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Einfühlsam einsam

 von Maria Jürgensen (Marie van Bilk) ...

Im Narrenturm. Kurzgeschichten von Christl Greller

Sie arbeitet hart auf dem Bauernhof ihres Mannes, die Nägel splittern, die Liebe auch und so sucht sie „etwas für sich“, das sie als Frau markiert. Knallrot muss er sein, der Nagellack, den sie als Ausdruck ihrer angestrebten geistigen Befreiung nutzt. Täglich werden Ihre Nägel dem Prozedere des Lackierens ausgesetzt. Nägel, die sich festkrallen am Lebenstraum. Wo der Lack ab ist, muss eben neuer drauf. So einfach scheint das zu sein. Oder doch nicht? Der Schmutz unter den Nägeln bleibt, die abgesplitterten Kanten auch. Der Lack wird als weitere Schicht über der alten aufgetragen. Er verdeckt schlicht, was sich unter der Oberfläche verbirgt. Im Alltag schwelt es, so sehr sie sich auch bemüht. Und doch: Die Signalfarbe wirkt wie eine Revolutionsfahne auf ihre Umwelt. Sie lehnt sich auf und wird zurecht gewiesen. Unbeirrbar lackiert sie weiter. Noch eine Schicht und noch eine Schicht – irgendwann muss doch das Alte verschwinden, etwas Neues beginnen, muss ihr Signal doch genau so wahrgenommen werden, wie sie es möchte. Sie möchte wert geschätzt werden, respektiert, nicht wie Nutzvieh im täglichen Einerlei verbraucht. Und doch endet sie letztendlich als genau das. Denn die Wahl der Mittel und die Art, wie sie eingesetzt werden, beeinflusst das Ergebnis.

Christl Greller - Im Narrenturm - Edition Roesner

Christl Greller – Im Narrenturm – Edition Roesner

Nicht Respekt, Zuneigung und Zärtlichkeit überwältigen die Revolutionärin, sondern Wollust und Macht ihres Mannes, der sie wieder am alten Platz sehen will. Gehorsam und Genügsamkeit, Schweigen gemäß der Regeln sind ewiges Ziel – Eigensinn und Selbstbestimmtheit haben keine Daseinsberechtigung. Ob sie kapituliert, lässt Christl Greller offen. Selbstbetrug, Resignation, der Sturm der Bastille oder Flucht wären probate Reaktionen, doch, wer weiß? Das Leben hat seine eigenen Regeln. Genau diese Aussage zieht sich durch alle Geschichten des Erzählbandes. Und so sind Kapitulation, Ausgeliefertsein, Hin- oder Aufgabe auch Thema in einer weiteren Kurzgeschichte, in der eine Sonnenanbeterin zur sterbenden Königin wird, in dem sie sich von Bienen in eigenem Garten niederstechen lässt und stirbt.

Und Rettung bleibt auch hier aus: Da wählt sich ein todkranker Wirt einen Hund zum Begleiter, der sein eigentliches Ich zu repräsentieren scheint. Ab und zu ist er ihm fern, kehrt aber immer zu ihm zurück, er beschützt ihn und kümmert sich. Als es auf den Tod zugeht, verschwindet er. Nichts bleibt.

Wie auch in der nächsten Geschichte, in der ein in Großmannssucht Verlorener einen Hang zu Jagd und Waffen hat. Tontauben sind leicht zu überwältigen und zu beherrschen, jedenfalls lassen sich hier Niederlagen ausgesprochen leicht verbrämen. Im Leben kann der Jäger nur schwer mit Abstürzen umgehen. Die Gewehre sind Ausdruck seiner vermeintlichen Manneskraft und Macht, die er gekonnt mit Wort und Tat zur Fassade zu modulieren weiß. Doch ist die alles andere als einsturzsicher. Aller Betrug an sich selbst und anderen treiben den Jäger unweigerlich auf den Abgrund zu. Die Mauer bröckelt gewaltig. Er schaufelt sich dahinter selbst sein Grab und füllt es schließlich von eigener Hand.

Die Geschichte „Stiegen.Häuser“führt auf eigentümliche Weise durch die Treppenhäuser dieser Welt und zeichnet ein bedrückendes Bild der Angst vor Verwüstung und Krieg. Das äußere Konstrukt des Treppenhauses ist die Klammer für die Schicksale, die sich mit diesen Stufen verknüpfen lassen. Sie sind zu gleich Symbol für Vorhandensein, Zerstörung und das Ende von Lebenswegstrecken.

Ein Sechzehnjähriger macht seine ersten sexuellen Erfahrungen auf dem Rummelplatz, auf dem er das „Nacktbad Bazebas“ beobachtet. Eine Dame entledigt sich öffentlich ihres Bademantels, um die Erwartung der gaffenden Männerschar zu erfüllen, die auf marktschreierisches „Nackt, nackt, nackt“ die Bretterbude betreten haben. Sie tut es mit Abscheu und Langeweile. Entsprechend ist die Wirkung auf den Jungen, der mitnimmt, dass die Lust der Männer für Frauen etwas Furchtbares ist.

Insgesamt zwanzig Mal vertieft sich die Autorin Christl Greller in die Schicksale ganz normaler einsamer, liebender, sterbender, verlassener, verzweifelter, sehnsüchtiger und verängstigter, hoffender und enttäuschter Menschen.

Ihre Sprache ist durchzogen von einer auffallenden Melancholie, die sie auch vielen ihren Protagonisten zu eigen macht. Die Tonalität des Erzählens unterstreicht die inneren Wirrnisse und Zerwürfnisse, die die Handelnden erleben und aushalten müssen.

Die Autorin Christl Greller, geboren und ansässig in Wien, schrieb für die internationale Werbebranche und ist seit 1995 mit Lyrik und Prosa literarisch tätig.Der Erzählungsband „Der Schmetterlingsfüßler, Schatten werfen“, ihr Roman „Nachtvogeltage“ und Lyriksammlungen wie „Törések“, „Veränderung“, „Bild-gebendes Verfahren“ und das Donaustädter Mozart-Projekt „zartART“ dokumentieren ihr Schaffen. Greller veröffentlicht außerdem in Anthologien, Literaturzeitschriften, im Rundfunk und Internet. Für ihre Prosa und Lyrik erhielt sie eine Reihe von zum Teil internationalen Preisen. Der Kurzgeschichtenband „Im Narrenturm“ ist in der Edition Roesner erschienen.