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Menschenskind in Ditzum

Bilder, eine Lesung und Musik

– Die anlässlich der 22. Ditzumer Kunsttage im Müllerhuus gezeigte Ausstellung mit Bildern von  Dirk Jürgensen aus der Serie »Meerblick« entstanden an der Ostsee, an der Nordsee, auf Lanzarote und an der Atlantikküste zwischen dem Baskenland und Galicien. Nicht fröhliches Strandleben, sondern die Wucht der Naturgewalt, die metaphorisch auch für die emotionale Bewegung im menschlichen Dasein steht, sind Gegenstand der Betrachtung. So finden sich gleichermaßen ruhige, getragene, nachdenkliche Stimmungen auf den Fotografien wieder, wie auch aufgewühlte, stürmische, fröhliche und bedrohliche. Nicht umsonst gilt das Meer als Allegorie für das Leben und die in ihm verborgenen Sehnsüchte. Menschenskind-DitzumEine zweite Sequenz von verfremdeten Fotografien nennt sich „Seltsame Wesen“, die ohne Verwendung langer Brennweiten, ohne direktes Anvisieren von Menschen am Düsseldorfer Rheinufer, in Parks und Straßen der Stadt entstanden. Menschen wurden aus dem Kontext ihrer Umgebung, die Teil und Bedingung ihres Agierens waren, herausgenommen und stehen in dieser Nicht-Umgebung, ihrer Gesichtszüge beraubt, auf das Wesentliche, das Menschsein reduziert, für sich.

Am Samstag, den 27.10.2018 um 18:00 Uhr greift der Künstler gemeinsam mit zwei Autoren das Thema „Menschenskind“ im Müllerhuus noch einmal auf. Das Trio aus Dirk und Maria Jürgensen und Michael Schumacher liest und singt über all das, was Menschen bewegt. Gewürzt werden Missgeschicke, Begegnungen, Skurrilitäten und Erinnerung mit einer guten Prise Chanson und einer großen Portion Melancholie und Witz.




Alles auf Anfang

  von Maria Jürgensen …

Langsame Menschen folgen ihrem Sarg entlang der von der Sonne beschienenen, schiefen Fachwerkhäuser zum Friedhof in der Neubausiedlung des Dorfes. Der Weg dorthin ist lang. Von den alten Bäumen auf dem Gottesacker ist nur noch eine Weide übrig, die träge ihre Äste in der Julisonne hängen lässt. Regen tut Not. Der Vater steht am Grab und senkt den Kopf und kann gar nicht mehr aufhören zu weinen. Dabei tut er das sonst nie. Der kleine Bruder hat ihren Garten geplündert, sämtliche Blumen enthauptet und ihre Köpfe gemeinsam mit ihr in der Grube versenkt. Die Schwester, nicht mehr jung, aber auch noch nicht alt, steht still in ihr enges, schwarzes Kleid gepresst. Sie umklammert den Brief, den sie zum Abschied geschrieben hat. Mit einem entsetzten Schritt nach vorn lässt sie ihn nach unten stürzen und in der braunen Erde danach dürsten, gelesen zu werden. Augenpaare beobachten die Übriggebliebenen und verbieten sich selbst ihre Neugier und Frage danach, wie sich anfühlt, was sie sehen. Man spricht nicht über das Sterben und schon gar nicht über den Tod. Niemand spricht die Sprache, die benennt, was geschieht. Sie könnte ihn beschwören, herbeirufen und ehe man sich versieht, steht er vor der eigenen Tür.

Käfer © Maria JürgensenManchmal irrt er sich und macht kehrt. Meist betritt er ohne Klopfen das Zimmer. Und dann entschuldigt er sich nicht einmal für das plötzliche Hereinplatzen und die Unhöflichkeit. Der Tod schreitet auf dich zu, umarmt dich, lang und intensiv, bis du außer Atem bist. Oder er nimmt dich kurz und stürmisch, dass du dich ihm widerstandslos hingibst. Er klammert sich an deine Brust, an dein Herz und lässt es nicht mehr los, bis es erstickt vor lauter Liebe. Und dann bist du sein. Auf ewig sein.

Alles hört auf, sagt die Schwester. Von einem Augenblick zum anderen ist nichts mehr, wie es vorher war. Da reißt dir einer ein Stück aus deinem Leben und du weißt gar nicht, wohin du dich zuerst wenden sollst. Nichts ist mehr, wo es vorher war. Niemand kann die Lücke füllen. Aber das ist auch ein schöner Gedanke, sagt der Freund, denn dann weißt du plötzlich, dass jeder auf dieser Erde seinen Platz hat und ihn ausfüllt, was immer er oder sie auch macht. Aber dieser Scheißtod hockt da immer noch herum und winkt Champagner trinkend und selbstzufrieden „von dieser Scheißwolke“, sagt die Schwester und heult. Da hat sie recht, denkt der Freund, „der Typ ist ein verdammtes, egoistisches Arschloch“ und ist froh, dass er ihn nicht besonders gut kennt.

