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Virginia Woolf – Ein Lesebuch

von Maria Jürgensen (Marie van Bilk) ...

Virginia Woolf war eine der außergewöhnlichsten AutorInnen zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Ihre Belesenheit veranlasste sie zunächst dazu, Rezensionen für diverse Zeitschriften zu verfassen, bevor sie sich der erzählenden Literatur zuwandte. Sie erfuhr Missbrauch durch einen ihrer Stiefbrüder in der Kindheit und frühen Jugend und erkrankte an einer bipolaren Störung, die schließlich dazu führte, dass sie sich, befürchtend, in eine neue Episode der Depression zu verfallen, das Leben nahm.

Virginia Woolf – Ein Lesebuch

Sie verfasste mit „Ein Zimmer für sich allein“ einen Text, der wegbereitend für die folgende Frauenbewegung sein sollte und noch heute nichts an Aktualität verloren hat. Selbst dann nicht, wenn man von der ein oder anderen Forderung ihres Buches nicht überzeugt ist. Allein die Tatsache, dass sie sich der Thematik zuwandte und Frauen in ihrem Streben, eine gesellschaftlich relevante Position anzunehmen, unterstützte, war zukunftsweisend. Ihre Rolle, die sie gemeinsam mit ihrer Schwester Vanessa und ihrem Bruder Toby bei der Gründung der Bloomsbury Group einnahm, ist revolutionär zu nennen. Innerhalb der Gruppe wurden gesellschaftliche Konventionen über Bord geworfen, Ansichten und Beziehungen neu definiert, neue Lebens- und Kunstformen etabliert.

Virginia Woolfs Sprache ist unverwechselbar. Bildreich und verwoben erinnern mich ihre Romane und ihre Kurzprosa zuweilen an eine fein ziselierte Stickarbeit auf hauchdünnem Gewebe. Manchmal gerät ein Regenschauer darauf oder jemand zieht daran, bis es einen Riss gibt, den man wieder flicken muss. Als gäbe es immer einen kleinen Misston im Hintergrund eines flüssigen Musikstücks, eine lauernde Gefahr im hohen Gras eines Sommers.

Ihre Essays bedienen sich einer ähnlichen Couleur. Sie sind fokussiert, gelegentlich ironisch und gespickt mit Anspielungen und Metaphern. In ihren Tagebüchern und Briefen nimmt sie Bezug auf ihr tägliches Leben, beschreibt Landschaften, Erlebnisse, Zweifel und Verzweiflung und bekennt, dass sich Außen- und Innenleben manchmal eklatant unterscheiden.

Das vom S.Fischer-Verlag zusammengestellte Lesebuch erschien bereits 2006, ist aber immer noch zu haben. Versammelt sind Auszüge aus ihren Romanen, Tagebüchern, Briefen und eine Auswahl ihrer Essays und Kurzprosa. So erhält man einen kleinen Einblick in ihr Gesamtwerk. Die Romane nur in Auszügen zu lesen, ergab für mich wenig Sinn. Für den ersten Eindruck ihres Schreibens sind sie sicher hilfreich. Allerdings nehmen sie fast die Hälfte des Buches ein. Das Lesebuch beginnt mit ihnen und so wird mancher Leser erst gar nicht bis zu den für dieses Format weitaus geeigneteren Texten gelangen, da die Unvollständigkeit enttäuscht. Wenn man sich damit zufrieden gibt, eine schöne Auswahl an Texten für den Einstieg vor sich zu haben, ist es genau dafür gut genug.




William Styron – Sturz in die Nacht

von Maria Jürgensen (Marie van Bilk) ...

Ich hatte zuvor noch nie von William Styron gehört. Er kommt aus der Generation meines Vaters und schrieb in der Tradition des amerikanischen Südens. Er arbeitete als Lektor beim MCGraw-Hill-Verlags und lebte eine Zeitlang in Rom und Paris. Neben Romanen schrieb er Essays und Kritiken. Für „Die Bekenntnisse des Nat Turner“ erhielt er im Jahr 1968 den Pulitzer-Preis. Er starb 2006 auf Martha‘s Vineyard an einer Lungenentzündung.

William Styron – Sturz in die Nacht

Bei „Sturz in die Nacht“ handelt es sich um autobiographische Notizen, in denen er sich mit seiner Depressionserkrankung auseinandersetzt.

