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Helene Hegemann – Patti Smith

von Maria Jürgensen (Marie van Bilk) ...

Ich bin kein Fan von Patti Smith. Auch bei Helene Hegemann ging ich bisher verhalten ans Werk. Und obwohl das so ist, habe ich mir Helene Hegemanns Buch „Patti Smith – über Patti Smith, Christoph Schlingensief, Anarchie und Tradition“ gekauft.

Helene Hegemann – Patti Smith

Ich besitze alle Bücher aus Patti Smith‘ Feder, weil ich sie irgendwann mal alle auf einmal erworben habe. Allesamt finde ich bescheiden. Ihre sehr verschwurbelte, assoziative Art zu schreiben, ihr Abdriften in Traumsquenzen, ihre unterwürfige Verehrung berühmter Zeitgenossen oder anderer sogenannter Größen der Zeitgeschichte, ihre an Wallfahrten erinnernden Besuche bei Menschen mit bekannten Namen… all das machte mich wahnsinnig. Als färbe deren Glamour auf sie ab. Ich verlor rasch die Geduld und pfefferte jeden einzelnen Erguss in die Ecke.

Von Hegemanns Buch habe ich im Radio gehört und horchte auf. Sie hat ihre ganz eigenen Erfahrungen mit dieser Frau gemacht und sie decken sich gelegentlich mit meinen Eindrücken. Doch abgesehen davon ist Hegemanns Text eine Erzählung über einen Teil ihrer eigenen Geschichte, der fesselt und mich beeindruckt. Auch Hegemanns Stil ist schnodderig, eigenwillig und so, als spräche sie vielmehr, als dass sie schreibt. Ihr Blick auf die Dinge ist klar, analytisch, persönlich und manchmal provokant.

Hat mir sehr gefallen!

© Marie van Bilk/Maria Jürgensen – Veröffentlichungen, auch in Auszügen nur mit ausdrücklicher Genehmigung der Autorin.

Für alle hier besprochenen Bücher gilt: Unterstützt möglichst den lokalen Buchhandel!

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Helen MacDonald – H wie Habicht

von Maria Jürgensen (Marie van Bilk) ...

„H wie Habicht“ von Helen MacDonald war mit vielen Erwartungen besetzt. Einige hatten mir begeistert davon erzählt und das Buch über den Klee gelobt.

Ich muss gestehen, ich kann die Begeisterung nicht teilen. Nun bin ich nicht sehr enthusiastisch, wenn es um die Falknerei geht, über die man in diesem Buch viel erfährt.

Helen MacDonald – H wie Habicht

Es ist keinesfalls ein schlechtes Buch. Helen Macdonald überwindet durch das Verhältnis und im Abrichten eines Habichts die Trauer um den Tod ihres Vaters. Einige Sätze sind bemerkenswert und ich kam nicht ohne Dogearing aus. Aber dennoch erreichte mich ihre Geschichte nicht. Sie blieb seltsam seelenlos. Das mag daran gelegen haben, dass die technischen Details der Falknerei und theoretischen Abhandlungen und Konsulationen sich so oft vor die Beziehung dieser Frau zum Vogel schoben. Und gerade die hat mich am meisten interessiert.

© Marie van Bilk/Maria Jürgensen – Veröffentlichungen, auch in Auszügen nur mit ausdrücklicher Genehmigung der Autorin.

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Garrett M. Graff – The only plane in the sky

von Maria Jürgensen (Marie van Bilk) ...

Ufff… „The only plane in the sky“ ist nichts für schwache Nerven.

Garrett M. Graff – The only plane in the sky

Garrett M. Graff holt den Leser mitten hinein in die Ereignisse von 9/11. Wir begegnen in diesem Buch den Menschen, die diesen Tag aus unterschiedlichen Perspektiven erlebt haben und nehmen aus ihren sehr zu Herzen gehenden Erzählungen eine sehr detaillierte Chronologie der Ereignisse mit. Die amerikanische Mentalität wird dabei genauso sichtbar, wie der Schmerz und die immer noch offene Wunde, die weitere Verletzungen an anderer Stelle, in Afghanistan, nach sich gezogen hat. Es erzählen büroangestellte Überlebende aus den beiden Türmen und des Pentagon, Feuerwehrleute, PolizistInnen, ÄrztInnen, LehrerInnen, SchülerInnen, PolitikerInnen und JournalistInnen, die Angehörigen, die Voicemails eben jener, Anrainer an der Absturzstelle von Flug 93, Nachkommen der Getöteten…

Es ist oft erschütternd, bedrückend und berührend, dieses Buch. Ich habe häufig absetzen müssen, da mir bewusst war, dass es sich hier nicht um Fiktion, sondern um schreckliche Wahrheiten handelte. Was Menschen Menschen antun können… !