Die Mutter hatte sich verloren in ihrer Liebe zum Tod. Im Dezember hatte er sie aufgesucht, ihr seine Aufwartung gemacht, wie schon einige Jahre zuvor. Damals ließ er sie gehen, hatte sie aber nicht vergessen können, ebenso wenig wie sie ihn. Diesmal wolle er bleiben und sie nicht mehr verlassen, hatte er verkündet und sich in ihrem Dünndarm eingenistet. Sie hatte ihm erklärt, wie schwer es ihr fiele, sich ihm ganz zu überlassen, denn, was solle aus jenen werden, die hier blieben und ohne sie auskommen müssten. Und auch die Hoffnung könne sie nicht ganz aufgeben. Da nahm er immer nur ein Stück von ihr mit sich fort. Zuerst die Freude, dann den Mut, dann die Kraft, die Stimme, den Gang, die Schrift, den Hunger, die Zeit, bis sie bereit für ihn war. Sie sah ihn nach der Operation im Spiegel des Badezimmers. Durch den Schlauch ihres Katheders floss die Hoffnung gallig, grün aus ihr hinaus.

Nun stehen sie am Rand und warten, dass sich der Abgrund wieder schließt. Langsame Hände ziehen sie millimeterweise von ihm weg, versinken lieber gemeinsam mit ihnen in Erinnerungen. Sie sehen Kommunionsschleifen im Haar und Kleider aus Papier, weil das Geld zu knapp für Textiles war. Sie erzählen von Besäufnissen auf Hochzeiten und Dorffesten und haben nur Gutes zu berichten, nur Gutes. Brote werden geschmiert, Kuchenstücke gereicht. Die Sprache ist zurück, der Tod glotzt mit glasigen Feieraugen von seiner Wolke und schmollt. Der Vater, der Bruder, die Schwester, der Freund schwimmen in den Bächen der Stimmen, die sich im Raum des Klosters beim Leichenschmaus verteilen und lassen sich von ihren Wellen tragen. Hier ist alles so wie immer. Irgendwo in den Fensterscheiben spiegelt sich ein Ich und pustet einen Wind vor Erleichterung, doch nicht mutterseelenallein zu sein. Ich bin ein Stückchen zurück in der Welt.

Lupinenfeld © Maria JürgensenWas war übrig, hatte sich die Schwester, die Tochter ihrer Mutter war, gefragt, als sie im Krankenhaus neben der Toten gesessen hatte. Die lag kahlköpfig, steinern, mit ineinander verkanteten, bläulich angelaufenen Fingern auf dem Bett. In ihrem Bauch rumorte es, als arbeite der Tod noch die lebendigen Reste auf, die er noch nicht erreicht und für sich vereinnahmt hatte und wolle bei seinem bisherigen Rhythmus bleiben. Er nahm sich alles, Stück für Stück für Stück für Stück. Hier lag ein Körper, unbeseelt und nackt, der am Tag zuvor noch gedacht, gefühlt und mit fremden Ton gesprochen hatte. Was ist übrig?

Am Tag nach der Beerdigung steht die Schwester unter der Dusche, schrubbt ihren Schopf und spürt der Katastrophe nach, die sich wie ein Schleier über ihre Vergangenheit legt. Aus der Unschuld des Kindes wird die Schuld der Tochter. Sie fragt sich, woran oder womit sie sich schuldig gemacht hat und weiß keine Antwort. Aber bestraft fühlt sie sich, vom Dach gestoßen, im Flug befindlich, wie der Brief, der ungelesen im Grab versinkt. Es bleibt wohl immer Unausgesprochenes, denkt sie und reibt sich die Schenkel trocken.

Die Lücke ist eine Wunde, die schmerzt und immer wieder aufreißt, kaum, dass sie verheilt ist. Manchmal überfällt es die Schwester und gewesene Tochter während der Fahrt zur Arbeit, wenn sie in die Landschaft sieht, aufs Feld, auf dem ihre Mutter als Bäuerin säte und erntete. Dann bricht das Sehnen aus ihr heraus und sie vermisst es, Kind zu sein, geborgen im Schoß dieser Frau. Dann hat sie frisch gewaschenes Haar und gemähte Wiese in der Nase. Es kann immer alles passieren, weiß sie nun. Alles steht auf Anfang.


© Marie van Bilk/Maria Jürgensen – Veröffentlichungen, auch in Auszügen nur mit ausdrücklicher Genehmigung der Autorin.




Menschenskind

 von Maria Jürgensen …

Jeder gesunde Mensch erzähle sich die Geschichte seines Lebens selbst, doziert der Mann im weißen Kittel und Thijs Vanderbeke bemüht sich darum, ihn wiederzuerkennen. Vertraulichkeit. Seinen Blickkontakt suchen. Aufmunterndes Nicken. Er pocht mit dem Kugelschreiber auf den Schreibtisch und Thijs folgt seinem Rhythmus. Denk.Nach. Denk.Nach.Denk.Nach.