Nachdem ich mit Matt Haig, „Gute Gründe am Leben zu bleiben“ schon ein wirklich gutes Buch zum Thema Depression gelesen habe, folgte mit William Styron „Sturz in die Nacht“ ein weiteres.

„Was meine Depression verursacht hat, werde ich wohl nie herausfinden, wahrscheinlich auch kein anderer bei der seinen. Das wird mit ziemlicher Sicherheit auch in Zukunft nicht möglich sein, weil die miteinander verwobenen Faktoren von anormalem Verhalten, annormaler Chemie und Genetik zu komplex sind. Offensichtlich sind mehrere Komponenten beteiligt – vermutlich drei oder vier, wahrscheinlich sogar noch mehr, und das in unergründlicher Permutation“.

Styron war über 40 Jahre lang dem Alkohol gegenüber nicht abgeneigt und betrachtete ihn als Notwendigkeit, um seine Kreativität erst lebendig zu machen. Von einem Tag auf dem anderen jedoch vertrug er ihn nicht mehr, empfand Ekel und Übelkeit, wenn er davon trank. Ob nun Alkohol als Stimulanz oder Auslöser wirkte, unbewusstes Mittel gegen die schon früh existierenden Ängste war, vermag Styron nicht zu entschlüsseln. Jedoch verspürt er, nachdem das Suchtmittel weg bleibt, kurz darauf er die ersten Anzeichen einer Depression umso deutlicher. „Ohne Zweifel hatte die Depression schon seit Jahren über mir geschwebt und auf einen geeigneten Moment gelauert, um endlich zuzustoßen. Jetzt befand ich mich im ersten Stadium des schwarzen Orkans der Depression – eine Warnung, wie ein Wetterleuchten… Ich fühlte mich benommen, überstrapaziert, vor allem merkwürdig gebrechlich, als wäre mein Körper tatsächlich zerbrechlich, überempfindlich geworden, irgendwie verrenkt und ungelenk, ohne die gewohnte Koordination in der Bewegung. Und bald war ich in den Kampf mit einer alles durchdringenden Hypochondrie verstrickt. Körperlich war ich nicht allein. Wie immer war Rose bei mir und hört mit nie nachlassender Geduld meine Beschwerden an. Dennoch spürte ich eine grenzenlose, schmerzhafte Einsamkeit.“

Sein Zustand verschlimmert sich, wird lebensbedrohlich, weil ihn Gedanken an einen Selbstmord ihn heimsuchen und Styron seziert in diesem Buch Schritt für Schritt, wie er versucht, der Dunkelheit trotzdem zu entkommen. Er begibt sich schließlich in eine Klinik. Und es gelingt ihm tatsächlich. Und so kann er schließlich sagen: „Doch braucht man keine flaschen oder übertriebenen Töne anzuschlagen, um der Wahrheit Nachdruck zu verleihen, dass die Depression nämlich nicht zwangsläufig die Auslöschung der Seele bedeutet: Männer und Frauen, die sich von der Krankheit wieder erholt haben – und es sind unzählig viele – legen Zeugnis ab für die wahrscheinlich einzig positve Eigenschaft der Depression: Sie kann besiegt werden.“




Sophie Passmann – Alte weiße Männer

von Maria Jürgensen (Marie van Bilk) ...

Sophie Passmann ist „special“. Ich mag sie. Ich mag ihre Insta-Stories und ihre coole Schnauze. Und ich hatte Freude an ihrem Buch „Alte weiße Männer“.

Sophie Passmann – Alte weiße Männer

Es ist ein Buch über eben jenes Bild des „alten, weißen Mannes“. Wer kennt ihn nicht? Er weiß alles besser, lässt Frauen den Kaffee kochen und beschwert sich, wenn sie die sogenannten „gesellschaftlichen Erwartungen“ nicht erfüllt. Er hat eine feste Vorstellung davon, wie frau auszusehen hat und mokiert sich über solche, die dem „gesellschaftlichen Ideal“ nicht entsprechen. Gendern und Quoten findet er total überflüssig und Frauenrechte für längst etabliert. Und natürlich sind Frauen mit Minirock selbst schuld, wenn sie Übergriffen von Männern ausgesetzt sind. Die Liste lässt sich erweitern. Endlos.

