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Die Ehrbarkeit des Verrats

von Dirk Jürgensen ...

Gedanken zur Überwachung der Überwachenden

Es ist ein altes Spiel. Soldaten müssen damit rechnen, in Gefangenschaft zu geraten oder gar getötet zu werden. Spione riskieren ihre Enttarnung, wechseln ab und zu die Seiten oder treiben Doppelspionage. Geheimnisse werden nur von ihren Trägern gehegt, sind ungern welche und warten auf ihren Verrat.

Jeder SoldatÜberwachung und jeder Spion hat immer im Guten zu handeln. Das Gute ist seine wie auch immer erlangte individuelle Überzeugung oder schlicht sein Auftrag, womöglich die Freiheit, die Demokratie oder auch eine autoritäre Gesellschaftsform, der freie Handelsverkehr, die Souveränität eines Landes oder einer Volksgruppe, eine – seine! – Religion und der pauschal-indifferente Kampf gegen das Böse. Im Zweifelsfall hat das Gute immer das zu sein, was als Befehl beim Soldaten oder Agenten ankommt.

Das staatlich angeordnete Ausspionieren, der Mord oder gar Massenmord, der Verrat oder einfach das vorschriftsmäßige Handeln und viel zu selten der passive Widerstand sind Mittel, die einem Zweck dienen sollen – der Schaffung, Wahrung oder Wiederherstellung des Guten. Dabei braucht dieses verdammt relative Gute das Böse, sonst wären seine Hüter arbeitslos.

Ein Geheimdienst ist eine Institution, die dem Bösen auf der Spur und bemüht ist, diesem immer einen Schritt voraus zu sein. Ein Schritt vor dem Bösen? Das Gute im Komparativ oder gar Superlativ des Bösen? Was der Schritt auch immer bedeutet, bedingt er das Ausspähen des Gegners, das Sammeln von Informationen, auch jenen, deren Wert vielleicht heute noch gar nicht eingeschätzt werden kann. Die Aufmunterung zum Verrat gehört ebenfalls dazu, denn ehrbar ist der Verrat auf der Seite des Gegners, wie auch das taktische Schließen eines Paktes mit im Grunde widerwärtigen Parteien als legitim bewertet wird. Misstrauen heißt die Maxime, Abschottung ist dabei lebenswichtig. Ein Geheimdienst ist per definitionem einsam und gesellschaftlich losgelöst, tendiert zum Geheimbund. Er führt anfangs notgedrungen, im Zuge der Gewohnheit irgendwann mit Genuss, sogar ein Eigenleben, weil er nicht einmal seinen Auftraggebern trauen kann. Denn nicht einmal der ist vor Verrat gefeit.

Setzen wir voraus, dass auch eine Demokratie nicht ohne einen oder mehrere Geheimdienste auskommt. Setzen wir voraus, dass es die immer wieder herbeizitierte Sicherheitsbedrohung in der jeweils vorgetragenen Form wirklich gibt. Dann muss die Kontrolle der Arbeit dieser Dienste immer in der Hand der demokratisch legitimierten Regierung und gleichzeitig dem ins Parlament gewählten Teil der Opposition liegen. Auswüchse bis hin zu einer geheimen Parallelgesellschaft sind zu unterbinden, was, wie eben bedacht, dem Misstrauischen in seiner Einsamkeit nicht gefallen kann.

Funktionierende Kontrollinstanzen – welch idealistischer Traum – weisen neben der Überwachung der Überwachenden immer auf ein Verwischen oder gar Umkehren dessen hin, was der gesellschaftliche Konsens von Gut und Böse ist, was die eigentliche Bedrohung für diese Gesellschaft darstellt. Die unkontrollierte Eigenständigkeit einer Sicherheitsbehörde ist eine Gefahr für jedes demokratische System und die Partnerschaft demokratischer Systeme miteinander. Vertrauen ist ihr Fundament. Misstrauen ist ein Indiz für eine schwindende oder eine bloß opportunistisch motivierte Freundschaft, wenn es denn Freundschaft unter staatlichen Gebilden überhaupt geben sollte. Misstrauen mit Misstrauen bekämpfen? Seltsam, aber so muss es wohl sein. Wie auch die Kontrollinstanzen auf internen Verrat, auf Whistlebower in eignen Reihen bauen müssen, wenn etwas nicht rechtens läuft. Sonst macht der esprit de corps die Kontrolle unmöglich.

Nur kurz sei zu erwähnen, dass eine politisch wie ökonomisch freie Presse, das wohl wichtigste Kontrollorgan eines Staates und der Staaten untereinander ist. Eingriffe in die Pressefreiheit, wie jüngst in Großbritannien ohne viel Aufschreien der Bürger geschehen und in Russland Normalität, stellen eine schlimme Bedrohung demokratischer oder sich als demokratisch bezeichnenden Gesellschaften dar. Auf Dauer ist diese Bedrohung gefährlicher als die des Terrors einzuschätzen, dessen Bekämpfung der Eingriff in das Grundrecht der Pressefreiheit eigentlich dienen soll.

Ja, dieser elende Zwang des Faktischen. Diese zutiefst menschliche Eigenschaft, immer wieder eine Begründung dafür zu finden, warum wir in diesem einen Fall das Falsche tun mussten, obgleich wir doch eigentlich das Richtige erreichen wollten – das dann leider nicht eingetroffen ist. Im Streben nach Sicherheit haben zahlreiche Regierungen genau diese Eigenschaft verinnerlicht, sind in der Suche nach alternativem Handeln erstarrt. Wenn dem Einzelnen noch so etwas wie ein Gewissen zwickt, so findet es innerhalb eines Apparats schnell Ablenkung. Fraktionsdisziplin heißt das. Sie beginnt mit dem demokratischen Solidaritätsprinzip eine Mehrheitsentscheidung trotz anderer Ansichten mitzutragen und endet mit der Diskriminierung von Abweichlern. Abweichler? Verräter? Feinde des Korpsgeistes. Wir sollten uns freuen, wenn es solche Abgeordnete noch gibt, die den Mut besitzen, Artikel 38 (1) des Grundgesetzes zu entsprechen. Dort heißt es eindeutig, sie seien „Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen.“

Also ist Verrat aus idealistischen Gründen – nicht aus finanziellen Gründen – durchaus der Beweis für das Vorhandensein eines Gewissens. Solche Verräter an die Öffentlichkeit werden als Regulativ werden immer wichtiger.

All das, was hier geschrieben steht, kann übrigens ohne Einschränkung auf ökonomisch ausgerichtete Nichtregierungsorganisationen übertragen werden. Facebook und Google sind zwei gewohnt gewordene Bespiele. Viele weitere weltweit tätige Datenkraken spähen aus, halten sich dabei stets für die Guten und die Mitbewerber für unfair bis böse. Sie bauen religions- oder staatsähnliche Gebilde auf und übertreffen politische Organisationen längst an Macht.

Auch Ihnen – und noch mehr uns – wünsche ich mir für die Zukunft immer wieder ein paar neue Snowdens.

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