Der Arzt erläutert, der Faden zu seiner Geschichte sei lediglich gerissen und es gelte, die einzelnen Versatzstücke wieder miteinander zu verknoten. Das brauche Zeit und Geduld. Immerhin seien Teile seines alten Lebens in seiner Erinnerung vorhanden und er habe nicht alles verloren. „Es gibt viel Anlass zur Hoffnung, Herr Vanderbeke,“ betont er, „Sie werden bald wieder segeln, um die Welt reisen und Ihre Reportagen schreiben können.“ Kursverlust. Eine gerissene, alte, undichte Maschine, die sich nicht mehr zusammenhalten lässt, das ist er. Schraube locker. Jemand hat auf eine Taste gedrückt und das Band angehalten.

Ein Boot segelt übers Wasser. Jemand lässt ein Lot hinunter. Schwärze. Früher. Jetzt. Helene. Später. Alles eins. Man weiß, wer man ist, wenn man darüber nachdenken kann. Denk.Nach.Denk.Nach. Hände schütteln. Wie hieß er doch gleich?

Vrouwenpolder © Jürgensen - DüsseldorfEr bewegt sich nicht. Blut läuft aus seiner Nase. Am neunten Juni Zweitausendsechzehn wird Thijs Vanderbeke, jemand, der weiß, wo es langgeht, mit einer Gehirnerschütterung in ein Krankenhaus in Panama eingeliefert. Der unerschütterliche Fels in der Brandung ist auf einen unerschütterlichen Fels in der Brandung getroffen. Ein weiches Gesicht mit großen, graugrünen Augen sieht ihn besorgt an, als er nach dem Unfall in einem breiten, drahtig knirschenden Bett erwacht. Vier Wochen Schwarz. Jeder Tag ist ein neuer Tag, an dem er sich nicht mehr an den vorherigen erinnern kann. Helene. Sie streichelt seine Stirn und seine Hände. Er fragt sie nach dem Aufwachen, ob sie wisse, was mit seinem Auto passiert und ob er Schuld am Unfall gewesen sei. „Segelboot“, antwortete sie nur, „es war dein Segelboot, Schatz.“ Schatz, denkt er. Einmal hat der Arzt den Versuch unternommen, sie einander ausführlich vorzustellen. Es konnte ja nicht sein, dass er seine eigene Frau vergaß. Wäre es nicht denkbar, dass das genauso wie vieles andere, was mit zunehmendem Abstand zum Geschehen wieder in seinem Gedächtnis auftauchte, plötzlich wieder da war? Das Gefühl für sie, die Liebe und Vertrautheit, ihr Name? Offenbar ist gerade dieser Gedanke für alle so unerträglich, dass sie sich an die Illusion klammern, eine simple Geschichte, eindringlich vorgetragen, verankere verlorene Identität und Gefühl. Helene will Hafen und Halt sein. Sie passe auf ihn auf, versichert sie ihm trotzig und er fragt sie täglich nach ihrem Namen. „Helene, verdammte Hacke,“ schreit sie ihn eines Morgens an. Da schreibt er ihren Namen auf ein Stück Papier, das er immer mit sich herumträgt. HELENE. Das hilft. Immerhin. Er vergisst immer weniger, auch den Zettel nicht. Und auch nicht den Kuss nach dem Aufstehen. Auf der Kommode neben dem Bett stehen jeden Tag frische Blumen. Sie spielen Scrabble. Sie lässt ihn Comics lesen, weil er bewegte Bilder auf Bildschirmen noch nicht verarbeiten kann. Beim Autofahren schließt Thijs die Augen und sieht ein Boot und ein Lot. Sie streichelt seine Arme und nimmt seine Hände. Ab und zu besuchen ihn die Freunde von früher. Er erinnert sich an die Gesichter und daran, wie sie sich kennenlernten. Thijs vermeidet Namen. Manchmal ist er sicher, seinen eigenen vergessen zu haben. Jeder nimmt eingehend Notiz von ihm und bleibt irritiert zurück, weil er irgendwie immer fehl am Platz wirkt und ihre Fragen nach seinem Befinden nicht wirklich beantworten kann. Das müssen andere für ihn tun. „Ich bin immer allein, selbst wenn jemand um mich herum ist“, sagt er zu Helene. Sie antwortet nicht. Aber er sieht, dass er sie arg verletzt hat. Dabei will er ihr nur erklären, dass sein innerer Monolog ständig abreißt. Es ist, als führe man ein Gespräch und vergäße im nächsten Augenblick, dass es überhaupt stattgefunden hat. Man kann nichts daraus mitnehmen, nichts lernen. Nicht sein. Er steht still, bewegt sich nie vom Fleck.