Aber unter all den Männern gibt es doch auch solche, die anders denken. Oder?

Sophie Passmannmacht die Probe aufs Exempel. Streiflichter. Humorvoll. Klug. Eine Spurensuche und ein sehr persönlicher Blick, eine Randomauswahl von Männern, Dokumentation und Kommentar zu ihrer Einstellung zu feministischen Positionen und Männer-Selbstbild.

Very nice!

Ergänzung zu Passmann… der Langhans… anhaltendes Augenrollen. Was für ein selbstgefälliger Idiot!

© Marie van Bilk/Maria Jürgensen – Veröffentlichungen, auch in Auszügen nur mit ausdrücklicher Genehmigung der Autorin.

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Siri Hustvedt – Gleißende Welt

von Maria Jürgensen (Marie van Bilk) ...

Ich bin Hustvedt-Fan. Auch dieses Buch, „Gleißende Welt“, hat mich durchaus gepackt, zumal die Form mir zunächst suggerierte, es mit einer Dokumentation zu tun zu haben. Weder Ethan, Maisie Ford noch Harriet Burden, die Protagonistin, aber hat es tatsächlich gegeben.

Siri Hustvedt – Gleißende Welt

„Gleißende Welt“ so lautet auch der Titel eines Romans von Margaret Cavendish, die als eine der ersten Frauen überhaupt bereits im 17. Jahrhundert ihre Schriften unter eigenem Namen veröffentlichte. Sie ist das Vorbild und Idol für die Hauptfigur Harriet Burden. Sie ist Witwe eines New Yorker Galeristen, der in der Kunstszene eine Berühmtheit ist. Sie stand stets im Schatten ihres Mannes, obschon selbst intellektuell und künstlerisch hochtalentiert. Harriet wagt schließlich ein Experiment – wäre ihre Kunst anerkannter, würde sie unter dem Namen eines Mannes ausstellen? Mit Einverständnis einiger Künstler leiht sie sich deren Namen aus und plant, jeweils nach den Ausstellungen an die Öffentlichkeit zu gehen und zu beweisen, dass die Art der Betrachtung den Erfolg bestimmt. Wahrnehmung sei subjektiv. Ihre These: Betrachtet wird normativ. Frauen kommen nicht vor. Sie setzt diesen Plan jedoch nicht um und hat in einem ihrer Auserwählten einen Gegner, der das Spiel einfach umdreht. Sie unterwirft sich schließlich den von ihr ausgewählten Personen und stirbt letztendlich zwar mit Verweigerung auf den Lippen, aber in Begleitung eines Mannes, der ihr in Liebe zugetan ist und alles ja vorher schon gewusst hat. „Ich habe es Dir ja gesagt!“.

Spannendes Sujet, Vermittlung eines Gefühls, das Frauen kennen dürften. Manchmal, fürwahr, könnte man die Künstlerin kräftig in den Hintern treten.

© Marie van Bilk/Maria Jürgensen – Veröffentlichungen, auch in Auszügen nur mit ausdrücklicher Genehmigung der Autorin.

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Karen Köhler – Miroloi

von Maria Jürgensen (Marie van Bilk) ...

Ich mochte das Buch, trotz seiner vorhandenen, nicht zu übersehenden Lücken und gelegentlicher Ungenauigkeiten.

Karen Köhler – Miroloi

Eine Frau lebt als Außenseiterin auf einer archaisch strukturierten Gesellschaft. In 128 Strophen wird ihr Leben als Namenlose erzählt. Männer dominieren Frauen, züchtigen und vergewaltigen in dieser von der sonstigen Welt völlig abgeschotteten Enklave. Weibliche Bildung darf nicht sein. Und doch schafft es jene Frau ohne Namen, das Lesen und Rechnen zu lernen und aus dieser Gesellschaft auszubrechen. Die Sprache der jungen Frau ist rudimentär und so ist auch die Sprache des Buches die ihre. Ihr Blick auf die Welt ist durchzogen von Brüchen, kindlicher Wahrnehmung und bis zum Schluss das Manifest einer Zurückgelassenen, Ausgestoßenen.

Leichte Unterhaltung mit einer interessanten Färbung.

© Marie van Bilk/Maria Jürgensen – Veröffentlichungen, auch in Auszügen nur mit ausdrücklicher Genehmigung der Autorin.

