Ich mag Fußball und bin eine Frau

Von der schönsten Nebensache der Welt

Kindheitserinnerungen und Neugier

_MG_8975sw2


© Foto: Dirk Jürgensen

Ich mag Fußball und ich bin eine Frau. Wenn Fortuna Düsseldorf spielt, wird der rot-weiße Schal eingepackt, das Fahrrad geputzt und eine Stunde vor dem Spiel sitze ich, im Stadionmagazin lesend, bereits auf meinem Platz. Ich hoffe jedes Mal, dass ich endlich auf Gut Knittkuhle essen darf, doch das Los, das jeweils vor Spielbeginn gezogen wird, fällt ständig auf eine Sitznummer in der Familienkurve. Jedenfalls kommt es mir so vor. Für nicht eingeweihte Fußballmuffel: In der Familienkurve befinden sich die Plätze, auf denen man nicht krümeln und schon gar keine Zigaretten rauchen darf, außerdem steht „AOK“ an der Bande vor den sich zum Teil direkt am Spielfeldrand befindlichen Plätzen. Die können den Schweiß des Torwarts noch riechen, müssen sich aber ordentlich benehmen. Schließlich schauen ihnen ihre Kinder beim Fußballgucken zu. Heißt ja Familienblock und ist auch einer. Die Knirpse werden schon früh mit der Jagd nach dem Erfolg vertraut gemacht. Eingefleischte Fans nehmen ihre Racker auch auf die Tribüne mit. Dort entsteht seit Generationen eine Vater-Sohn Beziehung, die die Kinder prägt. Inzwischen ist es gar eine Vater-Kind Beziehung, die hier Wurzeln schlägt. Auch Töchter gehen mit Papa zum Fußball. Immer häufiger sind die Mütter mit von der Partie.

Ich rieche ebenfalls Männerschweiß, allerdings nicht jenen wohlverdienten, der auf dem Rasen um den Ball ringenden Sportlerschar, sondern den der außerdem noch ständig – meist vor mir – paffenden Fußballfans. Und ordentlich benehmen ist ein relativer Begriff, für mich, die ich die Mannschaft mit Spielbeginn verbal lautstark betreuen und unterstützen muss. Das liegt in der Natur der Sache, auf jeden Fall macht es Kopf und Lunge frei und lässt den einschnürenden Alltag vergessen. Hier oben, Block 143, Reihe sonstwas, Platz Ypsilon, kann man nicht flüstern und die Schnelligkeit des Spiels verlangt manchmal einfach einen etwas heftigeren Ton.

Männer sind nach wie vor in der Überzahl, obschon wir Frauen zunehmend die Stuhlreihen des Stadions okkupieren. Ernst nehmen tut uns keiner. Das Vorurteil, dass Frauen Abseits nicht erklären und schon gar nicht begreifen können, hält sich wacker. Ebenso jenes, dass Frauen nur aus zwei Gründen zum Fußball gehen: Erstens, um ihre Männer von übermäßigem Alkoholgenuss abzuhalten und zweitens um endlich einmal knackige, junge Männerkörper zu sehen und zwar auf dem Fußballfeld. Manchen ist das wahrlich Grund genug und noch dazu ein legitimer. Einigen hat es die „Seele des Vereins“ angetan. Andere freuen sich über die Stimmung, mit ihren Mitstreitern, -sängern, -fahnenschwenkern oder darüber, dass sie beim Torjubel mit Wonne vom männlichen Begleiter hochgehoben werden und der sich so darüber freut.

