2014 – Freie Bahn den Bekloppten!

von Dirk Jürgensen ...

Ein Jahresrückblick auf ein rückwärtiges 2014

2014, das Jahr der Bekloppten - Foto: © Jürgensen - Düsseldorf

Foto: © Jürgensen – Düsseldorf

– Der Jahresrückblick auf das nun auslaufende Jahr 2014 fällt recht kurz aus: Demokratien wie Diktaturen haben sich weltweit darauf geeinigt, zwischen Nationalismus, religiösem Fanatismus und Marktradikalität angesiedelten Bekloppten alle Freiheiten zu gewähren. Kein Zeitgenosse wird sich an mehr Krisenherde oder gar Kriege erinnern können, was nicht allein an der größeren Durchdringung unseres Bewusstseins durch weltweite Nachrichten liegt. Vernunft ist nur noch das Leitbild einer schweigenden Mehrheit – oder gar Minderheit? Man weiß es nicht, denn schweigend degeneriert jede Mehrheit zu Minderheit. Auch in diesem Sinne war 2014 zu großen Teilen ein Jahr der Rückwärtsbewegung.

Eine auszugsweise Auflistung der Beklopptheiten:

  • Den Islamischen Staat ausrufende Dumpfbacken mit Minderwertigkeitskomplex errichten eine mittelalterliche Macho-Gewaltherrschaft, die anhand ihrer in Echtzeit und 3D gerenderten Grafikleistung jeden Ego-Shooter zum Märchenquartett schrumpfen lässt. Religion ist zu einer Phantasy-Orgie mutiert, in deren höchsten Level dem Gewinner 72 Jungfrauen versprochen werden. Ob der Hersteller des Spiels das wirklich liefern kann?

  • Wer aufgrund dieser Idiotie einmal mehr den Untergang des hiesigen Abendlandes befürchtet, schließt sich der oder einer ähnlich umständlich abgekürzten und von Neonazis gesteuerten Initiative an, um seine Fremdenängste endlich auf der Straße ausleben zu können. Man bezeichnet sich als „bürgerliche Mitte“, trägt seinen braunen Kern endlich wieder offen, will kein Nazi sein, hat nichts gegen Ausländer, aber… Verschwiegen wird in all der Angstdemonstration, dass die Opfer der islamistischen Gewalt in der Mehrzahl Muslime sind. Doch übersehen wir nicht den einen Vorteil dieser fragwürdigen Protestbewegung: Endlich braucht der gepflegte Hooligan keinen Bundesligaspielplan mehr zur Terminierung seiner Freizeitaktivitäten.

  • Wer in der Ostukraine und drumherum ein Friedensengel, ein Faschist oder relativ harmloser Nationalist oder gar Freiheitskämpfer ist, was Schwärmerei von den vermeintlichen Vorzügen einer untergegangenen UdSSR ist bei einem inzwischen ultrakapitalistischen und nationalistischen Russlands ist und welche von den Massenmedien verbreitete Nachrichten Demagogie oder oder einigermaßen ungefärbte Neutralität darstellen, interessiert nicht mehr. Wenn beide Seiten lügen, wird bestenfalls weggehört.

  • Der Nahostkonflikt, der Nahostkonflikt. Der ist irgendwie immer da und immer gleich. Ob man nun die Seite der Palästinenser oder die der Israelis unterstützen oder verurteilen mag, ist inzwischen relativ unbedeutend. Zu sehr sind auf beiden Seiten die vernünftigen Kräfte ge- oder verschwunden. Allerdings scheint es in der Region trotz der Dauer des Konflikts noch Waffen, Sprengstoff und Menschenmaterial in ausreichender Menge zu geben, wie es zu meinem Erstaunen auch noch genügend zu zerstörende Wohnhäuser zu geben scheint. Da die jeweiligen Bevölkerungen ihre Wahlzettel immer radikaleren Gruppierungen widmen, werden noch ein paar Generationen über den Nahostkonflikt diskutieren dürfen. Das Gebiet ist ein wunderbares Biotop, in dem studiert werden kann, dass Menschen, die keinen anderen als den Kriegszustand kennen, nicht unbedingt die Motivation zum Frieden entwickeln.

  • Als die Bürger der USA einen afroamerikanischen Präsidenten wählten, schien der Rassismus endlich besiegt, höchstens noch in den Köpfen einer zu vernachlässigenden Minderheit vorhanden. Nun erlebt das Land Proteste und Unruhen wie schon lange nicht mehr, denn das Land der Freien muss erkennen, wie der latente Rassismus in Polizei und Justiz anhand der Todesopfer jüngster Zeit nach außen tritt. Wäre die Waffenlobby nicht derart im Konservativen verwurzelt, würden sicher jetzt perfide Parolen laut werden, nach dem beispielsweise der 18-jährige Michael Brown noch leben könnte, wenn er denn im Besitz einer Handfeuerwaffe gewesen wäre, um sich gegen den Polizisten zu wehren. Ein bekloppter Gedanke, von dem sich der Autor sofort distanzieren möchte.