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Jenny Lecoat – Die Übersetzerin

von Maria Jürgensen (Marie van Bilk) ...

Manchmal muss es was richtig schmalziges, ohne allzu großen Anspruch sein. „Die Übersetzerin“ von Jenny Lecoat ist so ein Schinken, den ich mir als Hörbuch auf der Fahrt zur Arbeit angetan habe.

Jenny Lecoat – Die Übersetzerin

Die Anschaffung als Buch lohnt wahrlich nicht, obschon die Geschichte ihren Zweck rundum erfüllt. Eine Prise Liebe, Suspense und Moral zum Würzen und ein bisschen Historie als Sahnehäubchen obendrauf – die Klischees sitzen, Gut und Böse sind klar erkennbar und natürlich gibt’s ein Happy End.

Hedy flieht als Jüdin, von den Nazis verfolgt, nach Jersey. Die Kanalinseln aber werden bald schon besetzt und so beginnt, nach anfänglichen Versuchen im Widerstand, ein Leben im Verborgenen, bis zur Befreiung. Warum allerdings der Verlag aus dem Originaltitel „Hedy’s War“ „Die Übersetzerin“ macht, ist nicht so recht nachzuvollziehen, da er simpel den Beruf der Protagonistin beschreibt, der für den Plot keine Rolle spielt.

Empfehlung? Nun ja – wenn man einen Abschaltknopf für die Krise braucht, ist die Geschichte, trotz der ernsten Historie, perfekt.

© Marie van Bilk/Maria Jürgensen – Veröffentlichungen, auch in Auszügen nur mit ausdrücklicher Genehmigung der Autorin.

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Quentin Bell – Virginia Woolf

von Maria Jürgensen (Marie van Bilk) ...

Quentin Bell, Kunsthistoriker, Schriftsteller, Maler und Keramiker schreibt in dieser Biographie über Virginia Woolf, seine Tante. Er ist der Sohn der Malerin Vanessa Bell und des Kunstkritikers Clive Bell. Die Biographie entstand Anfang der 70er Jahre, als Bell in seinen 60ern ist.

Quentin Bell – Virginia Woolf

Nun kann man wohl keine Biographie am Tatsächlichen messen. Immer ist sie Interpretation eines Lebens, gemischt mit zusammengetragenen Fakten und Aufzeichnungen, hier zweifellos auch mit Erinnerung und persönlicher Wahrnehmung. Sehr oft habe ich mich gefragt, wie es gewesen wäre, hätte die Nichte die Biographie geschrieben. (Es gibt nicht nur ein Buch von Angelica Garnett, allerdings geht es in ihren Schriften um ausgewiesen persönliche Erinnerungen an Charleston House und das Leben in einer Künstlerfamilie.) So kann man beispielsweise das Verhältnis zu Vita Sackville-West auch aus konträrer Perspektive betrachten und ihm mehr Bedeutung geben. Das tut Bell nicht.

Auch der Missbrauch durch den Bruder in der Kindheit wird nur touchiert, nahezu verharmlost. Das tragische Ende im Selbstmord zitiert den Brief an den Ehemann und schließt damit.

Dennoch ein Buch, das viel Stoff liefert und die Lektüre lohnt. Die einseitig männliche Perspektive von jemandem, der 1910 geboren wurde, sollte man dabei im Hinterkopf behalten.

© Marie van Bilk/Maria Jürgensen – Veröffentlichungen, auch in Auszügen, nur mit ausdrücklicher Genehmigung der Autorin.

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Virginia Woolf – Ein Zimmer für sich allein

von Maria Jürgensen (Marie van Bilk) ...

Ein Zimmer für sich allein… welch ein Luxus und welche Lust!

