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Mareike Fallwickl – Die Wut, die bleibt

von Maria Jürgensen (Marie van Bilk) ...

Mareike Fallwickls Buch „Die Wut, die bleibt!“ sei jeder Frau empfohlen.

Die Geschichte beginnt mit einem Schock. Ein Ehemann fragt nach dem Salz und seine Frau steht vom Tisch, an dem ihre ganze Familie, zwei kleine Jungs, ein halbwüchsiges Mädchen und der Mann, sitzen, auf und springt vom Balkon in den Tod.

Mareike Fallwickl - Bleibt

Doch nicht die Ursachenermittlung ist Thema des Buches – obwohl im Verlauf des Buchs die Intention der Ehefrau und Mutter sehr klar wird – sondern das, was die übriggebliebenen Frauen in dieser Geschichte anschließend tun. Was passiert, wenn eine Mutter fehlt, die Emotionen ihrer Kinder aufgefangen, begleitet und verarbeitet hat, für Kindeswohl, Haushalt und Gleichgewicht sorgte? Und wie ist das mit der Anerkennung für diese große Menge Arbeit, die Mütter und Hausfrauen, aber auch Frauen im Beruf mit und ohne Mann oder Kindern leisten? Wie vereinnahmend ist die Gesellschaft bei Aufgaben, die Frauen traditionell immer noch wahrnehmen? Wie tief unter der Haut sitzt die eigene Akzeptanz von (prekären) Umständen, in denen Frauen ganz selbstverständlich dienende, unterstützende, begleitende Aufgaben wahrnehmen? Warum wehren sich so wenige Frauen gegen Vereinnahmung, die sogar bis hin zum eigenen Körper reicht? Für wen und warum sind sie schlank, fit, immer da?

Da ist Sarah, erfolgreiche Autorin, die mit ihrem Freund in ihrem Haus lebt, das er ganz selbstverständlich okkupiert und von jetzt auf gleich für ein ganzes Jahr die Rolle der Toten einnimmt, sogar während der Woche ins Haus der Freundin einzieht. Johannes, der Ehemann, sorgt für das Finanzielle, ist aber ansonsten abwesend und hält es für selbstverständlich, dass eine Frau ihn inmitten des Chaos unterstützt. Er ignoriert alle anderen Bedürfnisse, bleibt in seiner angestammten Rolle genauso gefangen wie sie es ist. Meist, weil er es nicht anders kennt. Er marginalisiert, lächelt weg, hört nicht zu, entzieht sich, übt verbal Gewalt aus oder agiert als viertes Kind der Familie.

Und da ist Lola, Stieftochter von Johannes, die gemeinsam mit ihrer Freundin von Jungs verprügelt wird und sich für einen Selbstverteidigungskurs anmeldet. Eine junge Frau, die sich aufzulehnt, Sarahs Emanzipationsselbstverständnis in Frage stellt, sich Raum nimmt und ihn verteidigt, die nicht zurückweicht und sogar zurückschlägt, die die Verhältnisse umkehrt, die klar macht, wie sehr wir Frauen in den alten Mustern festsitzen und es nicht einmal bemerken.

Jede von uns kennt das Gefühl, zu leisten und keine Anerkennung zu erfahren, weil die Gemeinschaft diese Leistung für selbstverständlich hält. Der Chef fragt nicht den Kollegen, ob der Kaffee gekocht werden kann, sondern die Kollegin. Das Lob für den Erfolg erhält der Kollege, selbst wenn die Kollegin die Verursacherin ist. Wer als Frau dick ist und gerne isst, bekommt das Label fett und faul und das auch überall gesagt. Selbstoptimierung ist ein Muss, Demut eine selbstverständliche Haltung und Zweifel an sich selbst sowieso.

Fallwickl markiert die Übergriffigkeit der Gesellschaft. Auch wenn mir der Schluss etwas zu romantisierend daher kommt, vielleicht weil mir die hochgestreckte geballte Faust so sehr im Kopf war, während ich las, das Kämpferische, die Deutlichkeit so gut gefiel, es ist ein wichtiges, richtiges, großartiges Buch.

