationen des Komponisten, Sängers und Nobelpreisträgers für Literatur. Gitarre, Mundharmonika, Orgel und Klavier waren die Instrumente, die er beherrscht und die seine Musik, neben seiner eingängigen Stimme so unverwechselbar machen.
Die Personen, die Niedecken auf seiner Reise begegnen, sind nicht weniger schillernd und interessant, als Dylan selbst. Niedecken ist ihm mehrfach persönlich über die Füße gelaufen und zehrt noch heute davon.
Die Lektüre hat mir sehr viel Spaß gemacht, die Filme auch, das Malen zu den Texten noch mehr und die Musik ruft eine Zeit ins Gedächtnis, die von der Beat-Generation gezeichnet ist. Musik-, Weltgeschichte und Geschichten paaren sich mit den höchst individuellen Erzählungen und Texten dieser beiden Herren.
Die amerikanische Autorin Ursula K. Le Guin schrieb phantastische Literatur, politische Utopien und Essays. Sie starb 2018 in Oregon. Eines ihrer Werke „No Time to Spare“ habe ich nun gelesen. Mich reizte die Tatsache, dass Le Guin es mit 83 Jahren schrieb, es in den Auszügen, die ich las, geradlinig und direkt zur Sache ging.
Nun: Ich werde kein Fan ihrer Kunst. Einige Texte sind ganz gut, zeigen Lebenserfahrung und gute Beobachtungsgabe. Über andere habe ich mich geärgert oder sie nach dem Anlesen überblättert. Im ersten Teil des Buches spricht sie über das Altern. Ein Thema, das mich noch am meisten berührt hat und das sie klar und präzise zu umreißen versteht.
Den zweiten Teil widmet sie ihrer Katze. Man muss wohl KatzenliebhaberIn sein, um das zu mögen. Im dritten Teil soll es um Literatur gehen. Doch weit gefehlt und an Banalität nicht zu überbieten. Gleich im Anschluss fügt sie wieder ein Histörchen übers Kätzchen ein.
Im vierten Teil: Politik und Gesellschaft. Stellenweise sträuben sich mir die Haare, wenn es z.B. über die schnieken Uniformen von Soldaten geht. Ihr Text über Wut ist nett, aber durchsetzt von Gemeinplätzen. Und dann kommt wieder die Katze auf leisen Pfötchen…
Den vierten Teil des Buches habe ich nur noch überflogen. Thinking about what matters?
Die Möglichkeit, dass ich andere Bücher von ihr lese, besteht definitiv nicht.
Taylor Jenkings Reid – The Seven Husbands of Evelyn Hugo
|
von Maria Jürgensen (Marie van Bilk) ...
Ein alternder Star, der sieben Ehen hinter sich hat, bietet einer unerfahrenen Autorin großzügig die Rechte an ihren Memoiren an. Monique Grant kann zunächst ihr Glück nicht fassen, als man ihr ein Exklusivinterview gewährt.
Doch darum, so erfährt sie schließlich, soll es gar nicht gehen. Statt eines Interviews soll sie eine Biografie schreiben. Evelyn Herrera, die in Hell’s Kitchen in ärmlichen Verhältnissen aufwächst, änderte ihren Namen und erklomm ehrgeizig die Sprossen der Karriereleiter innerhalb der Unterhaltungsindustrie. Sieben Ehemänner darf sie am Ende der Geschichte aufzählen. Doch die Farbige, die in den 1950er Jahren erfolgreich ist, weiß, dass sie in dieser Zeit nicht ohne Segen eines Mannes auskommt. Sie ist unerbittlich ehrgeizig, verbirgt ihre kubanischen Wurzeln und färbt sich die Haare blond.
Es sind nicht die einzigen Lügen, auf denen sie ihr künftiges Leben aufbaut. Denn Evely ist bisexuell. Ihre große Liebe ist eine Frau. Doch Monique stellt, wie alle zuvor, zunächst die Frage, welchen ihrer Ehemänner sie am meisten geliebt habe. Schon früh erfahren wir, dass es die Geliebte gibt. Doch ist das wirklich das einzige Geheimnis, das sie so lange gehütet hat? Und ist das einzig Interessante an Evelyn wirklich, dass sie sieben Ehemänner hatte?
Sprachlich seicht, inhaltlich nicht ohne Klischees und Oberfläche und dennoch eine ansprechende Variante eines Unterhaltungsromans, der einen an Marilyn Monroe, Elisabeth Taylor oder Rita Hayworth denken lässt.
Selbstfürsorge. Ein Thema, das mich seit meinem Klinikaufenthalt beschäftigt.
Ich könnte dieses Wort auch mit „Verantwortung für sein eigenes Wohlbefinden übernehmen“ übersetzen. Und weil das so ist, bedeutet der Ansatz von Svenja Gräfen, dass man ruhig ein wenig über den Tellerrand schauen darf. Denn sie behauptet, dass das Verändern negativer Glaubenssätze nicht aus dem System der Selbstausbeutung hinausführt, sondern einen schlicht nur neu konditioniert und wieder fit macht, um dann wieder daran zu kranken. Da ist durchaus etwas dran, denn manchmal ist man nicht selbst oder das eigene Denkmuster das Problem, sondern das System, in das man sich begibt. Klug also, wer das zu unterscheiden versteht und für sich die Situation ändern kann.
Dennoch läuft sich ihr Buch irgendwann tot, insbesondere wenn es um Aktivismus und Feminismus geht. Eine Leseempfehlung gebe ich trotzdem.