Zugegeben, als ich das erste Mal ein Stadion betrat, das Paul-Jahnes-Stadion am Flinger Broich, hatte ich keine Ahnung, was Abseits überhaupt ist, musste ich nicht. Ich hatte keinen Schimmer von und kein Interesse an Fußball. Dieser Sport hatte in meiner Kindheit eine Rolle gespielt, keine Frage. Mein Vater und seine Freunde saßen selbst zu meiner Kinderkommunion (oder war es die Hochzeit von Tante Gertrude?) vor dem Fernseher und brüllten sich die Seele aus dem Leib, als 1974 die Fußballweltmeisterschaft ausgetragen wurde. Mädchen und Frauen waren verboten. Fußball war Männerdomäne. Immerhin durfte ich bei den Jungs aus dem Dorf mitspielen, wenn Wolfgang oder Friedhelm mal wieder nachsitzen mussten und der 10. Stürmer in der Mannschaft fehlte. Denn Tore schießen wollten wir alle und Mittelstürmer war die bevorzugte Position. Bei uns gab es davon eben zehn. Man war halt gleichzeitig Libero oder Rechtsaußen. Wenn man ein Tor geschossen hatte, war man Stürmer. Das war sozusagen der Pokal, die Ehre, die man dann mit nach Hause nahm. „Ich war heute Stürmer, Mama!“ war eine begehrte Aussage, wenn das meine Mutter auch relativ kalt ließ. Nur der Torwart harrte einsam des Balles. Ich spielte mit Wonne. Doch die Zeiten, in denen ich mit den Jungs aus der Nachbarschaft auf dem Stoppelfeld gebolzt hatte, lagen lange zurück. Und Abseits spielte, mit Steinen als Tormarkierung, bewusst herbeigeführten Fouls, die nicht geahndet wurden, interpretierbarer Spielfeldbegrenzung und fantasievoller Regelauslegung keine Rolle.

Dann lernte ich meinen Mann kennen. Fußballverrückt. Enthusiastisch. Er machte mich neugierig auf seinen Lieblingssport. Ich wollte wissen, was ihn so an dieser Mannschaft mit Namen Fortuna Düsseldorf und an diesem Sport so aus dem Häuschen brachte, was ihn Heimspiel für Heimspiel besuchen ließ. Vielleicht glimmten auch noch ein paar Kindheitserinnerungen in mir.

Von der ewigen Frage nach dem Abseits und den Gründen zum Fußball zu gehen

Zunächst einmal zum Thema Abseits. Liebe Leserinnen, am besten lassen Sie kleine Kärtchen drucken, auf denen die Abseitsregel erklärt wird und die verteilen Sie dann an alle Männer, die sie von Ihnen erklärt haben wollen. Die fragen nämlich immer! Und nur uns Frauen. Sie wissen schon warum. Männchen schützt Weibchen und so, und die warten nur darauf, dass sie es nicht wissen. Böse Falle! Also… fürs Kärtchen: Die Regel ist Mitte des 19. Jahrhunderts in England entstanden, als selbst Tore und Spielfeldgröße noch keiner Regel unterworfen waren und den Spielern unterstellt wurde hinter dem Rücken der Gegner ein Tor zu erzielen! Wenn also ein Mitspieler einen Ball zu einem ambitionierten Torjäger in der gegnerischen Hälfte schießt, der bei Ballabgabe näher an der Torlinie steht als der vorletzte Abwehrspieler der gegnerischen Mannschaft und er selbst vor seinem Mitspieler dann, tja dann geht das Fähnchen hoch. Gelb, orange, kariert. Die haben die Männer oder selten auch Frauen in der Hand, die immer am Spielfeldrand hin und her laufen. Die nennt man Linienrichter oder neuerdings Schiedsrichterassistenten. Wenn übrigens die Linien auf dem Spielfeld nicht richtig gezogen sind, können sie bei ihrer Orientierung und Einschätzung der Lage schon mal ein Problem haben. Wenn der Platzwart also eine kreative Ader hat, kann das spielentscheidend sein! Deswegen ist die Auswahl eines solchen fast eine ebenso diffizile Angelegenheit, wie die eines ordentlichen Stürmers.

Am „Flinger Broich“ gab es die beste Bratwurst von der ganzen Welt. Die gehört beim Fußball unbedingt dazu. Und doch waren es nicht die kulinarischen Genüsse, die mich zum Fußballfan machten. Es war nicht einmal mein Mann. Es waren nicht die netten Frisuren der Spieler oder die knackigen Rückansichten. Es war zum ersten eine tiefsinnig über Fußball sinnierende Mittdreißigerin hinter mir. Ich habe sie noch heute vor Augen. Sie trug einen bunten Schal, augenscheinlich aus Indien stammend, und rote Handschuhe, die sich mit der Farbe ihrer leuchtendroten Haare bissen. Kaum hatte sie die ersten drei Sätze vor sich hin gemurmelt, fiel ein Tor und die Gute war nicht mehr zu halten, sie sprang in die Höhe, kreischte, umarmte ihren Freund und andere, jubelte und sang lauthals „Meine Heimat, meine Liebe, in den Faaaaarben Rot und Weiß…“. Ihr liefen Tränen über die Wangen und rund um die kleine Dame sprang und jubelte alles mit. Es war offenbar ein besonderes Tor, jedenfalls schien es mir so. Man freute sich aus tiefsten Herzen und ich konnte nicht anders, als meine Tränen ebenfalls fließen zu lassen und mich mit zu freuen. Ansteckend. Ein Gruppengefühl, das nicht von Abgrenzung, Ernst und Regeln geprägt war, sondern von Gemeinsamkeit trotz Verschiedenheit, Spielfreude und Ausgelassenheit. Das ist ein wohltuender Unterschied, haben wir doch die Tendenz, in Gruppenbildung und Massenvergnügen aufgrund der deutschen Geschichte Gefahren zu sehen. Nicht zu Unrecht, wie man weiß. Die Abgründe der Gesellschaft finden sich leider auch am Rande des Fußballsports, wenn auch in diesem Fall das Gegenteil zu Tage trat. Immer gehört zur Verhinderung der dunklen Seiten dieses Sports die Fähigkeit, kritikfähig und verantwortlich mit Dingen umzugehen und Zivilcourage zu beweisen. Auch bei den Vereinen.