Lesen!

© Marie van Bilk/Maria Jürgensen – Veröffentlichungen, auch in Auszügen nur mit ausdrücklicher Genehmigung der Autorin.

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Leslie Jamison – Es muss schreien, es muss brennen

von Maria Jürgensen (Marie van Bilk) ...

Der Waschzettel nennt Leslie Jamison „eine der originellsten Denkerinnen ihrer Generation.“ Ich halte das für etwas übertrieben, mochte ihr Buch: „Es muss schreien, es muss brennen“ aber trotzdem oder gerade deswegen.

Leslie Jamison – Es muss schreien, es muss brennen

In 13 Essays, die sie unter den Überschriften „Sehnen“, „Schauen“ und „Bleiben“ subsumiert, beschäftigt sie sich mit einem Walfisch, der zur Metapher von Menschen mit unterschiedlicher Leidensgeschichte wird, Geschichtenerzählen, Zwischenstopps und dem Internethype um Second Life. Sie wirft einen Blick auf James Agee, die Liebe und das Bleiben, besucht das Museum der gebrochenen Herzen und schlägt Purzelbäume bei der Geburt ihrer Tochter.

Manchmal ist es ein Abschnitt, manchmal ein Satz, der mich packt und festhält. Dann wieder stolpere ich über einen Gemeinplatz oder eine allzu sehr gewollte Pointe. Jamison wird mit Susan Sontag verglichen. Sie ist aber nicht und schreibt nicht wie Sontag, sondern wie Jamison. Ihr eigener Stil ist greifbar, wenn auch Bezüge vermuten lassen, dass sie Sontags Essays gut kennt.

Es gibt bessere EssayistInnen als Jamison, aber es gibt auch bessere und zeitgemäßere als Sontag. Was Jamison Sontag voraus hat, ist Empathie, den Blick für Schönheit im Hässlichen und das Entdecken des Wertes der kleinen, vermeintlich unbedeutenden Dinge, das Streben nach Verständnis und Erfüllung im eigenen, gegenwärtigen Dasein und die Fähigkeit zum Augenzwinkern. Wo man bei Sontag das unterschwellige Geltungsbedürfnis mitliest, tritt Jamison anteilnehmend hinter ihren ProtagonistInnen zurück, selbst dann, wenn es selbstbewusste Selbstbezüge gibt.

Jamison hat ein Händchen für Boulevard mit Stil.

Auch wenn es beim Lesen gelegentlich Hürden gab, so ist mein Resümee ein überzeugtes: „Daumen hoch“.

© Marie van Bilk/Maria Jürgensen – Veröffentlichungen, auch in Auszügen nur mit ausdrücklicher Genehmigung der Autorin.

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Klaus Modick – Leonard Cohen

von Maria Jürgensen (Marie van Bilk) ...

Als mein Mann und ich uns kennenlernten, scherzte er, Frauen liebten Leonard Cohen. Wenn man eine Frau für sich gewinnen wolle, so müsse man seine Musik auflegen und sie schmölze dahin. Nun, ich muss gestehen, auch ich besitze eine seiner Platten, habe mir allerdings nie eine weitere zugelegt.

Klaus Modick – Leonard Cohen

Leonard Cohen war ein kanadischer Musiker, Dichter und Maler. Der Roman „Beautiful Losers“ erreichte 1966 sogar die Bestsellerlisten, bevor 1967 sein erstes Album erschien.

Die beiden Figuren Lukas und Harry geht es indes ganz anders. Als Zwei-Mann-Band touren sie mit Covern von den Kinks und Beatles durch die Lande, bis Lukas im Radio „Suzanne“ hört. Leider gibt es damals noch kein Internet und so scheint es ihm schier unmöglich zu sein, herauszufinden, wer der Interpret dieses Songs ist. Als er schließlich Gitte und Julia begegnet, erreicht er mit deren Hilfe schließlich sein Ziel. Zehn Jahre später reist Lukas mit Cohes Gedichten im Gepäck auf eine griechische Insel und begegnet dort einer weiteren Frau. Ist sie das, was er sucht? Und was hat Leonard Cohen damit zu tun?