Der Unfall liegt inzwischen Monate zurück. Das Leben findet in unserem Inneren statt, sagt Helene und Thijs solle nachdenken, sich verdammt nochmal erinnern, sonst gehe ihr noch das letzte Bisschen verloren. Ich weiß, denkt er, ich weiß. „ Bist du nun tot oder bist du lebendig? Wer bist du überhaupt?,“ fragt sie. Das müsse ihn doch interessieren. Manchmal stampft sie mit den Füßen auf. Thijs joggt ums Haus. Er spielt Scrabble. Scrabble. Scrabble.

Das Schiff verliert das Gleichgewicht und Thijs mit ihm. Die Kajütenkante trifft seinen Hinterkopf. Er bleibt rücklings auf Deck liegen. Der Krankenwagen braucht eine Ewigkeit. „He’s bleeding like hell, for Gods sake,“ sein Steuermann legt eine Hand auf Thijs‘ Brust und ist erleichtert, als sein Atem sie hebt und senkt. Plattgewalzte Sprachfetzen säen sich in sein Hirn. Hear…me. Tell…here…rock…may…leak. Eine feine Quarte. Tonfolge A bis D. Sie sind da. Finally. Das Band schnurrt sanft vor sich hin, ein Motor tuckert in die Stille, erstirbt. Ruhe sanft in der Nacht. Ein paar Handgriffe genügen. Zwei Helfer heben ihn auf eine Trage, schließen ihn an ein Beatmungsgerät an und bringen ihn auf die Intensivstation des Fernando Perreira Krankenhauses in Colón. Fünf Tage, von denen kein einziger Fetzen Leben mehr übrig ist in seinem Kopf. Danach wird er nach Kortrijk ins Krankenhaus überführt. Helene ist bei ihm. Schatz, denkt er. „Ich würde dir gern alles erzählen,“ sagt er einem Freund,“aber ich weiß nichts mehr. Die Details musst du meine Frau fragen.“ Vier Wochen mit Wasser und Blut an Stellen im Gehirn, wo es nicht hingehört. Aber eine Gehirnblutung ist es nicht, sagt Helene. Auch einen bleibenden Gehirnschaden wird es nicht geben, weiß sie dem Freund zu berichten. Aber er erinnere sich nicht. An sie. Schon an ihre Vergangenheit. Da sei vieles da. Nicht alles. Die Erinnerung sei löchrig. Meist fehlten ihm die Namen und die Empfindungen dazu. Es ist, so sagt Thijs, als läge alles verklebt auf einem Haufen und könne nicht mehr voneinander getrennt werden. Als sei alles ein riesiges Bündel Papier, durchnässt vom Regen und mit verschwommenen Buchstaben. Ständig sei er auf der Suche nach den richtigen, den passenden Worten. Er erinnere sich an den Getränkeautomaten, der schräg gegenüber des Krankenhausfensters in einem Laden gestanden habe, sagt Helene. Vertraulichkeit. Seinen Blickkontakt suchen. Aufmunterndes Nicken. Sie pocht mit dem Zeigefinger auf die Sesselkante, schaut den Freund an. Denk.Nach.Denk.Nach.

Buchstaben © Jürgensen - DüsseldorfEr schreibt Tagebuch. Jeden Tag spaziert er zur Kommode, nimmt das Buch heraus und liest nach, was er am Tag davor gemacht hat, wer ihn besucht hat, was er isst. Thijs vergisst, dass er das, was da steht, tags zuvor hineingeschrieben hat. Aber er erkennt seine Handschrift. Scrabble. Helene streichelt seinen Arm und küsst ihn. Auch das schreibt Thijs auf. Sie ist seine Frau. Thijs weiß noch nicht, seit wann sie sich eigentlich kennen, kann sich aber an die Hochzeit erinnern.

Helene muss wieder zur Arbeit. Von irgendetwas müssen sie ja leben. Er kann noch nicht an den Computer zurück und schreiben. Das Tagebuch ist das, was er so gerade schafft. Sie hat einen Herd gekauft, der sich automatisch ausstellt, wenn er vergisst, die Platten auszuschalten.

Sein Nacken schmerzt. Es sind die ersten Schmerzen, an die er sich am nächsten Tag noch erinnern kann, seit er den Unfall hatte.

Und auch am übernächsten Tag weiß er noch, dass der Schmerz zwischen seinen Schulterblättern saß, sich dann allmählich hinaufzog bis in seinen Hinterkopf und sich gegen Abend verflüchtigte.

Thijs unternimmt nach dem Mittagessen am Montag oder Dienstag oder Mittwoch oder….einen kurzen Spaziergang am Strand von Vrouwenpolder, wo die Muscheln unter seinen Füßen knirschen und blutende Kerben in seine Versen ritzen. Das Meer dehnt sich in seiner ganzen Pracht vor ihm aus, die Möwen lärmen. In den Dünen begegnen ihm Wildpferde, eine weiße Dammhirschkuh und zwei Füchse. HELENE. Den Weg nach Haus trägt er in seiner Westentasche, notiert auf einem Blatt Papier.