Der zweite Grund, mich diesem Amüsement besonderer Art zuzuwenden, war der Fußballclub, bei dem ich das Vergnügen hatte, zuzuschauen. Fortuna Düsseldorf spielte zum damaligen Zeitpunkt noch ganz tief unten. Die Glanzzeiten waren seit langem vorbei, das schlichte Spiel gab mir als Anfängerin die Gelegenheit, die Regeln zu lernen, Fortschritte zu sehen, Aufstellung und Spielzüge unterscheiden zu können. Die Überschaubarkeit der gesamten Szene ermöglichte mir, Vereinskultur zu beobachten, wie sie außer Fortuna Düsseldorf insbesondere der FC St. Pauli in Hamburg und Werder Bremen ihr Eigen nennen. Fairness, Respekt, auch gegenüber Schwächeren und Ausgegrenzten, Spielfreude, Team- und Sportsgeist, Integration und Jugendarbeit waren wichtig. Bei den Fans faszinierte mich neben dieser unbändigen Freude und dem Zwangbeseitigenden das offene, oftmals lautstarke Bekenntnis zu etwas Positivem, dem man, da es Zusammenhalt, Zuwendung, Liebe und füreinander da sein bedeutete, einfach nur zustimmen konnte.

Bekenntnisse und Herzensangelegenheiten

Das Spiel war alles andere als perfekt, man konnte darauf schwören, dass die zweite Hälfte grundsätzlich wesentlich dünner ausfiel, als die erste. Und ich liebte diese kleine Prise Dilettantismus.  Dieses winzige Stadion mit Stehplätzen, einem bunt gemischten Publikum, das so ziemlich jede Gesellschaftsschicht und Gesichtsfarbe zu bieten hatte, war ein zweites Wohnzimmer für viele. Und man hielt ein Eckchen auf dem Sofa für mich frei.

Ich saß oft dort – oder besser stand im Stadion und erlebte die Höhen und Tiefen manch eines Spiels,selbst wenn das Thermometer Minusgrade zeigte und es am Bierstand Glühwein zu kaufen gab. Die Fortuna wurde immer besser. Doch zeigte sich, dass selbst bei schlechten Spielen, bei bösen Niederlagen der Zuspruch der Fans nicht abnahm. Man stand für seinen Verein ein. Man feierte ihn, wenn es gut lief, man tröstete „die Jungs“ und einander, wenn es schlecht lief.

Ich erinnere mich noch lebhaft, dass mir an Weihnachten statt des korrekten Refrains eines Liedes nur der Name des damaligen Trainers „Massimo Morales“ einfiel. Die Fans hatten auf eben jenes Weihnachtslied einen neuen Text gedichtet und wenn Tore fielen, verdiente sich Massi die Hymne seiner Anhänger und durfte ihr lauschen.