Schönes Bändchen, tolle Geschichte. Unbedingte Leseempfehlung.

© Marie van Bilk/Maria Jürgensen – Veröffentlichungen, auch in Auszügen nur mit ausdrücklicher Genehmigung der Autorin.

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Katja Kettu – Die Unbezwingbare

von Maria Jürgensen (Marie van Bilk) ...

Nahe früheren katholischen Schulen oder besser sogenannten Umerziehungsheimen in Kanada sind mehr als 1000 indigene Kinder begraben. Die unmarkierten Gräber erinnern an die Zeit, in denen Kinder ihren Familien in den Reservaten entrissen und zur Missionierung in die Heime eingewiesen wurden. Die Gräueltaten an diesen Kindern, zu denen nicht nur die Verleugnung von Kultur und Sprache dieser Völker, sondern auch Missbrauch gehören, reichen bis in die 90er Jahre des letzten Jahrhunderts. Bis heute leiden die nun Erwachsenen unter den Folgen.

Katja Kettu – Die Unbezwingbare

Was dort in Kanada geschah, passierte auch in Teilen der USA. Davon erzählt Katja Kettus Buch „Die Unbezwingbare“.

Lempi, die Tochter eines finnisch-indigenen Paares erkundet das Verschwinden ihrer indianischen Mutter und stößt dabei auf die eigenen, verborgenen Wurzeln und auf einen Rachefeldzug, der ihren Zugang zur eigenen Vergangenheit verändert.

Das Buch hat es mir zu Beginn nicht leicht gemacht. Die sehr blumige, stellenweise fremdartig ungelenk wirkende Sprache brauchte Zeit, um mich zu erreichen. Die Geschichte gewinnt erst zum Ende hin an Drive. Dennoch hat das Buch mir gut gefallen, denn die Geschichte basiert auf Begebenheiten, die mir unbekannt waren und mich tief betroffen machen.

Aufrüttelnd!

© Marie van Bilk/Maria Jürgensen – Veröffentlichungen, auch in Auszügen nur mit ausdrücklicher Genehmigung der Autorin.

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Katherine May – Überwintern

von Maria Jürgensen (Marie van Bilk) ...

Katherine May schreibt in „Überwintern“ über einer Reihe von Krisen, die sie in einer Phase ihres Lebens heimsuchten. Sie begegnet ihnen mit Flucht, Erklärungsversuchen und schließlich Akzeptanz. Sie reist nach Stonehenge, begegnet dort Menschen mit Druidenglauben, gibt sich der heilenden Wirkung von Flora und Fauna hin, konsultiert Ärzte und Psychologen.

Katherine May – Überwintern

Ich stehe Religionen, Esoterik, Spiritualität und Geisterglauben eher bis sehr skeptisch gegenüber. Mit Krisen jedoch kenne ich mich aus und auch mit dem Kampf ums Überleben in persönlichen Wintern. Wie May bin ich davon überzeugt, dass es Lebenszyklen gibt. In dunklen Tagen finde ich den Weg in die Natur und versuche, wieder ins Handeln zu kommen, wenn alles steht. Ich male, schreibe, ziehe mich zurück. Und ich weiß, am Ende einer Krise steht immer Akzeptanz: Es ist wie es ist. Und auch, wenn unser Handeln durchaus Konsequenzen hat, ich mir meiner Verantwortungen bewusst bin, so weiß ich auch, dass einem das Leben einfach passiert. Dass man auf Teile keinen Einfluss hat und sich ergeben muss, trotz aller Ängste und Schmerzen.

Mit Mays Buch, mit all dem „wir müssen“, „man sollte“ und um jeden Preis „weiter“ konnte ich daher nur sehr wenig anfangen. Auch, wenn es Stellen der Übereinkunft gab.

© Marie van Bilk/Maria Jürgensen – Veröffentlichungen, auch in Auszügen nur mit ausdrücklicher Genehmigung der Autorin.