Empfehlung!

© Marie van Bilk/Maria Jürgensen – Veröffentlichungen, auch in Auszügen nur mit ausdrücklicher Genehmigung der Autorin.

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Eva Menasse – Dunkelblum

von Maria Jürgensen (Marie van Bilk) ...

Im August 1989 taucht im oberösterreichischen Dunkelblum ein Besucher auf, der Nachfahre eines dort lebenden Mannes war. Eben jener Mann wurde erschossen… oder doch nur verjagt? Auf einer Wiese wird ein Skelett ausgegraben und Bewohner des Städtchens entpuppen sich als Nazis. Ein jeder hat sein Scherflein zur dunklen Vergangenheit beigetragen. Die das Geheimnis enthüllen wollen, sich als junge Menschen oder Zeitzeugen der Verantwortung stellen, sterben oder verschwinden plötzlich.

Eva Menasse – Dunkelblum

Auf Basis der realen Ermordung von Juden in Rechnitz entwickelt Eva Menasse sprachgewaltig eine verzweigte Geschichte über Schweigen, alternative Wahrheitsbildung und subtile wie auch offene Gewalt. Beim Massaker von Rechnitz wurden am 24. und 25. März 1945 vermutlich an die 200 ungarisch-jüdische Zwangsarbeiter in der Nähe des Schlosses Rechnitz bei Rechnitz im Burgenland ermordet. Das Massaker war eines der Verbrechen kurz vor Kriegsende.

Der Detailreichtum von „Dunkelblum“, das einfließende Lokalkolorit machen es stellenweise schwer, der Geschichte zu folgen. Dennoch eine Empfehlung.

© Marie van Bilk/Maria Jürgensen – Veröffentlichungen, auch in Auszügen nur mit ausdrücklicher Genehmigung der Autorin.

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Emilie Pine – Botschaften an mich selbst

„Auch wenn ich keine Angst davor habe, öffentlich zu reden oder als ehrgeizig wahrgenommen zu werden, was beides klassische berufliche Stolpersteine für Frauen sind, falle ich doch einem ähnlich tückischen Problem zum Opfer: Ich gebe meine Macht ab, indem ich ausweiche, indem ich sexistische Bemerkungen nicht thematisiere, verhalte ich mich so, als ob ich keine Feministin wäre. Und, ehrlich gesagt, ich habe es satt, Feministin zu sein. Ich habe es satt, dafür verantwortlich zu sein, Sexismus zu benennen UND zu beheben. Ich habe es satt, dass das so notwendig und so schwierig ist.“

Emilie Pine – Botschaften an mich selbst

Emilie Pines „Botschaften an mich selbst“ sind eine sehr aufrichtige Auseinandersetzung mit sich selbst, sind eine Hoffnung und gelegentlich Spiegel.

Manchmal musste ich die Luft anhalten, das Buch nimmt mich ziemlich mit. Unbedingt: Empfehlung!

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Edgar Selge – Hast Du uns endlich gefunden

von Maria Jürgensen (Marie van Bilk) ...

Edgar Selges Buch „Hast Du uns endlich gefunden“… ich zögere, denn ich weiß nicht so recht, was ich dazu sagen soll.