Virginia Woolf – Ein Zimmer für sich allein

Virginia Woolfs Essay basiert auf zwei Vorträgen, die sie im Jahr 1928 am Girton College und am Newnham College, die beide zur Universität Cambridge gehörten, hielt. Hier studierten Frauen, allerdings bei männlichen Professoren. Die Vorträge wurden im Nachgang und für unterschiedliche Medien von Virginia Woolf nochmals überarbeitet. Um die Schwierigkeit, im Literaturbetrieb als Frau Fuß zu fassen, ja überhaupt schriftstellerisch tätig zu sein, geht es bei Virginia Woolf genauso, wie um die Notwendigkeiten und Voraussetzungen für ein literarisches Werk. In den 20er Jahren widmeten, und auch davon berichtet Virginia Woolfs Essay, sich immer mehr Frauen dem professionellen Schreiben und konnten zumindest mit einer gewissen Anerkennung rechnen, wenngleich sie ihren männlichen Kollegen immer noch nachstanden. Der Zugang zu gewissen Bibliotheken und Universitäten blieb ihnen versagt. Wer unter dem Namen einer Frau schrieb, wurde immer noch anders beurteilt, als ein Mann. Duncan Grant, der bis 1961 mit Vanessa Bell zusammenlebte, war als Maler wesentlich erfolgreicher als seine nicht weniger talentierte Freundin.

Virginia Woolf widmet sich diesen Missständen und betont, dass nicht nur Männern und Frauen gleiche Rechte, finanzielle Mittel und Räume bei der Schaffung von Kunst zugestanden werden müssen, sondern dass es keine Unterscheidung zwischen männlicher und weiblicher Kunst geben dürfe. Nur die androgyne Seele mit weiblichen und männlichen Anteilen ermögliche literarisches Genie, so Woolf. Ein eigener Raum zum Schreiben war lange Zeit keine Selbstverständlichkeit. In Wohnräumen der Häuser versammelte sich meist die gesamte Familie. Schriftstellerinnen wie die Brontës oder Jane Austen schrieben nicht im Verborgenen, sondern noch inmitten der familiären Turbulenzsphäre. Erst in den 70er Jahren des 19. Jahrhunderts durften Frauen eigenen Besitz haben, 1919 gestand man ihnen schließlich, nicht ohne, dass dafür Aktivistinnen auf die Straße gehen mussten, das Wahlrecht zu.

In Virginia Woolfs „Ein Zimmer für sich allein“ kommen die Frauen zu Wort. So spricht sie aus der Perspektive von Judith Shakespeare, der Tochter William Shakespeares, der sie schriftstellerisches Talent und einen Selbstmord andichtet. Die historische Figur war, so vermutet man, Analphabetin. Ihrer Judith jedoch unterstellt Virginia Woolf ein tragisches Schicksal, hätte sie ein Talent wie ihr Vater besessen. Sie wäre, so mutmaßt Woolf, erniedrigt worden und hätte sich anschließend das Leben genommen.

Woolf unterstellt, dass Frauen immer auch ihre Wut und ihre Verzweiflung über die Umstände mitschreiben. Man müsse unbelastet von äußeren Umständen und nicht aus einer männlich beeinflussten Sicht, sondern aus Perspektive und in Art und Weise der Frau über Frauen schreiben können. Dabei solle man nicht ihr Verhältnis zu Männern in den Mittelpunkt rücken, sondern das Leben von Frauen abbilden, wie es sonst nirgendwo beschrieben werde.

Virginia Woolf selbst verlegt sich in ihren Romanen oft auf Frauenfiguren und skizziert ihre Wahrnehmung. Zu ihrer Zeit gibt es an starken Frauenfiguren in Romanen noch sehr wenige, obschon ständig von Männern über Frauen geschrieben wird. Frauen seien in Schriften von Männern Mittel zum Zweck, Spiegel der Männlichkeit, von Männern genutzt, um ihre eigene Größe wiederzugeben.

Woolfs Blick fällt auf Schriftstellerinnen wie Aphra Behn, Christina Rossetti, Mary Carmichael, Dorothy Osborne, Jane Austen oder Emily Brontë oder Margaret Cavendish, wenn sie davon schreibt, dass es eine weibliche Literaturgeschichte gibt.

Virginia Woolfs Essay hat bis in die heutigen Tage nachgewirkt und die Frauenbewegung, die Frauenliteratur nachhaltig beeinflusst. Woolf wurde zur Ikone des Feminismus. „A Room for Ones Own“ ist ein Zeitzeugnis und als solches, so denke ich, auch zu lesen. Denn einige Dinge würde ich heute so nicht unterschreiben. So halte ich zum Beispiel die Wut für einen wichtigen Antrieb. Sie ist ein Teil der weiblichen Geschichte, die erzählt werden soll und muss. Denn auch heute leben Frauen in einer nach wie vor patriarchal geprägten Welt und dürfen nicht nur schreiben, sondern auch wütend sein und das zum Ausdruck bringen. Das ist Lebenswirklichkeit.