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Jean-Paul Dubois – Jeder von uns bewohnt die Welt auf seine Weise

von Maria Jürgensen (Marie van Bilk) ...

Paul Hansen ist Pfarrerssohn. Während sein aus Skagen stammender Vater seinen Glauben verliert und beim Spiel das Geld seiner Kirche verzockt, führt seine Mutter skandalträchtige Filme im eigenen Kino auf und probt die Revolution. Paul selbst reflektiert sein Leben von seiner Gefängniszelle aus. Er teilt sie sich mit Patrick Horton, einem Taschentücher über Klobrillen ausbreitenden Harley Davidson-Liebhaber, Sensibelchen und Mörder. Ab und zu bekommt Paul die stummen Geister seiner Frau und seines Hundes zu Gesicht.

Jean-Paul Dubois – Jeder von uns bewohnt die Welt auf seine Weise

Die Geschichte mäandert zwischen dem fortschreitenden Jetzt und der Vergangenheit hin und her, bis der/die LeserIn, fast schon am Ende des Buchs angelangt, den Grund für Pauls Knastaufenthalt erfährt und Zeuge einer Genugtuung wird.

Ein witziges Buch ist Jean-Paul Dubois „Jeder von uns bewohnt die Welt auf seine Weise“. Der Autor hat eine schöne Schreibe, die zum Ende hin etwas sehr pathetisch und schwächer ist, als zu Beginn. Für den Prix Goncourt hat es jedenfalls gereicht. Und mich hat es angenehm unterhalten.

© Marie van Bilk/Maria Jürgensen – Veröffentlichungen, auch in Auszügen nur mit ausdrücklicher Genehmigung der Autorin.

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Isobel Markus – Stadt der ausgefallenen Leuchtbuchstaben

von Maria Jürgensen (Marie van Bilk) ...
Isobel Markus – Stadt der ausgefallenen Leuchtbuchstaben

Isobel Markus lebt in Berlin und studierte dort Anglistik und Bibliothekswissenschaften. Sie ist als freie Autorin unterwegs und wirkte bei diversen Kunst- und Fotografie-Projekten mit. Außerdem ist sie Veranstalterin der Berliner Salonage, die, wie sie selbst auf ihrer Website schreibt „die Tradition der historischen Berliner Salons mit gegenwärtiger Kunst“ verbindet. „Sie bietet bekannten und noch ganz unbekannten KünstlerInnen verschiedener Richtungen eine thematische Bühne, auf der sie Neues ihrer Arbeit vorstellen und mit dem Publikum in Austausch treten.“

Auf Facebook berichtet sie in kleinen, amüsanten Skizzen vom Alltag in der großen Stadt. Fortgesetzt wird diese Form in ihrem Buch „Stadt der ausgefallenen Leuchtbuchstaben“. Ihre Miniaturen sind Streiflichter des Lebens, mal humorig, mal anrührend im Ton, dann wieder traurig, nachdenklich, laut oder leise.

Lektüre lohnt!

Mehr über Isobel Markus auf www.isobelmarkus.de

© Marie van Bilk/Maria Jürgensen – Veröffentlichungen, auch in Auszügen nur mit ausdrücklicher Genehmigung der Autorin.

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Helene Hegemann – Patti Smith

von Maria Jürgensen (Marie van Bilk) ...

Ich bin kein Fan von Patti Smith. Auch bei Helene Hegemann ging ich bisher verhalten ans Werk. Und obwohl das so ist, habe ich mir Helene Hegemanns Buch „Patti Smith – über Patti Smith, Christoph Schlingensief, Anarchie und Tradition“ gekauft.

Helene Hegemann – Patti Smith

Ich besitze alle Bücher aus Patti Smith‘ Feder, weil ich sie irgendwann mal alle auf einmal erworben habe. Allesamt finde ich bescheiden. Ihre sehr verschwurbelte, assoziative Art zu schreiben, ihr Abdriften in Traumsquenzen, ihre unterwürfige Verehrung berühmter Zeitgenossen oder anderer sogenannter Größen der Zeitgeschichte, ihre an Wallfahrten erinnernden Besuche bei Menschen mit bekannten Namen… all das machte mich wahnsinnig. Als färbe deren Glamour auf sie ab. Ich verlor rasch die Geduld und pfefferte jeden einzelnen Erguss in die Ecke.