  • Europa war einst ein großes Ziel. Etwas ist schief gelaufen. Inzwischen wird Europa als bürokratische, nicht als demokratische Einheit wahrgenommen. Die Bevorzugung von Wirtschaftsinteressen behindert die gesellschaftliche Entwicklung und wir lassen uns ständig mit Arbeitsplatzkeulen bedrohen und von Heiligsprechungen eines allgegenwärtigen Marktes blenden. Der europäische Geist erscheint hingegen viel zu selten und separatistische Gedanken, nationalistische Idealbilder geben längst überwunden geglaubte Alternativen vor. Europagegner werden im Parlament Europas immer mehr und fördern den Zersetzungsprozess. Anstatt nun im Gegenzug Europa voranzubringen, kümmert sich die von den Wählern kaum noch geforderte Politikkaste weiter für die Interessen der Interessenverbände. Die Lobbyisten kümmern sich wenigstens noch um Politik. Die Demokratie muss aufpassen, dass die Lethargie nicht zur Agonie wird.

  • In Japan, einem Land, das es besser wissen müsste, soll 2015 der stillgelegter Atommeiler Sendai wieder hochgefahren werden. So hat es die Präfektur Kagoshima trotz zahlreicher Protesten aus der Bevölkerung mehrheitlich entschieden. Nur 70 km vom Standort des Kraftwerks entfernt befindet sich der aktive Vulkan Sakurjima. Schön bekloppt, sollte man meinen. Fast so bekloppt wie die Briten, die ihr neues Kernkaftwerk Hinkley Point in Somerset 35 Jahre lang subventionieren werden und dafür auch noch die Freigabe der EU erhalten haben. Zur Begründung der Genehmigung schreibt die deutsch Vertretung der EU-Kommission auf ihrer Homepage: „Im Verlauf der der eingehenden Unetersuchung konnten die britischen Behörden nachweisen, dass mit der Beihilfemaßnahme ein echtes Marktversagen behoben wird, und die anfänglichen Zweifel der Kommission ausräumen. Insbesondere könnten die Projektträger aufgrund der beispiellosen Art und Tragweite des Projekts nicht die erforderlichen Finanzmittel beschaffen.“ Da reagiert der Markt ausnahmsweise einmal richtig, wird ihm ein Versagen unterstellt. So einfach geht das in einer Lobbykratie. Was nach den 35 Jahren sein wird und wer die unermesslichen Kosten nach der Stilllegung – wenn keine Katastrophe die Laufzeit verkürzt – in 60 Jahren tragen wird, ist leicht zu erraten. Es wird vermutlich nicht der Betreiber sein (können). Auch in diesem Sinne wird dann wieder der Markt versagen.

  • Wenn auch viele innenpolitische Themen zwischen PKW-Maut und dem geduldeten Herausmogeln aus dem sozialen Netz die allgemeine Beklopptheit begründen könnten, darf das Ebolafieber auch in diesem Jahresrückblick nicht fehlen. Seit 1976 ist es bekannt, als im damaligen Zaire, der heutigen Demokratischen Republik Kongo, 280 Menschen an ihm starben. Zwischendurch tauchte der Erreger immer wieder auf und ließ in Afrika immer wieder Menschen sterben, bis er 2014 dann zum großen Schlag ausholte und Menschen in Guinea, Liberia, Sierra Leone, Nigeria, dem Senegal, der Demokratischen Republik Kongo und Mali befiel. Als dann auch noch Infizierte in die USA und nach Spanien reisten, wurde die Sache auch für uns brenzlig. Schließlich hielt sich das Virus bislang an die kontinentalen Grenzen Afrikas, einem ökonomisch – und daher menschlich – eher unergiebigen Erdteil. Viren sind clever. Würden sie ihre Wirte vornehmlich in den USA oder in Europa dahinraffen, hätte die Pharma-Industrie längst genügend Pillen oder Spritzen im Angebot. Wer zahlen kann, dem wird geholfen. Solidarität ist ein Begriff längst vergangener Zeiten und auf den Märkten hinderlich.

Wenn sich Fortschritt weiterhin technisch anhand einer höheren Auflösung in der Bilddarstellung eines Handy-Displays definiert und nicht gesellschaftlich durch wachsende Freiheit und Gerechtigkeit, wird 2015 ebenso nach hinten losgehen. Wir werden Regierungen wählen, die uns schaden, wir werden aktiv oder passiv Entwicklungen unterstützen, die wir nicht wollen und wir werden uns von Unternehmen und Staaten aushorchen lassen, weil alles so unüberschaubar und irgendwie bequem ist. Die Bekloppten dieser Welt freuen sich darüber und haben weiterhin freie Bahn. 2014 dürfte ihnen Mut gemacht haben und da hilft es auch nichts, dass ganz Deutschland Fußball-Weltmeister geworden ist.

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Selbstverständlich weiß der Autor, dass Vokuhila die Abkürzung für eine seltsame Haarmode aus den Achtzigern ist. Er hat sich sehr bewusst für die Verwechslung mit der lokal etwas variierenden „Bürgerbewegung“ entschieden, um dieser keine weitere Popularität zu verschaffen.