1

Arno Geiger – Das glückliche Geheimnis

von Maria Jürgensen (Marie van Bilk) ...

Er kann’s, gar keine Frage. Und er kann es gut: Schreiben nämlich. Bisher habe ich von Arno Geiger nur „Der alte König in seinem Exil“ gelesen und war sehr berührt und mitgenommen von der Schilderung der Demenz seines Vaters. Schon da beweist Arno Geiger Empathie und das Auge fürs Detail. All das wird verpackt in einer schönen, eigenen Sprache, mit Sätzen, die ich mir herauspicken, für mein eigenes Leben nutzen kann, die mich begreifen lassen. Er ist unglaublich nahe dran an uns Menschen und erzählt in seinem Buch „Das glückliche Geheimnis“, warum ihm das gelingt.

Arno Geiger – Das glückliche Geheimnis

Hinter diesem „glücklichen Geheimnis“ verbergen sich Touren durch die Altpapier-Container seiner Stadt Wien. Er unternimmt sie über Jahrzehnte, ganze 25 Jahre lang, mit gelegentlichen Pausen und mit sich wandelnder Intention. Er fischt Bücher heraus, darunter welche, die er teuer verkaufen kann, Briefpapier zum Schreiben, Briefmarkensammlungen, Briefkonvolute und Tagebücher fremder Menschen, wertvolle Kunstdrucke und Postkarten. In Jahren, in denen er von wenig Geld lebt, unterstützen die Funde das Portemonnaie und seinen Traum, ein Schriftsteller zu werden. Letzteres, sowohl in monetärer als auch in inhaltlicher Hinsicht. Denn die Briefe und Tagebücher liest er, erfährt Ab- und Hintergründiges, von Schicksalen, Beziehungen und Gaunerstückchen. Ganz nebenbei sind seine, schließlich auf die Morgenstunden verlegten Touren, dann, wenn die Straßen noch leer sind, sein Fitnessprogramm. Er unternimmt sie mit dem Rad und muss sich in die Container hineinhangeln, entwickelt Techniken für seine Suche.

Manch ein Ordnungshüter begegnet ihm dabei, manch Passant macht eine Bemerkung, doch stören tut es niemanden, verboten ist das nicht, was er tut. Dennoch ist ihm das Sammeln gelegentlich peinlich. Es bleibt ein Geheimnis, dass er nur mit seinen diversen Partnerinnen teilt. Nur selten äußert einer mal einen Verdacht hinsichtlich seines Tuns.

Arno Geiger berichtet daneben viel über sich selbst. Wir erfahren von gescheiterten Beziehungen, von dem Weg eines Paares aus Krisen hin zu einer unnachahmlichen Vertrautheit, die auf eben jenen fußt. Wir erfahren von einer Persönlichkeit, die sich an Öffentlichkeit aufreibt, an einem Traum, dessen Verwirklichung er nicht gänzlich selbst in der Hand hat und der sich stellenweise in eben jener Wirklichkeit als schwierig erweist. Wir erfahren außerdem ein bisschen von der Entwicklung eines jungen Mannes zu einem im mittleren Alter, seinen Erfahrungen, Ängsten, Zweifeln und Stärken.

Es ist ein Buch über das Schreiben, über Erfolg und Misserfolg, über die Liebe, über das Kennenlernen von Menschen, das Erfassen dessen, was Menschsein ausmacht. Es ist eine Hommage an das Alltägliche, das Abgründige und Zufällige. Es ist ein Teil einer Biographie eines Autors und es ist ein Bild von uns selbst. Das „glückliche Geheimnis“ ist gelüftet und ich bin froh, eine der Mitwissenden zu sein! Dankeschön!

© Marie van Bilk/Maria Jürgensen – Veröffentlichungen, auch in Auszügen nur mit ausdrücklicher Genehmigung der Autorin.

Für alle hier besprochenen Bücher gilt: Unterstützt möglichst den lokalen Buchhandel!

Weitere Kurzrezensionen