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William Styron – Sturz in die Nacht

von Maria Jürgensen (Marie van Bilk) ...

Ich hatte zuvor noch nie von William Styron gehört. Er kommt aus der Generation meines Vaters und schrieb in der Tradition des amerikanischen Südens. Er arbeitete als Lektor beim MCGraw-Hill-Verlags und lebte eine Zeitlang in Rom und Paris. Neben Romanen schrieb er Essays und Kritiken. Für „Die Bekenntnisse des Nat Turner“ erhielt er im Jahr 1968 den Pulitzer-Preis. Er starb 2006 auf Martha‘s Vineyard an einer Lungenentzündung.

William Styron – Sturz in die Nacht

Bei „Sturz in die Nacht“ handelt es sich um autobiographische Notizen, in denen er sich mit seiner Depressionserkrankung auseinandersetzt.

Nachdem ich mit Matt Haig, „Gute Gründe am Leben zu bleiben“ schon ein wirklich gutes Buch zum Thema Depression gelesen habe, folgte mit William Styron „Sturz in die Nacht“ ein weiteres.

„Was meine Depression verursacht hat, werde ich wohl nie herausfinden, wahrscheinlich auch kein anderer bei der seinen. Das wird mit ziemlicher Sicherheit auch in Zukunft nicht möglich sein, weil die miteinander verwobenen Faktoren von anormalem Verhalten, annormaler Chemie und Genetik zu komplex sind. Offensichtlich sind mehrere Komponenten beteiligt – vermutlich drei oder vier, wahrscheinlich sogar noch mehr, und das in unergründlicher Permutation“.

Styron war über 40 Jahre lang dem Alkohol gegenüber nicht abgeneigt und betrachtete ihn als Notwendigkeit, um seine Kreativität erst lebendig zu machen. Von einem Tag auf dem anderen jedoch vertrug er ihn nicht mehr, empfand Ekel und Übelkeit, wenn er davon trank. Ob nun Alkohol als Stimulanz oder Auslöser wirkte, unbewusstes Mittel gegen die schon früh existierenden Ängste war, vermag Styron nicht zu entschlüsseln. Jedoch verspürt er, nachdem das Suchtmittel weg bleibt, kurz darauf er die ersten Anzeichen einer Depression umso deutlicher. „Ohne Zweifel hatte die Depression schon seit Jahren über mir geschwebt und auf einen geeigneten Moment gelauert, um endlich zuzustoßen. Jetzt befand ich mich im ersten Stadium des schwarzen Orkans der Depression – eine Warnung, wie ein Wetterleuchten… Ich fühlte mich benommen, überstrapaziert, vor allem merkwürdig gebrechlich, als wäre mein Körper tatsächlich zerbrechlich, überempfindlich geworden, irgendwie verrenkt und ungelenk, ohne die gewohnte Koordination in der Bewegung. Und bald war ich in den Kampf mit einer alles durchdringenden Hypochondrie verstrickt. Körperlich war ich nicht allein. Wie immer war Rose bei mir und hört mit nie nachlassender Geduld meine Beschwerden an. Dennoch spürte ich eine grenzenlose, schmerzhafte Einsamkeit.“

Sein Zustand verschlimmert sich, wird lebensbedrohlich, weil ihn Gedanken an einen Selbstmord ihn heimsuchen und Styron seziert in diesem Buch Schritt für Schritt, wie er versucht, der Dunkelheit trotzdem zu entkommen. Er begibt sich schließlich in eine Klinik. Und es gelingt ihm tatsächlich. Und so kann er schließlich sagen: „Doch braucht man keine flaschen oder übertriebenen Töne anzuschlagen, um der Wahrheit Nachdruck zu verleihen, dass die Depression nämlich nicht zwangsläufig die Auslöschung der Seele bedeutet: Männer und Frauen, die sich von der Krankheit wieder erholt haben – und es sind unzählig viele – legen Zeugnis ab für die wahrscheinlich einzig positve Eigenschaft der Depression: Sie kann besiegt werden.“




Till Raether – Bin ich schon depressiv, oder ist das noch das Leben?

von Maria Jürgensen (Marie van Bilk) ...

Wenn man eine Krankheit hat und weiß, sie begleitet einen schon das ganze Leben und wird es bis zum Schluss, dann freut man sich, wenn Menschen, die sie auch haben, Dinge aussprechen, die man kennt.

Till Raether – Bin ich schon depressiv, oder ist das noch das Leben?

Till Raether hat mit einer sogenannten mittelschweren Depression zu kämpfen und beschreibt u.a. den fast befreienden Moment der Diagnose, er schreibt von Schuldgefühlen und Scham, von den Momenten im Büro, bei denen man mit sich selbst hadert, weil man zu früh am Limit erscheint, denen, bei denen man nicht aus dem Bett kommt, Verabredungen und Parties aus dem Weg geht, den großen Mengen Mensch. Er schreibt von Medikamenten und Gewichtszunahme, von „Reiß dich zusammen“ und der Unmöglichkeit, die Qual denen zu vermitteln, die unter einem selbst zu leiden haben.

Danke an Till Raether für „Bin ich schon depressiv oder ist das noch das Leben?“

P.S.: Allen Angehörigen und FreundInnen von Depressiven empfohlen.

