Pofalla beendet seine Moralinerzeugung

von Dirk Jürgensen ...

Gelebter Lobbyismus in einem nur beispielhaften Skandal

Bahn-AG

Wenn Pofalla dafür sorgt, dass die Zugausfälle und Verspätungen bei der Bahn beendet werden, wenn er dann auch noch die regelmäßigen Preiserhöhungen und das Streichen von Verbindungen als beendet erklärt, könnte ihm sogar der Dank seiner ehemaligen Wähler winken.

Für das Geld, das die Bahn AG ihrem neuen Chef-Lobbyisten zahlen will, könnte sie einen ganzen Haufen von Lokführern und Schaffnern einstellen, um einen großen Teil der Verspätungen und Zugausfälle zu verhindern. Diese verärgern immer mehr die notgedrungen treuen Bahnkunden und bieten neben den zu hohen Preisen anderen Reisenden und Berufspendlern stets ein Argument, weiterhin das Auto zu nutzen. Aber wer denkt denn, dass ein solcher Dienst an den Kunden zum Unternehmensziel der Bahn gehört? Viel wichtiger ist es diesem Unternehmen hingegen, irgendwelche von der Politik gewährten Vergünstigungen zu erhalten, die letzthin doch wieder nur der Gewinnsteigerung, der Fahrplanausdünnung und Einsparung von Arbeitskräften dienen.

Ich bin zwar der Meinung und somit zwangsläufig auch dafür, dass ein Unternehmen, das der Versorgung der Bevölkerung mit günstigen und umweltfreundlichen Verbindungen in einem dichten Netz, immer ein Zuschussgeschäft bleiben wird, aber diese im wahrsten Sinne der Worte öffentliche Dienstleistung darf man nicht über Gefälligkeitsposten teurer als nötig gestalten.

Wir – und da kann ich wohl für die Mehrheit der Leserschaft schreiben – haben über Ronald Pofalla, vielmehr über seine seltsame Artikulationsweise und sein Auftreten allerspätestens seit seiner Beendigung der NSA-Abhöraffäre eher gelächelt oder sogar lauthals gelacht, als dass wir ihn für einen fähigen Manager gehalten hätten. Auch sein emotionaler Verbal-Ausfall gegen den Kollegen Bosbach wirkte überraschend und irgendwie nicht typgerecht. Man kennt die Leute eben nur aus dem Fernsehen und seine Wähler im niederrheinischen Kleve, wie wohl auch die Kanzlerin hatten da ein anderes Bild von ihm. So kann über seine Fähigkeiten, die er als Leiter des Bundeskanzleramts beweisen durfte, ohne Befragung seiner Mitarbeiter nur spekuliert werden. Auch wird immer offen bleiben, wie Herr Pofalla aus einem Bewerbungsgespräch heraus ginge, wenn er denn aufgrund von Arbeitslosigkeit nach einer engagierten Politikerkarriere überhaupt zu einem solchen eingeladen würde. Denn Politiker würden sich, wenn sie denn nur ihrem Gewissen folgten und stets ihren kritischen Geist bewiesen, nicht immer und überall – und schon gar nicht in den Spitzen der Wirtschaft – Freunde machen. Eine Absicherung nach Ende ihres Mandats also wichtig und eine Stütze der Demokratie und ist somit grundsätzlich nicht fragwürdig. Diese Absicherung verliert jedoch ihren Sinn und Zweck, wenn nach dem Ende eines Mandats – noch besser nach einer ausreichenden Karenzzeit – ein ein lukrativer Job den Lebensunterhalt sichert.

