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Die Fußball-WM nach der Vorrunde

von Dirk Jürgensen ...

Gedanken vor dem Achtelfinale der Fußball-WM

– Nach den Protesten im Vorfeld ist nun auch Gruppenphase der WM in Brasilien beendet und wir wissen, welche Favoriten (oder wenigstens Vertreter der klassischen Fußballwelt) sterben mussten. Die Antwortfloskel auf die Frage, wen sich denn die deutsche Mannschaft im Finale wünscht – „egal, nur nicht Italien“ – bleibt ungesprochen. Es wird kein gewonnenes Elfmeterschießen gegen England mehr geben. Die seit Epochen unbesiegbaren Spanier überlegen längst, ob man das Spiel vielleicht mit „kick and rush“ modernisieren könnte und die Mannschaft um den Weltfußballer Christian Ronaldo, darf weiter einer goldenen Generation Portugals nachtrauern, die ebenfalls nichts gewann, aber ungemein gut aussah.

Fußball-WM - Foto: © Dirk Jürgensen - DüsseldorfBrasilien, meistgenannter Favorit, ist ohne große spielerische Begeisterung noch im Rennen. Aber wann haben die zuletzt eigentlich so richtig begeistert und ihre Legende von der landestypischen Spielkunst gefestigt? Pelé, Rivelino und Zico und spielen schon länger nicht mehr und es steht zu befürchten, dass es im Laufe des Turniers einer Mannschaft gelingt, Neymar sicher zu bewachen.

Auch Argentinien hat außer Messi (und in Ansätzen Di Maria) kaum etwas zu bieten, wenngleich das in vielen Fällen schon genug ist, um zu gewinnen.

Der Deutschen Mannschaft ist wieder einmal alles zuzutrauen. Die jugendliche Unbekümmertheit eines Sommermärchens ist zwar dahin, aber man scheint die richtige Mischung aus spielerischer Brillianz, langweiligen Tiki-Taka (gerne auch Tiqui-taca) und Unberechenbarkeit gefunden zu haben, um bei einem Ausscheiden im Achtelfinale und einem Sieg im Finale ein allgemeines „Wir haben es ja gewusst!“ provozieren zu können.

Insgesamt – obgleich die Fifa angesichts ihrer Machenschaften verboten (noch besser: hoch besteuert) und der unnötige Bau von Sportpalästen in Ländern, deren Bevölkerung unter tiefster Armut leidet untersagt gehört – ist diese Fußball-Weltmeisterschaft ein unterhaltsames Ereignis. Doch wie langweilig wäre es gewesen, wenn sich all die gestürzten ständigen Verdächtigen durchgemogelt hätten, wenn sich Costa Rica, das vermeintlich sichere Opfer der Todesgruppe D mit Uruguay, Italien und England nicht so verdient für das Achtelfinale qualifiziert hätte?

Wie nicht nur Costa Rica gezeigt hat, sind die Außenseiter das Salz in der WM-Suppe:

Iran, das einen Sieg gegen Argentinien und vermutlich damit auch gegen verknöcherte Mullahs im eigenen Land verdient gehabt und beinahe errungen hätte.

Griechenland, das 2004 mit einem damals schon sympathisch-veralteten Fußball-Stil Europameister wurde, steht auch diesmal klassisch verwurzelt in Achtelfinale. Die Elfenbeinküste hatte man stärker eingeschätzt, wenngleich die afrikanischen Teams bei Weltmeisterschaften leider fast immer enttäuschen. Aber es gibt ja noch Algerien. Das ist immerhin auch Afrika und hat noch eine Rechnung mit der Deutschen Mannschaft offen, die zu Lasten der Algerier 1982 in Gijon eine Absprache mit den Österreichern traf. Zudem hat die Länderspielbilanz mit dem größten Land Afrikas beinahe italienische Dimensionen. Bisher wurden alle Spiele von der DFB-Elf verloren. Gut, es waren nur

1964 war es ein Freundschaftsspiel, das Algerien 2:1 gewann und bei der eben erwähnten WM 1982 in Spanien gewannen die spielerisch starken Algerier sogar 2:0 und hätten sich für die nächste Runde qualifiziert, wenn es nicht zum „Nichtangriffspakt von Gijon“ gekommen wäre, der immer wieder auch als „Schande von Gijon“ bezeichnet wird.
. Warnung genug und Grund eine Serie zu brechen.