Als Helene von der Arbeit zurückkommt, liegt er auf dem Sofa und träumt, von einem, der am Strand spazieren geht und einem, der ihm jeden Tag sagt, wer er ist. Da ist ein Boot auf dem innehaltenden Meer. Es sucht einen Weg zum Ankerplatz,ohne auf die Felsen oder eine Sandbank zu fahren. Wie ein Stück Holz, das man mit dem kleinen Finger über das Wasser dirigiert, gleitet das Schiff schwerfällig und teilt das Wasser vor sich in Wellen. Der Steuermann lauscht auf seine Anweisungen. Thijs hält ein Lot ins Wasser und blickt aufmerksam nach unten. Er sieht sein Spiegelbild. Und Aus.

Jeder einzelne, so sagt der Arzt im weißen Kittel, bezieht seine Identität aus der Unterscheidung vom anderen. Distinktion, so sagt Dr. Jan-Kees Leopold Molenaar genannt Mootje, sei wichtig, damit jeder Mensch er selbst werden könne. Deshalb sei es wichtig, dass Thijs seine Freunde um sich habe, Menschen überhaupt. Denn erst im Wechselspiel von Gemeinsamkeit und Abgrenzung kristallisiere sich das Eigene heraus. Das sei bereits als Kind so gewesen. Mit dem Wachsen entferne man sich zunehmend von den Eltern und erlange Persönlichkeit. Helene. Graugrüne Augen. Schatz, träumt er.

Die Haustür geht und schlägt ins Schloss. Helene streichelt seinen Arm. Thijs erwacht. Es war mein Segelboot, denkt er. Sein Nacken und sein Kopf schmerzen. Morgen muss er zu Dr. Molenaar und ihm erzählen, wie es ihm geht.

„Ach, Helene… Menschenskind!“ sagt er, gähnt, erhebt sich, nimmt den zusammengefalteten Zettel vor der Couch auf und steckt ihn wieder in die Westentasche seiner Jacke, die über der Sessellehne hängt. „Thijs, du weißt meinen Namen, ohne nachzuschauen!“, ruft sie erfreut und nimmt ihn in die Arme. Schatz, denkt er. Das fühlt sich gut an.


© Marie van Bilk/Maria Jürgensen – Veröffentlichungen, auch in Auszügen nur mit ausdrücklicher Genehmigung der Autorin.




Das Fahrrad

 von Maria Jürgensen …

An der Universität nannte man ihn Oblomov. Cornelis Adrianus Maria de Wit, genannt Kees hatte erfolgreich das zwanzigste Semester in Niederlandistik, Germanistik und Anglistik hinter sich gebracht und würde, wenn es so weiter ging, noch einige mehr hinzuzufügen. Der schöne Kees war niemand, der sich leicht verführen ließ. Nicht mal von seinen Eltern, die ihm das Landleben als Inbegriff menschlicher Existenz beschrieben. „Du lebst mitten in der Natur, wirst von ihr getragen und unterwirfst dich ihrem Gesetz. Du arbeitest in und für sie. Das ist das Schönste, was es gibt!“, erklärte sein Vater, der in Ede bei einer Landbaukooperative der Viehzüchter angestellt war und nebenbei einen eigenen Hof betrieb. Ständig in Bewegung zu sein, früh aus den Federn und mit den Händen in der Erde, das war sein Element. Kees aber entfloh der Provinz, entschied sich gegen sie und für die große Stadt. Schon als Kind liebte er es, Dinge in ihre Einzelteile zu zerlegen, sich ganz darin zu verlieren und gemächliche Spaziergänge zu unternehmen, bei denen er stets ein Fernglas bei sich trug. Er schaffte es als Ausnahmetalent und lesehungriger, aber liebenswerter Eigenbrötler trotz Widerwillens seiner Eltern an die Hochschule. Was seinem Vater der Boden, den er beackerte, waren ihm Bibliotheken, Buchhandlungen, Theater, Museen und Konzertsäle.

Das Fahrrad © Jürgensen - DüsseldorfKees war der einzige Student ohne Fahrrad. Dafür hatte er viele Freundinnen, die weniger an ihm als Mann interessiert waren, als dass sie Mitleid mit ihm hatten. Corine Fonteijn brachte ihm regelmäßig einen Topf Suppe mit. Astrid Aanbeek kaufte ihm einen Wecker, den er sogar nutzte, obwohl er häufig erst gegen zwei oder drei Uhr mittags aufstand. Ab und zu besuchte er sogar eine der nachmittäglichen Vorlesungen oder Seminare und verstrickte sich nach Herzenslust in Diskussionen mit den Professoren. Das bereitete ihm vor allem dann eine diebische Freude, wenn gewisse Herren zuvor eine weibliche, in ihren Augen zu ehrgeizige und kluge Studentin überheblich gemaßregelt hatten, sie vor dem Rest der Zuhörerschaft zu blamierten suchten und mit ihrem Wissen prahlten. „Du Wurm,“ dachte er dann und zahlte mit gleicher Münze zurück. Dabei legte er einen Eifer an den Tag, den man ihm, dem Phlegmatiker, gar nicht zugetraut hätte. Die Damen liebten ihn für seine Galanterie und Unterstützung in eigener Sache. Sobald sie jedoch mit ihm nur drei Sätze des Dankes gewechselt hatten, endete das ganze wieder mit Suppe, Weckern oder der Anregung, doch mal ein bisschen „aus den Pötten“ zu kommen. Er gab sich wirklich soviel Mühe, wie er meinte an Mühe aufwenden zu können. Schließlich fand er, dass die Damen mit allem, was sie sagten recht und viel Interessantes zu sagen hatten. Nicht eine Sekunde lang zweifelte er daran, dass er sein Süppchen wirklich selbst kochen und das Fahrradfahren lernen würde. Bei dem Vorsatz blieb es.