Von Hegemanns Buch habe ich im Radio gehört und horchte auf. Sie hat ihre ganz eigenen Erfahrungen mit dieser Frau gemacht und sie decken sich gelegentlich mit meinen Eindrücken. Doch abgesehen davon ist Hegemanns Text eine Erzählung über einen Teil ihrer eigenen Geschichte, der fesselt und mich beeindruckt. Auch Hegemanns Stil ist schnodderig, eigenwillig und so, als spräche sie vielmehr, als dass sie schreibt. Ihr Blick auf die Dinge ist klar, analytisch, persönlich und manchmal provokant.

Hat mir sehr gefallen!

© Marie van Bilk/Maria Jürgensen – Veröffentlichungen, auch in Auszügen nur mit ausdrücklicher Genehmigung der Autorin.

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Helen MacDonald – H wie Habicht

von Maria Jürgensen (Marie van Bilk) ...

„H wie Habicht“ von Helen MacDonald war mit vielen Erwartungen besetzt. Einige hatten mir begeistert davon erzählt und das Buch über den Klee gelobt.

Ich muss gestehen, ich kann die Begeisterung nicht teilen. Nun bin ich nicht sehr enthusiastisch, wenn es um die Falknerei geht, über die man in diesem Buch viel erfährt.

Helen MacDonald – H wie Habicht

Es ist keinesfalls ein schlechtes Buch. Helen Macdonald überwindet durch das Verhältnis und im Abrichten eines Habichts die Trauer um den Tod ihres Vaters. Einige Sätze sind bemerkenswert und ich kam nicht ohne Dogearing aus. Aber dennoch erreichte mich ihre Geschichte nicht. Sie blieb seltsam seelenlos. Das mag daran gelegen haben, dass die technischen Details der Falknerei und theoretischen Abhandlungen und Konsulationen sich so oft vor die Beziehung dieser Frau zum Vogel schoben. Und gerade die hat mich am meisten interessiert.

© Marie van Bilk/Maria Jürgensen – Veröffentlichungen, auch in Auszügen nur mit ausdrücklicher Genehmigung der Autorin.

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Garrett M. Graff – The only plane in the sky

von Maria Jürgensen (Marie van Bilk) ...

Ufff… „The only plane in the sky“ ist nichts für schwache Nerven.

Garrett M. Graff – The only plane in the sky

Garrett M. Graff holt den Leser mitten hinein in die Ereignisse von 9/11. Wir begegnen in diesem Buch den Menschen, die diesen Tag aus unterschiedlichen Perspektiven erlebt haben und nehmen aus ihren sehr zu Herzen gehenden Erzählungen eine sehr detaillierte Chronologie der Ereignisse mit. Die amerikanische Mentalität wird dabei genauso sichtbar, wie der Schmerz und die immer noch offene Wunde, die weitere Verletzungen an anderer Stelle, in Afghanistan, nach sich gezogen hat. Es erzählen büroangestellte Überlebende aus den beiden Türmen und des Pentagon, Feuerwehrleute, PolizistInnen, ÄrztInnen, LehrerInnen, SchülerInnen, PolitikerInnen und JournalistInnen, die Angehörigen, die Voicemails eben jener, Anrainer an der Absturzstelle von Flug 93, Nachkommen der Getöteten…

Es ist oft erschütternd, bedrückend und berührend, dieses Buch. Ich habe häufig absetzen müssen, da mir bewusst war, dass es sich hier nicht um Fiktion, sondern um schreckliche Wahrheiten handelte. Was Menschen Menschen antun können… !

Empfehlung!

© Marie van Bilk/Maria Jürgensen – Veröffentlichungen, auch in Auszügen nur mit ausdrücklicher Genehmigung der Autorin.