Eine dieser Serien bezieht sich beispielsweise auf das Gesetz der Unfähigkeit europäischer Mannschaften, in Südamerika einen Titel holen zu können. Aufgrund des Ausscheidens der Spanier und der Italiener (weniger der Engländer) ist man schnell geneigt, dieses Gesetz der Serie auch jetzt wieder hinzunehmen. Doch obacht!

Es könnte sein, dass sich im Viertelfinale von den acht möglichen Plätzen sechs europäische Teams breitmachen. Das könnten Frankreich, Deutschland, Niederlande, Griechenland, Schweiz und Belgien sein. Eine Neuauflage des Finales von 1974 Deutschland (damals noch BRD) gegen die Niederlande wäre möglich und könnte die so oft erwähnte Serie ins Archiv verbannen. Alles Spekulation und vermutlich in wenigen Tagen Makulatur.

Zum Schluss möchte ich eine weitere Spekulation wagen und die Frage nach dem Spieler des Turniers beantworten, indem ich all die Ronaldos, Messis und Müllers unbeachtet lasse:

Es ist, wenn sich kein Überraschungskanditat mehr zeigt, Luis Suárez aus Uruguay.

Als Torschützenkönig der obersten englischen Liga wurde er dort mehrfach zum Spieler des Jahres gewählt und schoss ausgerechnet England beinahe im Alleingang auf die Insel zurück.

Dies hätte ihm bereits ein paar Zeilen in den Geschichtsbüchern des Fußballs gesichert. Doch es wäre längst nicht genug für den Titel des Spielers der WM gewesen, denn er ist einer jener „Bekloppten“, die der internationale Fußball unbedingt braucht. Würde man sich noch an Èric Cantona erinnern, wenn er stets die Ruhe selbst geblieben wäre? Sicher nicht.

Obwohl bereits einschlägig

2010 biss Suárez in einem Spiel zwischen Ajax Amsterdam und dem PSV Eindhoven seinen Gegenspieler OtmanBakkal nach einem Wortgefecht in die vordere rechte Schulter. 2013 biss er bei einem Spiel des FC Liverpool den Spieler BranislavIvanović des FC Chelsea
konnte er sich nicht beherrschen und biss seinem italienischen Gegenspieler Giorgio Chiellini ohne offensichtliche spielerische Not in die Schulter. Der Schiedsrichter hatte den kannibalistischen Vorfall zwar nicht bemerkt, aber Suárez konnte nicht damit rechnen, dass heutzutage unzählige Kameras jeden Zentimeter Rasens einfangen und aufzeichnen lassen. Luis Suárez ist ein begnadeter Fußballer, der seine Emotionen und nicht allein einen seltsamen Hang zum Einsatz seiner Schneidezähne nicht in den Griff bekommt. So könnte man ihn bezeichnen. Seine Eskapaden sind stets zu bestrafen, doch wollen wir einmal ehrlich sein: Wäre Fußball noch ein solches Kultprodukt, wenn die Spieler alle einem Philipp Lahm entsprächen?

Schon bei der Fußball-WM 2010 in Südafrika verpasste er das Halbfinale aufgrund einer Spielsperre, die er sich mit einem absichtlichen Handspiel auf der Torlinie im Viertelfinale gegen Ghana redlich verdient hatte. Nun wurde er für vier Monate von allen fußballerischen Aktivitäten suspendiert, muss neun Länderspiele verpassen und 100.000 Schweizer Franken Strafe bezahlen. In der Heimat gilt er nun als ein zu unrecht bestrafter Held, hält die Mannschaft Uruguays für unverdient benachteiligt und auch sein bislang letztes Bissopfer soll die Bestrafung inzwischen für übertrieben halten. Der Ruhm, wenn auch der zweifelhafte, ist ihm sicher.

Wer wird Weltmeister? Wir werden sehen. Jedenfalls nicht Italien.

Würde der Protest erst bei einem Ausscheiden Brasiliens wieder erwachen?

Es bleibt spannend.

2018 steht wieder eine WM ins Haus. Hat sich Putin eigentlich von der Duma schon ermächtigen lassen, den WM-Titel für Russland zu beanspruchen?