Erzählt wird die Geschichte von Edgar, der vom Vater nicht selten gezüchtigt, einmal gar sexuell angegangen wird. Der Vater ist ein Nazi, dem nach dem Krieg die Ausübung seines Berufs als Jurist verboten wird, der aber dennoch, ungeachtet seiner Geschichte, als Leiter eines Gefängnisses jungen Menschen zur Rehabilitation und Ausbildung als Schreiner verhelfen darf. Die gefertigten Möbel landen allesamt in seiner Wohnung, wo sie von den Häftlingen bei Hauskonzerten wiedererkannt werden. Der Vater macht leidenschaftlich Musik, meint, sich im zweifelhaften Licht alternder, ehemals linientreuer Musiker, die ihn offen demütigen, sonnen zu können. In einem anderen Gefängnis, dem er nach dem Krieg vorstand, unterstützte er ehemalige Parteigenossen und verschaffte ihnen Vergünstigungen.

Im Verlauf der Geschichte formt sich das Bild einer Familie und des Aufwachsens eines Jungen im Zwiespalt. Er mäandert zwischen den Anklagen der erwachsenen Brüder gegenüber den Eltern und ihrer Vergangenheit und dem Altnazitum, der Gewaltverherrlichung und -ausbrüchen des Vaters hin und her. Später, als Erwachsener konfrontiert er die Eltern schonungslos mit den Bildern der Vernichtungslager. Als Kind möchte Edgar dazugehören, gesehen werden von diesem Vater und einer desinteressierten Mutter. Gleichzeitig bricht er Regeln, stiehlt, um Filme im Kino sehen zu können und wird bei seinen Lügen ertappt. Edgar leidet, flieht in die Literatur, in Geschichten, ins Erzählen, spürt sein Außenseitertum und kann, selbst Jahrzehnte später, nicht anders, als den Vater zu hassen und gleichzeitig zu lieben. Er träumt wiederholt von seinen Eltern, als sie schon längst tot sind und kämpft mit ihren Geistern. Edgar kommt nicht los.

Trotz der tragischen Story hat mich das Buch nicht wirklich erreicht. Es hatte etwas Aufgesetztes, Schiefes, das ich nicht recht benennen kann. Aber ich bin sicher, es findet seine LeserInnen.

Bildet Euch selbst ein Urteil.

© Marie van Bilk/Maria Jürgensen – Veröffentlichungen, auch in Auszügen nur mit ausdrücklicher Genehmigung der Autorin.

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Dinçer Güçyeter – Unser Deutschlandmärchen

von Maria Jürgensen (Marie van Bilk) ...

„Nur die Geschichte kann die Wahrheit sein, nur sie kann diesen Eisberg zersprengen“

„Alles, was bei mir keine Sprache fand, soll auf Euren Zungen Seiten aufschlagen“

Dinçer Güçyeter – Unser Deutschlandmärchen

… das sind nur zwei der Sätze aus Dinçer Güçyeters Buch „Unser Deutschlandmärchen“ die ein Echo in mir verursachen. Was für ein schönes, schmerzliches und echtes Buch das ist! Was für eine außergewöhnliche Form und Vielfalt!

Es ist zugleich eine Ode an die Mutter, als auch die erwachsene Abgrenzung von ihr, die Suche, das Finden eines eigenen Weges, die schonungslose Darstellung zermürbender Erwartungen und Last in Heimat und Fremde, die austauschbar sind, nicht klar benennbar, ein irgendwo dazwischen, lebendig und verwundend, verschwimmend, überlappend und von Menschen erst beseelt oder verpestet. Dinçer schildert all das mit einer brillanten eigenen, unverwechselbaren und brennenden, realen Stimme, die einen nicht mehr loslässt!

Dicke Lektüreempfehlung!

© Marie van Bilk/Maria Jürgensen – Veröffentlichungen, auch in Auszügen nur mit ausdrücklicher Genehmigung der Autorin.

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Diane Cookson – The New Wilderness

von Maria Jürgensen (Marie van Bilk) ...

Vor dem Booker-Prize hatte ich noch nie von Diane Cookson gehört. Es wird nicht das letzte Buch sein, das ich von ihr lese.

Das Buch „The New Wilderness“ ist eine Dystopie. In den Städten kann man kaum noch atmen. Die Verhältnisse sind insgesamt prekär und so entschließt sich ein Wissenschaftler zu einem Experiment, zumal seine vierjährige Tochter anderenfalls sterben würde. Gemeinsam mit einer Gruppe von Menschen geht er als Nomade in die Wildnis und probt das Überleben ohne zivilisatorische Hilfsmittel in der Natur. Während seine Tochter zum Teil dieser neuen Umgebung wird, kämpft seine Frau mit den Umständen und geht einen ganz eigenen Weg. Rollen und Rituale formen sich, Bewacher drangsalieren und Ereignisse überschlagen sich. Erzählt wird mit wechselnder Perspektive, unaufgeregt und doch emotional packend.

