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Von Müttern und Söhnen

Fernando Arrabals „Nacht der Puppen“ auf der „Freien Bühne Düsseldorf“

Wer zum Teufel ist Fernando Arrabal? Dieser geniale Hund mit einem abstrusen Hang zu tragikkomischen, albtraumhaften Szenerien, die einen nächtelang verfolgen können…

Ein hochbegabter Provokateur

Fernando Arrabal, hochbegabt, unerschrocken, schachbegeistert, engagiert schreibt nicht nur provozierende, aufrührerische und verstörende Theaterstücke. Der spanisch-französische Jurist und Künstler macht mindestens genauso eindringliche Filme, schreibt Gedichte, Essays, Romane, ist Journalist und seit 1968 Herausgeber der Zeitschrift „Le théâtre“. Ein höchst agiler und besessener Geist.

Sein Sujet – Gesellschaft, Gewalt, Bewältigung. Der Eindruck – surreal, verquer, pervers, hart, unbeugsam und von bleibender, moralischer Intensität. Seine Werke lassen einen mit  Unbehagen, mit Erinnerungen, Kindheitsängsten, traumhaften Schreckensvisionen und mit phantastisch-dunklen Bildern zurück. Arrabal – man nennt ihn einen verspielten Zyniker mit berechnendem Humor, respektlos gegenüber Macht, beschränkender Regelhaftigkeit und handelt ihn als Kandidaten für den Nobelpreis. Er ist weltweit einer der meistgespielten Dramatiker. Von seinen über 100 Theaterstücken sind leider nur wenige ins Deutsche übersetzt.

Fernando Arrabal gründete in Zusammenarbeit mit Topor, Sternberg und Jodorowsky die  „Panikbewegung“ in Frankreich. Sie bezieht sich auf den Pan, Hirtengott und Chaot. Die Vertreter des „Mouvement Panique“ wollen das Untergründige, Tiefe, Dunkle im Menschen zum Vorschein bringen, die absolute Freiheit und den Bruch bestehender gesellschaftlicher Konvention beschwören. Eine Ausdrucksform dieses Ziels ist die Vereinigung von Liebe und Gewalt in ihren Werken.

Künstler wie Picasso, Dalí, Magritte und andere illustrieren Arrabals poetisches Werk. Er selbst versucht sich gekonnt an Skulpturen, Zeichnungen und Collagen.

Milan Kundera beschreibt den spanischen Autor als Spieler, dem Kunst das Spielbrett ist – selbst wenn sie sich als verbotenes Spiel erweist. Der Autor selbst sieht sich nicht als bewussten Provokateur. Er reagiere lediglich auf „unerträgliche Ereignisse“, äußert er in einem Interview mit Catherine Makereel.

Gewalt und Macht

Nachhaltig beeinflusst wird Arrabal vom Verschwinden seines Vaters. Der Offizier wandte sich zu Beginn des Spanischen Bürgerkriegs gegen General Franco und wurde in der Folge zum Tode verurteilt. Die Flucht aus dem Gefängnis gelang angeblich, jedoch hörte die Familie nie wieder etwas von ihm. Seine Spur verliert sich im Dunkeln. Er wächst allein mit der Mutter auf, die im Verdacht steht, den Vater verraten zu haben. Von ihr wendet er sich  äußerlich – ablehnend – ab, kann sich emotional aber nur schwer lösen. Der Bürgerkrieg, die Totalität seiner Umgebung tun das ihre. Ende der 60ger Jahre wird er, der inzwischen während des Francoregimes nach Frankreich emigrierte, auf einer Reise durch Spanien verhaftet. Nach Rückkehr aus dem Gefängnis etabliert er das „théâtre politique“ und richtet sich damit deutlich und unmissverständlich gegen Diktatur und Unterdrückung. Sein „Brief an General Franco“ ist eine Abrechnung mit dem Regime seines Geburtslandes.

Sein erster Film „Viva la Muerte“, basierend auf seinem Roman „Baal Babylon“ verarbeitet sein ureigenes Thema. Der Vater wird aufgrund seiner kommunistischen Überzeugung inhaftiert. Sein Sohn Fando – gespielt von Mahdi Chaouch -, zurückgelassen bei der Mutter, lebt in einem von Frauen dominierten, religiös überfrachteten Umfeld. Als er feststellen muss, dass seine Mutter für das Schicksal seines Vaters verantwortlich ist, beginnt sein Auflehnungsszenario. Gleichzeitig fühlt er sich massiv von ihr angezogen und schuldig. Ödipus lässt grüßen. Die Belastung bringt den Jungen fast um den Verstand. Auch hier rechnet Arrabal mit dem faschistischen Herrscher Franco ab. Der Film ist voll von surrealen Symbolen und Allegorien. Am Ende des Films entlässt er Fando mit der Hoffnung, der Vater möge sich tatsächlich aus dem Gefängnis gerettet haben und dem Unbill der Macht entkommen sein.