Mir wurde der männlich dominierte Literaturkanon vor rund zwei Jahrzehnten erst so richtig bewusst. Schon meine Leseliste während des Germanistikstudiums zeigte überwiegend Autoren. Autorinnen kamen dort oder in Vorlesungen, mit wenigen Ausnahmen, kaum vor. Ich las lange Zeit nahezu nur Bücher, die von Männern verfasst worden waren. Mein Leseverhalten hat sich inzwischen grundlegend geändert. Inzwischen haben Autorinnen sogar einen gewissen Überhang. Ich bin auf den Geschmack gekommen. Bei vielen alten Herren fällt durch die neue Perspektive ihre Haltung zu Frauen für mich mehr ins Gewicht. Manche mag ich daher gar nicht mehr lesen. Natürlich, so mag manch einer einwenden, muss man Romane auch im Kontext der Zeit lesen. Aber manche Zeiten sind einfach überholt.

Das Lesen von Autorinnen lege ich Männern besonders ans Herz. Wenn Ihr Frauen mal wieder nicht versteht, geht in die nächste Buchhandlung und deckt Euch ein. In diesem Sinne auch und trotz gewisser Umstände der Zeit – Empfehlung für Virginia Woolfs „A Room for Ones One“.

© Marie van Bilk/Maria Jürgensen – Veröffentlichungen, auch in Auszügen, nur mit ausdrücklicher Genehmigung der Autorin.

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Tineke Hendriks – De zee, de zee alleen

von Maria Jürgensen (Marie van Bilk) ...

Ich hatte noch nie von Betzy Akersloot-Berg gehört.

Tineke Hendriks – De zee, de zee alleen

Die Malerin von Seestücken war Pflegerin auf Spitzbergen, ging, da Frauen das Kunststudium nicht erlaubt war und als Liebhaberei galt, bei vielen Malern in die Lehre, um es ihren männlichen Zeitgenossen mindestens gleichzutun. Das gelang ihr. Sie gewann an Bekanntheit, wurde prominent ausgestellt und verkaufte ihre Bilder gut. Für ein gelungenes Bild ging sie schon mal mit auf Walfischjagd oder setzte sich bei Wind und Wetter mit Südwester, Pinsel und Palette in eine Kiste, um die stürmische See einzufangen.

Sie unterstützte das Frauenwahlrecht und damit die erste Frauenbewegung der Suffragetten und führte eine gleichberechtigte Ehe mit ihrem Mann. Auf Vlieland schließlich fand sie trotz vieler Reisen in Tromp’s Huis ein eigenes Heim und Atelier, in dem sie bis zu ihrem Tod, 1922 lebte und arbeitete.

Tineke Hendriks Buch „De zee, de zee alleen“ über die norwegische Malerin, die in den Niederlanden ihren Dreh- und Angelpunkt fand, war schön, spannend, fundiert.

Für alle, die Niederländisch sprechen, denn leider gibt es für das Buch noch keine Übersetzung. Ich fürchte aber, hierzulande auch keinen Markt.

© Marie van Bilk/Maria Jürgensen – Veröffentlichungen, auch in Auszügen, nur mit ausdrücklicher Genehmigung der Autorin.

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Marianne Gilbert Finnegan – Das gab‘s nur einmal

von Maria Jürgensen (Marie van Bilk) ...
Marianne Gilbert Finnegan – Das gab‘s nur einmal

Marianne Gilbert Finnegans Buch „Das gab’s nur einmal“ über ihr Leben als jüdischer Flüchtling Ende der 30er, Anfang der 40er Jahre in New York reizte mich sehr.

Jedoch enttäuscht das Buch: Es ist ein bisschen wie das Instagram-Account einer höheren Tochter mit Profilneurose. Es wird über den Sonntagsbraten und das Nähtalent der Mutter weit häufiger geredet, als über die politische Lage der damaligen Zeit.

Insgesamt nette Erinnerungen mit wenig Fundament, selbst bei dem Background.

© Marie van Bilk/Maria Jürgensen – Veröffentlichungen, auch in Auszügen, nur mit ausdrücklicher Genehmigung der Autorin.