Kees wohnte in einem Mehrparteienhaus, das seiner Tante gehörte. Die recht geräumige Wohnung des alten Kaufmannshauses mit stattlichem Kamin, hohen Packhausbalkendecken und einem geweißten Steingutboden hatte an jedem Platz seine Bestimmung. Wohnen, Schlafen, Kochen, Arbeiten, Gäste, selbst wenn sie nie kamen, brauchten jeweils einen eigenen Bereich. Man kann sagen, dass jeder der fünf Räume seiner eigenen Ordnung gehorchte, obwohl die recht eigenwillig war. Wenn die Birne im Arbeitszimmer ihren Geist aufgab, saß er im Dunkeln, hing seinen Gedanken nach und wartete, bis er müde wurde und es Zeit war, zu Bett zu gehen. Erst im Schlafzimmer schaltete er wieder das Licht an und fand spielend durch das Labyrinth von Büchern, die überall in der Wohnung herumstanden und lagen, den Weg dorthin.

Nach dem Aufstehen ging er meist in die Stadt, oft, um noch ein Buch zu kaufen, immer, um einen Earl Grey zu trinken. Während die anderen Studenten ihre Liebschaften pflegten, zu Ende studierten und einen Beruf oder gar eine Berufung fanden, harrte Kees aus und korrigierte mit äußerster Brutalität und Präzision die Dissertationen seiner Mitstudenten. Kaputte Birnen tauschten die Freundinnen für ihn aus. Klausuren schrieb er, ohne dafür lernen zu müssen und er schrieb sie nur, um das Geld, das seine Eltern ihm als zusätzliches Salär neben seinem bescheidenen Einkommen als Korrektor gewährten, nicht zu verlieren. Ihnen gegenüber musste er Rechenschaft ablegen. Denn so sehr sie auch von seiner Auffassungsgabe und Klugheit beeindruckt waren, so gut kannten sie seine Neigung zur Faulheit und zum Müßiggang, wie sie es nannten. Die für die Prüfungen verliehenen Seminarscheine zeigten immer die volle Punktzahl. Er vergaß regelmäßig, sie im Sekretariat abzuholen, bis man ihn daran erinnerte. Das echte Leben schob er vor sich her.

Das echte Leben hieß Gerda und zog samt Fahrrad bei ihm ein. Es hatte einen großen Gepäckträger vorne und hinten und eine Flaschenhalterung am Querstreben zwischen Sitz und Lenker, in die sie eine mit Korb isolierte Flasche eingehakt hatte. Es war schwarz, fast zu groß für seine Besitzerin, aber ausgestattet mit einem edlen, ledernen Brooks-Sattel und einer Fahrradglocke, die Gott samt Petrus von jeder Wolke geholt hätte. Gerdas Vater war Deutscher und gemeinsam mit der niederländischen Mutter in Düsseldorf ansässig gewesen. Nun waren beide tot und Gerda wollte im Land ihres Vaters leben. Die zweite Muttersprache ging ihr wie selbstverständlich von der Zunge. Sie hatte jedoch die Angewohnheit, das ein oder andere rheinische Schimpfwort im Redefluss unterzubringen. So auch, als Kees ihr die Tür öffnete, um von nun an in der ersten Wohngemeinschaft seines Lebens Mitbewohner zu sein. Was er denn für ein „Knaaskopp“ sei, fragte sie ihn, als er, verschlafen und zerknittert um acht Uhr vormittags verdrossen auf das Klingeln der Türglocke antwortete und drückte ihm die Korbflasche mit Tee in die Hand. „Mein Freund, der Earl für Dich, zum Wachwerden, Liefje.“ Er hatte am Telefon von acht Uhr am Abend gesprochen. Eigentlich sollte sich Gerda nur als potentielle Untermieterin für das ehemalige Gästezimmer bei ihm vorstellen, doch sie brachte neben dem Fahrrad auch gleich ihr ganzes Gepäck und einen neuen Elektroherd mit und das auf eine so selbstverständliche Art und Weise, dass er sich aus lauter Bequemlichkeit den Widerspruch sparte und ihr sofort ihr Zimmer zeigte.