Der „Fall Pofalla“ ist nach zahlreichen vorangegangenen Fällen, von denen sich weder die CDU, noch SPD, Grüne und schon gar nicht die FDP freisprechen kann, ein erneuter Beweis, dass unsere Demokratie weitaus fragiler oder gar beschädigter als angenommen ist. Wie weit wir schon in einer eigentlichen Lobbykratie angekommen sind, sollte schnell, intensiv und rücksichtslos erforscht werden. Fälle von Gesetzesvorlagen und Gesetzen, die von Lobbyverbänden abgesegnet oder gar verfasst wurden, Vergünstigungen für viel zu viele Unternehmen im Zuge der notwendigen Energiewende, kommen immer wieder vor und es scheint nur wenig Motivation vorhanden zu sein, diese in Zukunft wirklich zu verhindern. Solche fliegenden Wechsel von politischen Insidern und Entscheidungsträgern in die Wirtschaft oder Verbände, wie sie auf Zeit-Online beschrieben bezeichnet werden, entwickeln sich mehr und mehr zu einem echten Problem. Da davon auszugehen ist, dass es nicht immer um die fachliche Kompetenz der wechselnden Politikerinnen und Politiker geht, ist das Prinzip der Volkssouveränität im Sinne des Art. 20 Abs. 2 Grundgesetz (GG) bedroht, was etwas banaler ausgedrückt heißt:

Als Wähler will ich mich von „meinem“ Abgeordneten vertreten wissen, weil ich ihn aufgrund seiner Überzeugung, zumindest aufgrund seiner Äußerungen in der Öffentlichkeit für einen entsprechend würdigen Vertreter halte. Und wenn sein Abstimmungsverhalten einmal nicht meiner Überzeugung entspricht, sollte er dieses wenigstens mit seinem Gewissen begründen können. Wenn ich es für erforderlich halte und er mich nicht zu einer anderen Einsicht bringt, kann ihn bei der nächsten Wahl für sein Handeln bestrafen. Juristische Personen, das sind nun einmal Lobbyverbände und Kapitalgesellschaften, haben in einer parlamentarischen Demokratie kein Stimmrecht. Sie können und dürfen über ihre Öffentlichkeitsarbeit Einfluss auf die allgemeine Meinungsbildung ausüben, wie es Parteien, die Presse, Kirchen und andere Institutionen auch tun. Mehr nicht! Die Wähler können dann entscheiden, ob sie diesen Einfluss beim Malen ihres Kreuzchens wirken lassen.

Ronald Pofalla wollte, nachdem er kein dem Kanzleramtschef im Status überragendes Ministeramt erhalten hatte, mehr Freizeit. Offenbar nur kurz und es musste schnell gehen. Denn hielt er es noch nicht einmal für nötig, seinen CDU-Kreisverband zu unterrichten, dass er dieser Freizeit nach wenigen Wochen schon überdrüssig geworden war und die Bahn-AG ihm ein Angebot unterbreitet hatte, dass er nicht ausschlagen konnte. Dort in Kleve muss man nun das Gefühl haben, vom eigenen Spitzenkandidaten hintergangen worden zu sein, wenngleich Pofalla den derzeitigen Informationen folgend sein Parlamentsmandat trotz des sicher ungemein anstrengenden Postens bei der Bahn behalten möchte. Der Job eines Bundestagsabgeordneten ist einer, der, wenn er denn ernst genommen wird, in täglichen acht Stunden nicht zu erledigen. Der eines Bahnmanagers bei einem Gehalt von mindestens 100.000 Euro sollte es auch nicht sein, sonst würde sich die Ausgabe für das Unternehmen nicht lohnen. Die einfache Frage lautet: Welche Aufgabe wird Pofalla demnächst vernachlässigen? Für weitere Mutmaßungen sind die handelnden Personen selbst verantwortlich. Eine davon könnte sein, dass die Leistungen im Sinne der Bahn-AG schon längst erbracht wurden. Die andere könnte sein, dass die Einträge in Pofallas persönlichem Telefonbuch allein schon die ganze Kohle wert sind.

Ob eine der Mutmaßungen der Realität entsprechen oder wenigstens nahe kommen, kann ich nicht einschätzen, das einst selbst produzierte Moralin wird Pofalla auf jeden Fall nicht gebremst haben.