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Eva Menasse – Dunkelblum

von Maria Jürgensen (Marie van Bilk) ...

Im August 1989 taucht im oberösterreichischen Dunkelblum ein Besucher auf, der Nachfahre eines dort lebenden Mannes war. Eben jener Mann wurde erschossen… oder doch nur verjagt? Auf einer Wiese wird ein Skelett ausgegraben und Bewohner des Städtchens entpuppen sich als Nazis. Ein jeder hat sein Scherflein zur dunklen Vergangenheit beigetragen. Die das Geheimnis enthüllen wollen, sich als junge Menschen oder Zeitzeugen der Verantwortung stellen, sterben oder verschwinden plötzlich.

Eva Menasse – Dunkelblum

Auf Basis der realen Ermordung von Juden in Rechnitz entwickelt Eva Menasse sprachgewaltig eine verzweigte Geschichte über Schweigen, alternative Wahrheitsbildung und subtile wie auch offene Gewalt. Beim Massaker von Rechnitz wurden am 24. und 25. März 1945 vermutlich an die 200 ungarisch-jüdische Zwangsarbeiter in der Nähe des Schlosses Rechnitz bei Rechnitz im Burgenland ermordet. Das Massaker war eines der Verbrechen kurz vor Kriegsende.

Der Detailreichtum von „Dunkelblum“, das einfließende Lokalkolorit machen es stellenweise schwer, der Geschichte zu folgen. Dennoch eine Empfehlung.

© Marie van Bilk/Maria Jürgensen – Veröffentlichungen, auch in Auszügen nur mit ausdrücklicher Genehmigung der Autorin.

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Diane Cookson – The New Wilderness

von Maria Jürgensen (Marie van Bilk) ...

Vor dem Booker-Prize hatte ich noch nie von Diane Cookson gehört. Es wird nicht das letzte Buch sein, das ich von ihr lese.

Das Buch „The New Wilderness“ ist eine Dystopie. In den Städten kann man kaum noch atmen. Die Verhältnisse sind insgesamt prekär und so entschließt sich ein Wissenschaftler zu einem Experiment, zumal seine vierjährige Tochter anderenfalls sterben würde. Gemeinsam mit einer Gruppe von Menschen geht er als Nomade in die Wildnis und probt das Überleben ohne zivilisatorische Hilfsmittel in der Natur. Während seine Tochter zum Teil dieser neuen Umgebung wird, kämpft seine Frau mit den Umständen und geht einen ganz eigenen Weg. Rollen und Rituale formen sich, Bewacher drangsalieren und Ereignisse überschlagen sich. Erzählt wird mit wechselnder Perspektive, unaufgeregt und doch emotional packend.

Empfehlung als gute, anspruchsvolle Unterhaltung!

© Marie van Bilk/Maria Jürgensen – Veröffentlichungen, auch in Auszügen nur mit ausdrücklicher Genehmigung der Autorin.

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Chilly Gonzales – Enya

von Maria Jürgensen (Marie van Bilk) ...

Ich habe viele seiner Konzerte besucht und bekenne, ich mag Chilly Gonzales und seine Musik. Ein Freund von mir, Pianist seines Zeichens, behauptet, Chilly Gonzales sei zu vernachlässigen und werde überschätzt. Mich interessiert das nicht. Erstens, weil der Mann gar nicht den Anspruch hat, zweitens, weil ich liebe, dass er so frei im Ausdruck ist, sich Schubladen entzieht, so freudvoll und ungezwungen mit Musik umgeht, dass es ansteckt, begeistert, einnimmt. Er tritt in Pantoffeln und Bademantel auf und füllt ganz zu Recht Konzertsäle auf der ganzen Welt. Ich liebe „Room 29“, eine Aufnahme, die er zusammen mit Jarvis Cocker realisiert hat. In diesem Album geht es um das berühmte Hotel Chateau Marmont am Sunset Boulevard und das Zimmer mit der Nummer 29, in dem viele Berühmtheiten nächtigten, soffen, liebten und litten. Es fängt die Menschlichkeit, das Scheitern, den Absturz ein, ist wütend, sanft und klar zugleich. Enya – nun – eine Musikerin, die die Musikgemeinde ebenso spaltet, wie der Autor, der das Buch über sie verfasst. Ist das Kitsch oder ist das Kunst, ist die Frage, die sich Chilly Gonzales nicht stellt! Denn Musik, so meint er, muss keine intellektuellen Ansprüche erfüllen, wenn sie dich berührt.

