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Missetat in niederen Landen – Teil 3

Eine kleine Einführung in den niederländischen Kriminalroman

_MG_1233Niederländische Krimis sind das Lesen wert. Die Auswahl scheint schier unbegrenzt und unsere Mimi kann wiederholt betonen, dass die Übersetzung – nicht nur ins Deutsche – lohnt. Manch Bestseller verbirgt sich hier, dem nur das nötige Marketing fehlt, dem es jedoch oft weder an sprachlicher Finesse noch an Spannung mangelt. Mindestens hat er das Eine oder das Andere. Wahrlich eine Schande, dass Verlagen diese Kleinode entgehen. Doch genug der Schelte – es gibt positive Ausnahmen:

Eine dieser Ausnahmen bildet der Grafit-Verlag, der einige interessante niederländische Kriminalautoren in sein Programm aufgenommen hat. Sie verdienen durch die Bank eine Erwähnung, wenn sie auch nur einen Bruchteil des neuen, gegenwärtigen niederländischen Kriminalromans widerspiegeln und man dem Verlag nur empfehlen kann, in diesem Bereich weiter zu recherchieren und vor allem zu publizieren.

Frauen in Not

Ein erwähnenswerter Kopf dieses Genres mit klassischen Kriminalfiguren ist der Autor Felix Thijssen.

Sein ursprüngliches Metier war das Schreiben von Science Fiction Romanen, bis er sich dann dem Krimi zuwandte. Eine Serie mit der Hauptperson des Gangsters Charlie Mann als Protagonisten eröffnet seine Karriere als Kriminalautor und schafft eine Figur in der Tradition von Chandler und Hammett. 1999 gewinnt er mit seinem Buch „Cleopatra“ den Gouden Strop.

Felix Thijssen überlässt mit „Cleopatra“ den Frauen das Zepter, wenn auch der Detektiv in klassischer Hardboiled-Manier immer wieder als Retter fungiert. Wer im eigentlichen Sinne die Handlung bestimmt, verrät der weibliche Name auf dem Cover.

Frauen sind jeweils die Quelle der Schwierigkeiten, denen sich der Privatdetektiv Max Winter gegenüber sieht. Immer gerät die eine oder andere Frau in die Bredoullie und Max Winter mehr oder weniger durch Zufall in den Strudel der Ereignisse.

Auch über seinen Lebensstil hat Felix Thijssen Bücher geschrieben. Er schreibt, so weiß er selbst zu berichten, sechs Stunden pro Tag und widmet sich in der übrigen Zeit seinem Landgut und den dort notwendigen Arbeiten, „um Geist und Seele in Balance zu halten“. Offensichtlich lässt sich mit Kriminalliteratur immer noch Geld verdienen.

Wie auch immer man zu einer derartigen Vermarktung steht – seine Kriminalromane sind ein Genuss. Dem Lebensstil also ein Hurrah. Wir Leser haben auch etwas davon.

Schreckliche Wirklichkeit, seelische Wirren und das große Geld

Wie unterschiedlich die Nuancen des niederländischen Kriminalromans sind, wie spannend und beobachtungswürdig, lässt auch Tomas Ross erkennen: W.P. Hogendoorn ist sein Geburtsname. Doch schreibt er unter dem Pseudonym Tomas Ross und gehört zu den wichtigsten niederländischen Kriminalautoren.

Er studierte zunächst Geschichte, dann Journalistik und nicht-westliche Soziologie. Später ist er als Journalist tätig gewesen und seit 1984 als freischaffender Autor von Kriminalromanen, Film- und TV-Drehbüchern. Sein erster Roman heißt „Honden van het verraad“ (Hunde des Verrats) und ist ein politischer Thriller.

Schon mit seinem zweiten Buch schafft Tomas Ross sein Markenzeichen – „Faction“. Seine Romane basieren auf Fakten und bleiben immer nah an tatsächlichem Geschehen. So auch bei „De Strijders van de regenboog“ (Die Regenbogenkämpfer).

Tomas Ross gehört zu den Initiatoren des Gouden Strop, dem bekannten niederländischen Preis für das beste spannende Buch und ist Mitgründer der Vereinigung niederländischer Krimiautoren. Er verspricht sich etwas davon, ist idealistisch, hofft, dadurch für die einheimischen Kriminalromane Leser gewinnen. Zum Teil geht sein Plan auf – nur zum Teil – und so sieht er sich veranlasst, einige Jahre später seine Enttäuschung zu Papier zu bringen. Doch seine Hoffnung bleibt. Nicht Umsatz, sondern Qualität und Inhalt sollen den Markt bestimmen. Er selbst hielt wie zum Lohn, den Gouden Strop dreimal in den Händen.