Empfehlung als gute, anspruchsvolle Unterhaltung!

© Marie van Bilk/Maria Jürgensen – Veröffentlichungen, auch in Auszügen nur mit ausdrücklicher Genehmigung der Autorin.

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Dave Eggers – The Circle

von Maria Jürgensen (Marie van Bilk) ...

Mae Holland beginnt durch Vermittlung ihrer Freundin Annie einen Job in einer angesagten Firma, dem „Circle“. Der stylische, hippe Internetkonzern, der sich Google, Apple, Facebook und Twitter einverleibt hat, indem er seine Kunden mit einer einzigen Internetidentität ausstattet, über die einfach alles abgewickelt werden kann, bemächtigt sich sukzessive aller Lebensbereiche. Privatheit wird zunehmend Geschichte, Kindern werden als Babies schonTracking- und Speicherchips eingepflanzt und auch Mae kann sich der Gehirnwäsche des Konzerns nicht entziehen, wird zu dessen unschuldigem Gesicht.Der Kreis soll sich schließen. Auf dem Weg dorthin aber gibt es Opfer…

Dave Eggers „The Circle“ ist eine Dystopie, die es in sich hat und, obschon manchmal schon sehr polemisch, keine Minute langweilig wurde. Das Buch ist kein literarisches Meisterwerk, aber eine spannende, düstere Zukunftsvision.

Empfehlung.

© Marie van Bilk/Maria Jürgensen – Veröffentlichungen, auch in Auszügen nur mit ausdrücklicher Genehmigung der Autorin.

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Barack Obama – Ein amerikanischer Traum

von Maria Jürgensen (Marie van Bilk) ...

Ob seine Präsidentschaft erfolgreich war? Ob er hinter den hohen Erwartungen zurückgeblieben ist, viele Fehler gemacht oder vieles richtig gemacht hat? Die Antwort fällt mir schwer. Obama ist sicherlich eines für mich: Ein typischer Amerikaner. Ich habe mich immer schwer damit getan, die Mentalität zu begreifen, die von so vielen Idealen, aber auch von Puritanismus, gelegentlich gar religiösem Fanatismus und Heldenglauben geprägt ist. Dieser Satz „Du kannst alles erreichen“ ist mir suspekt.

Und doch liegt „Promised Land“ auf dem Stapel, außerdem zwei Bücher über das kulturelle Erbe von Barack Obamas Vater und eines über seine Studienzeit.

Barack Obama – Ein amerikanischer Traum

Obama entspringt meiner Generation, ist gerade mal zwei Jahre älter als ich, ist aber in einer völlig anderen Welt aufgewachsen. Amerika war in einer Zeit, in der der Krieg gerade mal zwanzig Jahre zurücklag, als ich geboren wurde, die Besatzung sichtbar, Amerikaner in einem der Nachbardörfer stationiert waren, ausschließlich durch amerikanische Filme erste Vorbilder konstruiert wurden, trotz allem auch für mich eine feste Größe. Mich interessierte Obamas Motivation, seine Idee hinter dem Wechsel zu einem anderen Bewusstsein der Amerikaner, der Grund für sein Engagement als Politiker, Themen, die im Buch „Ein amerikanischer Traum“ enthalten sind. Die Bürgerechtsbewegung, die Wut der Zurückgelassenen, die Gräben innerhalb der amerikanischen Gesellschaft werden genauso behandelt, wie scheinbar profaneres, das Verhältnis zu seiner Herkunftsfamilie in Kenia etwa und was er an Erkenntnissen und neuen Beziehungen aus der Begegnung mit ihr gewinnt. Obama wächst als Sohn einer weißen Amerikanerin und eines schwarzen Amerikaners, schließlich als Stiefsohn eines Indonesiers auf, lebt auf Hawai, in Indonesien, Kalifornien und Chicago. Seine durch Herkunft und Ausbildung entstehende Priviligiertheit, die ihn herauskatapultiert aus dem sonst üblichen Alltag vieler schwarzer Amerikaner weckt breites Misstrauen. In Amerika schwarz zu sein, ist schmerzhaft. Konfrontationen und Kämpfe sind tägliches Geschäft. Auch das schildert er. Obama arbeitet als Stadtteil-Helfer, sammelt Erfahrungen im Spannungsfeld zwischen Weißen und Schwarzen, begegnet weißer Überheblichkeit, schwarzer Resignation, lernt religiöse Ignoranz kennen und politische (In)kompetenz.