Emotionale Verkrüppelung und deren vergeblich versuchte Heilung sind es dann auch, die er in seinem Stück „Nacht der Puppen“ hervorragend zum Ausdruck bringt.

Lars Krückeberg – ein beachtenswerter Regisseur

Regisseur Lars Krückeberg hat sich den durchaus nicht unbekannten und inzwischen leider in Deutschland selten gespielten Autoren zur Brust genommen und dieses Stück von autobiographischer Signifikanz, auf die Bühne gebracht. Arrabals zentrales und quälendes Motiv ist auch für Krückeberg eminent. Stücke der von ihm gegründeten Freien Bühne Düsseldorf wie „Peter Kürten Superstar“, „Trainspotting“ und „Das Blut“ zeigen  unterschiedlichen Facetten psychischer und physischer Gewalt. Krückeberg selbst begann 1989 als Schauspieler, um nach Hospitanz und Assistenz am Düsseldorfer Schauspielhaus dort sein Debüt als Regisseur zu geben. Die Kritiken, die er bekam, hatten durchweg einen außerordentlich positiven Tenor und geben seiner Entscheidung, seinen persönlichen Schwerpunkt hierher zu verlagern, Recht.
Nicht anders ergeht es ihm bei seiner Inszenierung des Arrabal-Stücks, die die Zuschauer gespannt und atemlos dem temporeichen Geschehen auf der Bühne folgen lässt.

Wie bereits bei den vorherigen Stücken arbeitet Krückeberg bei der Nacht der Puppen mit einer beinahe komplett leeren Bühne, musikalischen Unterstreichungen, Lichteffekten und hochpräsenter schauspielerischer Darstellung. Die Protagonisten und ihre Handlungen stehen im Fokus. Nichts da, das ablenken könnte. Das Stück geht unter die Haut und da gehört es auch hin.

Cavanosa als Casanova

Cavanosa, unsichtbar verkrüppelt, trifft Sil, eine junge, neugierige Frau, im Park. Die beiden kommen ins Gespräch, in dessen Verlauf der auch äußerlich wie eine Karikatur Casanovas wirkende Mann ihr eröffnet, seine Mutter ermordet zu haben. Sil, zunächst erschrocken und ungläubig, lässt sich dennoch in ihrem eigenen Hunger nach Liebe und Zuwendung neugierig auf ihn ein. Ein Wechselspiel aus Realität und Wahn, Lüge und Wahrheit, Liebe und Erniedrigung, Hörigkeit und Freiheitsdrang und einem Kampf der Geschlechter eröffnet sich bei dem sich entwickelnden Diskurs und läuft in seiner Zuspitzung auf die Entscheidung  „Leben oder Tod“ hinaus.
So begegnet Sil ihrer gegenwärtigen Liebe, einem arroganten, konventionstreuen Schnösel ohne echtes Gefühl, dem sie nur zu folgen bereit ist, wenn Cavanosa sie dazu drängt. Mal zeigt sie sich stark und wissend gegenüber ihrer Zufallsbekanntschaft, mal freiwillig erniedrigend. Mal ist sie die Liebende, mal die Verachtende. Und Cavanosa spielt damit. Er fühlt sich bestätigt; zugleich verwirrt und berührt. Immer wieder entdeckt er sich gefangen in der eigenen Biografie und dem ewig gleichen Verhaltensmuster. Doch Sil stimmt schließlich zu, ihm dabei zu helfen, die Leiche der Mutter zu beseitigen – dem äußeren und inneren Gefängnis also endlich zu entgehen.
Als die Mutter schließlich erscheint, wird Cavanosas Trauma und die Ausweglosigkeit der Situation deutlich. Verhaftet im Familiären, von diktatorischer Gewalt und Konvention geprägt, sucht er verzweifelt nach Auswegen aus dem immerwährenden Kreislauf und doch bleiben die Mutter und deren unterdrückendes Weltbild ständig gegenwärtig. Die Liebe, so scheint es, paart sich immer mit Schuld, Gewalt und Tod. Und so tötet er die neugefundene Gefährtin, wie auch seine Vorgängerinnen. Der seelisch Verkrüppelte findet keine Ruhe, bleibt lebenslang verhaftet mit seiner Kindserfahrung und reißt seinen Puppen, seinen Frauen den Kopf ab. Nicht Liebe lernt er, sondern dass Liebe und Gewalt mit all ihren Facetten ein und dasselbe sind. Liebe ist Tod, das Festhalten des Augenblicks. So hat es ihm die Mutter beigebracht, so handelt sie und fesselt ihn in aller Konsequenz an sich. Und so geht er im Umkehrschluss mit Frauen um. Er gibt die Qual, die ihm widerfährt, an seine unschuldigen Opfer weiter. Was dann vermeintlich als Happy End daherkommt, ist Lys – die Umkehrung von Sil – und das Ebenbild seiner Mutter. Sie lebt mit ihm die Gewalt, sie ist auch sein Spiegelbild und Sinnbild für die endgültige Kapitulation.