Immer wieder Thema in seinen Büchern ist der Niederländische Sicherheitsdienst. So in dem Roman „De klokkenluider“ (was soviel heißt wie: Der Ankläger – jemand, der Missstände offen legt). „De klokkenluider“ ist ein kleiner Roman, den Ross für den „Monat des spannenden Buches“ in den Niederlanden schrieb. Diese PR-Aktion macht es Lesern möglich, bei Erreichen einer bestimmten Summe beim Kauf von Kriminalromanen, ein bestimmtes, für diesen Anlass geschriebenes Buch als Geschenk – also umsonst dazu zu bekommen. Sie soll inländischen Autoren helfen, sich gegenüber etablierten Autoren aus dem Ausland abzusetzen und Lust auf mehr zu machen. Im Schnitt werden bei dieser Aktion zwischen 300 000 und 500 000 Bücher verteilt, was ihren Erfolg nur unterstreicht.

Tomas Ross hat einen weiteren Krimi geschrieben: „De zesde mei“ (Der sechste Mai). Hier geht es um den Politiker Pim Fortuyn, der am 6. Mai 2002 ums Leben gebracht wurde, noch bevor er zwei Wochen später an den Wahlen teilnehmen konnte. Volkert van der Graaf, sein Mörder, konnte zunächst entkommen, wurde jedoch wenig später gefasst. Tomas Ross füllt mit seinem Roman die Lücken des tatsächlichen Geschehens und gibt Antworten auf nicht gestellte Fragen.

Zweifellos haben es auch die Kriminalromane Tomas Ross´ verdient, von deutschen Verlegern entdeckt zu werden. Ein Trauerspiel, dass sie Lesern, die des Niederländischen nicht mächtig sind, vorenthalten bleiben.

Rene Appel war zunächst Lehrer, Universitätsprofessor und schließlich Rezensent von Kriminalromanen, bevor er mit dem Schreiben begann. Zu seinen Vorbildern gehören vor allem Patricia Highsmith und Ruth Rendell. Er verfügt über eine ganz eigene Art, den Leser in Spannung zu versetzen, indem er seine Protagonisten sehr nah an deren eigene Erlebniswelt ansiedelt und sozusagen den Nachbarn, Bruder oder die Ehefrau zum Mörder oder Täter werden lässt. In „Geweten“ (auf Deutsch erschienen als „Tod am Leuchtturm“ beschreibt er die Kümmernisse eines Rentners, der über eine Begebenheit aus seiner Vergangenheit sinniert, der er auf den Grund gehen will. Die Lösung des Rätsels konfrontiert ihn mit eigenem jugendlichen Leichtsinn und mehreren zerstörten Existenzen.

Bei „De derde persoon“ (deutsch: „Mord in der dritten Person“) entledigt sich eine Frau ganz unfreiwillig durch die Hilfe eines Freundes eines Stalkers und ehemaligen Liebhabers und gerät gleich mehrfach in Kalamitäten.

„Tweestrijd“ beschreibt die Liebe einer jungen Frau, die an einen Verbrecher gerät und sich nur schwer aus dieser Umklammerung zu lösen weiß.

Sein jüngst erschienenes Buch „Loverboy“ arbeitet mit der Geschichte in der Geschichte und lässt Realität und Fiktion miteinander verschmelzen.

Parallel und fast zur selben Zeit wie Tomas Ross hat auch er ein Buch über den Tod an Pim Fortuyn geschrieben. Anders als bei diesem steht bei Appel jedoch die Fiktion im Vordergrund und der tatsächliche Kriminalfall macht lediglich die Basis aus.

Auch René Appel gehört zu den Gewinnern des Gouden Strop, unter anderem für seinen Roman “Zinloos geweld” (deutsch: Unter anderen Umständen). Einige Romane René Appels sind auf Deutsch erschienen, darunter zwei Kinderbücher.

