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Scham in Zeiten von Corona

Kein Klopapierwitz

von Dirk Jürgensen …

Die Flugscham für mich kein Thema
mehr. Weil es kaum noch Flüge gibt. Was mich neuerdings persönlich
emotional sehr berührt, ist meine Klopapierscham.

Papierfabrik - Foto: © Dirk Jürgensen - Düsseldorf

Nicht nur vor, sondern auch während
dieser Seuchenzeit habe ich Toilettenpapier immer erst gekauft, wenn
ein gewisser Meldebestand von drei oder vier Rollen erreicht war.
Früher war das kein Problem. Ich bin einfach in den Discounter
meiner Wahl gegangen, habe ein Paket des übrigens heutzutage gar
nicht mehr kratzigen Papiers mit dem Blauen Umweltengel gegriffen und
bin damit völlig ohne einen Hintergedanken nach Hause spaziert.
Heute ist es so, dass mir, wenn ich meine täglich erforderliche
Fitnessrunde drehe, Leute mit Klopapierpaketen unter dem Arm
auffallen. Gut möglich, dass all die Berichte über Plünderungen
und die hinterher unvermeidlichen Klopapierwitze meine optische
Sensibilität gesteigert haben. Aber die tatsächlich meist leeren
Regale für Hygienezellstoffe können meine Wahrnehmung nur
bestätigen.

Letztens, die Neugier trieb mich dort hin, denn ich war eigentlich auf der Suche nach einem Paket günstiger und dennoch leckerer Vollkornnudeln, wartete nur noch ein einsamer Zweierpack mit dieser ganz teuren, zwischen den 15 Lagen wahrscheinlich mit Watte gepolsterten, edlen Parfümen aufgewertete Ware auf eine am Popo empfindsamen Käuferin oder einen entsprechenden Käufer. Ich wagte zu widerstehen, schließlich war mein Meldebestand noch nicht erreicht. Eine Panik wollte partout nicht aufkommen.

Das ist heute beim Anbrechen der
fünftletzten Rolle anders geworden. Als ehemaliger Handelsschüler
weiß ich, dass der Meldebestand aufgrund längerer Lieferzeiten
durchaus früher als gewohnt eintreffen kann. Was tun? Würde ich
jetzt gegen jede umweltpolitische und preisliche Überzeugung
zugreifen und dieses umweltschädliche, zuerst die Wälder
vernichtende und hinterher den Abfluss verstopfende Zeug nehmen? Oder
werde ich Glück haben und mein Recyclingpapier ergattern können,
weil die Klopapierwitze inzwischen bei jeder Prepperin oder jedem
Prepper angekommen sind oder das Kinderzimmer aufgrund der
Rollenstapell keines mehr ist? Doch gehe ich einmal von diesem
Glücksfall aus, was werden die Leute denken, wenn ich mit meinem
Paket unter dem Arm den Laden verlasse?

»Ach guck mal, Alfred. Da ist wieder
so ein Hamsterer. Der hat sein Lager wohl noch immer nicht voll.«

Ja, die Klopapierscham hat mich
ergriffen. Ich werde wohl jedem Passanten aus sicherer Entfernung
erklären, dass ich die eine gekaufte Packung wirklich für den
sofortigen Anbruch vorgesehen habe. So oder so bleibt die Situation
peinlich. Ich sehne mich nach der Zeit vor Corona zurück. Eine Zeit,
in der mir egal war, was die Leute über mich sagten.

PS: Übrigens erwarte ich nach der Corona-Krise eine neue. Eine ökonomische Schieflage, in die die Papierindustrie geraten wird. Die Hamster haben dafür gesorgt, dass der deutsche Klopapierumsatz in kurzer Zeit um 700% gestiegen ist. Da die aktuelle Seuche keinen signifikanten Einfluss auf den Stoffwechsel hat, wird nicht mehr als vor ihrem Ausbruch geschissen, wird es nach Beendigung der viralen Krise also sehr lange dauern, bis die riesigen Vorräte verbraucht sind. Das bedeutet, wenn es mit der Wirtschaft postcoronal wieder aufwärts geht, werden die Aktien der Toilettenpapierbranche ins Bodenlose fallen.

Ich allein werde diesen Industriezweig mit meiner weiterhin auf den Meldebestand beruhenden Nachfrage kaum retten können und höre schon jetzt den Ruf nach Staatshilfen, schließlich ist die Produktion von Klopapier systemrelevant!

Egal, ob wir uns nach Corona den
dringend notwendigen radikalen Umbau des Kapitalismus vornehmen, oder
nicht. Wir sollten gewarnt sein, denn geschissen wird immer!