Dieses Buch ist eine Hommage an den eigenen, jenseits des Konsens existierenden Musikgeschmacks und einfach bezaubernd.

© Marie van Bilk/Maria Jürgensen – Veröffentlichungen, auch in Auszügen nur mit ausdrücklicher Genehmigung der Autorin.

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Barack Obama – Ein amerikanischer Traum

von Maria Jürgensen (Marie van Bilk) ...

Ob seine Präsidentschaft erfolgreich war? Ob er hinter den hohen Erwartungen zurückgeblieben ist, viele Fehler gemacht oder vieles richtig gemacht hat? Die Antwort fällt mir schwer. Obama ist sicherlich eines für mich: Ein typischer Amerikaner. Ich habe mich immer schwer damit getan, die Mentalität zu begreifen, die von so vielen Idealen, aber auch von Puritanismus, gelegentlich gar religiösem Fanatismus und Heldenglauben geprägt ist. Dieser Satz „Du kannst alles erreichen“ ist mir suspekt.

Und doch liegt „Promised Land“ auf dem Stapel, außerdem zwei Bücher über das kulturelle Erbe von Barack Obamas Vater und eines über seine Studienzeit.

Barack Obama – Ein amerikanischer Traum

Obama entspringt meiner Generation, ist gerade mal zwei Jahre älter als ich, ist aber in einer völlig anderen Welt aufgewachsen. Amerika war in einer Zeit, in der der Krieg gerade mal zwanzig Jahre zurücklag, als ich geboren wurde, die Besatzung sichtbar, Amerikaner in einem der Nachbardörfer stationiert waren, ausschließlich durch amerikanische Filme erste Vorbilder konstruiert wurden, trotz allem auch für mich eine feste Größe. Mich interessierte Obamas Motivation, seine Idee hinter dem Wechsel zu einem anderen Bewusstsein der Amerikaner, der Grund für sein Engagement als Politiker, Themen, die im Buch „Ein amerikanischer Traum“ enthalten sind. Die Bürgerechtsbewegung, die Wut der Zurückgelassenen, die Gräben innerhalb der amerikanischen Gesellschaft werden genauso behandelt, wie scheinbar profaneres, das Verhältnis zu seiner Herkunftsfamilie in Kenia etwa und was er an Erkenntnissen und neuen Beziehungen aus der Begegnung mit ihr gewinnt. Obama wächst als Sohn einer weißen Amerikanerin und eines schwarzen Amerikaners, schließlich als Stiefsohn eines Indonesiers auf, lebt auf Hawai, in Indonesien, Kalifornien und Chicago. Seine durch Herkunft und Ausbildung entstehende Priviligiertheit, die ihn herauskatapultiert aus dem sonst üblichen Alltag vieler schwarzer Amerikaner weckt breites Misstrauen. In Amerika schwarz zu sein, ist schmerzhaft. Konfrontationen und Kämpfe sind tägliches Geschäft. Auch das schildert er. Obama arbeitet als Stadtteil-Helfer, sammelt Erfahrungen im Spannungsfeld zwischen Weißen und Schwarzen, begegnet weißer Überheblichkeit, schwarzer Resignation, lernt religiöse Ignoranz kennen und politische (In)kompetenz.

Obama setzt sich in diesem Buch kritisch, und nach Verstehen suchend mit allen Bevölkerungsgruppen auseinander. Er baut Idealmodelle, pauschalisiert an einigen Stellen, entwickelt eine eigene „Attitude“. Nun…gibt es den amerikanischen Traum? Offenbar gibt es einen äußerst starken Glauben daran und eine unausgesprochene Guideline, einen Maßstab an dem Gescheiterte in dieser Gesellschaft schonungslos gemessen werden. Brüche sind unübersehbar.