Die Verteilung der Rollen

Patrick Dollas ist Cavanosa. Und das darf man so stehen lassen. Kaum überzeugender kann man diese Figur auf die Bühne bringen. In seiner Darstellung ballt sich Cavanosas Obsession bis zur Explosion. Zur selben Zeit lugt immer auch die wahnsinnig gequälte Kinderseele in ihrer Verletzlichkeit aus dem Dunkel. Die Unfähigkeit zur Aussprache der tief sitzenden Emotion, die Untüchtigkeit zur klaren, selbstbestimmten Empfindung und die Flucht in die ekstatische, ungezügelte Revolte werden auf grandiose Weise vermittelt. Mit dem seit 2004 in den Theatern NRWs begehrten Schauspieler, hat Krückeberg wie mit dem gesamten Ensemble, eine unbestreitbar gute Besetzung vorgenommen. Marina Mosejtschenko besticht in ihrer Interpretation der Sil mit ihrer Unschuld und weiblichen Verführbarkeit. Sie ist ganz Mädchen, ganz Frau. Jugendlich, sehnsüchtig und zart. Ihr Verlangen zur Gewalt erwacht erst durch die Begegnung mit dem Fremden und so bleibt Mosejtschenkos Ausdruck das ganze Stück hindurch, selbst wenn Gewalt sie ereilt, geprägt von Jungfräulichkeit, Opferbereitschaft und Reinheit. Daniel Cerman hat mit Krückeberg bereits in Wien zusammen gearbeitet und umjubelt die Hauptrolle des Peter Kürten in Mühlheim/Ruhr gespielt. In der  „Nacht der Puppen“ verkörpert er den Liebhaber der jungen Sil. Den Mann von Welt mit großem Portemonnaie, Dünkel und ohne Herz gibt er souverän und gekonnt. Claudia Dalchow schließlich ist in ihrer Rolle als Mutter und zukünftige Geliebte das perfekte Gegenstück zu Dollas. Die Musikeinlage aus Hitchcocks Psycho veranlasst zum Schmunzeln und lässt simultan das Bild von Vera Miles im Schaukelstuhl auferstehen. Mit ihr hat Dalchow zwar wenig Ähnlichkeit, in ihrer Authentizität und unverwechselbaren Präsenz ist sie als „Mutter-Tier“ aber mindestens ebenso unvergesslich. Ihre Darstellung erinnert an eine spanische Matrae, die mit harter Hand das Regiment führt. Den mütterlichen Spott, deren Ungnade und Wut, Verletztheit, Unerreichbarkeit und mutlose Sehnsucht versteht sie meisterhaft zu entwickeln. Voller Körpereinsatz und ein feines Empfinden für Zwischentöne sind ihr eigen. Lys vereinigt die beiden Rollen des unschuldigen, zarten Mädchens und der Mutter miteinander und lässt Cavanosa unbewusst betrogen den ewigen Kreislauf aus Liebe und Gewalt fortsetzen. Auch in dieser Rolle steht Dalchow ihre selbstbewußte, attraktive Frau.

Dalchow und Dollas wurden im übrigen just durch die Kritiker der Theaterzeitschrift „theater pur“ für die Auszeichnung „beste Nachwuchsschauspielerin und bester Nachwuchsschauspieler“ nominiert.

Arrabals „Nacht der Puppen“ war bis zum Juni im Theatermuseum in Düsseldorf zu sehen. Nach der Sommerpause kann man sich in Bochum auf die Aufführung freuen.

Auf Lars Krückebergs nächstes Projekt soll Caldéron de la Barcas berühmtes Drama „Das Leben – ein Traum“ folgen. Man darf gespannt sein, wie der Regisseur Caldérons Drama von der  Nichtigkeit des Strebens nach irdischem Glück ins Bild setzt.

Externer Link:
www.nacht-der-puppen.de

Ersterscheinungsdatum: 12.07.2007 auf einseitig.info

© Marie van Bilk/Maria Jürgensen – Veröffentlichungen, auch in Auszügen nur mit ausdrücklicher Genehmigung der Autorin.

© Foto: Christian Dalchow