Oberliga, Regionalliga, 3. Liga und 2. Liga – ich erlebte in insgesamt acht Jahren alle Stationen mit und ich durchlebte sie. Nicht immer waren die Ereignisse positiver Art. So war ich mehr als entrüstet, ja wütend, als bei einem Spiel in Köln die Nebelschwaden der Feuerwerkskörper randalierender Fans über den Platz des Südstadions zogen und zur Spielunterbrechung führten, jene sogenannten Fans sich sogar dazu verstiegen, die Tribünen zu demolieren. Solche Menschen schaden der Sache und den Vereinen mehr, als manch verpasstes Tor. Ich hasse es, wenn sich gewaltbereite Minderheiten dazu versteigen, dem Rest der Zuschauer ein Spiel durch zerstörerische Aktivitäten zu verderben, wie zuletzt beim Spiel gegen Rostock. Wie schade, dass hier die Kommunikation zwischen der Fangemeinde, die vieles voraussah und den Verantwortlichen nur bedingt funktionierte. Vielleicht hätte sich das ein oder andere vermeiden lassen. Einige überzogene Sanktionen erhitzten die Gemüter mehr, als dass sie sie beruhigten. Deeskalation sollte grundsätzlich das Ziel sein. Viele Vereine arbeiten inzwischen aktiv und mit der Anhängerschaft zusammen, um die unerquicklichen Auswüchse in den Griff zu bekommen.

Umso schöner sind Erlebnisse, die zeigen, dass zwischen den Mannschaften nicht nur Konkurrenzkampf, sondern auch Freundschaften bestehen.

Bei Auswärtsspielen gegen St. Pauli erlebten mein Mann und ich mehr als einmal, wie schön Austausch sein kann. Wir saßen, deutlich als Fortuna-Anhänger erkennbar im St. Pauli-Fan-Block und unsere Mannschaft verlor das Spiel. Nicht nur, dass man uns zu Anfang herzlich begrüßt hatte, man tröstete uns im Anschluss und alle feierten wir auf der Schanze das gemeinsam begangene Ereignis. Bei anderer Gelegenheit wünschte man uns schon auf der Straße viel Vergnügen und freute sich über „die feinen – sprich: netten – Gäste“.

Wir erlebten den Abschied einer St. Pauli-Anhängerin von ihrem angestammten Sitzplatz kurz vor Abriss der Haupttribüne. Sie hatte hier bei jedem Heimspiel seit über 30 Jahren gesessen und klammerte sich mit Inbrunst an ihren „Wohnzimmersessel“, ehe sie ihr Mann behutsam von ihm entfernen musste. Die Sitznummer, die sie vor Verlassen des Stadions noch entfernte und mitnahm, dürfte einen Ehrenplatz im heimischen Wohnzimmer einnehmen. Und Sitzplatz und Dauerkarte im neu erstrahlenden Stadion sind mit Sicherheit schon gebucht.

St. Pauli-Fans sind in Düsseldorf gern gesehene Gäste. Inzwischen gibt es dort auf der Ratinger Straße sogar eine ihnen gewidmete Lokalität. Und selbst mit Greuther Fürth-Anhängern verbrachten wir über Fußball diskutierend Stunden im Uerige, einem Brauhaus in Düsseldorf. Nie werde ich dieses eintätowierte Kleeblatt auf der männlichen Brust vergessen, das mir unser Gegenüber stolz präsentierte. Manchmal entfaltet Fußball erstaunliche Blüten oder besser… Blätter!

Von Umzügen und Aufstiegen

Mit dem Erfolg der Fortuna und dem Neubau der Arena kam der Umzug ins neue Stadion.

Ich gewöhnte mich nur schwer an den Verlust der Würstchenbude und der Heimeligkeit. Als hätte man plötzlich ein Schloss geerbt, das so gar nicht dem eigenen Geschmack entsprach. Doch mit dem größeren Stadion kamen mehr Menschen. Die Fans schufen die häusliche Atmosphäre. Es war nicht das Mehr an Licht, das Mehr an Technik, das den Gewinn ausmachte. Auf den meisten Firlefanz können die Menschen im Stadion und selbst an den Bildschirmen verzichten. Es war das Mehr an Fans, das den neuen Reiz ausmachte, einem, je nach Zuschauerzahl die Schuhe ausziehen konnte, wenn die Lieder und Rufe der Fanchöre durch die Reihen drangen und Torjubel ertönte. Nicht umsonst nennt man das Publikum gelegentlich den 12. Mann auf dem Feld.

Apropos Schuhe: Das Merchandising vieler Vereine beschränkt sich inzwischen nicht nur auf die männliche Klientel. Ob Schnuller für den Säugling, Fußball für den Knirps, Trikot für den Mann oder T-Shirt für die Frau, inzwischen werden alle kommerziellen und modischen Bedürfnisse zur Bekräftigung des einmal getätigten Bekenntnisses befriedigt.