Ein weiterer Autor, von dem auf Deutsch zu lesen ist, ist Jac. Toes. Bei seinen Büchern geht es um alle möglichen Auswüchse, basierend auf gesellschaftlichen Fakten. Er debütierte mit „Dubbelspoor“ (Doppelte Spur), angesiedelt im Aktivistenmilieu. Der Roman „Fotofinish“ ist bei Grafit erschienen. Hier geht es um einen erfolgreichen Geschäftsmann, der während seiner Marathonläufe attackiert wird und herausbekommt, dass sein behindert geglaubter ehemaliger Mitstreiter sich für den von ihm verursachten Unfall rächen will. Die Geschichte nimmt ein unerwartet tragisches Ende und spielt mit den Sympathien der Leser. Für den Roman „Fotofinish“ wurde Jac. Toes mit dem begehrten niederländischen Krimipreis ausgestattet. Gerade frisch bei Grafit erschienen ist „De vrije man“ (Der freie Mann).

Charles den Tex studierte Fotografie und Film in London. Er wuchs in Australien auf, lebte einige Zeit in Paris und kam 1980 zurück in die Niederlande, wo er als Werbetexter und Unternehmensberater arbeitete. Er kennt also die Welt, über die er schreibt, denn seine Krimis nehmen die Berufswelt unter die Lupe; Unternehmensspionage, Umweltverschmutzung und andere illegale Machenschaften in der Wirtschaft sind sein Thema. Sein Debüt „Dump“ erschien im Jahre 1995 und berichtet vom Erben eines Chemiekonzerns, der vergeblich versucht, das Unternehmen zu reorganisieren. Er hat mit vielen Schwierigkeiten zu kämpfen, bevor er realisiert, dass die Ursachen dafür sich anders darstellen, als gedacht. Sein zweiter Roman „Claim“, in dem es um Computertechnologie geht, wurde verfilmt.

Kluge Frauen in den Top 10

Saskia Noorts Bücher befinden sich aktuell in Spitzenpositionen der niederländischen Bestsellerlisten. Noort begann als Kolumnistin für Frauenzeitschriften. 2003 schrieb sie ihren ersten literarischen Thriller „Terug naar de kust“ (Zurück zur Küste) wovon bereits 150 000 Exemplare an interessierte Leser gingen. In diesem Jahr – gerade neu – ist der Roman auch in Deutschland erschienen. Ein Buch, das auf den Gabentisch von Krimilesern und -leserinnen gehört.

Mit ihrem zweiten Buch „De eetclub“ schießt sie den Vogel ab. 250 000 verkaufte Exemplare sind nur der Anfang und Indiz für ihr Können und ihre Souveränität im Genre. Die Rechte für die Übersetzungen sowie für die Filmrechte – auch nach Deutschland – sind inzwischen verkauft. „De eetclub“ ist die Geschichte einer jungen Frau, die einsam, aus Amsterdam aufs Land ziehend und Anschluss sucht. Sie lässt sich auf eine Gruppe von Frauen und deren Männern ein, die neureich und verwöhnt, zunächst Welten für sie öffnen, die sie vorher nicht gekannt hat. Sie macht mit, akzeptiert sie gegen ihre Überzeugung und muss nach dem Mord an einem Freund und einer Freundin erkennen, mit wem sie es wirklich zu tun hat.

Simone van der Vlugt hat mit Kinderbüchern begonnen, die auch in Deutschland ihre Anhänger gefunden haben und fast durchweg übersetzt sind. Ihr Buch „De reünie“ (Das Klassentreffen) schaffte es sofort an die Spitze. Sabine wird zum Klassentreffen eingeladen, was ihr gesamtes Leben auf den Kopf stellen soll. Das Verschwinden ihrer ehemaligen Klassenkameradin Isabel wird wieder aufgerollt und weckt Schuldgefühle.

Die Belgier

Wenn man den Niederländischen Kriminalroman betrachtet, sollte man die flämischen Vertreter des Genres nicht aus den Augen verlieren. Zu den ganz Großen gehören hier Jef Geeraerts und Bob Mendes.