Er hatte sich zur Vermietung entschlossen, nachdem er zu der Erkenntnis gekommen war, größere finanzielle Freiheit bringe ihm größere Gelassenheit und fördere das präzise Betrachten seiner Lebensumstände und die Planung seiner Zukunft. Dafür sei es langsam, sehr langsam mal Zeit. Die kluge, winzige und sehr flinke Dame mit dem wachen Geist, wuselte durch die Wohnung und organisierte in Nullkommanichts Koch- und Putzpläne, schrieb Einkaufszettel und To do Listen und sang morgens so laut, dass an Schlafen bis in die Mittagsstunden nicht zu denken war. Seit Gerda bei ihm wohnte, herrschte geistiges Chaos bei ihm und er hatte alle Mühe, die neue Situation zu verkraften. Doch war es nicht nur fehlender Antrieb, der ihn daran hinderte, sie wieder zu ändern. Es keimte eine unerwartete Neugier in ihm, als sei Gerda ein Objekt, dass es, wie alles sonst, im Detail zu beobachten und sezieren galt. Ein solches Interesse am weiblichen Geschlecht war ihm neu.

Zunächst fiel ihr nicht auf, dass Kees seine Freundinnen um die Erfüllung der jeweilig anstehenden Aufgaben bat, da sie sich tagsüber außer Haus befand, um ihrer Arbeit als Betreuerin und Übersetzerin deutscher Autoren im Verlag De Bezige Bij nachzugehen. Dann traf sie Corine Fonteijn mit der Mülltüte, als die gerade die Haustür verschloss. Ob sie die Freundin vom „Muuzepuckel“ sei, fragte sie und Corine sah sie verständnislos an. „Ich hab nur die Küche geputzt,“ antwortete sie, „ich mach das gern für uns Keesje. Der kriegt das doch nicht auf die Reihe. Dafür liest er meine Hausarbeit Korrektur. Du bist die neue Gerda? “ Die lud Corine daraufhin erst mal zu Kaffee und Kuchen ins „De Juf“ ums Eck ein. Die angesengten Topflappen, die als Dekoration über der Kaffeetheke hingen, hätten als ein Symbol für die kommende, leise Verschwörung gelten können. Die beiden aßen Aardbeienkwarktart und Citroenmeringue, tranken Eistee und Earl Grey und füßelten zur Probe mit den ziselierten Fußbeinen der groben Tische. Das Ende vom Lied war, dass Gerda Kees am nächsten Tag ein Fahrrad kaufte und Corine und sie sich regelmäßig bei wechselnden kulinarischen Verführungen zum Tratschen über den Mitbewohner trafen, um sich in Sachen Lebensertüchtigung Gedanken zu machen. „Wir kitzeln aus dir schon noch ein Höppemötzje heraus,“ meinte der Hyperquirl in Kees‘ Leben und sah ihn kampflustig an. Kees brachte das nicht aus der Ruhe. Doch als sie ihm unterstellte, lediglich kein Talent zum Radfahren zu haben und sich deswegen nicht zu trauen, juckte ihm der Pelz. Großspurig stieg er auf das glänzende Gefährt und fiel ihr prompt vor die Füße. „Strike,“ sagte sie und ließ ihn liegen. Er rieb sich die Knie und übte von da an jeden Morgen, nachdem sie das Haus verlassen hatte, das Gleichgewicht auf zwei Rädern. Als er eines Morgens radelnd mit Brötchen vom Bäcker kam, als sie gerade zur Arbeit gehen wollte, staunte sie nicht schlecht. „Bengelsche, Du kannst es! Ich bin beeindruckt!“ und ließ sich zu einem zweiten Frühstück überreden.

Das Fahrrad veränderte alles. Einundzwanzigzweiundzwanzigdreiundzwanzig. Die Umdrehung der Pedale wurden zum neuen Rhythmus seines täglichen Lebens. Einundzwanzigzweiundzwanzigdreiundzwanzig, raus aus den Federn und wenn er schon mal draußen war, konnte er auch mal eben mit dem Rad zur Uni. Auch wenn das eigentliche Ziel, das Besorgen neuer bezahlter Korrekturaufträge gewesen war, verband er es – einundzwanzigzweiundzwanzigdreiundzwanzig – hin und wieder mit einem Abstecher ins Studentensekretariat und sorgte dort für Aufsehen, da er pünktlich seine Leistungsnachweise abholte. Und wo er gerade dabei war, konnte er sich auch endlich für die Zwischenprüfung anmelden. Kurz vor Schluss, aber gerade noch rechtzeitig, um vier Wochen später ein amüsantes Prüfungsgespräch mit zwei Professoren zu führen und das Examen mit Auszeichnung zu bestehen. Einundzwanzigzweiundzwanzigdreiundzwanzig kam ihm Gerda nach der Arbeit am Prüfungsabend entgegen und holte ihn zu einem Ausflug ab. Solche machten sie in letzter Zeit häufiger.