An „14 Tagen im Mai“ des Jahres 2009, Tagen eines unvergesslichen  Aufstiegs, wie Ralf Radschläger so schön in seinem gleichnamigen Buch schreibt, erlebte ich just unter anderem dort, im neuen Stadion den schönsten Teil einer unglaublich spannenden Saison. Am 23. Mai radelten mein Mann und ich zur ausverkauften LTU-Arena, die heute nach dem neuen Sponsor Esprit-Arena heißt und warteten auf den Anpfiff gegen Werder Bremen II. „F95, we can“ stand auf meinem T-Shirt wie auf vielen anderen der Fans, die in Überzahl im Stadion vertreten waren, um ihre „Jungs“, wie sie auch hier liebevoll genannt wurden, zu unterstützen. Ob überhaupt Werder-Bremen-Anhänger anwesend waren… ich weiß es nicht mehr. Man hatte den Eindruck, als habe sich ganz Düsseldorf auf die Beine gemacht, um bei diesem Spiel dabei zu sein – über 50 000 Fortunafans auf einem Fleck. Darunter befanden sich übrigens unglaublich viele Frauen, die sicher nicht nur wegen der schönen Beine von Ranisav Jovanovic oder der Flucht vor dem samstäglichen Hausputz gekommen waren.

Den Vornamen der Schiedsrichterin werde ich wohl nicht mehr vergessen: Bibiana, kurz Bibi genannt, so hieß die Unparteiische des Spiels, löste mit ihrem Anpfiff die ersten Jubelstürme aus, obschon noch kein Tor gefallen war. Das ließ jedoch nicht lange auf sich warten. Marco Christ wurde an diesem Tag zum Fußballgott für alle Fortuna-Anhänger. In der 12. Minute des Spiels schoss er das alles entscheidende 1:0, das Werder Bremen nicht mehr einholen würde. Als Bibi schließlich den Abpfiff pünktlich in der 90. Minute ertönen ließ, war das Stadion außer Rand und Band. Die Massen strömten aufs Spielfeld. Ich war überwältigt und konnte meine Freudentränen einfach nicht zurückhalten. Mein Mann lachte, freute sich über meinen Überschwang und hielt mich einfach fest im Arm.

Wir blieben noch lange im Stadion, sahen der Mannschaft und den Fans beim Feiern zu und waren Teil dieses großen Freudenfests. Einige schnitten mehr oder weniger große Stücke aus dem Rasen, um sie als Souvenir mit nach Hause zu nehmen und wildfremde Menschen fielen sich in die Arme. „Wahnsinn, das ist einfach Wahnsinn,“ ist an diesem Tag wohl der meist gesagte Satz gewesen. Wir hörten die „Humba“ erklingen. Die „Humba“ ist ein Ritual, das es regelmäßig bei der Fortuna zum Abschluss des Spiels gibt und bei dem ich den Schluss, bevor ausgelassen getanzt und gesungen wird, besonders liebe, nämlich „Gib mir ein Ausrufezeichen!“ und sahen Lumpi, Andreas Lambertz, den Kapitän der Mannschaft, erschöpft inmitten dieser riesigen Party mit dem Mikrophon in der Hand in die Menge grinsen.

Die Saison 2009/2010 hatte den 9. Platz und den Klassenerhalt zum Ziel. Nie habe ich in Stadien so viele Besucher gesehen, Früchte des Aufstiegs. Nie zuvor haben wir in einer Kneipe einen Tisch reservieren müssen, um ein Auswärtsspiel am Bildschirm zu verfolgen. Inzwischen ist das die Regel.

Viele sprachen vom Durchmarsch der Fortuna und vom direkten Aufstieg in die 1. Liga. Ich wünschte das weder uns noch dem Verein, hielt dieses Ziel für verfrüht und freute mich dennoch wie ein Kind am letzte Spieltag über den 4. Platz, also dem Übertreffen des eigentlichen Ziels. Egal, was die Fortuna in der nächsten Saison leistet, ich bin dabei und werde doch hoffend mitsingen, wenn es dieses Mal heißt: „Zweite Liga war schön, Zeit für uns zu gehn!“

Mein Dank gilt jenen Frauen, die mir ihre Gründe für den Gang zum Stadion verraten haben und meinem Mann für die Inspiration. Ein besonderer geht an MelusineB, Vera Bunse und BarbaraQ (Saaaankt Pauliiiie!).

Ersterscheinungsdatum: 8.6.2010 auf einseitig.info

© Marie van Bilk/Maria Jürgensen – Veröffentlichungen, auch in Auszügen nur mit ausdrücklicher Genehmigung der Autorin.

 

image_print