Jozef Adriaan Anna Geeraerts wuchs in bürgerlichen Verhältnissen auf. 1962 veröffentlichte er seinen ersten Roman, der erste in der Reihe der Gangraen-Romane. Obwohl die Romane zunächst mit dem Staatspreis für erzählende Prosa ausgezeichnet werden sollten, wurden die Bücher vom Justizministerium schließlich beschlagnahmt. Man unterstellte Geeraerts Rassismus und Pornographie. Doch Jef Geeraerts wusste, was er sagen wollte und worüber er schrieb. Er sagt über sich selbst, er fühle sich am meisten zu Haus dort, wo sein Kameraauge Ungewöhnliches wahrnehmen kann, fern von zu Hause, zwischen Menschen, die eine andere Sprache sprechen, eine andere Kultur haben, anders denken, anders essen. (Op avontuur met Jef Geeraerts).

Fünf Jahre lebte Jef Geeraerts im Kongo und schloss Freundschaft mit den Einheimischen. Er erlebte jedoch kriegerische Auseinandersetzungen mit und befand sich zwischen den Fronten. „Ik ben maar een neger“ (Ich bin nur ein Neger) heißt sein erstes Buch, das er nach Rückkehr aus dem Kongo schreibt. Das erste Buch des Gangraen-Zyklus heißt „Black Venus“ und beschreibt das wilde, erotische Leben eines Landschaftsverwalters mit Namen Jef Geeraerts. Das zweite Buch des Gangreen-Zyklus erregt beim belgischen Militär schließlich Aufsehen.

Seine Kriminalromane beginnen mit „De Coltmorden“ (In Deutschland erschienen als „Die Coltmorde“), einem Polizeiroman. Es sollen noch jede Menge anderer Krimis folgen. Auf Deutsch ist außerdem „PG“ (Der Generalstaatsanwalt) zu haben, ein äußerst spannender Krimi mit einem unschönen, aber sehr spannenden Ende. Es geht um einen leicht korrupten Staatsanwalt, der in Schwierigkeiten gerät, seine Midlife-Crisis zu überwinden sucht und den das Opus Dei, dem seine Frau und sein Sohn angehören, in den Abgrund treibt.

Bob Mendes Buch „De smaak van vrijheid“ („Der Geschmack der Freiheit“), 1999 erschienen, weiß zweifellos zu fesseln und beschäftigt sich mit dem Schicksal eines jungen Juden, der im 2. Weltkrieg im Konzentrationslager Buchenwald landete, schließlich Journalist wurde und einen seiner Peiniger und Kriegsbegleiter Jahre später auf einer Feier wieder trifft. Ein wichtiges Buch und ein Thema, an das sich Bob Mendes als Halbjude am meisten gebunden fühlt.

Sein literarisches Debüt hatte Bob Mendes mit dem Gedichtband „Met rook geschreven“ (Mit Rauch geschrieben). Theaterstücke und Erzählungen folgten. Mit „Een dag van schaamte“ (Ein Tag der Scham) führte er den Faction-Thriller ein – jene bei Tomas Ross schon vorgestellte Mischung aus Fakten und Fiktion. Mit „Medeschuldig“ (Mitschuldig) gewann er den belgischen Krimipreis „De Diamanten Kogel“. In diesem Roman geht es um einen Mord von Jozef Heine an seiner Geliebten, bevor er seinen Vorsatz, sein Leben zu ändern und einen moralischen Weg einzuschlagen, in die Tat umsetzen kann.

Wer des Niederländischen mächtig ist, hat Glück. Es gibt eine Kultur des Kriminalromans zu entdecken, die kaum jemand kennt, die jedoch von hoher Unterhaltungs- und oft auch guter sprachlicher Qualität ist. Oft würde man den einen oder anderen Roman nicht dem Genre zuordnen. Doch sind diese Schubladen ohnehin müßig. Mimis Empfehlungen verstehe man als Entdeckungsreise. Wer sich mit deutschen Übersetzungen zufrieden geben muss, der beginne zu lesen und hoffe, dass es bald mehr Verlage gebe, die niederländischen Kriminalautoren und deren Romanen ein Auge gönnen.

Zum Nachlesen:

Jan C. Roosendaal, Crime fiction in The Netherlands, a short history

Externe Links:

www.crime.nl
www.crimezone.nl
http://home.hccnet.nl/m.v.enckevort/
www.reneappel.nl
www.charlesdentex.nl
www.saskianoort.nl
www.simonevandervlugt.nl
www.krimi-couch.de/krimis/jac-toes.html

Ersterscheinungsdatum: 27.12.2005 auf einseitig.info

© Marie van Bilk/Maria Jürgensen – Veröffentlichungen, auch in Auszügen nur mit ausdrücklicher Genehmigung der Autorin.