In der Hamburger Morgenpost war am 12.12.2005 noch die folgende Aussage zu lesen: „Gerhard Schröder richtet mit seinem Einstieg in das Unternehmen erheblichen Schaden an. Noch vor Monaten hat er sich als Kanzler für das Pipeline-Projekt stark gemacht – jetzt kassiert er von denen, die von seinem Einsatz profitiert haben. Es ist ein erstaunlicher Vorgang, dass ein deutscher Bundeskanzler schon Wochen nach seinem Ausscheiden die Reputation seines früheren Amtes für eine kommerzielle Tätigkeit nutzt. Das Vertrauen darauf, dass ein früherer Kanzler weiß, was sich gehört und er auch im Nachhinein seinem Amt schuldet, hat Gerhard Schröder gründlich zerstört. Schröder geht es nicht um Gas – es geht ihm um Kohle!“ […] Bislang ist nach den Worten Pofallas die Politik davon ausgegangen, dass «wir keine Regeln für solche Fälle brauchen – einfach weil ein solches Vorgehen jenseits aller Vorstellungskraft lag. Im Fall Schröder haben wir uns offensichtlich getäuscht. Jetzt kommen wir an einer rechtlichen Regelung wohl nicht vorbei: Es ist offensichtlich eine Illusion zu glauben, dass der Appell an politischen Anstand alleine ausreicht, um solche Fälle zu verhindern», sagte Pofalla weiter. «Ich könnte mir eine Art Selbstverpflichtung von Regierungsmitgliedern vorstellen, für die Zeit nach Ausscheiden aus dem Amt sich geschäftliche Rücksicht aufzuerlegen. Auch Karenzzeiten halte ich für vorstellbar.“

Fazit: Wenn der Profit lockt, ist die eigene Nase unerreichbar weit entfernt und die Moralinerzeugung gestoppt.

Dabei hatte Pofalla schon lange vorher eigene Erfahrungen im persönlich gelebten Lobbyismus gemacht. Das ist auf Wikipedia zu finden:

Schon während seiner Studienzeit wurde Pofalla vom Unternehmer Bernhard Josef Schönmackers gefördert, der im Kreis Kleve Entsorgungs- und Umweltfirmen betrieb. Schönmackers wurde – nach eigenen Angaben – vom damaligen Gemeindedirektor Wienen „um eine Förderung bzw. Unterstützung des Studiums des Herrn Pofalla gebeten“. Pofalla wurde danach über mehrere Jahre mit 1200 bis 1300 DM monatlich unterstützt. „Sinn und Zweck unserer Zusammenarbeit war es grundsätzlich, Herrn Pofalla für sein Jurastudium eine gewisse finanzielle Basis zu geben“, allerdings auch „politische Kontakte“ zu knüpfen, sowie die Bearbeitung von Fragen des Miet- und Arbeitsrechts. Die weitere Zusammenarbeit mit Ronald Pofalla hat nach Angaben Schönmackers dann aber auch in „der politischen Unterstützung des Aufbaus und der Erweiterung unseres Betriebes“ bestanden.

Spätestens dieser Wikipedia-Eintrag dürfte Ronald Pofalla für Bahnchef Grube gezeigt haben, dass da im Kanzleramt ein Talent schlummert, das der Wirtschaft nicht vorenthalten werden darf. Grube wird schnell eingesehen haben, dass das zu bietende Monatsgehalt – nennen wir es Schmerzensgeld – etwas höher als die damalige sein muss. Schließlich sollte das Geld die temporäre Häme der sozialen Netze abfedern, die damals zur Zeit des von Pofallas Studium noch nicht existierten.

Da Ronald Pofalla mit seinem jenseits der Welt eingefleischten Lobbyismus‘ als anrüchig angesehener Wechsel gegen kein Gesetz verstößt, das er im Fall Schröder einst forderte, wird er auch diese Affäre bald für beendet erklären. Wenn er zudem wider Erwarten dafür sorgt, dass die Zugausfälle und Verspätungen bei der Bahn beendet werden, wenn er dann auch noch die regelmäßigen Preiserhöhungen und das Streichen von Verbindungen als beendet erklärt, könnte ihm sogar der Dank seiner ehemaligen Wähler winken. Aber passt ein solch romantischer Gedanke heutzutage in die in die reale Welt eines ehemaligen Kanzleramtschefs? Wohl kaum. Lieber wird er das Thema der Politikverdrossenheit ganz einfach unbeendet lassen.

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