Obama setzt sich in diesem Buch kritisch, und nach Verstehen suchend mit allen Bevölkerungsgruppen auseinander. Er baut Idealmodelle, pauschalisiert an einigen Stellen, entwickelt eine eigene „Attitude“. Nun…gibt es den amerikanischen Traum? Offenbar gibt es einen äußerst starken Glauben daran und eine unausgesprochene Guideline, einen Maßstab an dem Gescheiterte in dieser Gesellschaft schonungslos gemessen werden. Brüche sind unübersehbar.

Ein sehr amerikanisches Buch…

© Marie van Bilk/Maria Jürgensen – Veröffentlichungen, auch in Auszügen nur mit ausdrücklicher Genehmigung der Autorin.

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Auke Hulst – De Mitsukoshi Troostbaby Company

von Maria Jürgensen (Marie van Bilk) ...

Der Autor heißt Auke Hulst und sein Buch „De Mitsukoshi Troostbaby Company“. Es ist auf Niederländisch erschienen und es bleibt zu hoffen, dass es eine/n VerlegerIn gibt, der/die dieses Buch der deutschen Leserschaft zugänglich macht.

Auke Hulst - De Mitsukoshi Troostbaby Company

Der erste Satz des Buches verbirgt sich unter einem Strich und lautet, „Ich wünschte, ich könnte alles noch einmal tun“. Ist das nun ein Wunsch, der ausgemerzt gehört? Lesbar bleibt er und damit das Bewusstsein erhalten, dass man sich etwas wünschen kann, der Wunsch vielleicht sogar erfüllt wird, dann aber doch alles anders kommt, als gedacht. Denn, so der Rückschluss aus allem, Leben ist nicht kontrollierbar.

Die Handlung besteht aus zwei Erzählsträngen. Im ersten wird von einem Mann erzählt, der nach einem schrecklichen Verlust, den er selbst noch gar nicht so recht einzuordnen weiß, einen Androiden, ein künstliches Kind adoptiert. Nachdem er und seine ehemalige Freundin ein Kind erwarteten, entschied sich seine Freundin gegen die Empfängnis. Sie ließ das Kind abtreiben. Der Vater akzeptierte und verstand das Ansinnen seiner Partnerin, deren Körper es hätte austragen und gebären müssen, deren Geist sich ihm nicht mehr verbunden sah. Nun ist es die Adoption, mit der er versucht, auf seine Weise seine Trauer zu verarbeiten. Aber kann eine Maschine mit Namen Scottie, der man seine und ihre DNA eingepflanzt hat, einen Menschen ersetzen und einen Verlust heilen? Scottie hat Gefühle, empfindet Freude und Schmerz und doch entdeckt sie eines Tages, dass sie anders ist. Im zweiten Erzählstrang gewinnt der Leser Einblick in ein Buch, dass der Protagonist, Auke van der Hulst – das Alter Ego von Auke Hulst – schreibt. Auch Kaj verliert sein Kind durch Abtreibung. Nur ist es diesmal nicht das Computerkind, das als Heilmittel funktionieren soll, sondern Kaj selbst, der eine Zeitreise unternimmt, um die Vergangenheit zu verändern. Ist das eine Alternative, kann das einen vermeintlichen Fehler korrigieren? Wachsen nicht neue Hürden?

Hulst untersucht Rollen von Vätern, Beziehung undMenschsein, Verlust und Liebe auf höchst spannende, philosophisch anmutende Weise.  Ich habe mich innerhalb dieser 600 Seiten keine einzige Sekunde gelangweilt! Versiert formuliert, vielschichtig, tiefgründig – ein echter Schatz!