Gerda sah das Motorrad nicht, als sie aus der kleinen Straße in Richtung SintJan-Straat fuhr. Einundzwanzigzweiundzwanzigdreiundzwanzig Sekunden bis zum Tod. Der ließ sich keine Zeit. Der Motorradfahrer wich aus, schlingerte und wurde von einem Auto erfasst, das mit überhöhter Geschwindigkeit auf der Gegenspur fuhr. „Wie im Flug,“ murmelte
Kees wie paralysiert. Gerda ließ ihr Fahrrad fallen und rannte zum Verletzten, doch jede Hilfe kam zu spät. Sie schrie „Oh, mein Gott, ich bin schuld!“, sie weinte und brüllte gleichzeitig den Autofahrer nieder, der ungläubig am Straßenrand stand und die Beulen an seinem VW begutachtete. Wenig später erschienen Krankenwagen und Polizei und beruhigten Gerda, die Vorfahrt gehabt hatte. Das tröstete sie zwar wenig, nahm ihr aber wenigstens ein wenig von ihrem Schuldgefühl. Die trüben Augen der Leiche, die unter dem Helm zu sehen gewesen waren, verfolgten Gerda und Kees lange.

Gerda blieb im Bett und meldete sich krank. Kees hingegen stieg sofort wieder aufs Rad. Einundzwanzigzweiundzwanzigdreiundzwanzig. Sechzig Umdrehungen pro Minute. Herzrhythmus. Seines schlug noch. Er war am Leben. Er war nicht tot und Gerda lebte ebenfalls.

Jedes Mal, wenn er wieder zu Hause eintraf, lag Gerda immer noch oder wieder in ihrem Bett. Ihre dunklen Haare lugten zersaust und stumpf unter einer karierten Decke hervor. Nase und die Augenlider waren rot und geschwollen. „Du bist mein kleiner Oblomov,“ flüsterte Kees dann und strich ihr über das Haar. Einmal antwortete sie: „Wie kann das sein?“, ihr Gesicht der Wand zugewandt. „In einem Moment ist er noch da und im nächsten Moment ist er weg!“ „So ist das Leben,“ antwortet Kees ihr. „Es ist in einem Moment da und im nächsten ist es weg. Aber dazwischen….“ Er sprach das Ende des Satzes nicht aus und dachte nur: „….gibt es Gerda.“ „

Als hätten sie Rollen getauscht, war es nun Kees, der To do Listen schrieb, den Haushalt meisterte und sogar seinen Freundinnen mitteilte, dass er nun ganz gut allein zurechtkomme. Gerda fand ihren Rhythmus schwer zurück und verkroch sich daheim in ihrer Kammer. Als sechs Wochen ins Land gegangen waren, in denen Kees auf der Beerdigung des Motorradfahrers gewesen war, als Zeuge vor Gericht ausgesagt und dort auch Gerda zur Seite gestanden hatte, in denen er ihr Attest geregelt und ihr alle drei Tage frische Blumen mitgebracht hatte, denen sie kaum Beachtung schenkte, in denen er intensiv arbeitete und schrieb, kaufte er ein neues Fahrrad. Gerda hatte das ihre nicht mehr haben wollen und es Corine geschenkt. Das neue war stabil, hatte einen orangenen Rahmen und einen großen metallenen Transportbehälter an der Lenkerseite. Am Gepäckträger flatterte ein gelbes Fähnchen und auch die Glocke hatte diese Farbe. Niemand würde sie damit je wieder übersehen können.

So viele rheinische Schimpfworte wie an diesem Tag aus ihrem Mund kamen, hatte er selten von ihr gehört, obschon sie damit nie geizig gewesen war. Gerda weigerte sich strikt, wieder auf ein Fahrrad zu steigen.

„Und sie bewegt sich doch,“ dachte er und blieb hartnäckig.
Eines Morgens begab er sich mit Gerdas Korbflasche in ihr Zimmer und stellte sie auf ihren Nachttisch. „Zum Wachwerden, Oblomov,“ sagte er. Und dann begann Kees, Gerda ausführlich und nachhaltig das Leben zu erklären. Sein Leben. Er erzählte von seinen Eltern, wie er als Kind gewesen war, wie wichtig Bücher für ihn waren und warum er gerne Earl Grey trank. Er erzählte vom Langsamsein und davon, wie viel Freude es ihm mache, stundenlang etwas zu beobachten und ihm möglichst viel Beachtung zu schenken. „Das ist wie Niederknien,“ sagte er. „Und dann kamst du mit deinem Fahrrad, Herzchen.“ „Und dann kam ich,“ antwortete sie und wandte sich ihm zu. Und an diesem Tag war ich …., fuhr er fort, „einundzwanzigzweiundzwanzigdreiundzwanzig…. komplett.“


© Marie van Bilk/Maria Jürgensen – Veröffentlichungen, auch in Auszügen nur mit ausdrücklicher Genehmigung der Autorin.