© Marie van Bilk/Maria Jürgensen – Veröffentlichungen, auch in Auszügen, nur mit ausdrücklicher Genehmigung der Autorin.

Für alle hier besprochenen Bücher gilt: Unterstützt möglichst den lokalen Buchhandel!

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Benedict Wells – Spinner

von Maria Jürgensen (Marie van Bilk) ...
Benedict Wells – Spinner

Die Geschichte ist einigermaßen unterhaltsam, aber für Benedict Wells Buch „Spinner“ bin ich vielleicht einfach zu alt.

Am Rande, kratzend an der Oberfläche, geht es auch um Depression, jedoch so lapidar, dass Wells das Thema genauso gut hätte weglassen können.

„Spinner“ ist ein Coming-of-age-Roman. Seine Hauptfigur verharrt erstarrt nach dem Selbstmord des Vaters als Schreiberling in Berlin, verliebt sich unglücklich und verzweifelt, bis der lichte, alles verändernde Moment kommt, am Leben. Alles ist Ziellosigkeit und Lüge und schließlich Horizont und Wahrheit. War mir too much. Mag aber trotzdem was für Menschen sein, die vierzig Jahre jünger sind als ich.

© Marie van Bilk/Maria Jürgensen – Veröffentlichungen, auch in Auszügen, nur mit ausdrücklicher Genehmigung der Autorin.

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Isabelle Lehn – Frühlings Erwachen

von Maria Jürgensen (Marie van Bilk) ...

Isabelle Lehns „Frühlings Erwachen“ erzählt über eine fiktive Isabelle Lehn. Eine, die an Depressionen leidet und wie sie Schriftstellerin ist.

Isabelle Lehn – Frühlings Erwachen

Die Sollbruchstelle zwischen Realität und Fiktion ist so spannend, wie die zwischen dem Empfinden mit Depression und ohne. Denn auch bei der Depression spielt die Vorstellung eine nicht unerhebliche Rolle. Was ist wahr, was ist es nicht – eine Antwort darauf gibt es nicht. Denn in der Depression ist auch die Vorstellung wahr und quälend. Und ist Wahrheit nicht grundsätzlich subjektiv? Im Höchstfall eine Konsensfrage, um miteinander auskommen zu können?

Isabelle Lehns Protagonistin ist Ende dreißig, lebt mit ihrem Freund Vadim zusammen und hat eine Scheidung hinter sich gebracht. Ob sie wirklich gerne Mutter sein möchte oder ob das der Wunsch ihres Partners ist, bleibt unklar. Die Versuche es zu werden jedoch, misslingen. Das Scheitern ist auch sonst Thema. Keinen Preis für ihr literarisches Schaffen zu erhalten, nicht aus dem Bett zu kommen, die Beziehung aufs Spiel zu setzen, eine gescheiterte Ehe hinter sich zu haben, Erwartungen nicht zu erfüllen.

All das ist wie ein roter Faden, der sich durch ihre Gedankenwelt zieht. Am Ende dann doch so etwas wie Hoffnung. In jedem Fall eine Entscheidung fürs Leben. Sprachlich äußerst elegant geschrieben, hat mich das Buch von der ersten Seite an gepackt. Unbedingte Empfehlung.

© Marie van Bilk/Maria Jürgensen – Veröffentlichungen, auch in Auszügen, nur mit ausdrücklicher Genehmigung der Autorin.

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Benjamin Maack – Wenn das noch geht, kann es nicht so schlimm sein

von Maria Jürgensen (Marie van Bilk) ...
Benjamin Maack – Wenn das noch geht, kann es nicht so schlimm sein

Das war keine leichte Lektüre. Benjamin Maacks Buch „Wenn das noch geht, kann es nicht so schlimm sein“ hat mich ziemlich getriggert. Da kam Altes aus Klinikzeiten hoch und ich musste zwischendrin pausieren. Und doch hat es mich gleichzeitig nicht losgelassen, dieses Tagebuch einer Depression. Es hat mir wieder vor Augen geführt, wie fragil jede vermeintliche Sicherheit ist und wie groß dennoch das Bedürfnis, beschützt zu sein und vertrauen zu dürfen. Wie groß die Sehnsucht auf wackligem Boden. Wie nah manchmal der Abgrund. Und dass es Menschen gibt, die diese Pein mit aushalten, die einen begleiten und stützen. Trotzdem. Dafür bin ich immer noch sehr dankbar. Ohne sie wäre alles nichts.

Benjamin Maack berichtet von seinem Leben mit der Depression, hinter Klinikmauern und zwischendrin. Er feiert seinen 40. Geburtstag in der Psychiatrie und nicht zuhause, berichtet von Überforderung und Panikattacken, Schlaflosigkeit und Zwangsgedanken. Er lässt auch die Dunkelheit, die Selbstmordfantasien nicht aus und den dünnen Grat, der zwischen Verzweiflung und Hoffnung hin und her führt. Ein ständiger Balance-Akt, der sein Umfeld und ihn selbst ständig höchsten Belastungen aussetzt. Ein schonungslos ehrliches Buch.

© Marie van Bilk/Maria Jürgensen – Veröffentlichungen, auch in Auszügen, nur mit ausdrücklicher Genehmigung der Autorin.

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