© Marie van Bilk/Maria Jürgensen – Veröffentlichungen, auch in Auszügen nur mit ausdrücklicher Genehmigung der Autorin.

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Anne von Canal – White Out

von Maria Jürgensen (Marie van Bilk) ..

Eine E-Mail bringt Hanna aus dem Tritt. Sie, Forscherin bei einer wichtigen Antarktis-Expedition, bei der es um den entscheidenden, letzten Vorstoß und wertvolle Erkenntnisse zum Klima der Vergangenheit geht, erhält die Nachricht von einer Person, die sie mit Amundsen anredet und mitteilt „Scott ist tot, melde dich, Wilson“. Erinnerungen schlagen wie Wellen über ihr zusammen und plötzlich ist die vor Jahren verschwundene Freundin Fido wieder in ihren Gedanken. Langsam und mit zunehmendem Verlust der Kontrolle im ewigen Eis enthüllt sich die Vergangenheit vor den Augen der LeserInnen. In dem zunächst vertraut agierenden Kreis des Polarteams nehmen die Spannungen zu und Hannas Sicherheit gerät gehörig ins Wanken.

Anne von Canal – White Out

Tolles Buch!

© Marie van Bilk/Maria Jürgensen – Veröffentlichungen, auch in Auszügen nur mit ausdrücklicher Genehmigung der Autorin.

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Fotografische Entschleunigung

30 Sekunden – Eine halbe Minute Ewigkeit

 von Dirk Jürgensen …

Das Thema »Zeit« geht uns nicht aus den Köpfen. Ob wir unser Privatleben planen, die Arbeit uns Zeit stiehlt, versaut oder Erfüllung bringt, ob wir die Wochen und Tage bis zum Urlaub zählen oder das, was uns vom Leben übrig bleibt, ob wir auf den Bus warten oder im Stau stehen, die Zeit beschäftigt uns immer – besonders wenn wir von der so notwendigen »Entschleunigung« reden.

30 Sekunden © Jürgensen - DüsseldorfSo lag es für mich nicht fern, der Zeit ein Fotoprojekt zu widmen, eine künstlerische Annäherung an das Thema zu suchen. Denn besonders in der Fotografie ist die Zeit ein außerordentlich einflussreicher Aspekt.

Normalerweise, wir erwarten als Ergebnis in der Regel ein scharfes, nicht verwackeltes Bild, konserviert ein Foto einen Zeitabschnitt, der nur hundertstel oder tausendstel Sekunden währte. Es täuscht uns das, was mit dem Klacken des Verschlusses schon längst Vergangenheit wurde, als ewige Gegenwart vor. Mit ihrem Einfrieren des Bruchteils einer Sekunde ist die Fotografie ein Hilfsmittel für unsere oft zu fahrige Wahrnehmung und gleichzeitig eines für unsere unpräzise Erinnerung. Wir wollen das so und akzeptieren damit die zeitlich winzige Wirklichkeit eines Fotos als Wirklichkeit des Lebens.

Versucht man in der Fotografie Zeit sichtbar zu machen, gibt es die Möglichkeit mit Serienaufnahmen Veränderungen, Bewegungen und Abläufe in Sequenzen einzuteilen. Jedes Bild für sich ist dann wieder ein kurzer und für sich abgeschlossener Ausschnitt aus der Zeit. Den zwischen den einzelnen Bildern entstandene Zwischenraum füllt unsere Phantasie, so, wie auch ein Film aus vielen Einzelaufnahmen besteht und die Geschwindigkeit des Bildwechsels uns den lückenlosen Fluss des Geschehens vorgaukelt.

Eine andere Möglichkeit ist die, die Belichtungszeit zu verlängern, sie in einen Bereich zu bringen, den wir glauben, mit unserer Wahrnehmung erfassen zu können. Sagen wir, eine halbe Minute. Müssen wir eine halbe Minute warten, kann das eine Ewigkeit bedeuten, doch erleben wir gerade einen großen Genuss, gehen 30 Sekunden viel zu schnell vorbei. Beim Fotografieren selbst bedeuten 30 Sekunden oft eine Ewigkeit, eine Zeit, in der man sich mit dem Drücken des Auslösers dem Zufall aussetzt. Stellt man sein Kamerastativ beispielsweise in einer Fußgängerzone auf, möchte die Bewegung eines Passanten verfolgen, dreht er sich unerwartet um, ein Kind läuft ihm in die Quere und die eben noch schlaff am Mast hängende Fahne im Hintergrund wird von einer Windböe erfasst. Wer mit einer Belichtungszeit von einer halben Minute fotografiert, erfährt die Ewigkeit solcher Momente.