Ein sehr amerikanisches Buch…

© Marie van Bilk/Maria Jürgensen – Veröffentlichungen, auch in Auszügen nur mit ausdrücklicher Genehmigung der Autorin.

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Anne von Canal, Heikko Deutschmann – I get a bird

von Maria Jürgensen (Marie van Bilk) ...

Jana erforscht die Zukunft in Freiburg und bekommt eines Tages Post von einem Fremden. Der Busfahrer Johan schickt ihr ihren Kalender zurück, den sie dort offenbar vor Jahren vergaß. Und so entwickelt sich zwischen den beiden ein eigentümlicher Briefwechsel, in dem Johan davon berichtet, dass er den Kontakt zu seiner Tochter verloren hat und wie sehr ihn das bedrückt. Doch auch Jana muss sich mit alten Wunden beschäftigen. Schließlich finden beide heraus, dass nicht nur ihre Lebenswege sich ähneln, sondern dass es auch ganz reale Dinge gibt, die beide gemeinsam haben.

Über dieses Buch habe ich Anne von Canal, die hier ein Projekt mit ihrem Freund, Heikko Deutschmann Wirklichkeit werden lässt, schätzen gelernt und mir all ihre weiteren Veröffentlichungen zugelegt. Dieses Buch ist voller Tiefgang, schöner Sätze und Gedanken. Und es schmerzt mich außerordentlich, dass man von dieser Autorin nie mehr etwas lesen wird, denn sie starb vor wenigen Wochen an der heimtückischen Krankheit ALS.

© Marie van Bilk/Maria Jürgensen – Veröffentlichungen, auch in Auszügen nur mit ausdrücklicher Genehmigung der Autorin.

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André Aciman – Homo irrealis

von Maria Jürgensen (Marie van Bilk) ...

Alle der 17 Essays in „Homo irrealis“ von André Aciman enthalten autobiographische Sequenzen. Ästhetik, Kunst und individueller Alltag werden miteinander verwoben, um zu erklären, welchen Stellenwert Poesie und Kunst für ein – sein – Leben haben oder haben können. „Homo irrealis“ befasst sich mit dem Zwischenraum, dem Leben, wie es in unseren Köpfen entsteht, in Erinnerungen markiert oder in Tagträumen visioniert wird. Es geht häufig um das „Hätte-sein-konnen“, das „Nie-geschehen-sein“, „Geschehen-können“, das „Vielleicht“ und ein nebliges Durchscheinen, die Prägung der Vergangenheit in der oder auf die Gegenwart.

Zu Beginn des Buches führt uns Aciman in eine U-Bahn von New York, in der ihm ein Gedicht auf einem Plakat auffällt: Der Text begegnet ihm jeden Tag auf eine andere Art und Weise, kommuniziert jedes Mal mit ihm als einem anderen Menschen als am Tag zuvor. An anderer Stelle trägt es ihn zurück in sein Herkunftsland und dort nach Alexandria, das es so, wie er es kannte, heute nicht mehr gibt. Wir begleiten Aciman gelegentlich an einen Ort außerhalb der Zeit. Er reist nach Rom oder Paris. Er trifft Freud, Patrick Phillips, C.P. Cavafy, Dostojewski, Gogol und Puschkin. Er liest Sebald und Proust, betrachtet Monet, Sloan und Corot. Sein Wiederholen des Musters, dem er die Überschrift „Homo irrealis“ gibt, läuft allerdings bald ins Leere. Ich war stark versucht, die Lektüre „mitten in New York“ abzubrechen. Am Schluss überrascht Aciman aber noch einmal mit einem Essay, das sich „Unfinished Thoughts on Fernando Pessoa“ nennt.

Fazit: Ich würde es nicht nochmal kaufen. Eine verlorene Lektüre war es dennoch nicht.

© Marie van Bilk/Maria Jürgensen – Veröffentlichungen, auch in Auszügen nur mit ausdrücklicher Genehmigung der Autorin.

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