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Nadja Bucher, Stephanie Mold, Angelika Slavik, Nikolai Soukup, Jörg Zemmler – Bevor ich sterbe

von Maria Jürgensen (Marie van Bilk) ...
Nadja Bucher, Stephanie Mold, Angelika Slavik, Nikolai Soukup, Jörg Zemmler - Bevor ich sterbe

Ein Hörbuch, bei dem ich zunächst gezögert habe. Das Cover ist grauenhaft und das Thema – Gespräche mit Sterbenden – kostete Überwindung. Und nun bin ich sehr froh, dass ich es höre.

Die Geschichten erzählen von den prägendsten Erlebnissen vieler Leben. Sie sind mal traurig, mal berührend, voller, prallem Leben und eine wunderschöne Hinterlassenschaft all dieser Menschen.

At the end we become stories…

© Marie van Bilk/Maria Jürgensen – Veröffentlichungen, auch in Auszügen, nur mit ausdrücklicher Genehmigung der Autorin.

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Leïla Slimani – Der Duft der Blumen bei Nacht

von Maria Jürgensen (Marie van Bilk) ...

Was für ein wundervolles, kleines Buch! Ich mag, wie Leïla Slimani schreibt, ihren Blick, ihre Gedanken und fühle mich ganz dankbar für „Der Duft der Blumen bei Nacht“.

Eine Schriftstellerin verbringt eine Nacht eingeschlossen im Museum Punta della Dogana in Venedig, dem einstigen Zollgebäude der Stadt. Sie erinnert sich, schreibt ein bisschen über Kunst und was sie auslöst, ganz viel übers Leben und auch übers Schreiben.

Slimani besschreibt Episoden ihrer Kindheit in Rabat, vom anschließenden Leben in Frankreich, in Paris. Sie berichtet vom Leben als Französin, die immer wieder auf ihre Wurzeln gestoßen wird, zwischen den Kulturen lavieren, sich erklären muss.

Leïla Slimani – Der Duft der Blumen bei Nacht

Sie spricht über Frauenrechte und ihre Beziehungen zum Vater, über das Schreiben und gesellschaftliche Verantwortung. Ist nun eines meiner Lieblinge. Sehr fein!

© Marie van Bilk/Maria Jürgensen – Veröffentlichungen, auch in Auszügen, nur mit ausdrücklicher Genehmigung der Autorin.

Für alle hier besprochenen Bücher gilt: Unterstützt möglichst den lokalen Buchhandel!

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Martin Suter, Benjamin von Stuckrad Barre – Alle sind so ernst geworden

von Maria Jürgensen (Marie van Bilk) ...
Martin Suter, Benjamin von Stuckrad Barre – Alle sind so ernst geworden

Sie lassen sich über alles mögliche aus: Über Badehosen, die Aussprache von Ibiza, das Kochen, den Umgang mit Geld, sie lassen Siri ein Gespräch führen und erzählen von ihrem Umgang mit Drogen, sie sind verliebt oder lieben, sezieren Lückenfüller, den Teufel und Gott.

Ich habe ein gespaltenes Verhältnis zu beiden Autoren. Manches ihrer Bücher hat mich amüsiert, unterhalten oder betroffen gemacht. Manch anderes erregte meinen Widerwillen. Ich habe beide in Porträts oder Talk Shows erlebt und ein Promi-Bild von ihnen im Kopf, ein Vorurteil, das mitschwingt, wenn ich lese.

Die Zwiegespräche beider haben mich unterhalten, mich in meinen Vorurteilen bestätigt und erhalten den Zwiespalt aufrecht. Sei‘s drum.

© Marie van Bilk/Maria Jürgensen – Veröffentlichungen, auch in Auszügen, nur mit ausdrücklicher Genehmigung der Autorin.

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William Boyd – Ruhelos

von Maria Jürgensen (Marie van Bilk) ...

Ich liebe einfache, profane, klar strukturierte Krimis genauso, wie solche, die aus der Masse herausragen, weil sie einen richtig guten Plot haben. Ganz abhängig davon, welchen Zweck die Lektüre erfüllen soll.