Wie sehr sich dieser Zufall sich auch an der Bildkomposition beteiligen mag, immer ist das Ergebnis ein Dokument dessen, was innerhalb seines Erfassens geschah, eines, das aber auch zeigt, wie flüchtig die Ausdehnung der Zeit dieses Geschehen macht. Menschen, Tiere, Dinge in Bewegung verwandeln sich in ihre eigenen Spuren, sie werden durchsichtig, verschwinden bei schneller Bewegung ganz. Was bleibt, ist die Position der Ruhe, nicht die der Eile. Die Hektik der Innenstadt verwandelt sich in eine indifferente Wolke, wird letzthin aufgelöst.

So würde ich mich freuen, wenn der Bildband mit einer Auswahl meiner Fotografien, die konsequenterweise alle mit einer Belichtungszeit von 30 Sekunden entstanden, der Wahrnehmung der Zeit ein kleines Stück Geschwindigkeit nehmen könnten.

Wir reden so viel von Entschleunigung. Auch sie ist eng mit einer bewussten Wahrnehmung von Zeit verbunden. Vielleicht mögen Sie in diesem Zusammenhang mein künstlerisches Experiment sogar für sich selbst fortsetzen, indem Sie sich einfach(?) die Zeit nehmen, sich eine der im Buch versammelten Fotografien herausgreifen und sie eine halbe Minute lang anschauen, so lange, wie die Kamera benötigt hat, das Bild aufzuzeichnen. Ich würde mich freuen zu erfahren, was Sie sehen, was bleibt.


Das Bilderbuch »30 Sekunden – Eine halbe Minute Ewigkeit« (ISBN:978-3-744-85498-6) hat 52 Seiten im handlichen Format von 21x15cm mit zahlreichen Schwarzweiß- und Farbaufnahmen und kann in Deutschland für 8.50 € überall dort erworben werden, wo es Bücher gibt. Ihr lokaler Buchhändler wird es gerne für Sie bestellen.

Wenn Sie es partout nicht vermeiden können, dürfen Sie es natürlich auch bei Amazon oder über die folgende Box beim BoD-Bookshop ordern.

Weitere Informationen zu diesem Projekt finden Sie unter knipsenundtexten.de im Netz.

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Das vergoldete Zeitalter bleibt aktuell

von Dirk Jürgensen …Mark Twain hätte am 30.11.2014 seinen 179. Geburtstag feiern können. Doch der Halleysche Komet, der bereits zu seiner Geburt erschienen war, holte ihn pünktlich bei seinem nächsten Erscheinen zurück. Mark Twain hatte das längst geahnt. Ob er auch ahnte, wie wenig sich die menschliche Gesellschaft bis in unsere Tage ändern sollte? »Das vergoldete Zeitalter« hätte er heute jedenfalls gut und gerne noch einmal schreiben können.Welche Wirkung hätte das wohl haben können? Man kann nur spekulieren

Nach nunmehr 134 Jahren zahllos zerplatzter und vor all den in der Zukunft noch zerplatzenden Spekulationsblasen liegt nun endlich wieder eine deutschsprachige
Ausgabe von »The Gilded Age – A Tale of Today« vor. Als Grundlage dieser Neuausgabe diente die von Moritz Busch übersetzte und bereits 1876 in der Reihe »Amerikanische Humoristen« bei Fr. Wilh. Grunow in Leipzig erschienene Fassung. Diese wurde vom Herausgeber sanft modernisiert und an erforderlichen Stellen korrigiert. Er spekuliert mit der Veröffentlichung, das darf a dieser Stelle verraten werden, übrigens auf »Ozeane und Ozeane von Geld«

Das Werk ist über Amazon und anderswo zu bestellen. Oder fragen Sie einfach im örtlichen Buchhandel nach der ISBN 978-3-83918-446-2.

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