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Judith Hermann – Daheim

von Maria Jürgensen (Marie van Bilk) ...

„Daheim“ erzählt die Geschichte einer Entwurzelten, einer Nomadin.

Judith Hermann – Daheim

Sie lebt getrennt vom Ehemann, dem sie kleine Briefe aus dem Alltag schreibt und der Tochter, die der Mutter wechselnde Koordinaten ihrer jeweiligen Aufenthaltsorte sendet. „Ihre Koordinaten entfernen sich, sie tritt in ein Gewässer ein, das ungefähr ist und auf der Landkarte nicht vermerkt. Als wäre die Welt eine Kugel, die aufbricht, sich in ein Universum ergießt“. Sie sei ein Trabant, der, wie alle, um die eigene Sonne treibe. Ihre sei, so sagt sie, ihr Mann und ihr Kind. Beinahe hätte sie einen Kreuzfahrtschiff-Zauberer und dessen Frau, der sie an einer Tankstelle anspricht, als zersägte Jungfrau nach Singapur begleitet. Von der einsamen Wohnung und dem Blick auf Straße und Tanke der Jugend reicht ihr Blick bis in die Jetztzeit, ihr Dasein als Frau mittleren Alters, die im Norden zaghaft Kontakte knüpft, Provisorien zu Institutionen werden lässt und eine Liebesaffäre mit einem eigenbrötlerischen Schweinefarmer und Bruder ihrer Freundin beginnt.

Transitorisches bleibt, Vorläufiges, Belangloses, die Suche nach Heimat, das Spiel mit Nähe und Distanz, immer gibt es eine Überraschung. Der Tod trifft die zwanzigjährige Übergangsfreundin des Bruders, dem die Protagonistin in der halbherzig geführten Gaststätte hilft. Die Tochter bleibt eine Ahnung, der Ehemann Sammler der Dinge, der Historie, bis er ihr einen Weltempfänger schickt, begleitet von den Worten: „Ich versuche das Archiv aufzulösen, weil die Welt sich auflöst. Es gibt Sachen, die du gebrauchen kannst, die wir gebrauchen werden, damit wir uns nicht aus den Augen verlieren.“

Am Schluss steht sie wieder da, die Freiheit, dahin zu gehen, wohin einen das Herz trägt.

Mir hat die Geschichte viel Freude gemacht: Spannende Charaktere, Dauermelancholie, eine schön erzählte, verschachtelte Geschichte, karge, gekonnt genutzte und poetische Sprache.

Daumen hoch!

© Marie van Bilk/Maria Jürgensen – Veröffentlichungen, auch in Auszügen nur mit ausdrücklicher Genehmigung der Autorin.

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