William Boyd – Ruhelos

Bei ersteren reizt mich die Beruhigung, die sie für mich bedeuten. Sie verschaffen mir die Illusion der Kontrolle von absolut Unkontrollierbarem, sind so, als folgte ich einem Strickmuster, einem Ritual, einer immer gleichen und vertrauten Straße. Deswegen helfen mir gerade jetzt, inmitten der Corona-Panikattacken simpel gestrickte TV-Serien.

William Boyds „Ruhelos“ ist ein Spionagethriller, der aus der Masse herausragt. Er erzählt vom Geständnis einer Mutter gegenüber ihrer Tochter. Die junge Englischlehrerin Ruth Gilmartin weiß zunächst nichts davon, dass Mrs. Gilmartin eigentlich Delektorskaja heißt. Sie beobachtet sie dabei, wie sie ständig ihren Garten im Auae behält, das Telefon nur beantwortet, wenn ein vereinbartes Klingelsignal beachtet wird. Schließlich erläutert die Mutter ihre Angst und ist überzeugt davon, dass sie jemand töten will. Die Tochter errfährt, dass Sally von einem Lukas Römer für den britischen Geheimdienst angeworben wurde. Sie sollte die Arbeit ihres Bruders übernehmen, der von den Nazis ermordet worden war. Doch arbeitet sie wirklich für die Seite, von der sie glaubt, angestellt worden zu sein? Ist Lukas Römer der, der er vorgab zu sein? Und was macht er heute?

Spannend bis zur letzten Seite.

© Marie van Bilk/Maria Jürgensen – Veröffentlichungen, auch in Auszügen, nur mit ausdrücklicher Genehmigung der Autorin.

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Lize Spit – Ik ben er niet

von Maria Jürgensen (Marie van Bilk) ...

Lize Spits „Ik ben er niet“ gibt es auch in deutscher Übersetzung (Ich bin nicht da).

Lize Spit – Ik ben er niet

Die Geschichte von Leo gerät mächtig aus den Fugen, als ihr Mann beginnt, sich seltsam zu verhalten und von einem auf den anderen Tag zu einer anderen Person wird. Plötzlich räumt er die Wohnung um, kündigt seinen Job und hat eine geniale Idee nach der anderen. Auf einmal ist nichts mehr sicher und alle je gemachten Pläne lösen sich in Luft auf. Ehemalige Freunde werden vermeintlich zu Feinden und haben nur hilflose Worte für sie. Leos Job in einer Boutique ist so unbeständig, wie ihre Beziehung zur besten Freundin.

Doch damit nicht genug… Simons manische Episode, die von paranoiden Ängsten begleitet wird, hat Folgen für ihn selbst und alle um ihn herum. Vor allem aber auch für Leo.

Spannend wie ein Krimi und eine zutiefst berührende Liebesgeschichte.

© Marie van Bilk/Maria Jürgensen – Veröffentlichungen, auch in Auszügen, nur mit ausdrücklicher Genehmigung der Autorin.

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Till Raether – Bin ich schon depressiv, oder ist das noch das Leben?

von Maria Jürgensen (Marie van Bilk) ...

Wenn man eine Krankheit hat und weiß, sie begleitet einen schon das ganze Leben und wird es bis zum Schluss, dann freut man sich, wenn Menschen, die sie auch haben, Dinge aussprechen, die man kennt.

Till Raether – Bin ich schon depressiv, oder ist das noch das Leben?

Till Raether hat mit einer sogenannten mittelschweren Depression zu kämpfen und beschreibt u.a. den fast befreienden Moment der Diagnose, er schreibt von Schuldgefühlen und Scham, von den Momenten im Büro, bei denen man mit sich selbst hadert, weil man zu früh am Limit erscheint, denen, bei denen man nicht aus dem Bett kommt, Verabredungen und Parties aus dem Weg geht, den großen Mengen Mensch. Er schreibt von Medikamenten und Gewichtszunahme, von „Reiß dich zusammen“ und der Unmöglichkeit, die Qual denen zu vermitteln, die unter einem selbst zu leiden haben.

Danke an Till Raether für „Bin ich schon depressiv oder ist das noch das Leben?“

P.S.: Allen Angehörigen und FreundInnen von Depressiven empfohlen.

© Marie van Bilk/Maria Jürgensen – Veröffentlichungen, auch in Auszügen, nur mit ausdrücklicher Genehmigung der Autorin.

Für alle hier besprochenen Bücher gilt: Unterstützt möglichst den lokalen Buchhandel!

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